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Steinmeier: "Den deutschen Machteinfluss zu vergrößern, war nie das Ziel deutscher Einsätze" - Knoche: "Der Kampf gegen den Terror ist nicht mit Krieg zu gewinnen"

Der zweite Teil der "Haushaltsdebatte": Im Mittelpunkt der Nahe Osten und die Bundeswehreinsätze

Die Haushaltsdebatte 2006 im Deutschen Bundestag war schon bei der allgemeinen Debatte über den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes (Einzelplan 04) stark geprägt von der Außenpolitik. Ihr widmete die Bundeskanzlerin ein großen Teil ihrer Rede am 6. September (siehe Die Haushaltsdebatte - Teil 1). Um Außenpolitik ging es - erst recht - bei der Fortsetzung der Debatte, als der Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Einzelplan 05) aufgerufen wurde. Die Debatte wurde durch die Rede des gegenwärtigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) eröffnet.
Wir dokumentieren im Folgenden die Reden aus der Debatte, die sich auch oder vorwiegend mit dem Nahostproblem befassen. Auf sechs Reden, die sich anderen Themen (z.B. der Europäischen Union) zuwandten, haben wir hier verzichtet. Die Beiträge erfolgen in der Reihenfolge der Debatte:

Auf die Wiedergabe von Beifallsäußerungen und Zwischenrufen haben wir verzichtet.






Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:



Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Auf den fünften Jahrestag der schrecklichen Ereignisse von New York ist bereits hingewiesen worden. Deshalb möchte ich nicht darauf zurückkommen. Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass sich seit diesem Tag vieles verändert hat. Auch den letzten Zweiflern ist klar geworden, dass spätestens seit dem 11. September 2001 Außenpolitik mehr und mehr zur Weltinnenpolitik geworden ist. Klar ist auch: Frieden und Wohlstand in Deutschland hängen immer mehr davon ab, wie es der übrigen Welt ergeht.

Terroranschläge irgendwo auf der Welt können die Weltwirtschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Heute reden wir über den Bundeshaushalt. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Zahlen eines Bundeshaushaltes durch Ereignisse, wie beispielsweise die Krise im Nahen Osten, schlagartig Makulatur werden können. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Deutschland sage ich, dass wir die Gefahren in Regionalzügen und S-Bahnen nicht vollständig ausschließen können. Ein weiteres Beispiel sind die Bürgerkriege in Afrika. Sie lösen Flüchtlingsströme aus, die Europa, auch uns, erreichen. Das macht deutlich: Es gibt keine entfernten Weltregionen mehr. Bei uns in Deutschland leben Menschen aus allen Regionen und Nationen. Damit sind wir von Ereignissen in den Heimatländern dieser Menschen direkt betroffen.

Wir als Exportnation betreiben Handel mit fast jedem Land der Erde. Deshalb haben wir ein ganz besonderes Interesse an stabilen, friedlichen Verhältnissen überall auf der Welt.

Hinzu kommt: Die Deutschen machen Urlaub in fast jedem Winkel der Welt. Darum wird fast jedes Unwetter, zumindest jede größere Katastrophe, auch ein Fall für das Auswärtige Amt. Wir versuchen, uns mit unserer Außenpolitik auf diese veränderten Bedingungen einzustellen, wir Deutsche mitten in Europa, auf einer Insel von Frieden, Wohlstand und Stabilität in einer leider ziemlich unfriedlichen, ziemlich oft ungeordneten Welt ringsum. Welchen Schluss ziehen wir daraus? Ich glaube, nicht den von Oskar Lafontaine, den der Ohne-mich-Haltung, ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass für uns aus unserer erfreulichen Situation hier in Mitteleuropa Verantwortung erwächst. Aus den Erwartungen, die viele Menschen aus allen Regionen an uns richten, erwächst aus meiner Sicht aber nicht nur Verantwortung, sondern auch Verpflichtung, nämlich die Verpflichtung, sich nach Kräften auch für Stabilität, Frieden und Demokratie in diesen Regionen einzusetzen, da, wo die eigenen Mittel zur Konfliktlösung ganz offenbar nicht ausreichen. Wir wissen seit vielen Jahren: Es gibt leider zu viele solcher Regionen. Ich sage das vorab, weil ich glaube, dass man nur so begründen kann, warum wir uns im Libanon und im Nahen Osten engagieren wollen, natürlich nicht allein, sondern Seite an Seite mit unseren europäischen Partnern. Wir sollten bei der Diskussion hier im Deutschen Bundestag auch nicht vergessen, dass der Waffenstillstand, der Gott sei Dank - wenn auch fragil - eingehalten wird, ganz wesentlich auch mit europäischer Hilfe zustande gekommen ist.

Bei aller Kritik an Europa und an europäischen Entscheidungsprozessen will ich hinzufügen: Wer war denn am Ende schneller bei der Zusammenstellung einer Friedenstruppe? Die Europäer sind doch die Ersten gewesen, die mit dem Angebot von 7 000 Soldaten die Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass aus diesem fragilen Zustand eine möglichst dauerhafte Lösung wird; sonst würde im Nahen Osten noch heute gekämpft. Ich bin der Meinung, die Bundeswehr sollte gemeinsam mit Soldaten anderer Länder dafür sorgen, dass die Waffen in dieser Region auch in Zukunft schweigen. Konkreter haben wir wohl noch nie sowohl - aber nicht nur - das Existenzrecht Israels schützen als auch unserem Interesse an Stabilität in der gesamten Region des Nahen Ostens Nachdruck verleihen können.

Das sage ich auch, weil ich der Meinung bin, das hat nicht das Geringste mit einer Militarisierung der Außenpolitik zu tun. Ich finde, das Gegenteil ist richtig:

Europäische Soldaten, vielleicht auch deutsche, könnten ihren Beitrag dazu leisten, dass der Frieden im Nahen Osten wieder eine Chance erhält. Wir könnten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Tür zu einer Fortsetzung des Nahostfriedensprozesses wieder geöffnet wird. Wir sind natürlich klug genug, um zu wissen, dass das nicht allein mit Soldaten erfolgen kann. Deshalb kommt es darauf an, einen möglichst klugen Mix aus militärischem Beitrag auf der einen Seite - natürlich - und - natürlich auch - humanitärer Hilfe und unseren Angeboten zum Wiederaufbau im Libanon auf der anderen Seite zu schaffen.

Ähnlich handeln wir auch in Afghanistan. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin - das habe ich seit meiner Rückkehr aus Afghanistan gesagt - gegen jedes Schönreden der dortigen Situation. Die Situation, erst recht vor Ort betrachtet, gibt in der Tat immer noch Anlass zu Sorge, in manchen Regionen Afghanistans sogar Anlass zu wachsender Sorge. Ich sage dennoch: Nach 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg in diesem Land ist dort etwas in Gang gekommen: eine gewisse Stabilisierung politischer Institutionen. Die Flüchtlinge können Gott sei Dank wieder in ihr Land zurückkehren, auch wenn an manchen Stellen vielleicht mehr zurückkehren, als das Land vertragen kann: Kabul hat eine Infrastruktur für etwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen; jetzt leben circa 4 bis 4,5 Millionen Menschen dort. Insofern kann es nicht erstaunen, dass die Versorgungssituation mehr als nur schwierig ist.

Wir tun mehr, als nur unseren militärischen Beitrag zu leisten. Wir leisten Hilfe zur Wiederherstellung der Wasserversorgung und der Elektrizitätsversorgung. Wie Sie wissen, tun wir das gerade nicht nur mit Soldaten, sondern auch mit Regierungsberatern, Lehrern und Entwicklungshelfern. Ich war froh, bei meinem Besuch zu sehen, dass eine Schule mit insgesamt 7 000 Schülerinnen jetzt sogar um einen naturwissenschaftlichen Zweig erweitert wird. Ich finde, diese Ergebnisse dürfen wir nicht durch verantwortungslose Diskussionen in der Öffentlichkeit preisgeben.

Ich weiß sehr wohl, dass einer der umstrittensten Punkte hier im Bundestag unser Engagement im Kongo war und ist. Wir wollen nicht so tun, als sei das Engagement bereits zu Ende und ohne jedes Risiko. Ich finde aber, dass es sich bisher gelohnt hat. Nur durch die Anwesenheit der europäischen Truppenkontingente konnte nach dem beginnenden Aufruhr Schlimmeres verhindert werden. Wären die europäischen Truppen nicht dort gewesen, dann hätte die Unruhe nicht im Keim erstickt werden können.

Ich füge hinzu: Auch dort sind unser Militär und unser militärischer Beitrag nur der kleinere Teil. Auch dort engagieren wir uns jetzt seit mehr als drei Jahren mit Beratung, mit der Hilfe bei der Wasserversorgung und in vielen Gesundheitsprojekten. Ich finde, auch das sollten wir nicht kleinreden. Nachdem ich das vorab gesagt habe, verstehen Sie auch bitte meinen Satz richtig, dass ich es nicht ertragen kann, dass mit dem Argument der Militarisierung der Außenpolitik unsere Bemühungen um verantwortungsvolle Entscheidungen hier in Misskredit gebracht werden.

Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich das von der Linkspartei erwartet hatte. Ich hatte mir vorgenommen, nichts Weiteres dazu zu sagen. Ich finde nur, dass man das, was Oskar Lafontaine in seiner Rede gesagt hat, so nicht stehen lassen kann.

Es ist unerträglich, dass Oskar Lafontaine hier den Eindruck erweckt, als seien diejenigen, die helfend ins Ausland gehen, diejenigen, die für Terrorismus verantwortlich sind. Das kann man nicht sagen.

Ich finde es unredlich, dass gerade diejenigen, die jeden Tag das Völkerrecht und die Vereinten Nationen gegen eine schlechte Realität ins Feld führen, den Vereinten Nationen dann die Hilfe versagen, wenn sie der Hilfe bedürfen. Das geht nicht. Das ist inkonsequent.

Ich habe den Zusammenhang der Sätze von Oskar Lafontaine sehr genau gehört und ich hätte mich nicht mit einem Beitrag zu Wort gemeldet, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass hier gegenüber der deutschen Bevölkerung der Eindruck erweckt werden sollte, dass der Terrorismus nicht die Ursachen hat, die wir landläufig öffentlich diskutieren, sondern dass diese eher in unseren Entscheidungen liegen. Das muss ich mit aller Schärfe zurückweisen.

Herr Dehm, einen allerletzten Satz zu diesem Punkt. Vielleicht gebe ich mir zu viel Mühe; aber lassen Sie mich noch sagen, dass ich es am Ende auch zynisch finde, dass Sie sagen, der internationale Beitrag zur Stabilisierung könne und dürfe nicht kommen - jedenfalls nicht mithilfe des Einsatzes deutscher Soldaten -, obwohl Sie wissen, dass der Waffenstillstand und das Ende der Kampfhandlungen nur durch eine Resolution erreichbar waren, mit der sich die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe verpflichtet hat. Sie wissen sehr genau: Wenn wir nicht so entschieden hätten, dann wäre das Kämpfen weitergegangen und weitere Menschen wären gestorben. Deshalb kann ich das so nicht ertragen.

Bei der FDP - das habe ich verstanden - ist das keine prinzipielle Haltung gegen Auslandseinsätze; ich glaube, so habe ich das richtig gezeichnet. Aber auch da habe ich den Hinweis auf Umfragewerte und öffentliche Akzeptanz zu kritisieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, jedenfalls nicht die Aufgabe einer Regierung, auf Umfragewerte zu schauen und danach zu entscheiden, ob wir einen Auslandseinsatz billigen oder nicht.

Erst recht unverständlich finde ich das, was ich in den letzten Tagen in der Presse gelesen habe, nämlich dass uns angeblich das Gesamtkonzept fehlt. Das ist ein billiges Argument. Die Wahrheit ist konkret: Den Schutz brauchen die Menschen jetzt, nicht dann, wenn die FDP zu diesem Thema irgendwann ihre Weltformel gefunden hat.

Verzeihen Sie mir in diesem Punkt die Emotionen. Aber ich finde schon, dass wir hier miteinander Klartext reden müssen. Unsere Außenpolitik ist in sich konsistent. Niemals ist ein Kontingent deutscher Soldaten in eine Region mit dem Auftrag geschickt worden, dort Land zu zerstören oder den deutschen Machteinfluss zu vergrößern. Das war nie das Ziel deutscher Einsätze. Diese Regierung und auch die Vorgängerregierungen haben mit ihren Entscheidungen immer versucht, entweder Friedensverträge zu überwachen, für die Menschen Stabilität zu schaffen oder Vertreibung und Massenmord zu beenden. Das ist die Verantwortung deutscher Politik.

Das ist vielleicht auch das, was Europa als Botschaft in die Welt aussenden kann: Wir in Europa haben gelernt, auch über tiefe Gräben, über Mauern und auch über Trümmerberge hinweg zusammenzufinden und zusammenzuwachsen. Wenn das die europäische und auch die deutsche Botschaft ist, dann will jedenfalls ich gerne dafür arbeiten.

Ganz in diesem Sinne verstehe ich unseren Beitrag, den wir in den letzten drei bis dreieinhalb Jahren im Konflikt um das iranische Atomprogramm geleistet haben. Sie wissen: Ich stehe für die Bemühungen und auch für die Fortsetzung der Bemühungen um eine diplomatische Lösung. Wir sind uns im Kreise der Sechs einig, dass es nicht hingenommen werden kann, dass sich mit dem Iran im Mittleren Osten ein Staat atomar bewaffnet, was zumindest in der ganzen Region ein atomares Aufrüsten zur Folge haben könnte. Deshalb freuen wir uns, dass vom Iran Verhandlungsbereitschaft signalisiert wird.

Wir brauchen aber belastbare Signale. Belastbare Signale heißt, dass entsprechend der Bitte des Sicherheitsrates verhandelt wird. Das bedeutet aber auch: Wenn wir am Verhandlungstisch sitzen, können nicht täglich neue Fakten in Gestalt neuer Zentrifugen geschaffen werden. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt werden. Dazu muss die iranische Regierung ein Wort sagen. Ich hoffe, dass dies in diesen Tagen im Gespräch des iranischen Verhandlungsführers mit Solana geschieht.

Ich möchte in aller Kürze noch zwei weitere Themen ansprechen. Wie Sie wissen, haben wir die Chance und die Verpflichtung zugleich, im nächsten Jahr sowohl die EU-Ratspräsidentschaft wie auch die G-8-Präsidentschaft auszuüben. Ich freue mich darüber, dass wir diese Chance haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem wir in allen Details über die Agenda dieser beiden Präsidentschaften reden sollten. Das werden wir an anderer Stelle ausführlich tun.

