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Merkel: "Es kommt für uns darauf an, dass wir ein robustes Mandat haben" - Lafontaine: "Die deutsche Außenpolitik hat sich mehr und mehr auf das Militärische verlegt"

Die Haushaltsdebatte im Bundestag war außenpolitisch geprägt - Die wichtigsten Reden im Wortlaut (Teil 1)

Am 5. September begannen im Deutschen Bundestag die Haushaltsberatungen. Über die Ausgaben des Staates zu bestimmen, ist eines der originärsten Rechte, das "Königsrecht" des Parlaments. So lassen es sich die Spitzenpolitiker/innen auch nicht nehmen, in diesen Debatten das Wort zu ergreifen und politische Grundsatzerklärungen abzugeben.
Die Haushaltsdebatte 2006 war am zweiten Tag (6. September 2006) sehr stark geprägt von außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Die bisherigen diversen Auslandseinsätze der Bundeswehr (z.B. Afghanistan, Kongo), der bevorstehende Einsatz im Libanon und die steigenden Kosten für all das gaben Anlass zu heftigen Kontroversen.
Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus den Debattenbeiträgen, sofern sie sich mit den genannten außenpolitischen Problemen befassten. Zu Wort kommen:

Auf die Wiedergabe von Beifallsäußerungen und Zwischenrufen haben wir verzichtet.






46. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert:

(...) Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Brüderle für die FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (FDP):

Frau Bundeskanzlerin, Sie regieren das Land mittlerweile nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: "Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt!" (…) Am Anfang haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der Außenpolitik eine gute Figur gemacht. Die Außenpolitik lenkt vielleicht ein wenig von den Problemen ab, die unser Land hat. Nur, das funktioniert nicht auf Dauer. Als Bundeskanzlerin, Frau Merkel, sollten Sie die Richtung vorgeben. Doch Ihre Richtlinienkompetenz ist zu einer Schlangenlinienkompetenz geworden, mit der Sie die Politik betreiben. (…)

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt immer wieder Tage, die unsere Welt verändern. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich jeder Einzelne von uns genau daran erinnern kann, was er an einem solchen Tag gemacht hat. Der 9. November 1989 war ein solcher Tag: Die Mauer fiel und der Kalte Krieg war zu Ende.

Der 11. September 2001, dessen Jahrestag sich in der nächsten Woche zum fünften Mal jähren wird, war ebenfalls ein solcher Tag. Dieser Tag hat die Welt erschüttert und er hat sie auch verändert. Manche haben gesagt: Nach dem 11. September ist nichts mehr so, wie es einmal war. - Ich halte das für falsch. Richtig ist, dass wir mit dem 11. September eine völlig neue Art der Bedrohung kennen gelernt haben - eine asymmetrische Bedrohung, wie wir das nennen -, eine Bedrohung, bei der wir den Gegner nicht richtig fassen können, weil er bereit ist, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Auch ist er als Staat nicht genau erkennbar, obwohl Staaten solche terroristischen Attacken unterstützen.

Daraus hat sich ein neues Verständnis von Sicherheitspolitik ergeben, bei dem mehr als jemals zuvor innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind. Das hat uns vor die Aufgabe gestellt, neue Antworten zu finden. Die Bundesregierung hat solche Antworten gefunden. Wir alle in diesem Land sind uns inzwischen einig - das hat der großartige Aufklärungserfolg bezüglich der Kofferbomben gezeigt -, dass Videoüberwachung, zwar nicht flächendeckend, aber dort, wo viele Menschen zusammenkommen, notwendig ist. Ich bin froh, dass dieser Streit ausgestanden ist und dass wir wissen: Videoüberwachung braucht man, um Terroristen identifizieren zu können. Eine solche Maßnahme ist notwendig.

Ich möchte allen danken, zuvörderst dem Bundesinnenminister und auch der Bundesjustizministerin, die daran mitgearbeitet haben, dass wir uns jetzt auf eine Antiterrordatei einigen konnten. Das ist ein riesiger Erfolg, ein Erfolg der großen Koalition und ein Erfolg der Zusammenarbeit mit den Ländern. Es ist eine Antwort auf das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten.

Es ist eben so, dass uns im 21. Jahrhundert Kleinstaaterei alleine nicht mehr voranbringt.

- Das haben wir doch bei der Föderalismusreform gemeinsam besprochen. - Es ist ein riesiger Erfolg, dass die Antiterrordatei jetzt auf den Weg gebracht werden kann. Das erwarten die Menschen von uns.

Ich glaube, der Staat darf niemals den Eindruck erwecken, er könne 100 Prozent Sicherheit garantieren. Aber der Staat darf sich auch niemals dem Vorwurf aussetzen, er hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Es geht nicht um Freiheit statt Sicherheit, es geht nicht um Freiheit oder Sicherheit, sondern es geht im 21. Jahrhundert um Freiheit und Sicherheit in unserem Land. Dafür müssen wir uns einsetzen.

Wenn ich sage, wir brauchen neue Antworten, weil wir vor neuen Bedrohungen stehen, warum halte ich dann den Satz "Nach dem 11. September ist nichts ist mehr so, wie es einmal war" für falsch? Ich halte ihn deshalb für falsch, weil sich das Motiv, der Grund unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns nicht verändert hat, weder nach dem 9. November gegenüber vor dem 9. November noch nach dem 11. September gegenüber vor dem 11. September. Denn seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist klar: Wir haben eine Verantwortung vor der Geschichte - vor der deutschen Geschichte und der europäischen Geschichte -, einer Geschichte jahrhundertelanger Kämpfe, einer Geschichte von Erbstreitigkeiten, Kriegen, politischem Versagen und Nationalismus. Dass die deutsche und die europäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet werden, das gehört zu den großen Leistungen der Vorgänger der jetzt politisch Aktiven.

Der Impuls zur Gründung europäischer Institutionen, von unseren Vorfahren richtig in Gang gesetzt, war, dass man plötzlich zu der Erkenntnis kam - ich kann auch sagen: endlich zu der Erkenntnis kam -, dass man nicht am allerbesten dasteht, wenn man nur an sich denkt, sondern dass man selber besser dastehen kann, wenn man auch an die Interessen anderer denkt. Man hat endlich begonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Man hat das, was man früher als Zumutung empfand - sich mit dem Denken anderer auseinander zu setzen, zum Beispiel unserer Nachbarn -, als eigene Bereicherung empfunden. Man hat erkannt: Was dem anderen dient, ist auch richtig und gut für mich. Das war das eigentlich Neue. Das sind die zwei Seiten der Medaille unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat die Europäische Union möglich gemacht. Diesem Motiv und diesem Grund fühlen wir uns weiterhin genauso verpflichtet.

Deshalb haben sich die Ereignisse, die Herausforderungen geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir stehen heute vor völlig neuen Aufgaben. Aber diese Aufgaben sind genauso konkret, genauso fassbar und erfordern genau die gleiche Motivation, wie dies auch vor uns der Fall war.

Deshalb haben wir uns entschieden: im Kosovo genauso wie in Bosnien-Herzegowina. Es gab in diesem Hause lange Debatten darüber, dass wir nicht tatenlos zusehen können, sondern bei der Lösung dieser Konflikte mitmachen müssen, und zwar weil es besser ist für die Menschen vor Ort genauso wie für uns, die wir mit Flüchtlingen und vergewaltigten Frauen konfrontiert wurden und die wir gefragt wurden: Wie vereinbart ihr mit euren Werten, dass ihr tatenlos zuseht?

So haben wir uns nach dem 11. September - auch in sehr schwierigen Debatten - entschieden, in Afghanistan mit dabei zu sein, Verantwortung zu übernehmen, damit sich ein Volk besser entwickeln kann und gleichzeitig unsere Sicherheit besser garantiert ist.

Wir werden in diesem Herbst über Afghanistan zu sprechen haben. Wir wissen zwar, dass nicht alles so läuft, wie wir uns das wünschen. Aber die Alternative, ein Vakuum zu hinterlassen und Terroristen wieder freie Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, ist für mich keine Alternative, weil es weder für die Menschen vor Ort richtig ist noch unseren Sicherheitsinteressen dienen wird.

Wir haben gemeinsam um eine Antwort auf die Frage gerungen, ob wir uns in Afrika engagieren sollen. Wir haben uns mehrheitlich im Bundestag - genauso wie die Bundesregierung - dafür entschieden, Verantwortung im Kongo zu übernehmen, und zwar über die politisch-humanitäre Verantwortung im Rahmen der Entwicklungshilfe hinaus mit einer militärischen Komponente. Auch das halte ich für richtig, weil Afrika der Nachbarkontinent Europas ist. Wer nach Spanien und insbesondere nach Teneriffa schaut, der weiß, dass dorthin jeden Tag Hunderte Flüchtlinge kommen. Wir müssen im Interesse der Afrikaner, aber auch im Interesse derjenigen, die in Europa davon betroffen sind, einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten und Entwicklungsmöglichkeiten, Teilhabe, Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglichen.

