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Panzerschlacht im Parlament

Opposition wollte Rüstungsdeal mit Saudi-Arabien stoppen / Schwarz-gelbe Koalition wies Anträge ab / Leoparden schon bald vor Ort im Test?

Von René Heilig *

»Die Bundesregierung wird aufgefordert, keine Genehmigung für die Lieferung von Kampfpanzern an Saudi-Arabien zu erteilen. Sollte eine Genehmigung bereits erteilt worden sein, ist sie zu widerrufen«, forderte die LINKE gestern (8. Juli) im Bundestag. Auch SPD und Grüne beantragten für ihre ähnlichen Anträge namentliche Abstimmungen. Insbesondere die Abgeordneten der Regierungskoalition mussten Farbe bekennen – und hielten mit Mehrheit zu Merkel.

»Es ging ja noch mal munter zu«, fasste Bundestagsvize Wolfgang Thierse, der gestern die Aussprache leitete, zusammen – um dann mit Kollegen über deren Urlaubspläne zu reden. In der letzten Plenardebatte vor den parlamentarischen Sommerferien hatte die Opposition die Regierung aufgefordert, den geplanten Export von Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien zu verhindern. Das Geschäft war vom geheim tagenden Bundessicherheitsrat unter Vorsitz der Kanzlerin abgenickt worden.


Hier geht es zu den Anträgen [EXTERNE LINKS]: Und Hier geht es zur ganzen Debatte:
Gregor Gysi (DIE LINKE): "Die Panzerlieferung macht die deutsche Außenpolitik völlig unglaubwürdig" / Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): "Politik ist ein hartes Geschäft"
Der Bundestag debattiert über die Panzerlieferung nach Saudi-Arabien (Die Reden im Wortlaut)



Linksfraktionschef Gregor Gysi nannte die Exportabsicht einen »einzigartigen Skandal«. Die schwarz-gelbe Koalition mache sich »restlos unglaubwürdig«, wenn sie auf der einen Seite die arabische Demokratiebewegung verbal unterstütze, auf der anderen Seite jedoch deutsche Panzer liefere, mit denen auf eine mögliche Demokratiebewegung in Saudi-Arabien geschossen werden kann. »Stoppen Sie diese Irrfahrt!«, forderte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel. Gegen den Deal wandten sich auch die Grünen.

Lange Zeit ohne Beisein der Kanzlerin und des Außenministers sprachen Unions- und FDP-Experten »pro Export«. Wenngleich beispielsweise Roderich Kiesewetter (CDU) »mangelnde Transparenz« im Entscheidungsverfahren einräumte. Dennoch müsse man in der Außen- und Exportpolitik »den Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen« aushalten.

Offenbar verfolgt die Bundesregierung – die sich auch gestern nicht erklärte – bei der umfangreichen militärischen Zusammenarbeit mit Riad mehrere Interessen: Erstens sichert man sich Zugang zu Öl. Zweitens stärkt man die geheimdienstliche Zusammenarbeit. Drittens – und das sichert das Wohlwollen der USA und Israels – baut man Saudi-Arabien als Gegengewicht zu Iran aus. Das ist ein riskantes »Spiel«. Der Westen hatte schon einmal Irak gegen Iran und Afghanistan gegen die Sowjetunion in Stellung gebracht. Entstanden sind neue Kriegs- und Krisengebiete. Viertens erweist man der deutschen wehrtechnischen Industrie profitable Gefallen.

In jedem Fall ist Kritik am Verkauf von 200 Panzern an das die Menschenrechte missachtende saudische Regime berechtigt. Und sei es, weil anstelle der üblichen Leopard-Version A6 der A7+/PSO geliefert werden soll. Der Panzer ist eindeutig nicht für Feldschlachten, sondern für Einsätze in urbanem Umfeld ausgelegt. Der Militärexperte Thomas Wiegold veröffentlichte in seinem Internetblog ein Foto, das zeigt, wie die Bundeswehr selbst bereits 2007 die Stadtkampfmaschine bei einer Informations-Lehrübung als Waffe gegen Demonstranten vorführt.