Es geht um Folgendes: Wir müssen während der EU-Ratspräsidentschaft versuchen, das sicherlich deutlich gesunkene Vertrauen der Menschen in Europa zurückzugewinnen. Die Menschen wissen im Augenblick nicht mehr so richtig, ob und zu welchem Vorteil die Europäische Union für sie tätig ist. Viele empfinden Europa als zu bürokratisch. Manche sagen: Europäische Entscheidungen haben mit meinem Alltag nichts zu tun. - Das letzte Argument scheint insbesondere mit Blick auf die mangelnde soziale Sensibilität der entscheidende Grund dafür gewesen zu sein, weshalb die Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden so ausgegangen sind, wie sie ausgegangen sind.

Man kann das im Augenblick nicht durch Befehl verändern; das wissen Sie. Deshalb kann ich Ihnen natürlich jetzt nicht sagen, wann die Verfassung, die wir nach meiner Überzeugung so dringend wie nie zuvor brauchen, in Kraft treten wird.

Aber ich glaube, dass wir von heute an die Zeit nutzen können, um auf der einen Seite die Sorgen und Ängste der Menschen, die sie im Umgang mit Europa haben, ernst zu nehmen und auf der anderen Seite mit ihnen zu diskutieren, um dann im ersten Halbjahr 2007 ein hoffentlich substanzreiches Gespräch mit den neuen Mitgliedstaaten, die dann noch nicht den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, zu führen, um das, was nach meiner Auffassung notwendig ist - die politische Substanz des Verfassungsvertrags -, zu erhalten. Aber das wird nicht allein auf deutschen Schultern ruhen können. Das wird nur dann möglich sein, wenn alle in Europa mitmachen.

Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen. Ich weiß, dass die Generaldebatte in erster Linie dafür vorgesehen ist, einige Grundlinien der jeweiligen Politikbereiche zu zeichnen. Das habe ich zwar getan, aber etwas abweichend von den Usancen.

Auch wenn ich weiß, dass das eigentliche Gerangel um Haushaltspositionen erst im Haushaltsausschuss stattfindet, möchte ich einige Bemerkungen vorwegschicken. Auch mit Blick auf das, was ich zu Beginn meiner Rede ausgeführt habe, auf die wachsende Zahl der Krisenherde und das damit einhergehende verstärkte Engagement des auswärtigen Dienstes, müssen wir, glaube ich, noch einmal neu darüber nachdenken, ob wir auf solche Situationen bestmöglich eingestellt sind.

Wenn das, was ich am Anfang festgestellt habe, stimmt - dass Außenpolitik mehr und mehr Weltinnenpolitik geworden ist -, dann ist es ebenso logisch, dass wir jenseits von militärischen Beiträgen ein immer breiteres und umfassenderes Herangehen an solche Situationen brauchen und dass wir uns verständlicherweise nicht auf die jeweiligen Versuche werden beschränken können, nur aktuelle Krisen zu bewältigen. Deshalb - darin sind wir uns im Kabinett einig - werden wir uns mehr und mehr auch mit präventiver Diplomatie in die Regionen begeben müssen, um das Entstehen von Spannungen möglichst ganz außen vor zu lassen bzw. soweit unter Kontrolle zu halten, dass sich keine Krisensituationen wie jetzt daraus entwickeln können.

Sie wissen, dass über die Konfliktherde, die wir jetzt berührt haben, hinaus die Aufgaben des auswärtigen Dienstes immens gewachsen sind. Ich freue mich darüber, dass die Botschaften bzw. der auswärtige Dienst draußen in der Welt mehr und mehr als Türöffner für die Interessen der Wirtschaft genutzt werden. Ich freue mich auch darüber, dass der auswärtige Dienst zur Erarbeitung von Konzepten etwa zur langfristigen Rohstoff- und Energiesicherung in Europa herangezogen wird. Ich freue mich auch darüber, dass die Mobilität der Menschen in Deutschland immer mehr zunimmt. Aber das berührt uns, den auswärtigen Dienst, in doppelter Hinsicht. Je mehr Menschen unterwegs sind, umso stärker werden auch die Visa- und Konsularstellen genutzt, jedenfalls dann, wenn Notfälle auftreten. Sie haben gerade am Beginn dieses Jahres gesehen, dass die Mobilität verbunden mit den vielen Konfliktlagen letztendlich auch dazu führt, dass der Krisenstab häufiger - aus meiner Sicht in diesem Jahr dreimal zu oft - einberufen werden muss. Sie haben vielleicht auch gesehen, dass es in einer ad-hoc-Situation mit einer Kraftanstrengung möglich war, innerhalb von wenigen Tagen 6 000 Deutsche über Beirut, Damaskus und Zypern aus dem Libanon - insbesondere aus dem südlichen Libanon - herauszuholen.

Ich sage das deshalb, um es mit einem Dank an diejenigen zu verbinden, die dafür Sorge getragen haben. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass sich auf Dauer solche Situationen nicht mit der gegenwärtig vorhandenen Ausstattung bewältigen lassen. Mit Hinweis darauf, dass wir seit 1990 circa 25 Auslandsvertretungen mehr und 10 Prozent Beschäftigte weniger haben, sollten wir - jedenfalls für die Zukunft; ich weiß, dass das nicht in einem Haushaltsverfahren erreicht werden kann - in ein mehrjähriges offenes und etwas fruchtbareres Gespräch über die Ausstattung des auswärtigen Dienstes eintreten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie wissen, dass es keine Macke von mir ist, wenn ich am Ende meiner Rede auf die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hinweise.

Dieses Thema ist in den Debatten vielleicht nicht in ausreichendem Maße vorgekommen. Ich jedenfalls halte die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik für eines der wertvollsten Instrumente, die wir haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Ausland erfolgt der erste Kontakt mit Deutschland über die deutsche Kultur, weil die Menschen entweder die deutsche Sprache erlernen wollen, in eine deutsche Schule gehen oder ein Stipendium vom DAAD oder der Alexander-von-Humboldt-Stiftung haben. 50 Prozent derjenigen, die im Ausland eine deutsche Schule besuchen, studieren später in Deutschland, gehen anschließend in ihre Heimatländer zurück und gehören dort nach einigen Jahren entweder zur wirtschaftlichen oder zur politischen Elite. Deshalb sage ich: Lasst uns das nicht kurzfristig betrachten! Hier lohnen sich Investitionen. Anders gesagt: Mittel für Straßen und Schienen sowie für Forschung und Bildung sind sicherlich Investitionen in die Zukunft Deutschlands. Aber eine gute und gut ausgestattete Außenpolitik ist ebenfalls eine Zukunftsinvestition.

Vielen Dank.

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Außenpolitik hat einen solchen breiten Raum in der Debatte über den Kanzlerinetat eingenommen, dass man die vorbereiteten Manuskripte getrost vergessen kann und sich lieber auf ein paar andere wichtige Punkte konzentrieren sollte.

Der geplante Libanoneinsatz spielt in der heutigen Debatte eine große Rolle. Ich war in der letzten Woche von der Art und Weise beeindruckt, wie die Positionen dazu bei uns intern aufeinander getroffen sind. Es sind drei Argumentationslinien. Je mehr ich mich umhöre, desto mehr finde ich diese Linien zumindest in den klassischen Fraktionen wieder. Die Vertreter der ersten Argumentationslinie sagen, dass mit der deutschen Einheit, dem Erreichen dieses großen Ziels, eine sehr große Verantwortung verbunden ist.

Angesichts dessen und vor dem Hintergrund unserer Geschichte tragen wir Verantwortung für die Stabilität im Nahen Osten und müssen die Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen verbessern und ihnen eine Perspektive geben. Des Weiteren haben wir eine große Verantwortung im Hinblick auf das Existenzrecht Israels als jüdischen Staat in sicheren Grenzen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Das ist sicherlich richtig.

Die Vertreter der zweiten Argumentationslinie sagen: Gerade wegen unserer geschichtlichen Verstrickungen kommt ein solcher Einsatz gar nicht infrage; denn wenn der Konflikt eskaliert und es ernst wird, dann ergreifen wir selbstverständlich Partei und werden uns erst recht nicht an einer Mission beteiligen, die Neutralität erfordert. Ich finde, das ist eine respektable Position. Diese darf man nicht als Fundamentalverweigerung abtun, erst recht nicht bei denjenigen, die zuvor bei anderen Auslandseinsätzen deutlich gemacht haben, dass sie keine Hemmungen haben, zuzustimmen, wenn es denn klug erscheint.

Die Vertreter der dritten Argumentationslinie, zu denen ich mich bekenne, sagen: Ich schließe spätestens nach der Argumentation, die uns eine aktive Beteiligung auf dem Balkan gebracht hat, eine aktive Mitwirkung an der Problemlösung im Nahen Osten gar nicht aus. Für mich ist es dann aber eine Frage der politischen Klugheit, mit welchen Instrumenten deutscher Außenpolitik man sich engagiert.

Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass Deutschland gut beraten ist - gerade weil sich die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister heute dankenswerterweise wieder sehr stark dem politischen Prozess, um den es dort geht, zugewendet haben -, an die militärische Dimension als Allerletztes zu denken und im konkreten Fall eine militärische Beteiligung sein zu lassen.

Ich gehe jetzt gar nicht auf die Fragen ein, die verteidigungspolitischer Natur sind. Das kommt nachher. Die Auseinandersetzung um Briefe, die gegenwärtig irgendwo in der Welt kursieren, zeigt doch, dass sehr leicht Situationen denkbar sind, in denen zweierlei passieren kann: Entweder steht ein deutscher Soldat tatsächlich einmal einem israelischen Soldaten mit der Waffe in der Hand gegenüber bzw. es steht ein deutsches Schiff einem israelischen U-Boot gegenüber oder wir werden zur Ersatzzielscheibe für Heißsporne unter arabischen oder islamistischen Gewalttätern, die uns letztlich doch als Partei wahrnehmen. Ersatzzielscheibe zu sein, ist etwas, was ich den Soldaten der Bundeswehr nicht zumuten möchte. Lassen Sie uns also differenziert argumentieren. Ich stelle fest, dass diese Diskussion in allen Parteien stattfindet. Deswegen sollte man nicht die große Keule schwingen.

Die FDP hat im Übrigen eine Vergangenheit, was die Auslandseinsätze der Bundeswehr angeht. Den meisten haben wir zugestimmt. Wir haben bei einigen mit Nein gestimmt, insbesondere beim Kongoeinsatz. Da hat sich übrigens an unseren Bedenken nichts geändert. Es gab auch Einsätze, zum Beispiel die Entsendung der ISAF nach Kabul, denen wir zugestimmt haben, wo wir aber gleichzeitig argumentiert haben, warum wir die Ausweitung des Einsatzes nach Kunduz für sehr bedenklich halten, nämlich weil man nicht die Quadratur des Kreises zuwege bringen kann. Über Jahre hinweg sind die Warlords und Drogenbarone in eine außerordentlich günstige Position gebracht worden - es geht hier nicht in erster Linie um die Drogenanbauer, sondern um die Drogenhändler -, sodass diese mittlerweile 85 Prozent des Sozialprodukts in Afghanistan erwirtschaften, sie ihr Geld international und national anlegen und entsprechend ihre Machtpositionen verfestigen. Man findet diese Damen und Herren - ich weiß, wie sehr Sie das in Ihren Gesprächen mit Ihren afghanischen Kollegen kritisieren - in den Kabinetten und den Verwaltungsstrukturen dieses Landes. Deswegen muss es legitim sein, die Frage zu stellen, ob das wirklich in die richtige Richtung läuft. Ich betone dabei: Keiner von uns unterschätzt oder verleugnet gar die riesige Leistung, die Bundeswehr, Entwicklungshelfer und viele andere in Afghanistan erbracht haben.

Irgendwann aber kommt einmal der Punkt, an dem eine Statusabfrage fällig ist: Wo stehen wir denn? Seien wir ehrlich, meine Damen und Herren: Auf internationaler Ebene - übrigens ganz besonders stark in den Vereinigten Staaten, die uns, zumindest was ihre Think Tanks und ihre Zeitungen angeht, in der kritischen Analyse der Lage manchmal weit voraus sind - gibt es längst eine Diskussion darüber, ob wir uns nicht möglicherweise auf einer schiefen Ebene befinden und ob wir in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht bisweilen mit den falschen Mitteln arbeiten. Möglicherweise verprellen wir geradezu diejenigen, die in den verschiedenen Ländern und Organisationen gutwillig sind oder wären und die wir dringend brauchen, um zum Beispiel einen Friedensprozess im Nahen Osten herbeizuführen, wenn wir so vorgehen, wie manche vorgehen. Es steht mir nicht an, ein Land, das um sein Überleben kämpft und gegenüber dem wir eine ganz besondere Verantwortung haben, hier billig zu kritisieren. Aber es macht mir ganz einfach Sorge, dass unsere israelischen Freunde kaum mehr jemanden in der Region haben, mit dem sie einen vertrauensvollen Dialog führen könnten. Das war vor kurzem noch anders.

Deswegen begrüße ich es, dass wir den politischen Prozess in den Vordergrund rücken. Ich glaube, Deutschland wird dort eine sehr wesentliche Rolle spielen. Es gibt unter den größeren europäischen Partnern sehr wenige, die für sich in Anspruch nehmen können, in Israel über jeden Zweifel erhaben zu sein und zugleich ein großes Vertrauenskapital in der arabischen Welt zu besitzen. Das Kapital muss Deutschland nutzen. Ich glaube, die militärische Beteiligung kann da eher kontraproduktiv sein.

Wenn ich hier anreiße, ob beispielsweise in Afghanistan manches schief läuft, dann meine ich damit niemals - das läge meinem Denken völlig fern - unilaterale deutsche Entscheidungen bzw. die Entscheidung, die Bundeswehr zurückzuziehen. Darum kann es nicht gehen. Ich sage aber gerade als Internationalist: Es geht mir bisweilen auf den Keks - ich bin dankbar, dass Sie von Schönreden gesprochen haben -, dass wir uns bei den NATO-Treffen erst einmal versichern, wie toll und wichtig unser gemeinsames Engagement in Afghanistan ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die NATO zu Beginn der Periode nach dem 11. September 2001, als der Bündnisfall festgestellt worden ist, unheimlich wichtig für Afghanistan war, obwohl sie hinterher als Institution nicht mehr genutzt worden ist. Heute scheint Afghanistan für die NATO unheimlich wichtig zu sein. Die Raison d'Être der NATO geht aber über das, was wir in Afghanistan tun, weit, weit hinaus. Ich bin daran interessiert, dass dieses Bündnis aufrechterhalten und ausgebaut wird. Das gilt erst recht, da in den Vereinigten Staaten ein Paradigmenwechsel stattzufinden scheint, selbst bei der Bush-Administration, die offenbar wieder mehr auf Institutionen als auf Coalitions of the Willing setzen will.