Es gibt Fragen, auf die wir noch keine abschließende Antwort haben. Damit müssen wir uns befassen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot gemacht. Wir erhofften uns von diesem Angebot, aus dem Kreislauf von nuklearen Aktivitäten und zunehmenden Verhärtungen herauszukommen. Die Antworten des Iran sind aber nicht zufriedenstellend. Wir werden zwar die Tür zu Verhandlungen nicht zumachen. Aber wir werden als internationale Staatengemeinschaft nicht tatenlos zusehen können, wie der Iran Regeln der Internationalen Atomenergiebehörde verletzt. Es geht hierbei nicht darum, dem Iran nicht das zuzugestehen, was ihm zugestanden werden muss. Vielmehr geht es darum, dass der Iran immer wieder Regeln verletzt hat. An dieser Stelle ist für uns, die Bundesregierung, ganz wichtig, die Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft zu erhalten. Die militärische Option ist keine Option im Iran. Deshalb geht es um Entschlossenheit und Geschlossenheit. Aber ich sage auch: Nichtstun kann nicht die Antwort auf die Ablehnung des Iran sein. Das stellt uns vor große Herausforderungen.

Wir haben erlebt, auf welche Art und Weise die Fragen den Iran betreffend mit der Situation im Nahen Osten zusammenhängen. Wir haben im Sommer dieses Jahres eine Situation erlebt, in der plötzlich schreckliche, gewalttätige Auseinandersetzungen auftraten und in der die internationale Staatengemeinschaft vor der Frage stand, wie man eine Waffenruhe erreichen und Stabilität in dieser Region herstellen kann. Daraus ist die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates entstanden. Die Bundesregierung ist - genauso wie wir alle - vor die Frage gestellt, was wir tun wollen und können, um bei der Umsetzung dieser Resolution mitzuhelfen. Wir haben sehr schnell gesagt: Insbesondere aus historischen Gründen steht für uns die Frage nach der Stationierung deutscher Kampftruppen an der libanesisch-israelischen Grenze nicht zur Debatte.

Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldaten auf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt. Wenn es aber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das Existenzrecht Israels zu gewährleisten, dann können wir nicht einfach sagen: Wenn in dieser Region das Existenzrecht Israels gefährdet ist - und das ist es -, dann halten wir uns einfach heraus. Wenn wir uns an dem notwendigen humanitären und politischen Prozess beteiligen wollen, dann wird es sehr schwer sein, zu sagen: Die militärische Komponente sollen bitte schön andere übernehmen.

Deshalb haben wir ein Angebot unterbreitet. Bei diesem Angebot kommt es für uns darauf an, dass wir ein robustes Mandat haben, mit dem wir das Ziel, den Waffenschmuggel zu beenden, erreichen können. Es kommt des Weiteren für uns darauf an - über diesen Punkt verhandeln wir nun bzw. verhandelt der Libanon mit der UN -, dass dieses Mandat gewollt ist. Das ist wieder Teil des politischen Prozesses.

Es ist besser, zwei Tage zu warten und das Mandat im Einvernehmen mit allen Akteuren und sorgfältig vorzubereiten, als auf Schnelligkeit zu setzen. Wir werden unsere Soldaten nicht unnötigen Risiken aussetzen. Das macht keine Bundesregierung; das wird auch diese Bundesregierung nicht tun. Wir werden aber alles daransetzen, dass das Mandat in der Region gewollt ist. Dazu werden die entsprechenden Schritte im Augenblick eingeleitet.

Es wird in der Öffentlichkeit diskutiert, in welcher Reihenfolge die Maßnahmen zu treffen sind: Sollen erst das Embargo zur See und die Blockade des Flughafens Beirut aufgehoben und dann die UNIFIL-Truppen stationiert werden? Wir brauchen noch etwas Zeit. Wir sollten uns die Zeit nehmen. Die Gründlichkeit der Entscheidung geht vor Schnelligkeit. Ich bitte auch um Verständnis für die Urteilsfindung der Akteure in der Region. Wir können uns manchmal nur schwer in die Lage im Libanon und in Israel versetzen. So wie wir von anderen Respekt erwarten, wenn sie über uns urteilen, sollten wir anderen Respekt zukommen lassen.

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die Gespräche mit den Vertretern der einzelnen Fraktionen bedanken. Wir informieren Sie und sind miteinander im Gespräch. Wir werden selbstverständlich intensiv diskutieren, wenn es um die parlamentarische Zustimmung geht.

Es wird im Augenblick in Bezug auf den Nahen Osten zu wenig über den politischen Prozess und zu viel über die militärischen Aktionen gesprochen.

Deshalb ist die Parallelität der Aktionen von äußerster Wichtigkeit. Der Bundesaußenminister und ich und viele andere wie zum Beispiel die Bundesentwicklungshilfeministerin, wir alle werden Initiativen ergreifen und sind zum Teil in Vorgesprächen, um den politischen Prozess wieder in Gang zu bringen. Wir dürfen nicht wegschauen. Im Zusammenhang mit den Resolutionen 1559 und 1680, als es darum ging, ob die libanesische Armee die Gewalt über ihr gesamtes Territorium bekommt, haben wir uns nicht genug darum gekümmert. Wenn ich "wir" sage, dann meine ich die gesamte internationale Staatengemeinschaft. Das Ergebnis haben wir gesehen. Deshalb darf man keinesfalls denken, mit der Stationierung von UNIFIL-Truppen sei das Problem gelöst. Wir müssen das Existenzrecht Israels sichern und wir müssen eine Zweistaatenlösung erreichen, die einen palästinensischen Staat einschließt. Wir müssen auch für ein gutes Verhältnis zwischen Israel und Libanon sorgen.

Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen des Bundesaußenministers, auch mit Syrien Kontakte zu pflegen, wenn auch nicht um jeden Preis. Er hat neulich eine vollkommen richtige Entscheidung getroffen. Es ist aber wichtig, alle Akteure in der Region zu berücksichtigen, damit wir sehen, was wir dazu beitragen können, um einen Friedensprozess in Gang zu bringen.

Auch wenn es noch so schwierig erscheint: Es gibt keine Alternative. Deshalb muss es versucht werden: mit Leidenschaft und aus Überzeugung.

Nun fragen viele: Ist das nicht ein Fass ohne Boden? Wo sollen wir uns noch überall engagieren? Was sind die Kriterien, nach denen wir das tun? - Dazu will ich eine Bemerkung machen: Wir können so lange, wie wir wollen, nach Kriterien suchen, die Welt wird sich nicht danach richten, welche Art von Konflikten auftritt. Vor der Sommerpause hat keiner von uns gewusst, dass wir uns heute mit UNIFIL und mit der Resolution 1701 auseinander setzen. Trotzdem wäre es unverantwortlich, zu sagen, wir beschäftigen uns nicht damit, weil wir das nicht auf dem Plan hatten. Wir müssen uns der Realität stellen und gleichzeitig nach unseren Möglichkeiten schauen.

Wir haben uns für ein Engagement im Kongo entschieden und wir leisten beispielsweise in Darfur Logistikhilfe. Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit, dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein zusätzliches Engagement in Darfur übernehmen.

Wir müssen schauen, was die Welt tut. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der europäischen Kooperation. Es zeigt sich: Wenn wir unseren Interessen dienen wollen, dann können wir alleine sie nicht bedienen; das schaffen wir nicht. Deshalb ist es gut und richtig, in Sicherheitspartnerschaften, in Gemeinschaften, in der Europäischen Union und in der NATO, gemeinsam Aktivitäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen und sich Verantwortung zu teilen.

Anders werden wir unsere Interessen nicht mehr durchsetzen können. Auch das ist eine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heutigen Welt.

Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einer handlungsfähigen, einer starken Europäischen Union. Deutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Präsidentschaft haben. Wir werden darüber diskutieren. Aber eines kann man schon voraussagen: Die außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines gemeinschaftlich agierenden Europas haben in den letzten Jahren zugenommen und nicht abgenommen. Wenn man eine Begründung für Europa jenseits des Binnenmarktes braucht, dann ist es das gemeinsame europäische Interesse an Frieden und Freiheit, an Stabilität und Wohlstand auf der Welt.

Dieses Europa kann und wird nur stark sein, wenn es nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich stark ist. Deshalb ist es gut, dass der haushaltspolitische Befund zu dieser Debatte uns ermöglicht, zu sagen: Deutschland macht seine Hausaufgaben. Wir können zum ersten Mal seit Jahren wieder die Maastrichtkriterien erfüllen. Der Bundesfinanzminister hat gestern darüber Bericht erstattet. Wir haben gute Wachstumsraten. Ich möchte die prognostizierten Kurven von hoch gelobten Wirtschaftsinstituten jetzt nicht aufzeigen. Man weiß nie, ob in acht Wochen alles nicht wieder ganz anders ist. Wir sollten darauf nicht zu viel vertrauen. Aber es ist so, dass wir sagen können: Es geht im Augenblick in die richtige Richtung. Es gibt keinen Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr, es gibt weniger Insolvenzen und zum ersten Mal seit 1988 gibt es einen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit.

