Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gregor Gysi (DIE LINKE): "Die Panzerlieferung macht die deutsche Außenpolitik völlig unglaubwürdig" / Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): "Politik ist ein hartes Geschäft"

Der Bundestag debattiert über die Panzerlieferung nach Saudi-Arabien (Die Reden im Wortlaut)


Am 8. Juli 2011 debattierte der Deutsche Bundestag auf Antrag der Oppositionsparteien über das von der Bundesregierung geplante Waffengeschäft mit Saudi-Arabien. Wir dokumentieren die Debatte, bei der kein Regierungsmitglied Stellung bezog, im Folgenden in der Reihenfolge der Redner/innen:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Juli 2011

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich rufe die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf:

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen

Drucksache 17/6528

ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete – Für die Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik

Drucksache 17/6540

ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN

Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien

Drucksache 17/652

Über alle drei Anträge werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch einmal herzlich, Platz zu nehmen, damit in Ruhe debattiert werden kann.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum haben wir diesen Antrag, der heute beraten wird, gestellt? Es liegt ja bereits ein Antrag von uns vor, in dem wir fordern, Waffen- und Rüstungsexporte in die gesamte Region, auch nach Saudi-Arabien, zu verbieten. Aber über die Anträge zu diesem Thema wird erst im Herbst entschieden.

Jetzt haben wir alle erfahren, dass angeblich entschieden worden ist oder in Kürze entschieden werden soll, 200 Panzer an Saudi-Arabien zu liefern. Ich halte das für einen einzigartigen Skandal

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und meine, dass das Parlament hier ein klares Stoppzeichen setzen muss. Jetzt ist das Parlament gefragt, und jetzt muss es auch handeln.

Die Panzerlieferung macht übrigens die gesamte deutsche Außenpolitik, auch die Sicherheits- und Kriegspolitik, völlig unglaubwürdig. Ich will das begründen. Diese Regierung hat uns gerade erklärt, dass sie den arabischen und nordafrikanischen Frühling in jeder Hinsicht unterstützt. Deshalb – diese Begründung findet sich tatsächlich – müssten jetzt Waffen an die NATO geliefert werden, damit man Libyen bzw. Tripolis besser bombardieren könne, weil dies, zumindest angeblich, den Aufständischen und Demonstranten helfen werde. Wenn Sie gleichzeitig entscheiden, auch Waffen an ein Land zu liefern, das im Nachbarstaat einmarschiert ist, um die Demokratie- und Freiheitsbewegung zusammenzuschießen, machen Sie sich restlos unglaubwürdig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundesregierung wird absolut unglaubwürdig, wenn sie einmal Waffen mit der Begründung liefert, sie sollen den Freiheitskämpfern dienen, und zum anderen Waffen an ein Land liefert, das die Freiheitsbewegung im Nachbarland zusammenschießt. Wie wollen Sie dies Ihren Kindern und Enkelkindern erklären?

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man Waffen liefert, weiß man nie, wann sie eingesetzt werden. Stellen Sie sich doch einmal Folgendes vor: Es entsteht eine Demokratie- und Freiheitsbewegung in Saudi-Arabien, und auf die wird mit deutschen Panzern geschossen. Ich frage Sie wieder: Was erklären Sie dann Ihren Kindern und Ihren Enkelkindern?

(Beifall bei der LINKEN)

Sie begründen den Krieg in Afghanistan mit dem Kampf gegen Terror. Die übelste und gefährlichste Terrororganisation ist al-Qaida. Al-Qaida wird ausschließlich von den reichen Familien Saudi-Arabiens bezahlt. Auch hier wird die Politik restlos unglaubwürdig. Sie schicken Soldaten nach Afghanistan. Die verursachen dort Tote, übrigens auch in den eigenen Reihen. Nach Ihrer Erklärung dient das Ganze dem Kampf gegen al- Qaida. Gleichzeitig liefern Sie 200 Panzer an das Land, aus dem al-Qaida bezahlt wird. Wie erklären Sie denn das Ihren Kindern und Enkelkindern?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Panzer dienen nicht dem Gleichgewicht. Sie sind ausdrücklich für den Einsatz gegen Aufständische und Demonstranten geeignet; denn sie sind mit Räumschild, Wasserwerfern, Tränengas etc. ausgerüstet. Krauss-Maffei Wegmann, das Unternehmen, das die Panzer liefert, hat an die Koalitionsparteien 2009 55 000 Euro gespendet. Das hat sich sehr gelohnt; denn zwei Jahre später bekommt es einen Milliardenauftrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Saudi-Arabien gibt mehr Geld für Militär aus als jedes andere Land in der Region, sogar mehr als der Iran, Israel, Irak und Ägypten zusammen, allein im Jahr 2010 43 Milliarden Dollar.