Man muss sich angesichts dessen die Frage stellen: Geht in der Abrüstungspolitik nicht etwas granatenmäßig schief? Kann es wirklich sein, dass unsere amerikanischen Freunde die indischen Atomwaffen aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen und globalstrategischen Erwägungen geradezu segnen?

Wenn das so ist, führt es dazu, dass der Stopp von Proliferation wirklich ein Ende hat und dass demnächst eine Vielzahl von weiteren Atommächten am Horizont erscheint.

Deutschland hat auch hier eine besondere Rolle zu spielen. Wir haben frühzeitig und endgültig unseren Verzicht auf Atomwaffen erklärt und dabei bleibt es. Deswegen können wir anderen gegenüber argumentieren, dass es eine gute Zukunft ohne Atomwaffen geben kann.

Ich frage: Wo gibt es eine Initiative auf diesem Gebiet, damit die Abrüstungspolitik endlich wieder in Gang kommt?

Ich mahne, bezüglich noch manch anderer Frage eine Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns kritisch fragen: Sind wir auf dem richtigen Wege oder sollten wir Kurskorrekturen vornehmen? Die Situation in Polen macht mir außerordentliche Sorge. Polen ist für uns ein ganz besonders wichtiger Partner. Die gegenwärtig herrschende Sprachlosigkeit muss überwunden werden.

Das ist teilweise eine Generationenfrage, aber teilweise geht es auch weit darüber hinaus. Die Bedeutung des Verhältnisses zu Russland wird von uns überhaupt nicht unterschätzt. Ich begrüße, dass Deutschland im Hinblick auf die Präsidentschaft dort einiges vorbereitet. Aber eine werteorientierte Außenpolitik muss ihre strategischen Partnerschaften natürlich auch über einen Gleichklang bei Werten definieren. Ich hoffe, dass es gelingt, auch das deutlich zu machen.

Demokratieexport durch Wahlen und Marktwirtschaftexport durch einen freien Markt ohne eine funktionierende Rechtsordnung können auf die Dauer nicht funktionieren. Deswegen ist es wichtig, dass man sich über grundlegende Werte verständigt. Danke schön.

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen über die positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nach neun Monaten großer Koalition gesprochen. Ich möchte mit einer kurzen Zwischenbilanz im Hinblick auf die Außenpolitik beginnen. Schon vor einigen Monaten hat die "FAZ" dazu geschrieben - ich zitiere -:

Die Bilanz positiv zu nennen wäre eine Untertreibung.

Lassen Sie mich kurz an drei Beispielen zeigen, welch deutliche Veränderung in der Substanz es gegeben hat:

Erstens. Deutschland ist wieder ein geachteter und gefragter Partner in der internationalen Politik. Das tiefe Misstrauen im Bündnis und in der EU ist überwunden. Wir können wieder der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung unseres Landes entsprechend Einfluss nehmen und unsere Interessen voll wahren. Dafür, dass dies wieder möglich ist, möchte ich der Bundeskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Außenminister, ganz besonders danken.

Zweitens. In den transatlantischen Beziehungen gibt es ein neues Vertrauensverhältnis. Weil das so ist, können wir im Dialog auch wieder unterschiedliche Auffassungen - selbst in sehr sensiblen Fragen - im Geiste der Freundschaft und Partnerschaft austragen, so wie es die Bundeskanzlerin zum Beispiel im Hinblick auf die Situation in Guantanamo öffentlich getan hat. Das war unter einem grünen Außenminister trotz aller Menschenrechtsbekenntnisse eben nicht möglich. So sehr war das Vertrauensverhältnis zerrüttet, dass jede - auch berechtigte - Kritik gleich als Antiamerikanismus verstanden worden wäre.

Weil dieses Vertrauensverhältnis wieder da ist, ist es der Bundesregierung gelungen, die USA in der Iranfrage wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wie wertvoll es ist, die großen Sechs, anders als im Irakkrieg, zusammenzuhalten und eine Spaltung des Sicherheitsrats zu vermeiden, zeigt sich gerade in diesen Tagen, in denen es darum geht, dem Iran auch weiterhin geschlossen gegenüberzutreten.

Drittens. Da wir heute über den Haushalt 2007 sprechen, möchte ich feststellen: Es ist gut, dass diese Bundesregierung endlich den dramatischen Personalabbau im Auswärtigen Amt stoppt und umkehrt. 683 Stellen sind in den letzten Jahren abgebaut worden mit der Folge - Herr Steinmeier, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, dass die Lücke zwischen dynamisch wachsenden Aufgaben und personeller Leistungsfähigkeit immer größer wird. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter des Außenministeriums unzumutbar; es schadet auch der Wahrung und Durchsetzung deutscher Interessen.

Wir wissen, dass wir das angesichts der Haushaltslage nur sehr mühsam korrigieren können. Gleichwohl müssen wir uns daranmachen. Ich will Ihre Schlussbemerkung, Herr Außenminister, ausdrücklich wiederholen: Die finanzielle Ausstattung unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist eine gute Investition für die Zukunft.

Es gibt in der deutschen Außenpolitik keine Showeffekte mehr. Das mag manchem Beobachter weniger unterhaltsam erscheinen, aber dafür ist die deutsche Außenpolitik wieder seriös, berechenbar, effizient und deshalb auch erfolgreich geworden.

Wenn wir in unserer Bevölkerung eine möglichst große Unterstützung für die Entscheidung finden wollen, deutsche Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden, dann müssen wir deutlich machen, was dabei deutsche Interessen sind. Was also sind unsere Interessen?

Erstens. Wir haben ein klares Sicherheitsinteresse, dass die Region befriedet und stabilisiert wird. Jeder Konflikt dort hat unmittelbare Auswirkungen auf uns. Wie nahe die Bedrohung sein kann - auch dazu hat der Außenminister schon Stellung genommen -, haben als jüngstes Beispiel die Verhaftungen im Zusammenhang mit den geplanten Kofferbombenattentaten gezeigt.

Zweitens. Wir haben ein klares Interesse an der Sicherung des Existenzrechts Israels. Ich möchte in Erinnerung rufen, was wir im Bundestag am 12. Mai letzten Jahres mit großer Mehrheit beschlossen haben - ich zitiere -:

Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut, dass das Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen frei von Angst, Terror und Gewalt leben zu können, für uns einen elementaren Bestandteil der Solidarität und Freundschaft darstellt.

Es war richtig und gut, finde ich, dass wir das damals fast einstimmig beschlossen haben. Jetzt geht es darum, zu zeigen, dass dies nicht nur Sonntagsreden sind, sondern dass wir auch einen konkreten Beitrag leisten. Mit besonderem Blick auf unsere historische Situation ist der militärische Beitrag zur Überwachung der libanesischen Küste angemessen, damit nicht wieder auf dem Seeweg Waffen, Raketen oder anderes militärische Gerät an die Hisbollah geliefert wird.

Herr Westerwelle hat die ablehnende Haltung seiner Fraktion geradezu als Staatsräson bezeichnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das Mandat zu ISAF haben Sie 2001 und 2002 mit beschlossen. Sie haben es 2003 und 2004 abgelehnt. 2005 haben Sie dann wieder zugestimmt.

Die Operation Enduring Freedom, verehrter Herr Kollege Hoyer, haben Sie 2001 abgelehnt. 2002 haben Sie zugestimmt. 2003 haben Sie erneut abgelehnt und 2004 wieder zugestimmt. So viel zur Berechenbarkeit der Liberalen in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Im Übrigen: Herr Hoyer, Sie haben das wiederholt, was auch der Kollege Westerwelle heute Morgen gemacht hat. Wenn Sie Ihre ablehnende Haltung damit begründen, bei dem vorgesehenen deutschen Beitrag könne es zu einem Feuergefecht zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen, dann müssen Sie schon einmal ganz konkret erklären, wie Sie das meinen und wie Sie sich das vorstellen. Das haben Sie bisher nicht getan. Wenn Sie das nicht können, Herr Kollege Hoyer, dann sind abstrakte Spekulationen über eine militärische Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Israel sicherlich kein Beitrag, in Israel das Vertrauen zu erzeugen, von dem Sie zu Recht gesprochen haben.

Drittens liegt es eindeutig nicht in unserem Interesse und auch nicht im Interesse der meisten Staaten der Region, dass der iranische Präsident in der arabischen Welt an Popularität gewinnt, weil er dort als ein Führer erscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Es ist unser Interesse, dass durch bessere Regierungsführung und stabile Institutionen eine Grundlage geschaffen wird, auf der Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Wohlstand entstehen und wachsen können. Dies mit einem differenzierten und sensiblen Ansatz zu fördern, ist ein mühsamer Prozess, der langen Atem braucht. Aber er ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, mit Sicherheit erfolgversprechender als lautstarke Rufe nach schnellen Wahlen oder der Versuch, unliebsame Regierungen zu destabilisieren und zu schwächen.

Viertens haben wir ein vitales Interesse daran, staatliche Strukturen zu stärken. Denn wenn die Menschen die Erfahrung machen, dass der Staat ihnen Sicherheit, Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit bietet, werden sie sich auch an staatlicher Politik und nicht an konfessionellen Organisationen wie Hisbollah, Hamas oder Muslimbrüdern orientieren. Zum anderen ist mit schwachen Staaten keine verlässliche wirtschaftliche oder politische Partnerschaft möglich; noch weniger lassen sich mit ihnen regionale Sicherheitsstrukturen aufbauen.

Fünftens haben wir ein Sicherheitsinteresse an einer Regelung des Nahostkonfliktes. Die Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses steht in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Befriedung im südlichen Libanon und damit auch mit der Unterbindung der Waffenlieferungen an die Hisbollah.

Sechstens haben wir aufgrund des Engagements vieler deutscher Unternehmen ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Befriedung der Region.

Was ist zu tun? Die Resolution 1701 nennt indirekt die Voraussetzungen für einen stabilen Frieden und damit die Ziele im Libanon: einen Libanon ohne die waffenstrotzende Hisbollah, einen Libanon außerhalb des Einflusses Syriens oder Irans, einen Libanon befreit aus den Fängen des Islamismus. Das zeigt die ganze Größe der Herausforderung.

Oberstes Ziel über die Befriedung der Situation im südlichen Libanon hinaus muss es sein, den Einfluss der Hisbollah in der libanesischen Gesellschaft deutlich zu begrenzen. Ein weiterer Anstieg des Ansehens dieser vom Iran protegierten und gesteuerten Terrororganisation liegt nicht im Interesse des libanesischen Staates und erst recht nicht in unserem Interesse.

Deshalb muss alles getan werden, um die staatliche Autorität der libanesischen Regierung zu stärken. Es geht dabei zum Ersten darum, über die jetzt angelaufene schnelle Hilfe zur Überwindung der Kriegszerstörungen hinaus die libanesische Regierung dabei zu unterstützen, eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen zu schaffen. Das betrifft beispielsweise den Ausbau und die Modernisierung des Gesundheits-, Schul- und Bildungswesens, der Infrastruktur oder die Bereitstellung von Wohnungen.

Zum Zweiten geht es darum, die staatlichen Strukturen deutlich zu stärken, also dabei mitzuhelfen, Polizei und Militär durch Training und Ausrüstungshilfe möglichst schnell durchsetzungsfähig zu machen und die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern.

Zum Dritten geht es darum, diejenigen Kräfte im Libanon zu unterstützen und wieder zu stärken, die sich für Demokratie und Eigenständigkeit einsetzen, die aber durch den Krieg in eine schwierige Lage gekommen sind.

Dies auch mit der langfristigen Unterstützung durch die EU zu erreichen, ist kein utopisches Ziel, sondern eine realisierbare Möglichkeit. Wenn es gelingt, die Autorität des libanesischen Staates deutlich zu stärken, dann besteht auch die Chance, die Hisbollah durch eine Intensivierung des nationalen Dialogs zu einem dauerhaften Gewaltverzicht zu bewegen und sie, zumindest teilweise, in die regulären Streitkräfte zu integrieren.

Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Stabilisierung des Libanon wird nur zu erreichen sein, wenn es parallel dazu zu einer Wiederbelebung des regionalen Friedensprozesses kommt. Wichtige Voraussetzungen dafür sind eine umgehende Freilassung des in Gaza entführten israelischen Soldaten und ein Ende des Raketenbeschusses von Israel. Unverzichtbar sind das Bekenntnis aller palästinensischen Gruppierung zum Gewaltverzicht, die Anerkennung des Existenzrechts Israels und die Unterstützung des Friedensprozesses. Die jetzt in Stockholm beschlossene Hilfe ist ein wichtiges Signal an die palästinensische Bevölkerung: Wir wollen sie nicht nur humanitär und wirtschaftlich, sondern auch beim Aufbau staatlicher Strukturen unterstützen. Es soll nicht bei dieser Stockholmer Aktion bleiben. Auch deshalb wäre die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit wichtig.

Doch auch Israel muss sein Beitrag leisten, beispielsweise durch den Abzug seiner Militärkräfte aus dem Gazastreifen, durch die Freilassung der im Zuge der Krise inhaftierten Hamasparlamentarier, sofern gegen diese nichts vorliegt, und durch die Umsetzung des Abkommens über Bewegung und Zugang, um in den palästinensischen Gebieten die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und ein annähernd normales Leben zu schaffen.

Nicht nur um den Waffenschmuggel über die syrisch-libanesische Grenze zu unterbinden, ist es notwendig, Syrien in die Stabilisierungsbemühungen mit einzubeziehen.

Im Gegensatz zum Iran ruft Syrien nicht zur Zerstörung Israels auf. Wiederholt haben sich die Syrer für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch ausgesprochen. Es ist zu hoffen, dass die Syrer über die Unterbindung illegaler Waffenlieferungen hinaus einen überzeugenden Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Wenn dies der Fall ist, sollte das Assoziierungsabkommen mit der EU, das ein wichtiger Anreiz zur ökonomischen Stabilisierung des Landes ist, in Kraft gesetzt werden.