Das zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass es aufwärts geht. Aber das zeigt natürlich auch, dass wir uns mit 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit vielen jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, nicht zufrieden geben können. Wir dürfen auf gar keinen Fall die Hände in den Schoß legen; vielmehr müssen wir die richtigen Lehren auch aus den Fehlern vieler - ich betone: vieler - vergangener Jahre ziehen.

Diese Lehre heißt für mich: Wir haben in den vielen letzten Jahren die Dimension der Zukunft zu sehr in den Hintergrund gedrängt. Wir haben uns immer wieder damit abgefunden oder wir haben es zumindest nicht thematisiert, dass wir von der Substanz leben. Deshalb ist diese Bundesregierung ganz bewusst angetreten, um das Leben von der Substanz schrittweise zu beenden. Das ist genau das, was man mit dem sperrigen Begriff der Nachhaltigkeit beschreibt. Deshalb sage ich es etwas anders, nicht ganz so sperrig: Es ist ganz einfach so, dass wir unsere Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Das ist die Leitlinie, das ist der Maßstab, an dem wir unsere gesamte Politik ausrichten.

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öffentlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitik der Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, ob die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist, Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen und zu fördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktion Die Linke Stellung nehmen.

Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitik ihrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht überrascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpolitik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesem Lande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fällt aber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch aus den eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungsbank, werden in der Öffentlichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr harsches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlage hätte haben sollen.

Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch gravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, als sei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupt nicht über die Außenpolitik diskutiert werden.

Hätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre dies ein vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik.

Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische Anschläge auch hier in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt.

Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis. Wir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sich schon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat. Schwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzen und die klassischen Traditionen der deutschen Außenpolitik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu vernachlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheit in Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der Bevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant gegen Ihren Auftrag.

Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob es nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie, wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmal sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sind dazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellung hier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nicht in der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismus versteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sie nicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der der Terrorismus bekämpft werden kann.

Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, als sie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen gekommen ist. Ich zitiere:

Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist, jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, die sich in einem terroristischen Kontext bewegen: wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist, "die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen".

So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Terrorismus.

Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes sagt hierzu weiter:

Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aber was kann man nicht alles unter "international ausgerichteten politischen oder religiösen Belangen" begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg subsumieren, der die Absetzung eines Diktators zum Ziel hat?

Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine in sich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn man nicht in der Lage ist - Frau Bundeskanzlerin, Sie sind es nicht -, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ich wiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf internationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa so lautet auch die Definition in dem angesprochenen Gesetzentwurf.

Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldiger Menschen ums Leben bringt.

Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismus nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen, ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik und es ist an der Zeit, dass Sie sich bereit finden, zu erklären, wie Sie Terrorismus definieren und wie Sie diesen Terrorismus bekämpfen wollen.

Der Terrorismus kann nicht bekämpft werden, wenn man das Völkerrecht ignoriert. Sie tun das in ununterbrochener Folge. Dass Sie das tun, ist keine Erfindung der Linken. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich hier einmal zum Völkerrecht geäußert hätten. Eine deutsche Außenpolitik, die das Völkerrecht ignoriert, kann nicht erfolgreich sein. Dies galt nicht nur für den Jugoslawienkrieg, wo das unstreitig ist; das gilt nicht nur für den Afghanistankrieg, wo das mehr und mehr unstreitig ist; das gilt vielmehr auch für den Irakkrieg, der mit Lügen und dem Bruch des Völkerrechts begonnen wurde und der so immer weiter geführt wird. Ich erinnere daran, dass das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass wir durch die Bereitstellung von Flughäfen, das Einräumen von Überflugrechten, durch Waffenlieferungen usw. mittelbar am Bruch des Völkerrechts beteiligt sind. Das ist keine Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik und man kann darüber nicht hinweglächeln und hinwegreden.

Neben der Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind, zu sagen, was Terrorismus ist, und neben der Tatsache, dass Sie eine Politik fortsetzen wollen, die das Völkerrecht bricht, ist festzustellen, dass Sie bei Ihrem Handeln im Vorderen Orient nicht konsistent sind. Wir hören mit großem Interesse, dass wir ein robustes Mandat brauchen - so haben Sie das hier wieder formuliert - und dass dieses robuste Mandat angewendet werden soll, um Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden. Bis dahin könnte man dieser Argumentation ja noch etwas abgewinnen. Wenn aber gleichzeitig die Bundesrepublik Deutschland Israel Waffen liefert - und zwar U-Boote, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nuklear bewaffnet werden können -, dann ist das so widersprüchlich, dass eine solche Außenpolitik schlicht und ergreifend niemals Erfolg haben kann.

Grundlage für die Veränderung der letzten Jahre ist, dass sich die deutsche Außenpolitik mehr und mehr auf das Militärische verlegt hat. Dies ist mit der Aussage begründet worden: Wir können uns in der Welt nicht heraushalten; wir haben eine größere Verantwortung und diese größere Verantwortung müssen wir wahrnehmen. - Diese Redensarten, die zu dieser Fehlentwicklung geführt haben, beinhalten eine Verkennung der Erfolge der deutschen Außenpolitik nach dem Kriege. Ich möchte hier sagen, dass für mich die Westintegration Adenauers sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer Weltaußenpolitik war, der weit über die deutschen Belange an der Nahtstelle des Kalten Krieges hinausreichte. Ich möchte ferner natürlich sagen, dass die Ostpolitik Willy Brandts, die nicht darauf angewiesen war, Soldaten in alle Welt zu schicken, sehr wohl ein ganz wesentlicher Beitrag Deutschlands zum Frieden in der Welt war. Auch diese Politik war nicht auf deutsche Belange begrenzt. Ich möchte weiterhin erwähnen, dass die Politik Helmut Schmidts, Weltwirtschaftsgipfel zu initiieren, um auf diese Art und Weise zum Frieden in der Welt beizutragen, sehr wohl ein politischer Ansatz war, der durchaus in den Geschichtsbüchern erwähnt werden wird. Schließlich möchte ich sagen, dass Helmut Kohls europäische Integration ebenfalls ein politischer Ansatz war, der eine Bedeutung weit über die deutschen Belange hinaus hatte.

Diese erfolgreichen Epochen der deutschen Außenpolitik heben sich wohltuend von einer Ära ab, in der immer mehr auf das Militär gesetzt worden ist und solche konzeptionellen Ansätze, wie ich sie eben erwähnt habe, nicht verfolgt wurden.

Ich habe etwas zum Völkerrecht gesagt. Dazu noch zwei weitere Bemerkungen. Es ist für uns wohltuend, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, Frau Wieczorek-Zeul, etwas zum Einsatz von Streubomben im Libanon sagt. Es verstößt gegen das Völkerrecht, wenn Streubomben über Wohngebieten abgeworfen werden, und es ist gut, dass wenigstens ein Mitglied der Bundesregierung an diesen Bruch des Völkerrechtes erinnert.

Es wäre ebenfalls gut, wenn die Politik, die Sie gegenüber dem Iran verfolgen, einmal auf eine einigermaßen rational nachvollziehbare Grundlage gestellt würde. Wir haben es hier schon mehrfach erwähnt: Man kann keine Politik der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nach dem Motto betreiben: Wir brechen den Atomwaffensperrvertrag; er interessiert uns im Grunde genommen nicht. Aber Teile des Atomwaffensperrvertrages wenden wir an, um gegenüber dem Iran Politik zu betreiben. - Was meine ich damit? Der Atomwaffensperrvertrag hat nur eine Ratio; sie lautet: Wir wollen keine Nuklearwaffen in der Welt haben.

Das heißt, dass die Staaten, die keine haben, keine bauen sollen, aber das heißt auch - das wird weitgehend vergessen -, dass die Staaten, die Nuklearwaffen haben, verpflichtet sind, abzurüsten. Das haben sie unterschrieben.

Und wenn sie nicht abrüsten, dann brechen sie diesen Vertrag in Permanenz. Dieser Punkt ist eine Grundlage des Vertrages und muss berücksichtigt werden, andernfalls hätte dieser Vertrag überhaupt keinen Sinn. Man kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Nationen dürfen keine haben.

Auch in diesem Punkt ist die Anlehnung an die amerikanische Politik völlig widersprüchlich und überhaupt nicht akzeptabel. Wenn Amerika beispielsweise sagt, es möchte dazu beitragen, dass der Iran keine Atomwaffen produziert, dann ist doch zunächst einmal die Frage aufzuwerfen, warum die amerikanische Politik weiterhin neue Nuklearwaffen entwickeln lässt, die sogar schon einsatzfähig sein sollen. Es stellen sich beispielsweise auch die Fragen, warum die Aufrüstung Indiens mit Nuklearwaffen von Amerika unterstützt wird, warum man Pakistan erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen, und warum selbstverständlich auch Russland Nuklearwaffen für sich beansprucht. Wie kann man da sagen: "Einem Staat verwehren wir den Besitz von Nuklearwaffen"? So wird man eine nuklearwaffenfreie Welt niemals erreichen können und so wird man nicht zum Frieden beitragen.