Was ist Saudi-Arabien für ein Land? In Saudi-Arabien gibt es nicht einmal im Ansatz eine Gleichstellung von Frauen und Männern. Frauen ist das Fahren von Pkw untersagt. Frauen unterliegen einer gesetzlichen männlichen Vormundschaft, bis zur Ehe in der Regel der des Vaters, danach der des Ehemanns. Ohne Genehmigung des Vormunds, also in der Regel des Ehemanns, darf eine Frau nicht einmal ins Ausland reisen. Ich glaube, es ist erstmalig in meiner Geschichte, dass ich im Bundestag eine bestimmte Zeitung zitiere. Ich zitiere heute die Bild-Zeitung. Sie hat in der Ausgabe von gestern Folgendes wörtlich erklärt:

Saudi-Arabien ist eine der schärfsten Diktaturen der Welt.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!)

Politische Opposition gegen die königliche Herrscherfamilie wird unterdrückt, auf Demonstrationen stehen drastische Gefängnisstrafen. Saudi-Arabien vollstreckt die Todesstrafe ... – auch bei Homosexualität; ich bitte Sie: auch bei Homosexualität die Todesstrafe! – durch Enthauptung mit dem Schwert.

Saudische Truppen halfen dabei, die Demokratiebewegung im Nachbarstaat Bahrain blutig niederzuschlagen.

All das steht in der Bild-Zeitung! Wenn Sie mir schon nicht glauben, dann werden Sie doch wenigstens der Bild-Zeitung glauben.

(Beifall bei der LINKEN) Die Zahl der Hinrichtungen von 1993 bis 2009 betrug 1 912. Wie wollen Sie Ihren Kindern und Enkelkindern erklären, dass Sie an ein solches Land Panzer liefern?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. – Ich spreche nicht über frühere Genehmigungen und Fehler. Ich spreche auch nicht darüber, dass die Rüstungsexportrichtlinien entgegen der Annahme der SPD leider nicht restriktiv sind. Ich sage nur eines: Wenn Deutschland in seiner Außenpolitik, in seiner Menschenrechts- und Demokratiepolitik nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren will, wenn Sie Ihren Kindern und Ihren Enkelkindern je die Welt nach bestimmten moralischen Maßstäben erklären wollen, dann müssen Sie heute den Export von 200 Panzern nach Saudi-Arabien stoppen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Roderich Kiesewetter für die CDU/ CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht schön, am letzten Tag einer Sitzungswoche sich gegenseitig Heuchelei oder Zitate oder irgendwelche Besonderheiten aus der Vergangenheit vorzuwerfen. Viel entscheidender ist, dass wir uns als Parlamentarier einmal fragen: Was haben wir hier für eine Diskussion?

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das frage ich mich auch!)

Diese Diskussion, die wir in dieser Woche zum zweiten Mal führen, fußt eindeutig auf mangelnder Transparenz.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)

Es gibt in diesem Hause selten den Fall, dass wir keinen Einblick haben; ich glaube, darin sind wir uns einig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht den Fehler machen, Spekulationen Raum zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich möchte deswegen einige Punkte besonders ansprechen. Sie machen es sich nämlich zu einfach, indem Sie populistische Forderungen stellen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen einige außenpolitische Punkte von grundsätzlicher Bedeutung darstellen. Darum müssen wir vielleicht ringen.

Es ist für uns ganz entscheidend, dass wir die Sicherheit Israels gewährleisten. Ich richte an Sie die Frage: Was sagen Sie dazu, dass Israel diese Panzerlieferungen nicht nur wünscht, sondern ausdrücklich unterstützt?

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werden sie jetzt geliefert oder nicht? Israel weiß doch gar nichts davon! Es ist doch geheim!)

Was sagen Sie dazu, dass Israel und die Palästinenser davon profitieren, dass Saudi-Arabien einen Accord mit Fatah und Hamas ausgehandelt hat, der dazu beiträgt, dass die Palästinenser auf eine relativ beruhigte Art und Weise zu einer Einigung kommen? Es ist ein Verdienst Saudi-Arabiens, dass Hamas und Fatah hier zusammenarbeiten.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Nein, ich möchte meine Punkte im Zusammenhang vortragen.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

Wir sehen aber Saudi-Arabien nicht durch die rosarote Brille. Wir wissen, dass die Christen dort in ihrer Religionsausübung behindert sind. Wir wissen, dass von dort Salafiten und Wahhabiten auch in Europa unterstützt werden. Wir Parlamentarier haben mit Sorge den Einmarsch nach Bahrain beobachtet.