Zusammengefasst heißt das:

Erstens. Für die Befriedung der Region gibt es die Libanonresolution 1701 und die Roadmap. Diese müssen in vollem Umfang angewendet werden. Nur dann wird auch Vertrauen zwischen den Konfliktparteien entstehen können.

Zweitens. Für die Existenz Israels ist es wichtig, berechenbare Partner auf der anderen Seite zu haben. Deshalb liegt es im Interesse Israels, dass die Regierung Siniora stabil bleibt.

Drittens. Solange es in der Region keine Akzeptanz Israels gibt, wird es auch keine Befriedung geben. Das Ziel bleibt die Existenz zweier souveräner, lebensfähiger und demokratischer Staaten Israel und Palästina, verbunden in gemeinsamer Sicherheit und garantiert durch die internationale Gemeinschaft.

Hierzu müssen und wollen wir unseren Beitrag leisten.

Das alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die nächsten Jahre werden nicht die Zeit großer gestalterischer Visionen, sondern eine Periode harter Arbeit sein, die uns klare Zielvorstellungen, viel Geduld, ein sensibles Vorgehen und diplomatisches Geschick abverlangen wird.

Das gilt auch für die Beziehungen zum Iran.

Es ist besorgniserregend, mit welcher Arroganz der Iran sich gegen die internationale Gemeinschaft stellt und deren Besorgnisse ignoriert. Auch wenn der Iran zum wiederholten Male gesagt hat, er wolle die Atomenergie nur zu friedlichen Zwecken nutzen, haben wir überhaupt kein Vertrauen in solche Aussagen. Denn was will der Iran mit angereichertem Uran anfangen, außer er plant den Bau der Atombombe? Wer wie der iranische Präsident zur Auslöschung Israels aufruft und seine aggressiven Absichten bereits unter Beweis gestellt hat, indem er die Hisbollah losschickte, um Terror gegen Israel auszuüben, dem muss man auch unterstellen, dass er sich dafür die notwendigen Mittel, nämlich Atomwaffen, beschaffen will. Dazu aber darf es nicht kommen.

Unser Ziel muss bleiben, dass der Iran die Urananreicherung nachprüfbar stoppt.

Deshalb ist es wichtig, dass die Sechs geschlossen bleiben, um mit diplomatischem Druck auf den Iran einzuwirken. Dafür sehe ich nach wie vor gute Chancen, sowohl mit Blick auf die USA wie auch mit Blick auf Russland. Auch die Russen wollen keine Mullahs mit Atomwaffen in ihrer Nachbarschaft - das ist das entscheidende gemeinsame Interesse -, und auch die Russen wollen sich in ihrer Autorität als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates nicht als Papiertiger düpieren lassen. Das sollte der Iran nicht übersehen. Die Tür zu Verhandlungen steht noch offen, selbst wenn im Sicherheitsrat begonnen wird, über Sanktionen zu reden. Aber - auch hier will ich dem Außenminister nachdrücklich zustimmen - wir brauchen belastbare Signale des Entgegenkommens.

Meine Damen und Herren, wie mein Vorredner will auch ich zum Abschluss ein Wort zu unserem Nachbarn Polen sagen. Es gab in der letzten Zeit an verantwortlicher Stelle in Polen Äußerungen zu Deutschland, die der tatsächlichen Situation in unserem Land nicht gerecht werden. Bei aller Sorge über solche Äußerungen war es dennoch klug, darauf nicht öffentlich zu reagieren; denn niemand hier hat ein Interesse an einer Eskalation und an einer Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses. Es gibt zu viele Herausforderungen, bei denen wir Europäer Geschlossenheit und gegenseitiges Vertrauen brauchen, als dass wir uns einen unnötigen Streit leisten könnten. Wenn aber dem Bundespräsidenten vorgeschrieben wird, wo er auftreten darf und wo nicht, dann ist das für uns inakzeptabel und bedarf der öffentlichen Kommentierung.

Der Bundespräsident hat am Tag der Heimat eine sehr ausgewogene Rede gehalten. Es wäre zu wünschen gewesen, dass der polnische Ministerpräsident dazu Stellung bezogen hätte. Denn der Bundespräsident hat dazu aufgerufen, die in Polen bestehenden Sorgen ernst zu nehmen, gerade weil wir sie für unbegründet halten. Keine ernst zu nehmende Kraft in Deutschland wolle die Geschichte umschreiben, wolle Ursache und Wirkung verdrehen. Wörtlich sagte der Bundespräsident, dass es "keinen Zweifel" daran gebe, "dass das nationalsozialistische Unrechtsregime und der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg auslösende Ursache von Flucht und Vertreibung" gewesen seien.

Ich bin mir sicher, dass der polnische Ministerpräsident an diesen Worten nichts auszusetzen hat. Umso unverständlicher ist es dann aber, dass er wortwörtlich sagt, es bestehe "in Deutschland eine große, vom Staat unterstützte Struktur, die ständig die Frage der polnischen Gebiete anspricht, die einst zum Deutschen Reich gehört haben". Das ist falsch und kann nur zu einer Eskalation führen, die wir vermeiden sollten.

Ich sage noch einmal: Deutschland und Polen haben so viele gemeinsame Anliegen, die sie in der Europäischen Union durchsetzen wollen, nicht zuletzt eine neue EU-Ostpolitik insbesondere gegenüber der Ukraine und Weißrussland. Hierauf sollten wir unsere Arbeit und unsere Emotionen konzentrieren. Meine Damen und Herren, die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung orientiert sich klug an deutschen Interessen. Sie kann sich dabei auf die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion verlassen. Vielen Dank.

Monika Knoche (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Steinmeier, ich darf mich an Sie wenden. Sie haben Recht, wenn Sie heute auf den 11. September 2001 verweisen. Aber sind nicht fünf Jahre nach dem Terroranschlag nahezu alle Beweise erbracht, dass der Kampf gegen den Terror nicht mit Krieg zu gewinnen ist?

Das sieht man deutlich in Afghanistan. Über die Situation dort ist zu sagen: Dies ist mit Waffen nicht zu schaffen. Schauen Sie sich den Irak an: Die innenpolitische Situation ist einfach grauselig.

Ich will auf den Libanon zu sprechen kommen. Am 12. Juli entführte die Hisbollah zwei israelische Soldaten. Stunden später antwortete Israel mit Krieg. Israel schlug mit einer militärischen Härte zu, die erschüttert. Israels Ziel: die Hisbollah zu zerschlagen. Dieses Kriegsziel wurde verfehlt.

Wir hegen keinerlei Sympathie mit der Hisbollah. Die Heimtücke der Anschläge durch Raketen der Hisbollah, aber auch das Ausmaß der Kriegsführung Israels veranlassten uns Linke sofort zu einer zentralen Aussage: Die Waffen müssen schweigen; eine Konferenz für Frieden ist einzuberufen.

Aber wollte die Regierung das? Ich denke, eher nein. Weder die Frau Bundeskanzlerin noch Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben Ihre Ämter dazu genutzt, sich vorbehaltlos für einen Waffenstillstand einzusetzen. Sie haben es weder in der EU noch auf der Ebene der Vereinten Nationen getan.

Vielmehr haben Sie sich im Schlepptau der USA und Israels so lange nicht hinter die Bemühungen des Generalsekretärs Kofi Annan gestellt, bis klar war, dass Israel seine Kriegsziele nicht wie erwartet erreichen konnte.

Das ist nicht die außenpolitische Rolle, die Deutschland im Nahen Osten einnehmen muss. Gerade weil Deutschland eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels und die Eigenstaatlichkeit der Palästinenser hat, darf es sich nicht zu einer einseitigen Parteinahme hinreißen lassen.

Ich sage ganz bewusst: Ohne die faschistischen Verbrechen, ohne den Holocaust gäbe es den Kernkonflikt Israel/Palästina nicht. Von Normalität sind wir entfernt. Sie kann uns nicht durch die Regierung Israels zugesprochen werden. Das liegt allein in unserer Verantwortung.

In der grundlegenden Frage deutschen Selbstverständnisses hat die Kanzlerin geschwiegen. Ich habe erwartet, dass sie die Debatte an sich zieht. Sie ließ den Außenminister und den Verteidigungsminister sprechen und beide erzeugten mehr Unklarheiten als Orientierung, ja mehr noch: Sie widersprachen sich ständig. Über seeseitige militärische Potenz wurde schwadroniert, als sei die Vor-Ort-Präsenz eine ausgemachte Sache. Das war sehr daneben. Heute ist es so: Libanon legt größten Wert darauf, dass die 7-Meilen-Distanz eingehalten wird. Es ist geradezu lächerlich, wenn sich auch noch Deutschland mit seiner maritimen Präsenz in dieser Zone drängeln würde. Also bitte kommen Sie etwas mehr in der Realität an!

Ein parlamentarischer Ausfall waren auch die Fraktionen der großen Koalition. Beide haben es verabsäumt, die parlamentarischen Gremien zu befassen. Wir, die Linke, haben eine Sondersitzung im Auswärtigen Ausschuss verlangt; damit kam der Prozess in Gang. Jetzt erkennen Sie die Qualität unseres Vorschlages für eine KSZ im Nahen Osten. Sie nehmen ihn in Ihre Rhetorik auf und das finden wir gut. Dem müssen Taten folgen.

Der Krieg währte vier Wochen, bis die UN-Resolution zustande gekommen ist. Israel behält die Lufthoheit und die Seeblockade gegen Libanon bei. Allein die Waffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden zu wollen, nicht aber zum Beispiel die deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel, das kann nicht angehen; das ist gefährlich.

Immer mehr prominente Stimmen in Israel sprechen von einem zweiten Waffengang. Schon allein das müsste Deutschland veranlassen, sich bei der Absicht zurückzuhalten, mit Soldaten in diese Region zu gehen. CDU/ CSU, SPD und Grüne befleißigen sich aber, gerade das parlamentarisch herbeizuführen. Davor warnen wir. Was ist, wenn der Waffenstillstand nicht hält? Was ist, wenn die USA Kriegspläne gegen den Iran hegen? - Beantworten Sie doch diese Fragen! Sie behandeln sie aber gar nicht, auch heute nicht.

Und was ist, wenn der Libanon eigene Vorstellungen zur UN-Militärpräsenz hat? Mit dieser Selbstverständlichkeit haben Sie erst gar nicht gerechnet. Aber der Libanon muss natürlich Sorge dafür tragen, dass er seine Souveränität erhält und seine Integrität wahrt. Sonst hat er keine Autorität, um gegen die Hisbollah vorzugehen und sie auf friedliche Weise in die Gesellschaft zu integrieren.

Wir haben also eine neue Lage. Die Eilfertigen in der Regierung, die sofort nach maritimer Präsenz gerufen und die gesamte Situation völlig unterkomplex behandelt haben, haben sich meines Erachtens kräftig blamiert. Lassen Sie also alle Pläne fallen, deutsche Schiffe dorthin zu schicken! Machen Sie Berlin zum Austragungsort für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten. Das ist meines Erachtens die anspruchsvollste Aufgabe, derer sich Deutschland angesichts seiner Geschichte in diesem Krisengebiet annehmen kann. Stellen Sie in das Zentrum dieses politisch-diplomatischen Bemühens die Kultur des Dialogs, die Sicherheitsinteressen Israels und das Recht der Palästinenser auf einen eigenständigen lebensfähigen Staat. Denn neben den Folgeproblemen des Libanonkrieges gleicht das Leben in Gaza dem in der Apartheid. Solange hier nicht Recht und Friede einkehren, gewinnt Israel keine Sicherheit.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Frank Steinmeier, ich habe eben genau hingeschaut, als Ihr Koalitionspartner Herr Schockenhoff gesprochen hat. Sie haben dabei ungefähr so ausgesehen wie Frau Merkel heute Morgen, als Fritz Kuhn gesprochen hat: leidend, leidend angesichts von Formulierungen, mit denen versucht werden sollte, Sie in einen Gegensatz zu Ihrem Amtsvorgänger zu bringen.

Deswegen will ich an dieser Stelle eines ganz deutlich sagen, lieber Herr Schockenhoff: Diejenigen, die die Außenpolitik des damaligen Bundeskanzlers Schröder und von Joschka Fischer als antiamerikanisch bezeichnet haben, waren nicht die USA, sondern das waren Sie. Sie haben die Weigerung der damaligen Regierung, den Irakkrieg zu unterstützen, als Antiamerikanismus denunziert. Sie sind heute diejenigen, die in der Ecke stehen und sagen: Leider hatten diese Antiamerikaner, wie wir sie genannt haben, Recht; denn es war falsch, diesen Krieg gegen den Irak zu beginnen. - Deswegen sollten Sie sich gerade mit Äußerungen hinsichtlich Kontinuität und Diskontinuität in der Außenpolitik zurückhalten.

Lieber Frank Steinmeier, ich hätte mir gewünscht, die heutige Debatte hätte den Raum dafür gelassen, die Vision zu entwickeln, die Sie angekündigt haben. Aber auch da stehen Sie im Widerspruch zu Herrn Schockenhoff, der gesagt hat, jetzt sei Durchwursteln, aber keine Visionen angesagt. Sie haben eine Vision für eine neue Ostpolitik angekündigt. Dieses Hohe Haus hätte gerne einmal gehört, was sich hinter dem Begriff einer neuen Politik gegenüber Russland verbirgt, was da anders werden und was beim Alten bleiben soll. Eine Antwort darauf sind Sie uns heute, wie gesagt, schuldig geblieben.

Schuldig geblieben sind Sie uns auch die Vorstellungen der Bundesregierung - das ist viel ernster - mit Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des nächsten Jahres. Da gibt es eine ganze Reihe von Fragen, die zu thematisieren wären. Ich erwähne nur ein Gesetzgebungsvorhaben: Wie wird sich die Bundesregierung in der Debatte um eine Energiestrategie und eine Energiesicherheitsstrategie dieses Europas positionieren? Oder wollen Sie auch in Europa das aufführen, was wir hier im Lande tagtäglich präsentiert bekommen, nämlich die Inszenierung von Zerrissenheit, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der eine Minister nichts anderes im Kopf hat als die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, während der andere Minister versucht, eine rationale, ressourceneffiziente und an Erneuerbarkeit orientierte Energiepolitik zu machen? Sie haben auch dazu geschwiegen.

