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Eine Stimme der Rüstungsindustrie

Herr Gabrielli antwortet dem PAX REPORT

Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder. Auf einen Artikel im letzten Pax Report, der Zeitung des Deutschen Friedensrats, antwortete am 31. August der dort zitierte Herr Gabrielli. Gabrielli ist immerhin Vorstandsmitglied der Rheinmetall DeTec AG. Zeichen für eine Annäherung der Rüstungslobby an die Friedensbewegung? Das wohl kaum. Aber eine interessante Zuschrift aus dem anderen Lager, die wir den Besuchern unserer Internetseiten nicht vorenthalten wollen. Schließlich haben wir auch den kritischen Artikel über Herrn Gabrielli hier veröffentlicht: ("Herr Gabrielli ist erleichtert")

31. August 2000
Stellungnahme zu dem Artikel in Pax-Report unter dem Titel "Herr Gabrielli ist erleichtert" von Norbert Alt

Die Äußerungen von Norbert Alt in einem Beitrag für Pax Report Nr. 6/7 zu Fragen der Bundeswehrreform und im Zusammenhang damit zur Rolle der deutschen Rüstungsindustrie verdient einige kritische Anmerkungen.

So läßt der Autor an keiner Stelle seiner Ausführungen einen Zweifel darüber aufkommen, daß er im Prinzip für eine vollständig "unbewaffnete Demokratie" eintritt und von daher alle mit dem Militär zusammenhängenden Maßnahmen rundheraus ablehnt. Eine im Sinne des Wortes "wehrhafte Demokratie" liegt außerhalb der politischen Gedankenwelt des Autors. Daß dazu auch allein schon die Existenz der deutschen Rüstungsindustrie zählt, kann daher nicht weiter überraschen.

Es soll allerdings nicht in Frage gestellt werden, daß man in der Bundesrepublik Deutschland eine solche Meinung vertreten und sich zur staatlichen Wehrlosigkeit bekennen darf. Das gehört zum grundgesetzlich garantierten Recht der freien Meinungsäußerung. Doch es stellt sich damit auch gleichzeitig die Frage, inwieweit eine solche Meinung, wie von Herrn Norbert Alt vertreten, von der Mehrheit unserer Bevölkerung und von der Mehrheit der demokratisch gewählten Politiker in ihren Entscheidungen geteilt wird.

Dazu ist festzustellen, daß es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Grundsätze der deutschen Bündnis- und Verteidigungspolitik und für eine "wehrhafte Demokratie" in der Bevölkerung unseres Landes gibt. Das haben in langen Jahrzehnten die Wahlergebnisse immer wieder eindrucksvoll bestätigt. Nur auf diese eindeutig demokratische Weise war die Aufstellung der Bundeswehr, der Eintritt in das NATO-Bündnis und der sich anschließende Wiederaufbau einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie möglich.

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich auch - insbesondere nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums - die geostrategischen Verhältnisse grundlegend geändert und damit auch die den militärischen Streitkräften und der deutschen Außenpolitik zuzuordnenden Aufgabenstellungen. Diesen Veränderungen haben Regierung und Parlament und im Gefolge davon die deutschen Streitkräfte entsprechend Rechnung getragen.

Auch ein Blick in das auch für Norbert Alt gültige Grundgesetz läßt erkennen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre sicherheitspolitischen Aufgaben weit über die früher geltende Doktrin der eigentlichen Landesverteidigung hinaus formuliert hat. So heißt es in Artikel 24, Abs. 2:
"Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern."

In Ergänzung dazu ist die Charta der Vereinten Nationen zu sehen, in der in Kapitel VII - "Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen" - der Einsatz von Luft-, See- und Landstreitkräften vorgesehen ist, um "die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen" durchzuführen.

Die Hinweise auf diese Festlegungen im Grundgesetz und in der UN-Charta implizieren eine sehr logische Notwendigkeit: Ohne Soldaten und Waffen sind die in deutschen Gesetzen und internationalen Verträgen vorgesehenen Aufgaben nicht zu erfüllen. Da dies so ist, kann logischerweise auf eine leistungsfähige Rüstungsindustrie nicht verzichtet werden. Das gilt auch für Deutschland, in der die Rüstungsindustrie allerdings auf privatwirtschaftlicher Grundlage im Rahmen sehr restriktiver gesetzlicher Bestimmungen betrieben. In vielen anderen europäischen Staaten fungiert der Staat als Eigentümer und in dieser Eigenschaft wird im Gegensatz zu Deutschland eine sehr extensive Rüstungsexportpolitik betrieben.
Daß dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der unter restriktiver Handhabung des Exports operierenden deutschen Rüstungsindustrie benachteiligt wird, gehört zum Einmaleins der ökonomischen Regeln. Dazu braucht man nicht Volks- und Betriebswirtschaft studiert zu haben. Es fehlt dringend eine europäische Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien in den EU-Staaten.

Gleichwohl hat die deutsche Rüstungsindustrie in den vergangenen Jahren trotz eines erheblichen Personal- und Kapazitätsabbaus bislang ihre System- und Kernkompetenzen in wichtigen Bereichen der militärischen Ausrüstung für die Bundeswehr und auch teilweise für die Streitkräfte befreundeter Staaten bewahren können. Jeder Versuch, den derzeitigen Status der deutschen Rüstungsindustrie weiter reduzieren zu wollen, wäre nicht nur eine Aushebelung und Mißachtung unserer grundgesetzlich festgeschriebenen Prinzipien, sondern würde auch die deutsche Fähigkeit zur Übernahme von internationalen Pflichten für die Friedenssicherung gemäß der UN-Charta in nicht vertretbarer Weise beeinträchtigen. Deutschland wäre in der internationalen Völkergemeinschaft kein verläßlicher Partner mehr.

Damit kommt auch zum Ausdruck, welche immens wichtige politische Bedeutung die Rüstungsindustrie hat. Sie leistet einen unverzichtbaren Beitrag im Rahmen der nationalen und internationalen Sicherheitsvorsorge.

Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen von Norbert Alt nicht mehr als realitätsfremde Pseudo-Argumente, die in der Akte "Polemik" abgelegt werden können. Bleibt noch nachzutragen, daß UN-Generalsekretär Kofi Annan erst noch Ende August eine Reihe von weit reichenden Vorschlägen einer internationalen Kommission unter Vorsitz des früheren algerischen Außenministers Lakhdar Brahimi unterstützt hat, die eine robustere Durchführung von Peacekeeping-Operationen der UN für erforderlich halten. In dem Report heißt es u.a.:
"Wenn die Vereinten Nationen ihre Truppen entsenden, um den Frieden zu erhalten, müssen sie auch bereit sein, sich den Kräften des Krieges und der Gewalt zu stellen und sie müssen entschlossen sein, diese Kräfte zu besiegen."

Ohne entsprechende Soldaten und Waffen werden diese vom UNO-Generalsekretär unterstützten Forderungen jedoch nicht zu realisieren sein. Es bleibt also dabei: Ohne eine leistungsfähige Rüstungsindustrie sind die Konfliktherde dieser Welt nicht zu befrieden.
Mario Gabrielli

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