Ich komme nun zur eigentlichen Frage. Wir wissen nichts über eine Entscheidung; das ist die mangelnde Transparenz.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Ja, genau! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Israel ist dafür!)

Sie spekulieren darüber. Ich möchte jetzt den Spannungsbogen darstellen, den unsere Außenpolitik auszuhalten und zu vertreten hat. Es ist sehr einfach, in der Opposition Forderungen zu stellen. In der Regierung ist es aber nicht immer einfach, Verantwortung zu tragen.

(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])

Die Koalitionsfraktionen – das ist mein Appell an uns alle in der Koalition – müssen unsere Regierung hier unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben die werteorientierte und interessengeleitete Außenpolitik.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Es ist Aufgabe der Regierung, diesen Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen auszuhalten.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja! Ja!)

Wir gehen normalerweise davon aus, dass Werte und Interessen ein und dasselbe sind. Aber Politik hat nichts mit „Wünsch dir was“ zu tun.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Politik ist ein schmutziges Geschäft!)

– Politik ist ein hartes Geschäft, Herr Kollege Trittin. Es geht jetzt darum, dass wir einmal in die Region schauen. Wir stehen nicht nur vor dem arabischen Frühling, wir stehen vor einem Paradigmenwechsel, was die Lage im Mittleren und Nahen Osten angeht. Wenn Israel in großer Sorge um das, was um das Land herum geschieht, mit Saudi-Arabien zu Vereinbarungen kommt, dann können wir das nur unterstützen. Ich weiß auch, dass in dem Spannungsbogen der Verantwortung die Bundesregierung mit aller Kraft auf Saudi-Arabien einwirken wird. Wir als Parlamentarier möchten – das ist unser Aufruf –, dass die Regierung hier ihre Verantwortung wahrnimmt.

Worum geht es? Seit über 40 Jahren haben wir die Rüstungsexportrichtlinien. An die Adresse der Sozialdemokraten sage ich: Diese Richtlinien – sie wurden von Ihnen entwickelt und von Lothar Rühl weiter gefasst, damit eine Regierung genug Flexibilität bekommt; das wurde noch letzte Woche gesagt – sind verbindliche Handlungsanweisungen für die Regierungen über all die Jahre gewesen.

(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Unser Land ist das einzige Land in Europa, das seine Rüstungsexporte in klarer Weise offenlegt.

(Widerspruch bei der LINKEN – Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Wir werden in einem Jahr alles genau wissen. Es wäre aber für unser Land schädlich, wenn Dinge offengelegt würden, die noch in der Vorabstimmung sind, die also noch nicht endgültig abgestimmt sind. Für mich ist daher eindeutig, dass wir die politischen Grundsätze, die die Grünen im Jahr 2001 mitgetragen haben, genauso in Betracht ziehen

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben sich aber geändert!)

wie die Richtlinien.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen: Wir könnten es uns als Regierungskoalition sehr einfach machen und darauf hinweisen, dass im Jahr 1998, im letzten Jahr der Kohl-Regierung, die Rüstungsexporte einen Umfang von rund 1,3 Milliarden D-Mark hatten. Im Jahr 2000 hat sich dieser unter Rot-Grün auf 5,9 Milliarden D-Mark verfünffacht.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Wir wollen uns aber nicht gegenseitig Zahlen vorwerfen. Für uns ist entscheidend, dass wir im Parlament über unsere nationalen Sicherheitsinteressen diskutieren, und wir werden das heute Nachmittag noch tun.

Entscheidend ist auch, dass unsere Regierung den Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen erkennt und aushält.