Sie haben auch zu Ihren Vorstellungen geschwiegen, wie man die institutionelle Blockade überwinden kann. Das ist keine Diskussion über einen abstrakten Begriff, die man im Seminar führen kann. Es ist eine Tatsache, dass es ohne eine Auflösung der institutionellen Blockade der Europäischen Union keine Perspektive, auch keine Friedensperspektive für den Balkan geben wird, weil schlicht und ergreifend weitere Beitritte ausgeschlossen wären. Auch dazu haben Sie geschwiegen. Das finde ich fatal.

Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, welche wichtige Rolle Europa heute zukommt, wenn es um den Umgang mit Krisen und insbesondere mit Krisen vor unserer Haustür geht. Ich nenne beispielsweise den Konflikt zwischen Israel und Libanon. Da stellen wir fest: Die Europäische Union spielt zwar eine positive Rolle, sie ist aber in dieser Situation nicht so handlungsfähig, wie es notwendig wäre. Wir haben keinen europäischen Außenminister; wir haben Javier Solana und Frau Ferrero-Waldner.

Wir haben häufig eine sehr verzögerte Handlungsfähigkeit. Das sage nicht ich, sondern es war der amtierende finnische Ratspräsident, der beklagte, dass es nicht gelungen sei, Ende Juli und in den ersten Augusttagen eine gemeinsame Position des Rates für einen sofortigen Waffenstillstand zu verabschieden. Das zeigt, dass der Zustand innerhalb der EU nicht überwunden worden ist, der schon den G-8-Gipfel geprägt hat. Dort ist die Forderung der Vereinten Nationen, sofort in einen beidseitigen Waffenstillstand einzutreten und ihn durch eine internationale Schutztruppe abzusichern, am Widerstand der USA gescheitert. Es ist zwar schön, dass Sie am Ende eine Vereinbarung erreicht haben; da gibt es Verdienste gerade des deutschen Außenministers. Aber angesichts dieser Zögerlichkeit frage ich Sie: Was wäre eigentlich anders gewesen, wenn man bereits am 19. Juli dazu gekommen wäre, die Waffen zum Schweigen zu bringen und entsprechende Truppen zur Verfügung zu stellen; ohne diese Truppen geht es nämlich nicht? (

Ich glaube, dass viele von Ihnen wissen, dass ich diesbezüglich Recht habe.

Was wäre der Unterschied gewesen? Der Krieg hätte weniger Menschen das Leben gekostet und es wäre weniger zerstört worden. Alles andere war zu diesem Zeitpunkt schon offensichtlich, vor allen Dingen die Tatsache, dass der Versuch, die Hisbollah militärisch zu schlagen, ein aussichtsloses Unterfangen ist, weil es sich nämlich nicht um ein rein militärisches Problem handelt.

Leider hat die Weigerung der G-8-Staaten, frühzeitig zu handeln, diesen Krieg meines Erachtens unnötig verlängert. Dann ist es aber gelungen, ihn zu beenden. An dieser Stelle will ich anmerken, dass ich sehr deutlich sehe, dass sich Deutschland alle Mühe gibt, dieses Problem in einen politischen Prozess einzubinden.

Die Agenturen haben heute gemeldet, Frau Merkel habe gesagt, man brauchte mehr Geld für die Bundeswehr. Dazu sage ich mit Verlaub: Strukturiert die Bundeswehr erst einmal um und modernisiert sie; haltet nicht länger am Alten fest und finanziert nicht das Neue mit zusätzlichem Geld. An einem solchen Tag muss doch die Frage erlaubt sein, ob die Zusage Deutschlands, von den 730 Millionen Euro Soforthilfe für den Libanon 22 Millionen Euro, also nicht einmal 3 Prozent, zu übernehmen, der politischen Rolle Deutschlands eigentlich angemessen ist. Ich finde, nicht.

Der Friedensprozess im Libanon wird meines Erachtens - das unterscheidet mich von den Mitgliedern der beiden anderen Oppositionsfraktionen - nur dann erfolgreich sein, wenn UNIFIL ein robustes Mandat erhält. Umgekehrt ist aber auch richtig, dass dieses robuste Mandat von UNIFIL nur dann Bedeutung haben wird, wenn UNIFIL in den Friedensprozess eingebettet wird. Das sind die beiden Kriterien, die unseres Erachtens zugrunde gelegt werden müssen.

Man muss sich fragen: Ist diese internationale Truppe geeignet, die Sicherheit Israels und die territoriale Integrität des Libanons wieder herzustellen? Gibt es eine Perspektive für eine Zweistaatenlösung, für Israel und Palästina, für einen Ausgleich zwischen Syrien und Israel? Was das deutsche Engagement angeht, ist unter militärischen Gesichtspunkten eine Frage zentral: Ist ausgeschlossen, dass es zu Kampfhandlungen zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommt? - Das sind die drei Kriterien, auf deren Grundlage meine Fraktion ihre Haltung zu diesem Mandat bestimmen wird. Jeder hat eine persönliche Entscheidung zu treffen.

Lieber Herr Bundesverteidigungsminister, wir lassen uns bei dieser sachlichen Prüfung - das sage ich ganz ausdrücklich - durch Ihr, wie ich finde, an vielen Stellen fahrlässiges und vorschnelles Gerede nicht in eine leichtfertige Ablehnung treiben.

Ich will mit allem Nachdruck sagen: Unsere Soldaten erwarten von dem Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, dass er Orientierung bietet. Er sollte sie nicht verwirren und den Eindruck erwecken, der Bendlerblock sei eine Neuausgabe des "Blauen Bocks".

Zu den politischen Lösungen will ich ausdrücklich sagen: Lieber Frank Steinmeier, wir halten den Ansatz, Syrien einzubeziehen, nicht nur für dringend geboten, sondern loben ihn ausdrücklich. Dieser Ansatz basiert nicht auf der Vorstellung, dass man es mit einem Kampf der Guten gegen die Bösen zu tun hat. Wir müssen jetzt, fünf Jahre nach dem 11. September 2001, sagen: Diese Form der Bekämpfung des Terrorismus ist gescheitert. Im Irak ist sie leider sogar spektakulär gescheitert.

Das führt mich zu einer anderen Fragestellung: Wir müssen einmal darüber nachdenken, wie sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung des Terrorismus - die eine geht von einem umfassenden Sicherheitsbegriff aus, die andere, die unilaterale, setzt fast ausschließlich auf militärische Macht - miteinander vertragen. Stellen Sie sich einmal vor, was die Fantasien, die in einigen Kreisen der Neokonservativen in den USA diskutiert werden - Raketenangriffe und Luftangriffe auf den Iran -, für die Sicherheit der 10 000 europäischen Soldaten der UNIFIL heißen würden. Hier merkt man doch, dass solch ein unilaterales Vorgehen und ein multilateraler Friedenseinsatz Ansätze sind, die in einen schwersten Konflikt miteinander geraten können.

In einem Bereich fürchten wir, dass genau dieser Konflikt schon eingetreten ist, nämlich in Afghanistan - nicht dadurch, dass wir dort Drogen bekämpfen, und nicht dadurch, dass Aufständische militärisch von ihren Untaten abgehalten werden, sondern durch die Art und Weise, in der das in letzter Zeit geschehen ist. Man hat sich beispielsweise vor allen Dingen auf das Abbrennen von Mohnfeldern konzentriert und nicht darauf, den Mohnbauern wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass der integrative Ansatz, den Deutschland im Norden Afghanistan umsetzt, heute in seiner Sicherheit gefährdet ist. Deswegen müssen wir in der Diskussion mit unseren Verbündeten klar sagen, dass sich ein multilateraler Ansatz einer politischen Friedensstiftung über Institutionenbildung nicht mit einem simplifizierten Modell des Kampfes gegen den Terrorismus ausschließlich mit militärischen Mitteln verträgt. Ich glaube, das wird die Herausforderung der nächsten Zeit sein. Vielen Dank.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Trittin, am Anfang Ihrer Rede haben Sie den Außenminister ein wenig kritisiert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Im ersten Moment, als der Krieg von Hisbollah auf Israel angefacht worden war, hat der Außenminister, als die Reaktion aus Israel kam, sofort gehandelt. Er hat die Region besucht. Er war in Israel und Jordanien. Er hat versucht, mit Syrien zu sprechen. Er war überall in der Region und hat versucht, Fäden anzuknüpfen, wodurch die UN-Resolution 1701 erst in Kraft gesetzt werden konnte. Wie kann er denn anders handeln, als zu versuchen, dagegen, dass alle anderen sich unilateral verhalten, das heißt, auf ihre eigene Kraft und Stärke setzen, ein multilaterales, internationales Konzept zu stellen? Das hat er gemacht. 1701 ist nicht zuletzt deswegen zustande gekommen, weil er so unermüdlich dafür gekämpft hat. Lieber Kollege Trittin, das ist nicht zu vergessen.

So etwas dauert nun einmal seine Zeit. Wir haben doch gesehen, wie es in New York gelaufen ist. Jeder von uns hat gesehen, wie die Schockstarre in Europa nur Schritt für Schritt überwunden werden konnte. Ich möchte ein Land nennen, das sich mit der Konferenz in Rom zur Libanonkrise wirklich an die Spitze gestellt hat. Italien hatte den Mut, sich als erstes Land deutlich zu positionieren und zu sagen: Wir schicken unsere Soldaten im Rahmen des UNIFIL-Mandats sogar in den Libanon selbst. Ich finde, dass gerade Europa mit diesem Moment zeigt, dass es bereit ist, gemeinsam zu handeln. Der Anfang wurde von Frank-Walter Steinmeier gemacht. Dafür danken wir.

Nun will ich nicht übertreiben, wenn ich sage, welche Chancen in diesem Prozess deutlich werden. Aber ich möchte gern Martin Indyk vom Saban Center zitieren, früher war er Botschafter der USA in Israel. Er hat gesagt: Jetzt ist der Moment für Europa gekommen. - Gern hoffe ich, dass das so ist oder so sein wird. Aber wenn ich mir beispielsweise die Tageszeitung "Ha'aretz" von heute anschaue, dann sehe ich, dass es drei Artikel gibt, die sich kritisch mit der Entwicklung des seit 33 Tagen dauernden Krieges auseinander setzen. Ich bitte Sie, diese drei Artikel ganz genau zu lesen. In ihnen wird versucht, deutlich zu machen, dass das unilaterale Handeln falsch gewesen ist und dass es jetzt eine gute und neue Chance gibt, ein wirkliches internationales Konzept zu entwickeln, um einen überschaubaren Prozess einzuleiten, der politisch dazu führt, dass das Schlüsselproblem Israels endlich angegangen werden kann: Die Bürger Israels müssen in garantierten, international gesicherten und anerkannten Grenzen leben können.

Diese Chance ist jetzt gegeben, weil alle in der Region - so schrecklich die 33 Tage und Nächte des Krieges auch waren - in den Abgrund geblickt haben. Das Entsetzen darüber wird in den drei Artikeln - aber nicht nur in ihnen - deutlich gemacht.

Mag sein, dass Nasrallah ein Zyniker ist. Mag sein, dass er sich in der einen oder anderen Situation sogar wie ein Terrorist verhält.

Aber, lieber Kollege Gehrcke, er sagt: Unser Problem im Libanon ist, dass wir einen schwachen Staat haben; wir lassen uns entwaffnen, wenn der libanesische Staat stark wird. Sind das nicht Anzeichen dafür, dass in der gesamten Region ein Nachdenken eingesetzt hat? So schlimm dieser Krieg, diese 33 Tage und Nächte, auch waren, jetzt besteht wirklich die Chance, einen neuen Prozess einzuleiten. Die UN-Resolution 1701 kann der Anfangspunkt dafür sein, dass dieser neue Prozess eine stabile Grundlage findet.

Herr Kollege Gehrcke, ich würde Ihnen gerne glauben. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, wie zerklüftet das Land Libanon ist. Dort gibt es quasi-staatliche Strukturen, die sich mit Terror identifizieren lassen und die vielleicht sogar die Ursache dafür sind, dass die Probleme, die Israel jetzt militärisch beantwortet hat, so sehr haben wachsen können.

Wenn Nasrallah in der Tat beginnt, sich politisch zu verhalten, wenn er nicht versucht, auf die militärische Karte zu setzen, und wenn er beginnt, darüber nachzudenken, ob Israel nicht doch ein Existenzrecht in der Region hat, damit seine Bürger in gesicherten Grenzen leben können, statt ständig durch terroristische Angriffe bedroht zu werden, dann, so meine ich, könnte hier ein neuer Friedensprozess beginnen. Niemand wäre darüber glücklicher als wir.

Ich finde es gut, dass Kurt Beck gesagt hat: Am Ende eines solchen Prozesses brauchen wir so etwas wie eine KSZE, eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, wie wir sie aus Europa kennen. Wir brauchen eine Nachbarschaft, bei der der eine Nachbar dem anderen Nachbarn ein guter Nachbar ist. Das haben wir in Europa gelernt. Warum sollte das nicht auch in dieser Region möglich sein? Dafür kämpfen wir und dafür ist die UN-Resolution 1701, wie ich finde, ein guter Anfangspunkt.

Nun, Kollege Gehrcke, komme ich auf den praktischen Teil zu sprechen: Wenn es um das Mandat geht, das zur Sicherheit auch durch Militär geschützt werden muss, dann dürfen Sie sich nicht verweigern. Denn dadurch würde die Art und Weise, wie Sie sich jetzt verhalten, unglaubwürdig. Man kann nicht das eine wollen und zum anderen Nein sagen. Das geht nicht. Auch das gehört dazu.

Was die Frage betrifft, ob es einen Siegesrausch gebe, empfehle ich Ihnen, lieber Kollege Gehrcke: Schauen Sie sich die öffentliche Debatte bis in die Knesset und in die Regierung hinein in Israel genau an. Dort gibt es keinen Triumphalismus, vielleicht besteht dort sogar aus der Sicht Kadimas die Gefahr, dass die Partei zerbröckelt. In der "Ha'aretz" von heute wird ein Artikel überschrieben: Bye-bye Kadima. - Auf Wiedersehen Kadima.

Was war denn der neue Konsens, nachdem Netanjahu damals gesagt hat: Wir haben keinen Partner, deswegen müssen wir unilateral handeln? Der Konsens bestand darin, dass die Linke in Israel gesagt hat - Sie kennen die Debatte -: Wir gehen raus aus den besetzten Gebieten. Die Rechte hat gesagt: Wir können nur unilateral herausgehen. Dieser Paradigmenwechsel hat in Kadima seine politische Form gefunden. Das war der Grund dafür, warum Kadima so überragend gewählt worden ist. Dieser innere Konsens zerbricht jetzt. Das ist zu erkennen.