In der gestrigen parlamentarischen Panzerschlacht warf insbesondere der FDP-Abgeordnete Martin Lindner den Kollegen von SPD und Grünen Heuchelei vor. In ihren Regierungszeiten hatten auch sie Exporte in Unrechtsregimes genehmigt. Auch nach Saudi-Arabien. Zu Hochzeiten von Rot-Grün, beispielsweise 2004, genehmigte das Schröder-Fischer-Kabinett Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien im Wert von 1 047 128 Euro. Darunter waren Kommunikationsgeräte, Maschinenpistolen, Munition, Technologieunterlagen zur Herstellung von Handfeuerwaffen sowie Flugzeugteile.

In den vergangenen zehn Jahren wurden an das Herrscherhaus deutsche Waffen im Wert von 39 Millionen Euro geliefert. Es hätten noch mehr sein können Seit 1999 lagen Genehmigungen für Waffen-Exporte im Wert von 700 Millionen Euro vor. Der gestrige Einwurf von Grünen-Chefin Claudia Roth, man habe die Exportrichtlinien verschärft, erweist sich als Bumerang. 2002 wurden Rüstungsgüter für 300 Millionen Euro ausgeführt, ein Jahr nach der »Verschärfung« standen 1,5 Milliarden an.

Die getrennten Oppositionsanträge wurden in namentlichen Abstimmungen abgewiesen. Für den Antrag der SPD waren 245 Abgeordnete, 298 dagegen. Für den Antrag der Grünen stimmten 243 Parlamentarier, 297 dagegen, 2 enthielten sich. Für den Antrag der LINKEN votierten 135 Abgeordnete. Darunter waren keine Unions- oder FDP-Vertreter, wohl aber 12 SPD- und 60 Grünen-Abgeordnete. Es gab 107 Enthaltungen und 300 Nein-Stimmen.

Einige Oppositionspolitiker setzen auf juristischen Widerstand gegen die Geheimniskrämerei der Regierung. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck stellte Strafanzeige gegen Unbekannt beim Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann. Ein Firmensprecher erwiderte, man habe sich »immer streng gesetzestreu verhalten und wird dies auch in Zukunft tun«. Hans-Christian Ströbele (Grüne) will möglicherweise Verfassungsklage erheben. Er hat Informationen, wonach erste Panzer angeblich in Kürze zu Testzwecken in den Wüstenstaat geliefert werden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2011


Deutsche Waffen für Despoten

Bundestag lehnt Verzicht auf strittigen Panzerexport ab. Regierung schweigt weiter beharrlich

Von Sebastian Carlens **


Zum zweiten Mal in einer Woche thematisierte der deutsche Bundestag am Freitag den geplanten Export von 200 »Leopard-2«-Panzern nach Saudi-Arabien – und auch dieses Mal, ohne von der Regierung über den Stand der Entwicklung informiert zu sein. Die Fraktionen von SPD, den Grünen und der Linkspartei brachten Anträge ein, in denen die Bundesregierung aufgefordert wurde, auf die Waffenlieferungen zu verzichten. Diese wurden im Parlament jeweils abgelehnt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die erst gegen Ende der Aussprache den Plenarsaal betrat, beteiligte sich nicht an der Debatte. Im Vorfeld verteidigte sie das Schweigen der Bundesregierung zu möglichen Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien: »Beratungen und Beschlüsse im Bundessicherheitsrat sind aus gutem Grund geheim«, sagte Merkel der Regensburger Mittelbayerischen Zeitung (Freitagausgabe). Dieser Kurs ist allerdings auch im Koalitionslager strittig. Der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Stinner, forderte die Kanzlerin am Freitag in einem Interview mit der Rheinischen Post auf, zu dem Geschäft Stellung zu nehmen. »Es schadet der Regierung, und es schadet auch Deutschland, wenn nur die ablehnenden Stimmen laut werden«, sagte Stinner.

Der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele (Grüne) richtete am Freitag eine förmliche Frage an die Bundesregierung, ob die Bundeswehr tatsächlich schon im dritten Quartal dieses Jahres Leopard-Panzer für Tests auf Wüstentauglichkeit nach Saudi-Arabien schicken läßt.