(Unruhe bei der LINKEN)

Wir von der Koalition sollten diese Politik nicht nur unterstützen, sondern wir sollten den Blick auf den Nahen Osten deutlich schärfer fassen, als wir es in der Vergangenheit getan haben. Wir stehen in der Region, die unsere Unterstützung braucht,

(Zuruf von der LINKEN: Aber doch nicht mit Panzern!)

vor einem Paradigmenwechsel. Diese Unterstützung ist sowohl hinsichtlich der zivilen Krisenprävention als auch hinsichtlich der Nachbarschaftspolitik und der Lieferung von Rüstungsgütern ganz entscheidend.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss ein Appell: Um diese Diskussion auch künftig sauber, wahrhaftig und wahr halten zu können,

(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

sollten wir ressortübergreifend an einer föderalen Sicherheitsstrategie arbeiten, um die Ziele und Interessen wieder besser zusammenzubringen. In diesem Zusammenhang unterstützen wir nicht die Anträge der Opposition, sondern wir unterstützen

(Zuruf von der LINKEN: Panzer!)

unsere Regierung, hier im Zusammenhang mit Saudi- Arabien zu einem klaren Verhältnis zu kommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Sigmar Gabriel (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kiesewetter, wir würden gern über die Grundlagen der Außenpolitik und ihre Konsequenzen beim Rüstungsexport oder auch bei der Verhinderung von Rüstungsexport diskutieren. Sie haben ja völlig zu Recht darauf hingewiesen: Eine Regierung muss zwischen Interessen und Werten abwägen. Aber es wäre nicht schlecht, wenn die, die das machen würden, die Gründe für ihre Abwägung mal dem deutschen Parlament und der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben würden, Herr Kollege Kiesewetter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann?

Sigmar Gabriel (SPD):

Aber gern.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Gabriel, eine Frage – vielleicht wird daraus ein Geschäftsordnungsantrag –: Finden Sie es mit mir gemeinsam nicht unerträglich, dass bei solch einer Diskussion

(Zuruf von der CDU/CSU: Ziehen Sie Leine!)

das Kanzleramt nicht anwesend ist?

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es unerträglich, dass das Kanzleramt hier nicht anwesend ist.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sigmar Gabriel (SPD):

Frau Kollegin, Sie haben natürlich völlig recht. Ich finde es allerdings ebenso unerträglich, dass der zuständige Außenminister nicht hier ist

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und sich durch die Staatssekretärin für Auswärtige Kulturpolitik hier vertreten lässt.

(Zurufe von der FDP: Staatsministerin!)

– Staatsministerin.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

– Die Abwertung Ihrer Kollegin Staatsministerin – diese Bemerkung erlaube ich mir – nehmen Sie selber vor, nicht wir.

Ihnen, Herr Kiesewetter, sage ich: Es kann doch nicht sein, dass Sie einfordern, dass wir über diese Güterabwägung diskutieren, und dass die dafür verantwortlichen Mitglieder Ihrer Regierung sich hier drücken. Die Kanzlerin hat die Richtlinienkompetenz im Bundessicherheitsrat. Wir wollen ja gar nicht, dass sie hier vorstellt, was im Bundessicherheitsrat beraten oder entschieden worden ist. Aber sie wird doch dazu in der Lage sein, die Grundlagen ihrer Außenpolitik zu erörtern, und zwar insbesondere dann, wenn das, was hier gerade mit der Lieferung von 200 Panzern an Saudi-Arabien stattfindet, ganz im Gegensatz zu dem steht, was sie und ihr Außenminister mit großem Pathos dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit hinsichtlich der Unterstützung der Demokratiebewegung in Nordafrika vorher erklärt haben. Angesichts dessen wird man doch einmal fordern dürfen, dass sie kommen und sich erklären.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wissen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie verwechseln hier etwas. Sie glauben, wir wollten über den Bundessicherheitsrat diskutieren. Das kann man auch machen. Das ist nämlich ein Instrument, das im Kalten Krieg entstanden ist und über dessen Entscheidungsfindungsmechanismen die Zeit hinweggegangen ist. Aber darüber wollen wir heute gar nicht reden. Wir wollen über die Grundlagen Ihrer Außenpolitik sprechen, und dazu gibt es übrigens kein Geheimnisgebot. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass bei dieser Frage ein Geheimnisgebot für das Parlament oder die Öffentlichkeit gilt. Sie verwechseln also das Thema, über das wir reden wollen. Wir wollen wissen, was Sie in Ihrer Außenpolitik in diesem Fall dazu bringt, die Unterstützung der Demokratiebewegung im Nahen Osten und am Golf geringer zu schätzen als das Interesse an einem stabilen, feudalen Herrscherhaus in Saudi-Arabien, das, wie von Ihnen eben aufgeführt, für Sicherheit bürge.