Wir müssen allerdings kritisch nachfragen: Ist der innere Konsens, den beispielsweise Hisbollah bisher zusammengehalten hat, nämlich Israel von der Landkarte ausradieren zu wollen, inzwischen auch zerbrochen? Bis auf die selbstkritischen, vielleicht auch zynischen Bemerkungen von Nasrallah ist hiervon noch nichts zu erkennen. Ich will das nicht kleinreden, wir kommen jetzt in einen neuen Prozess.

Katsav hat gestern erklärt, dass, wenn die Soldaten freigesetzt werden können und sollen, eine Verhandlung zwischen Hisbollah und Israel, möglicherweise mit Ägypten als Mediator, stattfinden muss. Das ist der Beginn eines Prozesses, auf den wir setzen, der aber nur dann möglich ist, wenn die jetzt durch die Resolution 1701 gegebene Chance auch wirklich realisiert werden kann. Darum geht es. Um es ganz deutlich zu sagen: Die jetzige Situation kann sich für uns Europäer als sehr schwierig erweisen. Die Resolution 1701 zu realisieren, wird in der Tat sehr schwierig werden; das können wir auch daran erkennen, dass zwei Hisbollahminister in Beirut versuchen, auf die Bremse zu treten. Wir Europäer werden jetzt lernen müssen: Der Nahe Osten ist nicht mehr von uns getrennt. Es ist nicht mehr der Nahe Osten, der irgendwo dahinten verschwindet, sondern er ist Mittelpunkt unserer Außenpolitik. Wir müssen uns in unserem Handeln auf die Roadmap stützen, wir müssen Israels Existenzrecht sichern und dafür sorgen, dass das Kernproblem gelöst wird und Palästina die Möglichkeit erhält, ein eigener, selbstbestimmter, unabhängiger Staat zu werden. Diese Aufgaben haben wir uns gemeinsam gestellt.

Lieber Kollege Trittin, ich bin nach wie vor dankbar, dass die Blaupause für die Roadmap hier in Berlin erstellt worden ist. Joschka Fischer war für die frühere Bundesregierung daran beteiligt. Ich bin froh, dass die gegenwärtige Bundesregierung mit Frau Merkel und Herrn Steinmeier genau an dieser Roadmap mitarbeitet. Sie ist der Schlüssel zur Lösung des Problems, damit diese Region, die so nahe liegt, eine Region des Friedens werden kann.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es besteht hier im Hause wirklich kein Streit, dass die Region des Nahen Ostens für uns bedeutsam ist, dass sie in unsere Sicherheitsinteressen hineinspielt: Dort wird das Wetter der Welt gemacht, diese Region bestimmt mit darüber, was in unseren Innenstädten geschehen kann oder nicht.

Ich glaube nicht, dass uns die Geschichte am Ende einen überzeugenden Grund liefert, uns aus allem herauszuhalten. Verantwortung verpflichtet, wenn man es so sieht. Aber wahr ist auch, dass es eine Frage der politischen Klugheit ist, dass wir entscheiden, welcher Beitrag Deutschlands am sachgerechtesten und am konstruktivsten für diese Region ist. Wenn eine Fraktion erklärt, nach ihrer Überzeugung ist das nicht der militärische Beitrag, und sie es für besser hält, auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen, humanitäre und medizinische Hilfe zu leisten und Kontakte aufzubauen, dann ist das eine genauso legitime Hilfe, die unserer Verantwortung gerecht wird, wie ein militärischer Beitrag.

Viele der Kolleginnen und Kollegen, die sich heute für einen militärischen Beitrag aussprechen, drücken die große Hoffnung aus - sie benutzen das Wort "endlich" -, dass es mithilfe dieses Beitrags gelingt, dass in der Region endlich die Fähigkeit entwickelt wird, miteinander zu kommunizieren; diese Fähigkeit ist ja reichlich unterrepräsentiert. Das ist eine schmale Hoffnung. Es war keine Schockstarre, die mich getroffen hat, als ich gesehen habe, was in der Region vor sich geht. Wir wissen seit Jahrzehnten, was dort gemacht werden muss. Das weiß auch die amerikanische Außenpolitik. Ich bin ein überzeugter Transatlantiker, aber ich muss sagen: Unsere amerikanischen Freunde können dort die Trümmer ihrer Außenpolitik - der fehlgeschlagenen Versuche, Bewegungen zu isolieren; so wie das jetzt im Grunde auch mit dem Iran ist - besichtigen. Sie können die Folgen einer grandiosen Fehleinschätzung besichtigen, was den Irak angeht. In "Foreign Policy" ist diese Woche eine Kritik erschienen, wie sie kein Kollege hier ausdrücken würde: Die Rede war von Amerikas Unfähigkeit, im Irak etwas aufzubauen. Die Double-Standards des Westens, die viele im Nahen Osten kritisieren, machen auch mir zu schaffen. Amerika antwortet bis heute auf das Atomprogramm von Nordkorea mit vielen Verhandlungen und manchem Achselzucken, Indien hingegen, das den Atomwaffensperrvertrag nie unterschrieben hat, wird eine besondere Rolle gegönnt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo sind denn die Anstrengungen der Atomwaffen besitzenden Mächte - auch der mit uns verbündeten -, der Welt zu zeigen, dass sie ihre Arsenale wirklich abrüsten?

Das zu bedenken, gehört zu wirkungsvoller Politik, wenn neben der Stationierung von Soldaten am Ende etwas herauskommen soll. Jeder von uns weiß: Die Hamas ist eine Organisation, die zu terroristischen Mitteln gegriffen hat und auch gegenwärtig greift. Jeder weiß, dass sie eine zutiefst soziale Verankerung hat. Egal aus welchem Grund: Jeder von uns weiß, dass sich die Palästinenser in den besetzten Gebieten zutiefst verletzt gefühlt haben - auch die Israelis haben sich verletzt gefühlt - durch die terroristischen Angriffe. Aber wahr ist, dass in Gaza die soziale Lage der Palästinenser verbessert werden muss und dass Israel einen großen Beitrag dazu leisten muss. Sonst werden auch Tausende von Soldaten nicht helfen können, die Region zu stabilisieren.

Das muss man gegenüber dieser Region offen sagen dürfen.

Wer von den großen Staatsmännern der Welt kann schon sagen, wie Russland und China am Ende reagieren, nicht nur hinsichtlich Irans, sondern auch, was die Finanzierung der Hisbollah durch Iran und Syrien angeht. Russland und China zeigen uns bisher nur, dass ohne sie international nichts zu erreichen ist. Wir erwarten aber, dass mit ihnen etwas gelingen kann. Beide haben erklärt, nach ihrer Überzeugung bräuchte man keine Sanktionen, sie seien in der Lage, das mit einem - wie man das neudeutsch nennt - Containment zu einem guten Ende zu bringen. Dann muss einmal ernsthaft mit ihnen gesprochen werden, dass sie uns das zeigen. Ich höre aber von keiner internationalen Konferenz, dass so etwas geschehen würde. Dass Verschwiegenheit und eine gewisse Konferenzsprache zu den Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie gehören, ist jedem klar. Aber das darf nicht dazu führen, dass überhaupt kein Wort mehr an die Öffentlichkeit dringt, wie das Problem tatsächlich gelöst werden kann. Israel erweitert jetzt mit einigen Baumaßnahmen seine Siedlungen wieder. Der Regierungschef erklärt: Ob man bei der Westbank im Jahre 2010 reagieren könnte, sei noch höchst fraglich.

Wir haben es zur Staatsräson gemacht, das Existenzrecht Israels zu schützen. Dabei bleibt es. Aber wir haben die eindringliche Bitte an unsere israelischen Freunde, es uns nicht so schwer zu machen, ihnen beizustehen!

Auch das gehört zu einer offenen Aussprache hierher.

Die bisherigen Erfolge und Bewertungen, die mein Kollege Hoyer angesprochen hat, will ich mangels Zeit nicht mehr ausführen.

Eine nüchterne Überprüfung der militärischen Entsendung zeigt uns, dass wir sie am Balkan und auch in Afghanistan und anderswo weiter brauchen. Sie zeigt uns aber eben auch - das ist mein Eindruck -, dass die politische Mühsal der entsprechenden Ebenen gewaltig nachlässt, wenn in den Hauptstädten dieser Welt die Entscheidung, Militär zu entsenden, getroffen worden ist. Unsere amerikanischen Freunde entsenden gerne Soldaten, aber ihre politische Anstrengung, in einer Region Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die das Leben der Menschen verbessert wird, und dafür Verbündete zu finden, ist etwas geringer ausgeprägt. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass sich die einzige deutsche Antwort, die diskutiert wird - das war in diesem Fall bemerkenswert; jeden Tag wurde ja diskutiert, wie der Beitrag aussehen könnte -, darin erschöpft. In diese Gefahr sollten wir nicht kommen.

Deshalb werbe ich für ein Bewusstsein bei uns allen dafür - das ist insbesondere denjenigen gegenüber vorzutragen, die jetzt entsenden wollen -, dass nicht ein Entsendebeschluss gefällt wird und dann wieder Funkstille in Sachen Beitrag zur entscheidenden politischen Lösung in der Region herrscht. Wer entsendet, muss sich hinterher umso mehr um einen politischen Beitrag bemühen. Mein Eindruck heute ist leider, dass die Hauptstädte dieser Welt diesen Beitrag zur Lösung der Grundprobleme nicht leisten. Das Israel-Palästina-Problem ist fast ein symbolhaftes Beispiel, aber es kreiert nicht das Übel aller Welt. Alle anderen Beziehungen werden dadurch aber so schwierig. Das Problem muss im Kern gelöst werden. Dafür wäre jetzt der Zeitpunkt. (...)

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zuerst auf die Debatte eingehen, die von einem möglichen Libanoneinsatz stark geprägt ist. Herr Gerhardt und Herr Hoyer, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört und gebe zu, dass ich Ihnen in Ihrer Analyse inhaltlich teilweise folgen kann. Dazu trägt auch Ihre Art und Weise - Herr Gerhardt, Sie ganz bedächtig, und Sie, Herr Hoyer, recht erfahren - bei. Aber die Konsequenzen, die Schlussfolgerungen, zu denen Sie kommen, sind ziemlich katastrophal. Man spürt förmlich, wie unwohl Sie sich fühlen, dass Ihr Vorsitzender Westerwelle dabei ist, die außenpolitische Tradition der Genscher-FDP zu zertrümmern.

Er tut das beispielsweise dann, wenn er konsequent jeden UNO-Einsatz mit der Begründung ablehnt, Deutschland könne nicht ständig dabei sein. Tatsächlich steht Deutschland an 32. Stelle, was solche Einsätze angeht. Zudem ist ISAF kein UNO-Einsatz. Wenn er etwas anderes behauptet, dann zeugt das von außenpolitischer Unkenntnis.

Sie haben sicherlich zu Recht darauf hingewiesen, dass die internationale Truppe im Libanon ohne einen politischen Prozess keinen Erfolg haben kann. Aber Sie müssen doch wissen, dass es ohne eine solche Truppe und die entsprechende Resolution gar keinen Waffenstillstand in dieser Region gäbe. Dass man der PDS erklären muss, dass man einen Waffenstillstand braucht, bevor man politisch aktiv werden kann, wissen wir im Deutschen Bundestag. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, Ihnen mit Ihrer Tradition sollte man das eigentlich nicht erklären müssen. Unabhängig vom deutschen Beitrag ist die internationale Truppe - dazu habe ich von Ihnen nichts gehört - absolut erforderlich. Die Entscheidung der Europäer in diesem Fall ist richtig.

Es stimmt, dass der politische Prozess entscheidend ist. Wir brauchen eine Wiederbelebung des Quartetts der Außenminister. Und wir möchten Sie, Herr Außenminister, darin bestärken, auf dem Weg der Einbindung Syriens fortzuschreiten. Wir brauchen eine Fortsetzung des innerlibanesischen Dialogs; denn die Entwaffnung der Hisbollah ist überhaupt nur im Rahmen eines politischen Prozesses vorstellbar. Militärisch ist dazu niemand willens und in der Lage.

Wenn das nicht passiert - das ist für uns auch eine ganz wichtige Bedingung -, dann wird man möglicherweise spätestens in einem halben Jahr vor der Situation stehen, dass der Konflikt wieder aufbricht. Auch ein neuer Bürgerkrieg im Libanon ist nicht ausgeschlossen. Es ist fast unvorstellbar, dass dann internationale Truppen, darunter möglicherweise deutsche, zwischen den Fronten stehen. Von uns geht ganz klar die Aufforderung an die Bundesregierung, alles dafür zu tun, dass wir in diesem politischen Prozess weiterkommen.

Mich treibt aber noch etwas anderes um, nämlich dass angesichts der Libanonkrise die Krisen in Afrika wieder in Vergessenheit geraten. Die Wahlen im Kongo haben trotz der EU-Mission und der deutschen Beteiligung kaum noch interessiert. Selbst der deutsche Oberkommandierende weilte im Urlaub, während es vor Ort zu ersten Unruhen kam. In Darfur im Sudan geht der schleichende Völkermord vor den Augen der Weltöffentlichkeit weiter, aber es findet dazu weder eine Debatte in der deutschen Öffentlichkeit statt, noch bereitet die Bundesregierung dazu eine Diskussion vor. Wir haben doch bei der Kongodebatte gesehen, wie fahrlässig und kurzsichtig das ist.

Ich habe hier damals ein politisches Gesamtkonzept für meine Fraktion und eine strategische Debatte darüber gefordert, ob und warum es im europäischen und deutschen Interesse ist, sich auch an friedenssichernden Einsätzen in Afrika zu beteiligen. Da ist leider Fehlanzeige. Stattdessen - das muss ich jetzt zitieren - kündigt der Staatssekretär des Herrn Jung, Herr Schmidt, vor der CSU-Landesgruppe an, man werde in jedem Fall nach vier Monaten aus dem Kongo abziehen. Begründung: die zusätzliche Belastung durch den Libanoneinsatz, nicht etwa die Sicherheitslage im Kongo. Jeder weiß, dass es nach den Stichwahlen im Oktober erst so richtig losgehen kann, wie man im August gesehen hat. Ich meine, das ist nun wirklich das Gegenteil von konzeptioneller Politik, ganz zu schweigen von einer kohärenten Afrikastrategie. Das bedeutet, dass Sie immer noch von Einsatz zu Einsatz stolpern, dilettantisch vorbereitet durch den Herrn Verteidigungsminister und seine Mannen, ohne darzulegen, was die außen- und sicherheitspolitischen Ziele sind, ohne eine Strategie für den Nachbarkontinent Afrika zu entwickeln und ohne sich zum Beispiel im Rahmen der Debatte über das Weißbuch Gedanken darüber zu machen, wie man denn die Bundeswehr auf diese neuen Herausforderungen vorbereitet.

