Herr Gabrielli ist erleichtert
Von Norbert Alt
Merkwürdig lautlos ist die Bundeswehr-Reform über die politische Bühne
gegangen. Nach dem Bericht der Weizsäcker-Kommission ein paar lustlose
Debatten um Mannschaftsstärken und Wehrpflicht, und dann versank das Projekt
in öffentliche Vergessenheit. Auch bei dem aktuellen Profilierungs-Gerangel
zwischen Opposition und Regierung bleibt das Thema ausgeklammert.
Die deutsche Rüstungsindustrie allerdings hat sich zu Wort gemeldet. Und sie
liefert uns auch eine Erklärung für die erstaunliche Stille. In einem
Interview der "Berliner Zeitung" Ende Juni offenbarte das Vorstandsmitglied
der Rheinmetall DeTec AG, Mario Gabrielli, sein Credo, das offenbar auch das
Verhalten der "großen Volksparteien" bestimmt: "Gesellschaftliche Akzeptanz"
dürfe "keinen Vorrang... vor Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" haben.
Auf gut deutsch: Demokratische Meinungsbildung wird als sehr störend
empfunden, spätestens vor den Türen der Bundeswehr-Stäbe und ihrer
Rüstungslobby endet die Demokratie.
Seine "diesbezüglichen "ursprünglichen Befürchtungen"', so Herr Gabrielli,
seien freilich "unbegründet" gewesen. In der Tat: Selbst die Spitzen der
Grünen, darauf versessen, ihre Plätze am Katzentisch der Mächtigen nicht zu
verlieren, haben ihre einstigen antimilitaristischen Überzeugungen ein
weiteres mal tapfer verdrängt. So wird denn die Öffentlichkeit von Politik
und Medien mit "näher liegenden" Fragen beschäftigt, von Steuer-Prozenten
bis zu Kampfhund-Verordnungen, während die Militärs und ihr Beamtenapparat
nach altbewährter Taktik Schritt für Schritt vollendete Tatsachen schaffen.
Herr Gabrielli, in dessen Werkhallen Panzerhaubitzen und Leopard-Kanonen,
Lenkwaffen und computer-gesteuerte Führungssysteme entstehen, darf
erleichtert sein. Der Rüstungsindustrie winken stolze Gewinne. Denn bei der
Bundeswehr-Reform geht es ja nicht in erster Linie um Soll-Stärken und
Truppen-Standorte, sondern vor allem um ein gigantisches Programm der
Umrüstung, um die Armee in den Stand zu versetzen, entsprechend einer neuen
Militärdoktrin weltweit als "Ordnungsmacht" zu operieren.
Allein die 30 größten Beschaffungsvorhaben (u.a. Kampfhubschrauber,
Transportflugzeuge, Eurofighter, Fregatten, Lenkwaffen) summieren sich bis
2015 auf etwa 110 Milliarden DM. Dass es bei diesem Betrag nicht bleiben
wird, dafür steht nicht nur der Eurofighter, dessen Kosten nach
Auftragserteilung in regelmäßigen Intervallen weiter nach oben getrieben
werden. Für sämtliche 215 geplanten "Beschaffungen" ergibt sich nach
heutigem Stand die Summe von mindestens 180 Milliarden.
Die deutsche Rüstungsindustrie -möchte sich von diesem "Kuchen" ein
möglichst großes Stück sichern. Herr Gabrielli erhebt deshalb schon mal
drohend den Finger: erstens käme es ohne eine "Mindestauslastung" deutscher
Rüstung-Kapazitäten unweigerlich zu Entlassungen und Arbeitslosigkeit,
zweitens begäbe sich Deutschland bei Auftragsvergabe an ausländische
Konkurrenten in die Gefahr "politischer Abhängigkeit". Das erste Argument
ist uralt, so wurde Aufrüstung schon stets gerechtfertigt. Das zweite ist
neueren Datums. Es ist die rüstungspolitische Variation zur These von der
"Rückkehr zur Normalität", von deutschem Anspruch, in der Weltpolitik wieder
eine eigenständige Rolle zu spielen, in Europa eine Führungsposition
einzunehmen und dabei auch mehr Bewegungsfreiheit gegenüber den USA zu
gewinnen.
Herr Gabrielli hat die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992
richtig verstanden. Dort werden als Ziele "militärischer
Interessenvertretung" nach außen u.a. "die Aufrechterhaltung... des
ungehinderten Zugangs zu Rohstoffen und Märkten in aller Welt" definiert.
Und weiter: "Qualität und Quantität der (dabei zu leistenden militärischen)
Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das
Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht
werden können".
Die Probe aufs Exempel war die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien. Und auch die dabei praktizierte
Missachtung des UN-Sicherheitsrates gehört zum Programm. Weder im neuen
strategischen Konzept der NATO noch im Vertrag über den europäischen
Militärpakt WEU wird eine klare Bindung möglicher Militär-Einsätze an ein
Mandat der UNO oder der OSZE festgeschrieben. Mit anderen Worten:
Kriegerische Interventionen sowohl der NATO wie des sogenannten Eurokorps
können "selbst-mandatiert" erfolgen, und zwar rund um den Globus.
Was die deutsche Rüstungsindustrie mit "verhaltenem Beifall" quittiert,
sollte die demokratische Öffentlichkeit in höchstem Maße alarmieren. Mit der
Bundeswehr-Reform vollzieht sich eine verhängnisvolle Weichenstellung - hin
zu einer weiteren Militarisierung deutscher Außenpolitik, vorbei am
Grundgesetz und unter Ausschluss demokratischer Entscheidungsfindung. Das
wohlkalkulierte Schweigen muss durchbrochen werden
Aus: PAX REPORT, hrsgg. vom Deutschen Friedensrat e.V., Nummer 6/7, Juli/August 2000, S. 2
Die Antwort von Herrn Gabrielli auf diesen Artikel
Zu weiteren Beiträgen über Rüstung und Rüstungsexport
Zurück zur Homepage