Wir wollen genau diesen Unterschied zwischen Interessen und Werten von Ihnen erläutert bekommen. Es wäre übrigens ein Beitrag zur politischen Kultur, über diese außenpolitischen Fragen ganz offen zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen wissen, warum die scheinbare Stabilität eines Herrscherhauses für Sie wichtiger ist als die Demokratiebewegung und wie Sie die Widersprüche zwischen Ihren Reden und Ihrem Handeln auflösen. Dass das bei Ihnen in der Koalition Kolleginnen und Kollegen genauso sehen, zeigt doch die aktuelle Meldung – ich zitiere –:

FDP-Außenexperte: Merkel soll sich zu Panzergeschäft äußern Stinner hält Stillschweigen für schädlich

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!)

Der Außenexperte der FDP hat recht, meine Damen und Herren. Er hat recht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe mit Interesse das Interview der Bundeskanzlerin in der Mittelbayerischen Zeitung gelesen. Die Überschrift lautet – Zitat Merkel –: „Ich kenne die Regeln, im Fußball wie in der Politik.“ Das darf man getrost bezweifeln.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe Herrn Mißfelder zu seiner Rede gratuliert, nicht zu dem Inhalt seiner Rede, wohl aber zu dem Versuch, eine politische Begründung zu geben. Er hat in der ersten Debatte gesagt: Sie müssen doch verstehen, dass die Drohung aus dem Iran dazu führt, dass wir mit Blick auf Israel verhindern müssen, dass Saudi-Arabien unter die Kontrolle von schiitischen Militärs oder des Iran gerät. – Ich finde, dass man die Debatte darüber offensiv führen kann.

Ich möchte Ihnen in der Sache etwas entgegenhalten. Eigentlich möchte ich die Debatte darüber nicht mit Ihnen, sondern mit Ihrer Regierung führen, die das entschieden hat. Da Sie aber schon die Stellvertretung der Regierung wahrnehmen – ist von der Regierung inzwischen jemand da, der dazu etwas sagen kann? –,

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Herr Rösler!)

lese ich Ihnen vor, was die Experten, die im Auftrag des Kanzleramtes arbeiten, dazu sagen. In der heutigen Ausgabe des Tagesspiegels steht:

Braucht Saudi-Arabien deutsche Panzer, um schlagkräftige Argumente gegen den Iran zu haben? Diese Sichtweise weist Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), – diese wird vom Kanzleramt finanziert und arbeitet dem Parlament, aber insbesondere dem Kanzleramt zu –, als „abwegig“ zurück.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich zitiere weiter:

„Wenn sich Saudi-Arabien auf eine Auseinandersetzung mit dem Iran vorbereiten würde, dann sicherlich nicht mit Panzern“, sagte der Nahostexperte dem Tagesspiegel.

Dafür gibt er eine relativ einfache Erklärung: Es gibt keine Landverbindung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Dazwischen liegt der Irak. Deswegen ist die Kritik berechtigt. Sie müssen im Zweifel damit rechnen, dass die infrage stehenden Panzer nicht zur Verteidigung der Sicherheit Israels eingesetzt werden, sondern innenpolitisch oder bei den Nachbarn zur Unterdrückung der Demokratiebewegung. Genau das findet dort statt.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Waffen, die Sie liefern wollen, bedrohen nicht den Iran, sondern die Demokratiebewegung. Sie schützen nicht Israel, sondern ein feudales Herrscherhaus. Sie gefährden im Zweifel – das will ich deutlich sagen – irgendwann auch uns; denn wir im Westen wissen aus der Vergangenheit – die amerikanische Außenpolitik wurde nach dem Motto „Der Teufel, den wir kennen, ist besser als der, den wir nicht kennen“ betrieben –, dass so etwas schnell schiefgehen kann. Zuerst Waffen und dann Bundeswehrsoldaten in Friedens- oder Kriegseinsätze zu schicken, die unter anderem dazu dienen, den Betreffenden die Waffen wieder abzunehmen, das ist keine besonders kluge Außenpolitik. Sie ist gefährlich für unsere Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie machen das, entweder weil Sie vor der Rüstungslobby eingeknickt sind oder weil Sie vor den Vereinigten Staaten eingeknickt sind, weil Sie sich nach Ihrem Desaster in der Libyen-Debatte im UN-Sicherheitsrat zurückkaufen wollten. Beides wären keine Gründe für eine souveräne Entscheidung einer Bundesregierung. Es hat das deutsche Parlament zu interessieren, ob unsere Regierung souverän entscheiden kann oder ob sie dem Druck – von wem auch immer – weicht und solchen Anfragen stattgibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Gabriel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uhl?