Eine der schwersten Krisen weltweit findet zurzeit in Darfur statt. Es gibt schwerste Menschenrechtsverletzungen und mehr als 300 000 Tote und 2 Millionen Vertriebene. Ich glaube, es war überfällig, dass die UNO jetzt endlich eine robuste Blauhelmtruppe nach Darfur schicken will, die nicht die Fehler der AU-Mission wiederholt und zu schwach ist.

Ich finde es angesichts der Dimension des Konfliktes gewagt, dass man, wie heute Morgen von der Kanzlerin geschehen, vorsorglich schon einmal ankündigt, man werde sich da vollständig heraushalten. Das ist ein Ausspruch der Kanzlerin, der an die eigenen Reihen gerichtet ist und der mit der Außenpolitik gar nichts zu tun hat. Ich erwarte aber zumindest, dass man sich, wenn man das nicht will, in diesem Konflikt politisch engagiert und dass man zum Beispiel alles dafür tut, dass die sudanesische Regierung der Blauhelmmission zustimmt. Das könnte man machen, indem der Außenminister und die Kanzlerin mit Putin oder in der nächsten Woche mit dem chinesischen Premier reden; denn China und Russland müssen endlich bei der sudanesischen Regierung auf eine Zustimmung zur UNO-Mission drängen. Das wäre ganz konkrete Politik, ohne dass es um Militär geht.

Darfur gehört ganz oben auf die politische Tagesordnung, auch während der deutschen Ratspräsidentschaft. Da wird es nicht nur um den europäischen Beitrag zu der Mission gehen, sondern auch um diplomatische Initiativen, um unter anderem das geschlossene Friedensabkommen zu retten. Wir müssen generell, was Afrika betrifft, endlich die vorhandene europäische Afrikastrategie vom Dezember mit Leben füllen. Ich erwarte Konzepte von der Bundesregierung.

Ein letzter Satz: Der 11. September 2001, über den heute viel geredet wurde und über den nächste Woche noch einmal geredet wird, hat doch eines gezeigt, nämlich dass es im Kampf um den Terror um langfristig angelegte und nachhaltige politische Strategien gehen muss. Man muss rechtzeitig dafür sorgen, dass gescheiterte Staaten erst gar nicht entstehen. Damit sind wir wieder bei Afrika, wo wir das gerade wieder verpassen. Frieden und Sicherheit in Afrika entsprechen unseren unmittelbaren Sicherheitsinteressen. Tun wir endlich etwas dafür! Vielen Dank.

Niels Annen (SPD):

(...) Ich will klar sagen: Die deutsche Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ist Friedenspolitik. Ich finde, das hat der Außenminister während der 32 Tage der Kampfhandlungen im Libanon eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Die Priorität galt - da kann es gar keinen Zweifel geben - den Bemühungen um die Beendigung der Feindseligkeiten. Spät, aber nicht zu spät konnte die Resolution 1701 verabschiedet werden. Auch ohne dass Deutschland Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist, haben wir, vor allem der Außenminister, sehr viel zum Zustandekommen dieser Resolution beigetragen.

Das ist ein Grund für die Erwartungen, die heute an unser Land gerichtet werden. Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen, dass es in der Bevölkerung durchaus eine Verunsicherung über die weltweiten Einsätze der Bundeswehr gibt. Deutsche Soldaten sind in der Tat am Horn von Afrika, auf dem Balkan und sogar in Afghanistan im Einsatz. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Es geht auch darum, über die politischen Kriterien für solche Einsätze zu diskutieren. Hier ist der Ort dafür, weil wir als Mitglieder des Bundestags letztlich auch darüber entscheiden müssen, wo deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Es geht also um unsere Verantwortung und es geht um die Frage: Was liegt im deutschen Interesse? Ich will anhand der aktuellen Krise darstellen, warum ich glaube, dass unser Engagement in der Region im Nahen Osten sinnvoll und richtig ist.

Diese Region hat seit 1948 durchschnittlich alle sechseinhalb Jahre einen Krieg durchlitten - mit dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, die Infrastruktur, die wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilität in einer Weltregion, die - bei ein wenig Rückenwind - nicht mehr als dreieinhalb Stunden Flugzeit von uns entfernt liegt.

Es besteht kein Zweifel - das ist hier schon gesagt worden; ich stimme dem zu -: Auslöser der jüngsten Krise war die Entführung von zwei israelischen Soldaten durch die Hisbollah. Aber war die Entführung auch die Ursache für diesen Konflikt oder hat vielmehr der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Brent Scowcroft Recht, wenn er sagt - ich zitiere ihn -:

Die Quelle des Problems ist nicht die Hisbollah. Das ist nur ein Ableger der Ursache, nämlich des tragischen Konflikts über Palästina, ...

Wie dem auch sei: Es ist richtig, glaube ich, dass unsere Politik die Probleme des Libanon nicht isoliert betrachtet. Wir müssen die Probleme um den besetzten Golan und um die Scheba-Farmen einbeziehen und wir müssen letztlich auch die Debatte um die Eigenstaatlichkeit Palästinas berücksichtigen.

Für mich ist klar: Die Lösung der Palästinafrage steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen.

Umgekehrt ist auch eindeutig: Die Lösung des palästinensischen Konflikts beinhaltet keine Zauberformel für die Lösung aller Konflikte in der Region.

Aber die Lösung des Konflikts würde - darauf kommt es mir an - all denjenigen die politische Legitimation entziehen, die heute ihre extremistische Politik mit dem Verweis auf den Befreiungskampf des palästinensischen Volkes betreiben und begründen; die meisten von ihnen im Übrigen, ohne sich jemals wirklich um das Schicksal der palästinensischen Menschen gekümmert zu haben.

Hier geht es auch und nicht zuletzt um die Hisbollah. Das bedeutet, es geht um eine historische Entscheidung dieser Miliz, Bewegung, Partei - wie immer Sie wollen -, ob sie sich zu einer zivilen politischen Kraft weiterentwickeln möchte - einiges deutet darauf hin; die Äußerungen von Herrn Nasrallah sind erwähnt worden - oder ob sie den Weg in den Terrorismus weiter verfolgen möchte.

Das führt zu der Frage: Was für einen Charakter hat eigentlich die aktuelle Auseinandersetzung an der Nordgrenze Israels? Die Israelis sehen sich mit einer dramatischen Situation konfrontiert. Nach dem Rückzug der Armee vor sechs Jahren aus dem besetzten Südlibanon sieht sich Israel weiterhin andauernden Angriffen auf sein Territorium und seine Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt. Die aus meiner Sicht leider in weiten Teilen unverhältnismäßigen Militärschläge der letzten Wochen kann man - davon bin ich überzeugt - nur dann verstehen, wenn man sich klar macht, dass es aus Sicht Israels in diesem Krieg nicht nur um eine Auseinandersetzung in einem besetzten Territorium, sondern um die Existenz des Staates Israel geht. In Deutschland akademische Diskussionen darüber zu führen, wie man die Hetzreden des iranischen Präsidenten bewerten soll, ist eine Sache; angesichts von bis zu 250 Raketeneinschlägen pro Tag darüber zu diskutieren, ist eine andere Sache.

Da bekommen die antisemitischen Hetzreden von Herrn Ahmadinedschad im wahrsten Sinne des Wortes eine explosive Bedeutung.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Teheran eine Mitverantwortung an der gegenwärtigen Krise zukommt. Deshalb habe ich persönlich großes Verständnis für diejenigen in Israel, die den Kampf gegen die Hisbollah auch als einen Kampf gegen einen bewaffneten Arm Teherans verstehen. Die Reden von Ahmadinedschad allein beantworten aber nicht die Frage, ob die Hisbollah nun eine libanesische oder eine Agenda der schiitischen Weltrevolution verfolgt.

Wir müssen kurz vor dem fünften Jahrestag des 11. September leider feststellen, dass die US-Politik des Krieges gegen den Terrorismus eine ehrliche Analyse der Politikentwicklung in der Region behindert.

Sie unterscheidet bei der Beurteilung der Politik von Hamas und Hisbollah nicht zwischen regionalen und möglichen globalen Zielen, sondern subsumiert ganz unterschiedliche Parteien, Bewegungen und Beweggründe unter den Begriff des Terrorismus und kommt so leider zwangsläufig häufig zu falschen Schlüssen. Mein Eindruck ist zudem, dass die Auswirkungen des Bürgerkriegs im Irak auf die Region auch bei uns unterschätzt werden. Die Bilder von tödlichen Anschlägen im Irak werden in ihrer Dramatik von uns doch kaum noch zur Kenntnis genommen. Was bei uns in wenigen Sekunden im Nachrichtenüberblick zusammengefasst über den Bildschirm flimmert, wird jeden Tag in brutaler Detailtreue über al-Dschasira und andere Netzwerke in Millionen arabischer Haushalte übertragen. Welche Wirkung das auf die benachbarten Länder mit all ihren komplizierten politischen Gemengelagen und Minderheitensituationen hat, brauche ich, glaube ich, an dieser Stelle nicht weiter auszuführen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen heute ohne jede Genugtuung fest, dass die Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sich nicht am Krieg im Irak zu beteiligen, richtig gewesen ist.

Es gibt heute mehr Instabilität und mehr Terrorismus als vor dem Irakkrieg. Hinzu kommt - ich glaube, das ist wichtig - in den letzten Monaten ein mangelndes Engagement bezüglich der Lösung des Nahostkonfliktes. Das untergräbt die Legitimation der amerikanischen Politik. Wir brauchen die amerikanische Rolle. Aber gleichzeitig müssen wir die europäische Rolle in dieser Situation stärken.

Ich meine - um das abschließend zusammenzufas-sen -, dass der Außenminister die unterschiedlichen Komponenten des Konfliktes in dieser Situation betont hat.

Es ist auch richtig, dass wir die Bereitschaft signalisiert haben, uns an einem UNIFIL-Mandat zu beteiligen. Die politischen Voraussetzungen muss jedoch die libanesische Regierung schaffen. Ich sage es auch mit Blick auf den Verteidigungsminister: Wir drängen uns nicht auf; aber wir beteiligen uns schon heute an der Lösung des Problems, und zwar mit ehrenamtlichen Helfern beispielsweise des THW, mit Entwicklungshelfern, durch technische und anderweitige Unterstützung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Menschen, die schon dort in der Region unterwegs sind, sollte unser gemeinsamer Dank gelten. Herzlichen Dank.

Thomas Silberhorn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Außenpolitik trägt das Momentum in sich, dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Dennoch müssen wir Antworten finden auf Fragen, die uns berühren, und deshalb in jedem Einzelfall klären, warum es uns angeht, was außerhalb unseres Landes geschieht. Bei europäischen Fragen fällt uns das nicht mehr schwer, bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland dagegen umso mehr.

Ich meine, wir müssen definieren, welche Interessen wir verfolgen, wenn wir die Bundeswehr zu Auslandseinsätzen entsenden, und wir müssen uns darüber klar werden, welche Kapazitäten wir an Personal, an Material und an Finanzen dafür bereithalten wollen. Ich plädiere dafür, dass wir unabhängig von konkreten Einsätzen objektive Kriterien entwickeln, die uns als Orientierungsmaßstab dienen können. Das Weißbuch des Bundesverteidigungsministers zur Sicherheitspolitik bietet uns im Herbst dazu die Gelegenheit.

Ich darf im Rahmen der Haushaltsdebatte anfügen: Ich bin der Überzeugung, dass sich jedes internationale Engagement auch in unsere Grundlinie der Konsolidierung des Bundeshaushaltes einfügen muss. Auch dieser Aspekt muss Berücksichtigung finden. Im Ergebnis meine ich, dass eine solche Konzeption, bei der versucht wird, objektive Maßstäbe zu konkretisieren, nicht nur ein Beitrag zur Berechenbarkeit und damit zur Glaubwürdigkeit unserer Außenpolitik ist, sondern auch zum Ausdruck bringt, dass wir gar nicht erst den Eindruck entstehen lassen wollen, Getriebener internationaler Entwicklungen zu sein. Vielmehr wollen wir einen Gestaltungsanspruch in der internationalen Gemeinschaft wahrnehmen.

Durch den Nahostkonflikt wird unmittelbar einsichtig, dass es eine Illusion wäre, zu glauben, wir könnten wegsehen bei dem, was in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union vor sich geht. Nicht zuletzt die in Deutschland versuchten Attentate, die schon vor dem Ausbruch des Libanonkonflikts geplant waren, bringen zum Ausdruck, dass es offenbar das Ziel von Fundamentalisten und Terroristen ist, die Schauplätze ihres Terrors in die westliche Welt zu verlagern. Deswegen können wir nicht wegsehen, sondern müssen hinsehen, wenn es etwa das erklärte Ziel des Iran als Mitglied der Vereinten Nationen ist, Israel als Mitglied der Vereinten Nationen von der Landkarte zu tilgen.

Meine Damen und Herren, ich meine, dass es auch, aber nicht nur in der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel liegt, diesen Kon-flikt als sehr ernsthaft wahrzunehmen. Die gesamte internationale Gemeinschaft muss ein Interesse daran haben, den Frieden im Nahen Osten wiederherzustellen und damit auch die Autorität des Systems der Vereinten Nationen sicherzustellen. Ich denke, dass die Bundesregierung einen bemerkenswerten Beitrag dazu geleistet hat - ich will das ausdrücklich anerkennen -, dass es tatsächlich zu der Waffenruhe, die wir seit einigen Wochen haben, gekommen ist.

Wenn wir uns vor Augen halten, dass dieser Konflikt ein ganz enormes Eskalationspotenzial beinhaltet, dann ist es eben keine Selbstverständlichkeit, dass es relativ zügig zu dieser Waffenruhe gekommen ist und dass beispielsweise keine israelische Bodenoffensive mit 30 000 Soldaten mehr stattgefunden hat, weil der Druck und die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft die Beteiligten dazu bewogen haben, der jetzt vorliegenden UN-Resolution zuzustimmen.