Es tut mir Leid: Die gesamte Außenpolitik dieser Koalition hat keine rationale Grundlage. Im Vergleich zur Außenpolitik früherer Jahre kann man von einer Fehlentwicklung sprechen; denn in den letzten Jahren - auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition - wurde immer mehr auf militärische Interventionen gesetzt, weil man glaubte, man könne damit etwas Gutes bewirken.

Wie gefährlich militärische Interventionen sind, haben nicht zuletzt die drei Ehrenvorsitzenden der FDP kürzlich in einem Schreiben an Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Ausdruck gebracht. Darunter sind zwei ehemalige Außenminister, Herr Genscher und Herr Scheel, die an der deutschen Außenpolitik beteiligt waren, die ich vorhin erwähnt habe. Es ist ein Irrtum, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Es ist ebenfalls ein gravierender Irrtum, Kampftruppen in den Libanon zu schicken. Dort haben wir nun wirklich nichts zu suchen.

Die Tatsache, dass die Soldaten nur auf See tätig werden, ist kein Argument. Sie werden in Auseinandersetzungen verwickelt werden.

Diejenigen haben gute Argumente, die darauf hinweisen, dass die Libanonkrise im Zusammenhang mit Planungen zu sehen ist, ebenfalls den Iran anzugreifen. Es ist zwar gut, wenn Sie festgestellt haben, dass die Bundesregierung keine militärischen Optionen gegen den Iran unterstützt. Aber man kann in einen Krieg auch hineinschlittern. In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass von den Mitgliedern der Regierung unter Einschluss der Bundeskanzlerin, die das Gespräch offensichtlich sehr liebt, immer wieder über Truppenentsendung schwadroniert wurde, sodass am Ende überhaupt keine Klarheit darüber herrschte, in welcher Stärke und in welchem Auftrag - wenn überhaupt - Truppen in dieses Gebiet entsandt werden sollen. Das ist so unprofessionell, dass es einfach nicht mehr nachvollziehbar ist.

Ich fasse zusammen. Es mag ja sein, dass Ihrer Außenpolitik gute Absichten zugrunde liegen. Wer würde das bestreiten und wer würde sich anmaßen, zu sagen, es gebe keine guten Absichten, die zu diesen Entscheidungen führen? Aber wenn man nicht in der Lage ist, Terrorismus zu definieren, wenn man nicht in der Lage ist, zu sagen, ob das Völkerrecht in Zukunft respektiert werden soll, wenn man den Atomwaffensperrvertrag einseitig interpretiert und wenn man die guten Traditionen der deutschen Außenpolitik zugunsten einer Außenpolitik verlässt, die immer mehr auf militärische Lösungen setzt, dann ist man auf dem falschen Weg und wird nicht zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Insofern hat die schlichte Einsicht des Herrn Beckstein viel für sich: Wer sich überall einlässt - und zwar so einlässt wie Sie hinsichtlich des Libanon -, der erhöht die Gefahr für Terroranschläge in Deutschland und verletzt den Eid, den Sie hier geleistet haben, nämlich Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. (...)

Dr. Peter Struck (SPD):

(…) Herr Lafontaine, Sie haben eine Rede gehalten, die ich für beschämend halte für das Hohe Haus.

Was die Außenpolitik angeht, will ich Ihnen klar sagen: Wer solche außenpolitischen Positionen vertritt wie die, die Sie gerade vorgetragen haben, darf niemals Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen. Niemals!

Das Entscheidende, Herr Lafontaine, ist doch nicht die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland nutzt. Das Entscheidende ist die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Welt nutzt. Das tut sie zweifellos. Gehen Sie doch einmal nach Afghanistan! Sie halten hier Reden über Afghanistan, waren aber noch nie dort. Fragen Sie einmal die Mädchen in Afghanistan, die endlich zur Schule gehen und studieren dürfen, wem sie das zu verdanken haben! Das haben sie uns, der internationalen Staatengemeinschaft, zu verdanken, aber nicht solchen Sprüchemachern wie Ihnen.

Herr Lafontaine, wir kennen uns schon lange. Wir waren sogar einmal über unsere politische Zusammenarbeit hinaus befreundet; das ist bekannt. Aber ich halte es für unglaublich, was für eine politische Entwicklung Sie genommen haben. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.

Meine Damen und Herren, die Attentate von London, Madrid und Ankara und natürlich auch der 11. September 2001 sind zu Synonymen für die Verletzbarkeit der westlichen Demokratien durch Angriffe von Terroristen geworden. Kein Land der Welt ist, was diesen verblendeten Terror verstockter Ideologen betrifft, eine Insel der Seligen. Das wird man auch nicht, indem man sich aus der Weltverantwortung völlig heraushält. Das zu denken, ist ein grundsätzlicher Irrtum. Glauben Sie denn, es bestünde in Deutschland keine Gefahr durch Terrorismus, wenn es auf der Welt keine Bundeswehr gäbe? Glauben Sie das ernsthaft? Das kann doch nicht wahr sein! Das ist absoluter Unsinn, Herr Lafontaine, und völlig bescheuert.

Schon damals, im Jahre 2001, haben Bund und Länder mit der Optimierung der Sicherheitsmaßnahmen begonnen. Diese Maßnahmen sind von den Innenministern immer wieder angepasst worden, zuletzt in dieser Woche, und zwar durch Einführung der Antiterrordatei, als Reaktion auf die Kofferbombenattentate und andere potenzielle Gefährdungen.

Selbst wenn man alles tut, um ein möglichst hohes Maß an Sicherheit herzustellen, muss eines gesagt werden - darüber sollten wir uns alle im Klaren sein -: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es in einer freiheitlichen Demokratie nie geben. Keine Antiterrordatei der Welt, keine Videokamera und keine Sammlung von Fingerabdrücken können hundertprozentigen Schutz gewährleisten. Das dürfen wir den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht vorgaukeln.

Hundertprozentige Sicherheit vor zum Selbstmord entschlossenen Attentätern wäre nicht einmal zu gewährleisten, wenn man die Prinzipien einer liberalen Demokratie zugunsten derer eines Überwachungsstaates aufgeben würde. Wir dürfen die freiheitlichen Prinzipien unserer westlichen europäischen Demokratien im Kampf gegen diesen Terrorismus nicht opfern. Genau das ist nämlich das Kalkül der Terroristen.

Wir müssen uns gegen das Klima von Angst und Hass wehren, das sie schüren wollen. Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Terror im Herbst des Jahres 2001 aufgenommen. Für uns, das Parlament, war es ein weit reichender und schwieriger Schritt, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Ich erinnere mich - auch damals war ich Vorsitzender der SPD-Fraktion -, wie schwer wir uns in dieser Debatte getan haben, alle anderen Fraktionen selbstverständlich auch.

Fünf Jahre später hat sich diese Entscheidung als richtig erwiesen. Sie war notwendig, um die Kräfte zu stärken, die nicht länger mit ansehen wollten, dass Afghanistan weiterhin Brutstätte des internationalen Terrorismus bleibt. Diese Entscheidung war auch notwendig, um den Aufbau zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen in diesem Land zu sichern.

Der Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan ist gefährlich. Die Taliban sind auch nach fünf Jahren noch längst nicht zerschlagen und al-Quaida ist nach wie vor im Nachbarland Pakistan präsent. Eine Beendigung der Mission ist nicht abzusehen. Deswegen wird der Bundestag dieses Mandat in den nächsten Wochen um ein weiteres Jahr verlängern; dafür plädiere ich. Allerdings bin ich dafür, meine Damen und Herren, das Mandat unverändert zu verlängern. Eine Ausweitung des deutschen Einsatzgebietes auf den Süden des Landes lehne ich ab.

Die Bundeswehr, die im Rahmen von ISAF das größte Kontingent stellt, hat die Verantwortung für den gesamten Norden übernommen. Für den Westen, den Süden und den Osten sind jeweils andere NATO-Partner verantwortlich. Das war die Vereinbarung. Dabei sollte es auch bleiben.

Ich halte es übrigens für unerträglich, dass die PDS behauptet - auch Herr Lafontaine hat das eben wieder getan -, durch unseren Einsatz in Afghanistan würden wir den Terror nach Deutschland holen.

Die Damen und Herren Populisten sollten sich einmal anschauen, welch verantwortungsvolle Arbeit unsere Soldatinnen und Soldaten dort leisten.

Sie sollten auch wissen: Das Recht auf Freiheit in unserer Demokratie verteidigt man nicht dadurch, dass man ungezügelte Angriffe auf die Grundfesten der Demokratie zulässt.