Unterdessen verdichten sich die Anzeichen, daß der Export deutscher Waffen nach Saudi-Arabien keineswegs ein Einzelfall von Rüstungshandel mit Krisenregionen im arabischen Raum sein könnte. Der sicherheitspolitische Newsletter »Griephan-Briefe« berichtete, daß der Bundessicherheitsrat auch Rüstungsgeschäften in Höhe von zehn Milliarden Euro mit Algerien zugestimmt haben soll. In Algerien wurde die dortige Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen.

** Aus: junge Welt, 9. Juli 2011


Aufrüstung im Pulverfass

Von Manfred Stenner ***

Gut, dass das jetzt passiert. Und die Lieferung eventuell durch öffentlichen Druck noch verhindert werden kann.

Mit dem Beschluss zur Genehmigung der Lieferung von 200 Leopardpanzern der neuesten Generation »2A7 plus« an das wahabitische Königshaus in Riad hat sich die Bundesregierung einen Aufschrei der Empörung eingefangen. Die Lieferung der mit Räumschaufeln bestens zur Aufstandsbekämpfung geeigneten und von Krauss-Maffei Wegmann für ihre Eignung zur asymmetrischen Kriegsführung angepriesenen Großpanzer widerspricht eklatant allen Sympathiebekundungen der Schwarzgelben für den arabischen Frühling.

Das Mantra von den angeblich »restriktiven« und an den Menschenrechten orientierten Kriterien der Rüstungsexportpolitik bestand nie den Praxistest. Das haben nicht nur die Kurden im NATO-Land Türkei erfahren müssen. Längst aufgegeben auch die Doktrin, nicht in Krisenherde zu liefern. Die jetzige Genehmigung steht im offenen Gegensatz zur Bewertung Saudi-Arabiens durch das Auswärtige Amt: »Todes- und Körperstrafen werden verhängt und vollstreckt. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Parteien sind verboten. Politische Aktivisten und Menschenrechtler werden drangsaliert, inhaftiert oder gehen ins Ausland«, heißt es dort. Da kann ein an christlichen Werten orientiertes Unionsmitglied schon an seiner Kanzlerin verzweifeln. Allerdings konnte man vorgewarnt sein: Bereits in der Koalitionsvereinbarung wurde das Wort »restriktiv« durch »verantwortungsbewusst« ersetzt und Regierungsvertreter preisen die Vorzüge deutscher Waffentechnologie bei jeder Rüstungsmesse und jeder Auslandsreise.

»Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« heißt eine Kampagne von Friedensorganisationen, die das ändern möchte. »Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert« – das soll im Grundgesetz klargestellt werden.

Deutsche Waffen für Saudi-Arabien sind nichts Neues. Deals im Wert etlicher Millionen Euro gab es unter Rot-Grün wie bei der Großen Koalition und man erinnert noch die 70 Fuchs-Panzer Anfang der 90er Jahre und deren Verbindung zu illegalen Parteispenden an die Kohl-CDU. Aber der »Leopard«, das schlagkräftige Instrument für den Landkrieg, in den Krisenherd Mittlerer Osten? Das schien bisher unvorstellbar – schon wegen Israel. Die reflexartige Förderung der Wirtschaftsinteressen der Exporteure des Todes hatte da bisher ihre Grenzen.

Der Tabubruch offenbart eine fatale Fehleinschätzung der Region und eine gefährliche »Strategie« der Bundesregierung für den Nahen und Mittleren Osten. Israels Regierung denkt ebenso eindimensional, erhebt keine Einwände gegen den Deal und bekommt natürlich die gewünschten Dolphin-U-Boote.

Gesetzt wird auf die arabischen Despoten und das Ende der Freiheitsaufstände. Saudi-Arabien soll Bollwerk gegen die Machtinteressen Irans sein. Starke sunnitische Fundamentalisten sollen den schiitischen Staat eindämmen. Da ist dann auch die Bekämpfung der schiitischen Demonstranten mit saudischen Panzern beim Nachbarn Bahrain in Ordnung. Statt einer politischen Lösung der Konflikte wird es einen gewaltigen Aufrüstungsschub in der Region geben. Das Pulverfass wird gefüllt.

*** Der Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative ist seit den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv.

Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2011 (Gastkolumne)



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