Das Ziel, um das es jetzt geht, ist schlichtweg, diese Waffenruhe zu stabilisieren und in einen politischen Prozess überzugehen, der sicherstellt, dass die Sicherheit Israels und die Unabhängigkeit eines selbstständigen palästinensischen Staates gewährleistet werden können und die Stabilität in der gesamten Region weiter gefestigt wird. Mir scheint, dass ein militärischer Beitrag eine Komponente ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind uns sicher darin einig, dass das keine hinreichende Komponente ist. Aber es ist eine notwendige.

Mit einigem Bedauern sehe ich, dass die Kolleginnen und Kollegen von der FDP sich in dieser Frage ausgerechnet mit der PDS in einem Boot wiederfinden.

Vor dem Hintergrund der langen Tradition liberaler Außenpolitik von Theodor Heuss bis Otto Graf Lambsdorff, der sich bei der Entschädigung jüdischer Verfolgter Verdienste erworben hat, sollten Sie Ihre Position nochmals überdenken.

Immerhin nehme ich zur Kenntnis, Herr Hoyer und Herr Gerhardt, dass Sie sich deutlich vorsichtiger geäußert haben als manche Kolleginnen und Kollegen aus der zweiten Reihe, wie in den Medien immer wieder zu lesen und zu hören war.

Sie weiten meine Kritik noch aus, Herr Hoyer. Ihren Zuruf lasse ich unkommentiert.

Infrage steht, ob sich Deutschland an einer seeseitigen Sicherung der Grenze des Libanon beteiligt. Ich bin der Auffassung: Das kann ein angemessener Beitrag für Deutschland sein, um die UN-Resolution 1701 umzusetzen. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass da kein Automatismus entstehen kann, sondern dies eine autonome Entscheidung des Bundestages bleibt.

Dafür fehlen uns derzeit noch die Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung ist ein klares Mandat, mit dem die Kontrolle des Waffenembargos effektiv umgesetzt werden kann, einschließlich der Einsatzregeln, die wir noch erwarten. Die zweite Voraussetzung ist - das möchte ich ausdrücklich erwähnen -, dass die libanesische Regierung eindeutig den politischen Willen zum Ausdruck bringt, den Waffenschmuggel in den Libanon auch selbst zu unterbinden.

Das ist die Geschäftsgrundlage für eine Beteiligung der Bundeswehr. Das werden wir bereden können, wenn eine Anfrage der Vereinten Nationen an die Bundesregierung vorliegt und die Bundesregierung uns, dem Bundestag, ein entsprechendes Mandat zur Beratung überweist.

Meine Damen und Herren, wir streben an, dass eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatz im Nahen Osten auf eine breite Zustimmung in diesem Hause stößt. Wir streben auch eine möglichst breite Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die Soldaten an, die wir möglicherweise in einen solchen Einsatz entsenden. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich erwarte, dass die Staaten der Region, die für die Situation, in der wir stecken, Mitverantwortung tragen, einen eigenen Beitrag leisten. Sie müssen sich in die politischen Bemühungen um Wiederbelebung des Friedensprozesses einbinden lassen und sie müssen, beispielsweise Syrien, ein Interesse daran haben, nicht isolationistische Tendenzen zu stärken, sondern auf Alternativen einzugehen, die die Europäische Union ihnen bieten kann.

Ich möchte zum Schluss kommen. Die Europäische Union zieht ihre Autorität in diesem Konflikt aus meiner Sicht auch daraus, dass Europa Krieg und Nationalismus durch die Kooperation in der Europäischen Union überwunden hat. Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Stunde null erlebt und erfolgreich den Wiederaufbau gemeistert. Deswegen meine ich, die Europäische Union ist ein gelebtes Beispiel dafür, wie sich aus Vernichtung und Niederlage wieder eine gute Nachbarschaft entwickeln kann. Das ist die Ursache für die Autorität, die die Europäische Union hier einbringen kann. Die Europäische Union wird deshalb im Nahostkonflikt das besondere Vertrauenskapital, das sie genießt, das namentlich Deutschland und Frankreich genießen, einbringen müssen, um diesen Konflikt einzudämmen, ihn eingedämmt zu halten und in einen politischen Prozess zu überführen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch an Ihre Rede auf dem Münchener Kongress für Sicherheitspolitik im Februar dieses Jahres, Herr Außenminister. Da stellten Sie Ihre Politik unter die Devise des Einsatzes für Freiheit und Demokratie. Das klang alles etwas amerikanisch, aber das ist noch keine Kritik. Dass Sie damit Ihre gesamte Nahost- und Mittelostpolitik in das Fahrwasser der US-Administration lenkten, das allerdings verdient entschiedenen Widerspruch.

Denn Sie besiegelten dadurch einen gravierenden Wandel in der deutschen Außenpolitik. Militäreinsätze in der ganzen Welt - zur Sicherung welcher deutschen Interessen eigentlich? -, das hat weder mit dem Grundgesetz noch mit Verteidigung zu tun. Sie holen sich damit auch alle Schwierigkeiten ins Haus, mit denen die Amerikaner derzeit zu kämpfen haben, nämlich zunehmende Gewalt, bürgerkriegsähnliche Zustände und Chaos in ihren De-facto-Protektoraten Irak und Afghanistan sowie wachsende Terrorgefahr auch im eigenen Land.

Ihre sonst so sympathische Devise "Reden statt schießen" hat sich gefährlich gewendet. Nehmen wir nur Afghanistan, wo sich die Bundeswehr derzeit eingräbt, um offensichtlich die nächsten zehn Jahre dort für Demokratie und Freiheit zu sorgen. Nach fünf Jahren hat sich dort eine Situation entwickelt, vor der wir immer gewarnt haben. Sie war voraussehbar. Jetzt beklagt die Truppe in Afghanistan selbst die dramatisch sinkende Zustimmung der Bevölkerung zum Einsatz der Bundeswehr. Die Truppe fordert das, was wir immer schon gefordert haben, nämlich mehr zivile Entwicklungshilfe und Unterstützung für die zivilen Strukturen beim Aufbau des Landes.

Sie, Herr Außenminister, preisen die neuen demokratischen Institutionen der Regierung Karzai. Das mag für Kabul so zutreffen, aber überhaupt nicht für ganz Afghanistan. Dort blühen der Mohn und die Freiheit der Drogenhändler. Eine Steigerung der Ernte um fast 60 Prozent in diesem Jahr hat Afghanistan unter dem Schutz der ISAF und von "Enduring Freedom" zum größten Opiumlieferanten der Welt gemacht. Der Preis dafür ist nicht etwa Stabilität, Sicherheit und Demokratie, sondern Angst vor irakischen Zuständen. Alle Erfahrung der vergangenen Jahre hat uns gelehrt, dass man dem eben nicht mit Militär begegnen kann.

Auch in der Auseinandersetzung mit dem Iran hat die viel beschworene Geschlossenheit mit den USA Sie letztlich in eine Sackgasse geführt. Denn es ist eine Illusion, immer noch zu glauben, dass Teheran von seinem Atomprogramm zu zivilen Zwecken abrücken wird. Vielleicht werden Sie ein Moratorium erreichen, nicht aber einen definitiven Verzicht. Es ist reine Symbolpolitik, wenn Sie Sanktionen fordern, Sanktionen, die in der Geschichte nachweisbar noch nie zu einem Erfolg geführt und nie einen Politikwechsel herbeigeführt haben. Sie schaden damit der Bevölkerung, ohne aber Ihr Ziel zu erreichen. Ein Ausweg zeigt sich derzeit unseres Erachtens nur, wenn zwei Punkte erfüllt werden: Anerkennung des Rechts auf Urananreichung zu zivilen Zwecken und unter der Kontrolle der IAEO sowie eine umfassende Sicherheitsgarantie durch die USA. Doch die USA haben sich offensichtlich noch nicht von ihren Plänen zu einem gewaltsamen Regimewechsel im Iran distanziert. Sie, Herr Steinmeier, werden wohl noch viel Arbeit zu leisten haben, um die USA von der Wirksamkeit des diplomatischen Weges zu überzeugen. Im äußersten Fall müssten Sie, wenn Sie und die Frau Bundeskanzlerin es wirklich ernst meinen, der Bush-Administration erneut die Gefolgschaft verweigern. Sie haben ja genug Erfahrung mit einer solchen Mission aus der Zeit der vorherigen Regierung.

Schließlich komme ich zu dem Punkt Israel, Palästina und Libanon. Man konnte schon den Eindruck gewinnen, dass Ihr voreiliges Vorpreschen mit der Entsendung von Marineeinheiten über Ihre Ratlosigkeit hinwegtäuschen sollte, wie Sie die tief verfeindeten Gegner zwischen Gaza und Beirut zu einem Frieden bewegen können. Sie haben wieder einmal nur unsere Verantwortung gegenüber Israel, nicht aber die gegenüber den Palästinensern, die wir ja auch haben, berücksichtigt. Wir haben wiederholt betont: Deutsche Soldaten und Polizisten haben aufgrund unserer historischen Verantwortung nichts in dieser Region zu suchen. Sie sind, wie wir erfahren haben, auch gar nicht notwendig; denn es gibt genügend Angebote von anderen Staaten.

Um auch hier nicht missverstanden zu werden: Wir wenden uns nicht gegen die Stationierung von UNO-Truppen zwischen den verfeindeten Gegnern. Wirklich neutral können UNO-Truppen aber nur sein, wenn sie auf beiden Seiten der Grenzen stationiert werden, was aber nicht der Fall ist.

Die jetzige Parteilichkeit gegen den Libanon und für Israel verstärken Sie nur, indem Sie zwar auf der einen Seite Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern, was richtig ist, aber auf der anderen Seite neue Waffensysteme und U-Boote an Israel liefern, was falsch ist.

So verspielen Sie unseres Erachtens die Glaubwürdigkeit als ehrliche Makler.

Dabei gibt es auch bei diesem letzten Punkt eine Alternative, auf die wir seit Beginn dieses Jahres nicht müde werden hinzuweisen. Herr Außenminister, vertrauen Sie da doch Ihrem neuen Parteichef, der unseren Vorschlag aufgenommen hat.

Reden Sie nicht nur von einem politischen Prozess, sondern konzentrieren Sie alle Ihre Kräfte und auch die Finanzen auf eine Nahostkonferenz nach dem Vorbild der KSZE. Nur dort werden auch die Wurzeln des Streits, des Konflikts und des Krieges Israels mit seinen Nachbarn zur Sprache gebracht. Alle Teilnehmer sind dort gleichberechtigt, ohne von Gewalt, Terror und Drohungen beeinflusst zu werden. Dann wird Ihre Devise "Reden statt schießen" wieder uneingeschränkt gelten. Auf dieser Konferenz wird dann die Existenz beider Staaten, nämlich Israels und Palästinas, gesichert werden. Danke schön.

Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):

(...) Ich habe dieser ebenso kurzen wie kurzweiligen Debatte über den Einzelplan 05 aufmerksam zugehört und festgestellt, dass zumindest in zwei Fragen völlige Übereinstimmung im Hause herrscht - zumindest von halb links bis zu den Liberalen -, nämlich dass die deutsche Außenpolitik von herausragender Bedeutung ist und die auswärtige Kulturpolitik einen ganz besonderen Stellenwert hat.
(...)

Wenn wir aber weiter so geschlossen voranmarschieren, dann könnte es uns durchaus gelingen, auch noch den Bundesfinanzminister in die Knie zu zwingen. Dazu fordere ich Sie alle sehr herzlich auf. - Ich glaube, ich bin heute der einzige, der von der Opposition beklatscht worden ist. Vielleicht hält das ja an, sodass wir endlich sowohl dem Einzelplan 05 als auch der darin enthaltenen auswärtigen Kulturpolitik eine halbwegs angemessene Dotierung zukommen lassen können. Ich hoffe, dass sich die Kolleginnen und Kollegen, die sich immer in Feuilletons äußern, wenn über die Schließung eines Goethe-Instituts nachgedacht wird, bei der entsprechenden Abstimmung so verhalten werden, dass solche Schließungen gar nicht angedacht werden müssen.

Da ich Haushälter bin, muss ich natürlich auch etwas über die Kostensituation sagen. Herr Außenminister, ich habe in den zurückliegenden Jahren und auch heute wieder festgestellt, dass wir sehr viel über das Engagement im Ausland - ob direkt oder über die UNO - reden. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich unterstütze die Überlegungen der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung im Libanon nachhaltig. Wir reden auch sehr viel über diese Auslandsbeteiligungen, und zwar darüber, wie und ob wir hineingehen. Was ich aber vermisse, ist eine Diskussion darüber - wenn auch nur bescheidener Art -, ob und wann wir wieder hinausgehen.

Ich lese Ihnen einmal vor - jeder wird es wissen und mit einem Aha begleiten -, woran wir beteiligt sind: MINURSO, UNOMIG, UNFICYP, UNMIK, UNOCI, MINUSTAH. Das ist ein Beispiel von vielen; ich brauche die Abkürzungen nicht im Detail zu erklären, weil das allgemein bekannt ist. Wir sollten aber wieder einmal darüber reden, ob das noch sinnvoll ist. Wenn ich mich recht entsinne, gab es am 19. März 1978 die erste UNO-Resolution zum Libanon. Ich kenne mich in der großen Außenpolitik nicht aus - wie gesagt: Ich bin nur Haushälter - und weiß nicht, ob diese Resolutionen, nachdem sie verabschiedet wurden, von irgendjemandem noch einmal gelesen und möglicherweise auch kontrolliert werden.

In der UN-Resolution zur Gründung der UNIFIL - die Kosten dieser Mission, an denen wir auch beteiligt sind, betragen etwa 268 Millionen Dollar pro Jahr - stand zwar, dass die Hisbollah entwaffnet werden soll. Allgemein ist aber feststellbar, dass es in der Zeit, seit die UNIFIL vor Ort tätig ist, zur größten Wiederbewaffnung und Aufrüstung der Hisbollah aller Zeiten gekommen ist.

Herr Außenminister, ich bitte darum, nicht nur auf die Laufzeiten solcher Mandate zu achten, sondern vielleicht auch etwas auf die Qualität. (...)

Quelle: Deutscher Bundestag: Protokoll der 46. Sitzung (06.09.2006);
www.bundestag.de



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