Ich habe übrigens genauso wenig Verständnis für die Haltung der FDP in der außenpolitischen Frage. Ich denke dabei an die Zeiten, in denen die FDP außenpolitisch große Verantwortung wahrgenommen hat, und halte es für einen schlechten Weg, den die FDP mit dem Nein zu den Auslandseinsätzen gegangen ist. Über den Libanon werden wir noch reden. Ich glaube, dass sie sich nicht auf dem richtigen Weg befindet.

Die Ablehnung der FDP beim Auslandseinsatz im Kongo, bei der Verlängerung des Mandats in Afghanistan und möglicherweise jetzt bei dem Mandat im Libanon ist falsch.

Eine Ablehnung würde uns im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in der internationalen Gemeinschaft isolieren. Sagten wir Nein, wäre Deutschland isoliert und spielte keine verantwortungsvolle Rolle in Europa. Die Wahrnehmung einer verantwortungsvollen Rolle wird von Deutschland allerdings erwartet.

Wir sind außenpolitisch ein starkes Land in Europa.

Wir werden in den nächsten Tagen und möglicherweise auch Wochen - niemand weiß es genau; die Frau Bundeskanzlerin hat soeben dargelegt, worüber im Libanon entschieden werden muss - um Hilfe gebeten werden. Die Vereinten Nationen bitten uns um Hilfe. Es war immer die Position der SPD, dass unter Obhut der Vereinten Nationen solche Mandate wahrgenommen werden. Darüber hinaus bitten uns der Libanon und Israel um Hilfe. Es wird in der Tat - das ist wahr - ein robustes Mandat, vermutlich wird es das robusteste werden, das es für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt.

Es soll ein Frieden stiftendes Mandat sein, das nach den Kämpfen der vergangenen Wochen eine belastbare Waffenruhe garantieren soll. Wir bieten Hilfe für diese Mission an, weil wir wissen, dass es von einem labilen Waffenstillstand bis zu einer wirklichen Befriedung ein sehr weiter Weg ist, der ohne die Unterstützung der Weltgemeinschaft nicht gelingen wird.

Meine Partei und Fraktion haben ausführlich über unsere Hilfe debattiert. Dabei ist die humanitäre Hilfe in der Region vorrangig. Libanon wird wieder zu einem Partnerland unserer Entwicklungshilfe werden. Es kommt auf den Wiederaufbau von Wohnungen und die Eindämmung der Ölpest vor der libanesischen Küste an. Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein militärischer Beitrag nur dann dauerhaft helfen kann, wenn ernsthaft nach politischen Lösungen in Nahost gesucht wird. Entscheidend wird die Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes sein. Ohne sie wird es keine Beruhigung im Nahen Osten geben.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in den letzten Wochen unermüdlich für Gespräche mit allen Seiten eingesetzt. Wir danken ihm ausdrücklich für seine Arbeit und unterstützen ihn nachhaltig.

Der Außenminister trägt mit seiner intensiven Diplomatie maßgeblich dazu bei, dass Deutschland als wichtiger und vertrauensvoller Partner von allen Konfliktparteien im Nahen Osten wahrgenommen wird.

Einige Kollegen aus meiner Fraktion haben in den letzten Wochen Israel und Palästina, Libyen und Syrien besucht. Sie sind mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass der Einsatz der Deutschen von allen Partnern gewollt wird. Sie sind aber auch mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass die Nachbarn Israels Erwartungen haben, die für das Gelingen des Friedensprozesses unabdingbar sind.

Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul hat eine UN-Untersuchung des Einsatzes israelischer Streumunition gefordert und ist dafür vom Zentralrat der Juden kritisiert worden. Im Namen meiner Fraktion weise ich diese Kritik zurück.

Eine Untersuchung kann für alle Seiten in der Krisenregion von Nutzen sein. Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hat die große Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern hervorgehoben und gesagt, es gebe zurzeit keine Nation, die sich freundschaftlicher gegenüber Israel verhalte. Das ist so und soll auch so bleiben, aber: Freunde müssen auch wahrheitsgemäß miteinander umgehen.

Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist beunruhigend. Sie bereitet den Menschen hier Sorgen, weil wir von ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind. Die Krisenregion ist drei Flugstunden von uns entfernt. Der Irak kommt nicht zur Ruhe. Von Frieden ist dieses Land weit entfernt, es ist zu einer Zufluchtsstätte für Terroristen des al-Qaida-Netzwerks geworden. Fast täglich gibt es dort Tod und neue Attentate. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, diesen Krieg nicht zu befürworten, war und bleibt richtig, zu jeder Zeit.

Wir sind in der Iranfrage - Sie haben das angesprochen, Frau Kanzlerin - strickt für Diplomatie und Gespräch und schließen eine militärische Option aus; da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.

Ich halte nichts davon, wenn immer öfter Begriffe wie "gut" und "böse" Eingang in die internationale Debatte finden. Eine solche Sicht ist fatal. Wenn ich im Gegenüber nur das Böse erkennen will, kann ich nicht ernsthaft Lösungen prüfen, kann ich keinen Ausgleich suchen. Lassen Sie es mich mit einem historischen Vergleich deutlich machen: Willy Brandt hat seine Entspannungspolitik nur entwickeln können, weil er die Kategorien von Gut und Böse der 50er- und 60er-Jahre beiseite gelegt und den zähen Dialog mit den Kommunisten gesucht hat. Es war ein mühsamer, umstrittener, aber erfolgreicher Weg.

- Mit Walter Scheel, selbstverständlich. - Seine Entspannungspolitik war gut für unser Land, für unsere Nachbarn und für Europa insgesamt. Nicht zuletzt Willy Brandts Verzicht/Walter Scheels Verzicht auf die damals zwischen den Blöcken weit festgeschriebenen Kategorien von Gut und Böse verdanken wir, dass heute Feinde von gestern Partner und Freunde geworden sind.

Für den Nahen und Mittleren Osten heißt das nicht, dass wir die Augen und Ohren vor unakzeptablen Handlungen und Äußerungen verschließen. Wenn beispielsweise das Existenzrecht Israels geleugnet wird, wenn der Antisemitismus darüber den deutschen Sumpf erreicht, sagen wir klipp und klar: Nein!

Unsere israelischen Freunde können sich auf uns verlassen; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, im Namen meiner Fraktion und auch der Koalition.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit der Außenpolitik beginnen und für meine Fraktion klar sagen, dass wir in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr weder in einer Position des pauschalen Jas noch in einer Position des pauschalen Neins sind und jemals sein werden. Es kommt auf die genaue Prüfung der einzelnen Umstände an. Deswegen habe ich, Herr Westerwelle, Ihren Weg und auch den von Herrn Lafontaine in den letzten Wochen nie nachvollziehen können.

Herr Lafontaine, eines ist erstaunlich: Die deutsche Sicherheit wird doch nicht mehr wie in den 60er- und 70er-Jahren an der deutschen Grenze verteidigt. Ob im Nahen Osten eines Tages Frieden sein kann oder ob dort Krieg herrscht oder ob in einem "Failing State" wie Kongo die Menschenrechte verletzt werden und der Terror gedeiht, ist eine Frage auch unserer Sicherheit. Ich finde, hier vertreten Sie einen sehr rückwärts gewandten, der heute globalisierten Realität nicht gerecht werdenden Begriff von Sicherheit.

Wir werden deswegen, Frau Merkel, genau hinschauen, was Sie aus der Anfrage der Libanesen in New York und der Bitte um Hilfe in Ihrem Kabinettsbeschluss machen. Die Aufteilung in eine Zone, in der auf See nur die Libanesen kontrollieren, und eine andere Zone, in der auch die Deutschen tätig werden sollen, macht es nicht einfacher, zuzustimmen. Da kommt es wirklich aufs Detail an; das will ich klar sagen. Aber alle, die Nein sagen, müssen wissen, dass wir allmählich in eine Situation geraten, bei der der deutsche Einsatz direkt mit der Frage verbunden ist, ob und wie schnell die Israelis die Seeblockade aufheben werden, was für den Wiederaufbau und die humanitäre Hilfe, die im Libanon so dringend notwendig sind, außerordentlich relevant ist. Diese Abwägung müssen wir alle zusammen vornehmen und wir werden uns nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtigerweise gesagt: Diskutiert nicht nur über Militäreinsätze, sondern fragt nach dem politischen Rahmen, den ein Militäreinsatz notwendiger- und sinnvollerweise haben muss. - Darin wollen wir Sie ausdrücklich unterstützen. Aber wir wollen in Zukunft konkretere Angaben, als dies in der Vergangenheit und auch heute in Ihrer Rede der Fall gewesen ist.

Ich glaube, dass Sie noch immer Schwierigkeiten haben, die ganze Situation im Nahen Osten von der Vergangenheit her zu analysieren; denn Sie waren davon überzeugt, dass die Haltung der rot-grünen Regierung unter Schröder und Fischer, den Irakkrieg abzulehnen, völlig falsch war. An diesen Punkt müssen Sie zurückgehen, wenn Sie die heutige Situation beschreiben: Es gibt nicht mehr Sicherheit in der Region, sondern die Situation ist, wie von uns vorausgesagt, extrem instabil. Es herrscht Bürgerkrieg. Es ist sehr schwierig, in dieser Region zu einer friedlichen Lösung zu kommen.

Jetzt kommt der für mich wichtige Punkt: Ich verlange von der deutschen Bundesregierung - und zwar nicht nur vom Außenminister, sondern auch von der Bundeskanzlerin - ein klares Konzept für die friedliche Entwicklung im Nahen Osten und vor allem für den möglichen deutschen und europäischen Beitrag dazu.

Ich habe nichts dagegen, wenn Sie gute Beziehungen zum amerikanischen Präsidenten haben. Aber Sie müssen - darauf kommt es an - diese jetzt auch in die richtige Richtung umsetzen. Das heißt beim Iran, dass man nur dann mit Sanktionen drohen kann, wenn man auch bereit ist, die Sanktionen zu verhängen, und wenn man die gestellten Ultimaten richtig begründet und es zeitlich richtig befristet hat. Das heißt, dass Sie das Wahrnehmungsmuster, das bei Bush und noch stärker bei seinem Verteidigungsminister vorherrscht - nämlich dass jedes Problem auf der Welt irgendwie mit der Jagd gegen al-Qaida-Terroristen in Verbindung steht -, brechen müssen. Sie werden der Realität in Palästina bzw. zwischen Palästinensern und Israelis nicht gerecht, wenn Sie sie nur in Bezug auf den internationalen Terrorismus sehen.

Sie werden auch dem Hisbollah-Konflikt im Libanon nicht gerecht, wenn Sie ihn nur im Zusammenhang mit dem Kampf gegen al-Qaida sehen. Eine politische Lösung heißt, dass Sie die Konflikte zwischen Syrien und Israel wie auch zwischen Syrien und dem Libanon Schritt für Schritt konstruktiv angehen müssen. Sie müssen darauf achten, dass es wirklich zur Zweistaatlichkeit kommt. Dabei kommt es sehr auf die Amerikaner an. Unsere Empfehlung ist, dass Sie diese Beziehungen nicht nur in Ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern für Sommeraktivitäten nutzen, sondern wirklich darauf drängen, dass mehr getan und verstärkt Druck zugunsten von politischen Lösungen ausgeübt wird.

Dass die Rolle der EU gestärkt wird, ist die entscheidende Aufgabe, die Ihnen beim Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr zukommt. Dabei erwarten wir Konzeptionen statt wie bisher nur allgemeine Absichtserklärungen.

Ich möchte noch etwas zur aktuellen Situation anmerken. Das Auftreten und Agieren des Verteidigungsministers hat uns sehr gestört. In einer Situation - das war schon im Zusammenhang mit dem Kongo der Fall -, in der Ruhe, Klarheit, Besonnenheit und Reflexion statt Geschwätzigkeit gefragt waren, ist der Verteidigungsminister wie die größte Plaudertasche der Republik aufgetreten. Das hat immer wieder zu neuen Verunsicherungen geführt und auch unseren Soldaten geschadet, die sich eine klare Orientierung wünschen.

Der frühe Jung erinnert mich an den späten Scharping. Sie sollten aufpassen, dass es in der kritischen Situation, die wir heute haben, nicht so weitergeht wie in den vergangenen Wochen. (...)

Volker Kauder (CDU/CSU):

(...) Wir stellen in diesen Tagen aber schmerzlich fest, dass die Zukunft unseres Landes nicht mehr ausschließlich davon abhängt, was wir hier in Deutschland tun, sondern ganz stark auch von den Krisenherden in der Welt beeinflusst wird. Wenige Tage vor dem traurigen Jahrestag des 11. September müssen wir uns wieder daran erinnern, was Ausgangspunkt für das Engagement der Bundeswehr in verschiedenen Teilen der Welt war. Wir müssen uns daran erinnern, dass es in Afghanistan kräftige Entwicklungen gegeben hat, die den internationalen Terrorismus gespeist haben.

Natürlich, Herr Kuhn, übersehen wir nicht, dass es in der Welt auch andere Entwicklungen gibt. Darüber können wir gerne noch miteinander reden. Aber alles hat nun einmal seine Zeit. Im Augenblick werden wir in erster Linie vom internationalen Terrorismus bedroht. Darauf müssen wir eine Antwort geben und wir haben eine Antwort gegeben. Was über viele Jahre hinweg nicht gelungen ist, ist jetzt Wolfgang Schäuble gelungen und dafür sind wir ihm dankbar. Er hat hinsichtlich der Bekämpfung des Terrorismus eine gemeinsame Linie von Bundesregierung und allen 16 Bundesländern erreicht. Das ist eine großartige Leistung. Herzlichen Dank, Herr Innenminister!

Aber wenn wir uns ernsthaft an der Terrorismusbekämpfung beteiligen wollen, dann ist auch völlig klar, dass wir in diesem Herbst, wenn es um die Verlängerung des Mandates in Afghanistan geht, ganz genau prüfen müssen: Was haben wir in diesem Land erreicht? Was haben wir in Bezug auf die Sicherheitslage erreicht? Da hat Peter Struck doch völlig Recht: Natürlich sind wir nicht mit allen Entwicklungen in Afghanistan zufrieden. Aber was in diesem Land erreicht wurde, ist großartig, vor allem für die Menschen, die dort leben. Da kann ich nur sagen, Herr Lafontaine: Wer mit einem moralischen Anspruch antritt, aber glaubt, die Menschenrechte in der Welt seien teilbar, der hat keinen moralischen Anspruch.

Deutschland hat ein Interesse daran, dass aus Afghanistan nicht wieder terroristische Entwicklungen kommen. Deswegen werden wir, wenn die Verlängerung des Mandates ansteht, ganz genau prüfen, was wir tun.

Aber von einem bin ich schon jetzt überzeugt, ohne meine Fraktion hier vorab binden zu wollen: Wir werden die Menschen in Afghanistan nicht sich selbst und Afghanistan nicht den Taliban überlassen dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Jetzt kommt der Einsatz im Nahen Osten, im Libanon, auf uns zu und es wird die Frage gestellt: Wo will sich Deutschland noch überall beteiligen? Darauf muss ich die Antwort geben: Wir suchen uns das ja nicht aus. Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die Realität ist manchmal grausamer, als sich das der eine oder andere vorstellen kann. Wir haben erlebt, was im Nahen Osten passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, dass wir dort den Beitrag leisten, den wir leisten können.

Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für die Umsicht und Sensibilität, mit der Sie dieses Thema angegangen sind.

Ich beziehe in diesen Dank den Bundesaußenminister mit ein. Aber auch unser Verteidigungsminister macht in einer schwierigen Situation eine ausgezeichnete Arbeit.

Ich zitiere noch einmal einen meiner Lieblingslehrsätze: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die Realität ist doch, dass wir, was die Situation im Nahen Osten betrifft, vor außerordentlich schwierigen Entscheidungsvorgängen stehen. Diese Entscheidungsvorgänge spiegeln das Problem wider, das wir schon immer im Nahen Osten hatten: An einem Tag bekommt man die eine Antwort und am nächsten Tag eine andere Antwort. Die Regierung im Libanon hat es in der jetzigen Struktur auch nicht leicht. Deswegen muss der Bundesverteidigungsminister, muss die Bundesregierung ganz präsent sein. Sie muss wissen: Heute kann es so kommen, morgen anders.

Bis jetzt sind wir noch gar nicht mit einer Entscheidung konfrontiert worden. Ich bin gestern Abend gefragt worden - die Medien fragen ja so viel und wollen immer eine Antwort, und zwar möglichst über Dinge, die noch gar nicht anstehen -: Was glauben Sie denn, welchen Antrag die Bundesregierung vorlegen wird, und wird die Bundesregierung ein robustes Mandat verlangen? Da kann ich nur sagen: So wie ich diese Bundesregierung im Umgang mit diesem Thema erlebt habe, bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass sie uns einen Antrag vorlegen wird, der genau das ermöglicht, was in der konkreten Situation gefordert wird. Über diesen Antrag werden wir dann beraten.

Heute, Frau Bundeskanzlerin, kann ich Ihnen eines schon sagen: Wir werden die Details natürlich ganz genau prüfen, aber das Angebot, das Sie und die Bundesregierung gemacht haben, kann unsere grundsätzliche Zustimmung finden. Wir wollen unseren Beitrag zur Lösung der Probleme im Nahen Osten leisten.

Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, jeder ist natürlich für sein Verhalten selbst verantwortlich.

Ich habe eine Fraktion der Grünen in der rot-grünen Koalition erlebt, die, was außenpolitische Verantwortung anbelangt, in einem Maße gelernt hat, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte, Herr Kuhn - von der Demonstration auf der Straße gegen "Kriegseinsätze" bis hin zur ersten Entsendung der Bundeswehr in ein Krisengebiet. Bei der FDP erlebe ich im Augenblick etwas anderes. Sie macht zwar den Eindruck, verantwortungsbewusst zu handeln; ich habe aber die Sorge, dass das Gegenteil passiert. Das kann für die FDP und für die Klientel, die Sie vertreten, nicht gut sein, Herr Westerwelle.

Aber eines sage ich auch - in aller Ruhe, aber auch in allem Ernst -: Man kann nicht ständig - was richtig ist - das Existenzrecht Israels im Munde führen, dann aber, wenn es ernst wird, zur Seite treten. Das kann nicht funktionieren.

Wir werden einen solchen Einsatz sehr gewissenhaft prüfen. Wir wissen natürlich sehr genau - auch Peter Struck hat dies formuliert -, dass wir die Soldatinnen und Soldaten mit jedem Auftrag, den wir der Bundeswehr übertragen, in eine Situation bringen, in der ihr Leben gefährdet sein kann. Deswegen prüfen wir ganz genau, was wir tun. Es wird aber kein Weg daran vorbeiführen, dass wir als großes Land in der Mitte Europas unseren Beitrag zur Sicherheit leisten müssen.

Wolfgang Schäuble hat einmal formuliert, innere und äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zu trennen. Da die Bundesregierung den Auftrag hat - das ist die vornehmste Pflicht eines Staates -, für die Sicherheit der Menschen in diesem Land zu sorgen, und da die Erkenntnis wächst, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind, müssen wir schon im nationalen Interesse der Menschen in unserem Land, die innere Sicherheit zu erhalten, etwas für die äußere Sicherheit tun. Deswegen sind unsere Beiträge, so wie wir sie leisten, im deutschen Interesse. (...)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

(...) Sie haben das Thema innere Sicherheit zu Recht prominent angesprochen. Alles, was Sie über die Entwicklung der Welt in diesem Bereich und vor allen Dingen auch über die Bedrohungsszenarien gesagt haben, ist doch Konsens. Das alles sehen wir genauso.

Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass es nicht so ist, als käme die Videoüberwachung an neuralgischen Punkten oder die Antiterrordatei jetzt plötzlich gegen Widerstände in diesem Haus zustande. Wir wollen einmal auf Folgendes aufmerksam machen: Die Antiterrordatei kommt deshalb zustande, weil die unionsgeführten Länder auf ihre Maximalposition der Volltextdatei verzichtet haben, übrigens deshalb, weil ihnen die Praktiker gesagt haben, dass man mit Datenmüll die innere Sicherheit am Schluss überhaupt nicht mehr überwachen kann.

Sie haben das doch vor allen Dingen in Bayern ausgebremst.

Wir wollen nun noch einmal über das Thema Außenpolitik sprechen und darüber diskutieren, was Sie dazu gesagt haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch Herr Kollege Kauder haben sich hinsichtlich der Außenpolitik große Sorgen um die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Freien Demokraten gemacht.

Wissen Sie, mir persönlich können Sie gern alles unterstellen. Aber wenn Sie Persönlichkeiten wie Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Graf Lambsdorff die außenpolitische Erfahrung und den inneren Kompass absprechen, wird es meiner Meinung nach nur noch albern.

Ich möchte gern noch einmal die Gründe für unsere Haltung nennen. Wir haben in diesem Hohen Hause die allermeisten Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstützt. Ich will Ihnen aber sagen: Angesichts der Tatsache, die gestern veröffentlicht wurde, dass 92 Prozent der Weltproduktion von Opium derzeit aus Afghanistan kommen, erlauben Sie mir bitte die Frage, ob wir nicht einmal in diesem Hohen Hause darüber reden müssten, was dort wirklich stattfindet und passiert. Diese Fragen werden wohl noch gestellt werden dürfen.

Wie es im Augenblick aussieht, schützen wir diese Produktion.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Kongoeinsatz, den wir bei der Abstimmung in der Tat abgelehnt haben. Den Afghanistaneinsatz hingegen haben wir unterstützt. Übrigens sind alle Bedenken, die die Fraktion der Freien Demokratischen Partei gegen den Kongoeinsatz vorgetragen hat, in den letzten Wochen bestätigt worden. Sie waren der Überzeugung, die bloße Anwesenheit von europäischen Soldaten, darunter auch deutschen, reiche aus, um demokratische Wahlen in einem stabilen Umfeld stattfinden lassen zu können. Wir haben Ihnen damals gesagt, was passieren wird, wenn es wirklich zu Gefährdungen oder sogar Kampfeinsätzen kommen sollte.

Genau das ist nach den ersten Wahlen bzw. vor der Stichwahl geschehen. Unsere Befürchtungen sind eingetreten, und das - nebenbei bemerkt -, während der deutsche Botschafter bei einem Außentermin war, von dem er nur unter dem Schutz von Truppen in seine Residenz zurückgebracht werden konnte, und während der zuständige Kommandeur im Auslandsurlaub in Schweden war. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Viel schlimmer aber ist, dass der Verteidigungsminister der Republik nichts davon wusste. Sie sind in Ihrem Amt noch nicht angekommen, Herr Verteidigungsminister. Das ist das Problem.

Nun will ich auf die Diskussion über den Nahen Osten zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin, Herr Kauder, Sie sprachen heute Vormittag von der Staatsräson. Es war richtig, dass Sie die Staatsräson angesprochen haben. Die Staatsräson ist für das gesamte Hohe Haus unverändert. Sie beinhaltet sowohl das Existenzrecht Israels und das Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen zu leben, als auch das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Niemand in diesem Hause wird auch nur ansatzweise Zweifel daran haben, dass Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel ein Verbrechen sind und dass die Völkergemeinschaft sich hierzu klar und eindeutig äußern und handeln muss.

Nur: Bis zum Sommer dieses Jahres gehörte zur Staatsräson der Bundesrepublik auch - das gilt für alle Bundestage, alle Regierungen und alle Parteien, die bisher in diesem Hause vertreten waren -, dass es keinen Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Nahen Osten geben sollte.

Eines möchte ich festhalten: Nicht die Freien Demokraten stellen etwas infrage, sondern Sie. Sie ändern einen Kurs, der in diesem Lande jahrzehntelang unumstritten war.

Ich käme nie auf die Idee, Ihnen unlautere Motive zu unterstellen oder die Entscheidung von Kollegen, die diesem Einsatz zustimmen, im Menschlichen oder im Politischen zu attackieren. Ich habe davor Respekt, wenn Sie zu einem anderen Ergebnis kommen als ich. Aber ich erwarte denselben Respekt gegenüber denjenigen, die sagen, es sollte bei der Staatsräson bleiben, die bisher in Deutschland gegolten hat: keine bewaffneten deutschen Soldaten im Nahen Osten.

Daher, Herr Kollege Kauder, verbitte ich mir Hinweise auf irgendeine Art von Wankelmütigkeit oder Unzuverlässigkeit in der Außenpolitik der FDP.

Eines möchte ich im Hinblick auf die Bedenken, die wir geäußert haben, feststellen: Ich persönlich habe ganz grundsätzliche historische Bedenken gegen einen Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die weniger aus historischer Perspektive argumentieren, kritisieren vor allen Dingen die Undeutlichkeit des Mandates. Das Mandat der Vereinten Nationen ist nicht eindeutig.

Ich stelle nur folgende Fragen: Wer soll eigentlich die Hisbollah entwaffnen?

Wie soll die Entwaffnung durchgeführt werden? Was geschieht, wenn die Bundeswehr auf See zum Einsatz kommt und auf diesem Wege vielleicht das eine oder andere verhindern kann, wenn sich aber die Situation auf dem Lande nicht ändert? Ist nicht die Gefahr viel zu groß, dass wir selbst im Nahen Osten zu einer Art Kriegspartei werden könnten? Ist damit nicht auch die Gefahr viel zu groß, dass es tatsächlich zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen könnte? Wäre das nicht eine furchtbare Vorstellung?

Es handelt sich auch dann um einen Kampfeinsatz, wenn er auf dem Wasser stattfindet. Deswegen benutzt der Verteidigungsminister den Begriff "Kampfeinsatz". Ob es zu einem Kampfeinsatz auf dem Boden oder zu einem Kampfeinsatz auf der See kommt, das ist wahrlich nicht der entscheidende politische Unterschied, übrigens auch nicht für die Soldaten persönlich, die im Nahen Osten eingesetzt werden.

Frau Bundeskanzlerin, angesichts dessen, was wir wissen, werden wir diesem Einsatz nicht zustimmen, und zwar aus voller außenpolitischer Überzeugung und Verantwortung. Wir sind der Auffassung, dass es, was den Einsatz deutscher Soldaten betrifft, bei der Staatsräson bleiben sollte, die in Deutschland bisher gegolten hat.

Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, wie sich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen verhalten haben oder, besser gesagt, sich nicht verhalten haben, als es um den Verteidigungsminister ging. Von dieser Kritik, die nicht nur von der Opposition geäußert wird, kann man auch Sie nicht ausnehmen.

Meine Damen und Herren, die Diskussion über bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten ist nicht vom Ausland an uns herangetragen worden, die haben wir selber angefangen.

Es muss einfach zur Kenntnis genommen werden, dass der Verteidigungsminister schon im Juli über den Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten spekuliert hat. Er hat dabei offensichtlich nicht bedacht, dass seine Reden jetzt anders als in seinem vorherigen Amt im Hessischen Landtag internationale Konsequenzen haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, hätten diese Debatte im Sommer nicht laufen lassen dürfen, Sie hätten sie sofort beenden müssen.

Das sage ich nicht - das wissen Sie auch - aus irgendwelchen pazifistischen Grundüberlegungen. Ich bin ein Anhänger der wehrhaften Demokratie. Dennoch bleibt festzuhalten: Das ist nicht gut gelaufen.

Jetzt hören wir immer mehr dazu, welche Briefe die libanesische Regierung jetzt schreiben will. Das, was in diesem Zusammenhang bekannt ist, bestärkt uns noch mehr in unserer Skepsis. Wie soll der Einsatz vonstatten gehen? Wie soll die Einhaltung einer Siebenmeilenschutzzone wirklich funktionieren? Wie sollen eigentlich heikle Situationen verhindert werden? In der Siebenmeilenschutzzone soll die libanesische Seite zur Entwaffnung der Hisbollah eingesetzt werden und Waffenschmuggeleien unterbinden. Wie sollen wir uns aber verhalten, wenn das nicht geschieht und dann beispielsweise die israelische Seite eingreift? Wollen wir es den Israelis wirklich übel nehmen, dass sie verhindern wollen, dass Waffen an die Hisbollah geschmuggelt werden? Wie wollen wir uns in solchen Situationen verhalten?

Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht bei jedem Einsatz der Vereinten Nationen dabei sein.

Bei diesem Einsatz der Vereinten Nationen sollten wir nicht dabei sein. Es ist kein guter Vorgang, dass Sie behaupten, Sie werden gerufen, obwohl Sie jetzt drei Mal in der Woche im Libanon anrufen müssen, um nachzufragen, wann denn endlich der Ruf an Deutschland kommt. (...)

Max Straubinger (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der Kollege Westerwelle hat zum Schluss seiner Rede, die ich aufmerksam verfolgt habe, den Eindruck zu vermitteln versucht, dass sich die Bundesregierung und die Fraktionen, die die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, Friedenseinsätze aufgrund ihrer internationalen Verantwortung zu begleiten, aufdrängen würden. Ich möchte dies ausdrücklich zurückweisen.

Die Bundesregierung und die sie in dieser Frage unterstützenden Fraktionen im Haus handeln in Verantwortung der außenpolitischen Gegebenheiten, auch der entstandenen außenpolitischen Fragen und Herausforderungen, und vor allen Dingen in Verantwortung für Frieden und Freiheit in gefährdeten Regionen dieser Welt. Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung der Bundeskanzlerin und des Außenministers, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten zustande gebracht haben. Dies sollte nicht in ein schiefes Licht gerückt werden, Herr Kollege Westerwelle.

Ich gebe unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder Recht: Man kann nicht große Reden darüber halten, dass das Existenzrecht Israels zu unterstützen ist, aber dann, wenn es möglicherweise gefährdet ist, keinen Beitrag leisten. Ich glaube, wir sind in der Verantwortung, die nötigen Beiträge zu leisten. Darüber, wie diese im Einzelnen aussehen sollen, kann man diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung bisher eine großartige Leistung vollbracht hat und auch für die zukünftigen Entscheidungen dem Parlament die richtigen Vorschläge unterbreiten wird, die wir dann sicherlich unterstützen werden. (…)

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

(…) Um hierbei voranzukommen, ist sehr viel Verhandlungsgeschick notwendig. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass wir es in der deutschen Ratspräsidentschaft schaffen werden, einen Weg, wenn auch noch keine endgültige Lösung aufzuzeigen. Dieses Verhandlungsgeschick haben die Vertreter unserer Regierung schon eindrucksvoll bewiesen. Frau Merkel hat es seinerzeit geschafft, das ins Stocken geratene Verfahren zur finanziellen Vorausschau zu einem guten Abschluss zu bringen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen ein unerhört hohes Ansehen als guter Verhandlungspartner erreicht, was man auch an der positiven Rolle, die er im Nahostkonflikt spielt, ablesen kann. Er wird von allen Seiten respektiert.

Deutschland wird eine hohe Kompetenz zugeschrieben, etwas zur Friedenssicherung zu erreichen. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Diese hohe Kompetenz im Bereich der diplomatischen Verhandlungen ist nur dann weiter akzeptiert, wenn es auch die Bereitschaft Deutschlands gibt, sich aktiv, auch durch Zurverfügungstellung von Bundeswehrkräften, an der Friedenssicherung zu beteiligen. Der Kollege Peter Struck hat sehr deutlich gesagt, dass wir das natürlich nur unter ganz klaren Bedingungen tun werden.

Hierbei ist das Zusammenspiel mit den europäischen Partnern ebenfalls sehr wichtig. Auch die UN-Friedensresolution 1701 trägt sehr deutlich die europäische Handschrift. Das ist ein großer Erfolg, den wir mit unseren europäischen Freunden erreicht haben.

Lassen Sie mich noch einmal auf die Verfassung zurückkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben hier nicht nur eine schwierige Situation mit den beiden Ländern, in denen die Verfassung durch ein Referendum abgelehnt wurde - Frankreich und die Niederlande -, sondern wir haben auch Probleme mit anderen Partnern - da kann man Großbritannien nennen, aber auch Polen -, mit denen es im Augenblick sehr schwer ist, zu gemeinsamer Politik zu kommen. Bei allem Verständnis für die polnischen Freunde, die besonders kritisch auf die deutsche Politik schauen, ist dort auch eine gewisse Unfähigkeit bezüglich einer Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft mit der deutschen Politik zu erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir immer wieder ein Dialogangebot machen; denn die Bevölkerung und auch die wirtschaftlichen Akteure sehen die Beziehungen in keiner Weise kritisch. Im Gegenteil, das Ansehen Deutschlands ist in Polen in den letzten Jahren immer weiter gestiegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Verfassungsthema wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auch von wichtigen wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Themen geprägt sein. Es wird um Fragen der neuen Nachbarschaftspolitik gehen und darum, dass wir mit Russland unsere Kooperation optimal fortsetzen.

Am 25. März 2007 blicken wir auf die europäische Erfolgsgeschichte zurück, die mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 50 Jahren ihren Anfang nahm. Frieden, Stabilität und Wohlstand wurden hart erarbeitet und erstritten. Der Jahrestag bietet die Möglichkeit einer europäischen Standort- und Zielbestimmung. Angesichts des historisch Erreichten sind wir in der Pflicht, uns im weltpolitischen Maßstab neu zu verorten, alte Denkmuster vielleicht zu erneuern und den Blick auf die politische Verantwortung Europas nach innen und außen zu schärfen. Die von Außenminister Steinmeier "Generation Europa" genannten jüngeren Menschen erwarten zu Recht Klarheit über den zukünftigen politischen Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells. (…)

Olaf Scholz (SPD):

(...) Ich will Bezug auf die Debatte, die wir bisher geführt haben, nehmen.

Ich glaube, es war ein sehr berechtigter Vorwurf an die FDP, den Herr Kauder hier erhoben hat und der auch in anderen Reden vorkam.

Es wurde gesagt: Passen Sie auf, dass Sie die durchaus großen und wichtigen außenpolitischen Traditionen Ihrer Partei nicht verspielen!

- Ich meine Herrn Scheel, Herrn Genscher und Herrn Kinkel. Das waren Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, die als Außenminister eine sehr verdienstvolle Politik gemacht haben, übrigens in mehreren Koalitionsregierungen, an denen Sie beteiligt waren.

Es ist etwas schwierig. Man kann sich vorstellen, dass in ein paar Jahren Herr Scheel, Herr Genscher und Herr Kinkel als Außenpolitiker und Außenminister dieser Republik zwar noch in Erinnerung sein werden, dass man sie aber nicht mehr mit der FDP in Verbindung bringen wird.

Daher glaube ich, dass Sie da ein wenig aufpassen müssen. Ich denke nämlich, dass sich in den letzten Monaten bei den verschieden außenpolitischen Debatten, die wir geführt haben, immer wieder etwas abgespielt hat, das man, wenn man Zeitung gelesen und hier im Haus diskutiert hat, wie folgt wahrnehmen konnte: Die Fachpolitiker entwickelten eine durchaus konstruktive politische Haltung und dann kam Herr Westerwelle dazwischen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich des Libanonmandates ist Ähnliches zu beobachten. Ich jedenfalls habe schon abgewogenere Gedanken gehört als diejenigen, die nun für die Freie Demokratische Partei gelten sollen.

Quelle: Deutscher Bundestag: Protokoll der 46. Sitzung (06.09.2006);
www.bundestag.de



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