Sigmar Gabriel (SPD):

Selbstverständlich.

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):

Herr Kollege Gabriel, Sie fordern eine Parlamentsdebatte über einen Rüstungsexport im Vorfeld von Vertragsverhandlungen

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch gar nicht!)

bzw. von Vorvertragsverhandlungen.

(Michael Groschek [SPD]: Werden Sie mal konkret!)

Können Sie sich erinnern, ob es in der siebenjährigen Amtszeit von Gerhard Schröder auch nur einen einzigen Fall gegeben hat, in dem dieses Parlament vor Beginn von Vertragsverhandlungen über irgendeinen Rüstungsexport in irgendein Land eine solche Debatte geführt hat? Wenn Sie das bejahen, nennen Sie mir bitte den Ausgang der betreffenden Vertragsverhandlungen. Oder geben Sie zu, dass das betreffende Geschäft hätte scheitern müssen?

Sigmar Gabriel (SPD):

Herr Kollege Uhl, wenn ich das richtig weiß – –

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dr. Uhl!)

– Herr Dr. Uhl! Vielen Dank, dass der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion darauf hinweist, dass es sich diesmal um Herrn Dr. Uhl handelt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Da müssen Sie sich bei Ihrem Kollegen bedanken.

Herr Dr. Uhl, die Antwort auf die Frage ist ganz einfach: Ihre Regierung verstößt gerade gegen die eigenen Richtlinien für den Rüstungsexport.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo denn?)

Deshalb muss man darüber diskutieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn eine Regierung das nicht tut, dann braucht das Parlament auch nicht darüber zu diskutieren. Das ist doch das Problem.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch keine Antwort! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

– Die Frage war, warum so etwas in der Vergangenheit nicht öffentlich im Parlament diskutiert worden ist. Die Antwort darauf ist: Weil sich die Regierung an die Richtlinien gehalten hat. Sie tun das nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die von Herrn Kiesewetter zitierten Richtlinien für den Rüstungsexport sind doch unter Rot-Grün geändert und verschärft worden. Es wurde die Einhaltung der Menschenrechte als zentraler Parameter dafür eingeführt, ob man Rüstungsgüter exportieren darf oder nicht. Wir müssen darüber reden, wenn Sie das heute anders sehen.

Übrigens ist es doch ein Treppenwitz, wenn jetzt so getan wird, als gäbe es keine Entscheidung und deshalb dürfe das Parlament nicht darüber reden. Ganz Deutschland redet darüber. Wenn wir nicht darüber reden, dann verstärken Sie noch den Eindruck, den es draußen sowieso schon gibt, nämlich dass wir uns hier mit allem Möglichen, nur nicht mit dem beschäftigen, was die Leute interessiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir können Sie nur eindringlich auffordern, die Genehmigung zur Ausfuhr entweder zurückzuziehen oder, wenn sie noch nicht endgültig gefallen ist, nicht zu erteilen. Kommen Sie zum außenpolitischen Konsens, der lange Zeit in Deutschland galt, zurück und beenden Sie die Irrfahrt, mit der Sie unserem Land in Europa und auf internationaler Ebene die Zusammenarbeit erschweren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie der Lieferung von 200 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien zustimmen, dann überschreiten Sie eindeutig den Rubikon und verlassen den Pfad einer wertegebundenen Außenpolitik. Sie versagen in einer historischen Situation, in der Deutschland und Europa die Demokratiebewegungen unterstützen müssen, aber nicht feudale Herrscherhäuser, die bereit sind, diese zu unterdrücken.

(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen werden Sie dazu unsere Zustimmung nicht bekommen und auch nicht die, so glaube ich, der Öffentlichkeit. Stoppen Sie diese Irrfahrt, die Sie begonnen haben! Sie tun sich, dem Land und Nordafrika einen Gefallen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Stinner.

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Gabriel, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Kollegen Hans-Peter Uhl hier identifiziert haben, damit nicht die Gefahr besteht, dass er mit Ihrem ehemaligen Bundestagskollegen Hans-Jürgen Uhl, der VW-Betriebsrat war und wegen Lustreisen aus der IG Metall und der SPD ausgetreten ist, verwechselt wird.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Wir legen Wert darauf, dass keine Verwechslung geschieht.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das peinlich! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ich habe mit der „Uhlerei“ nicht angefangen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Herr Kauder!)

Da Sie, Herr Gabriel, mich als Kronzeugen für Ihre Politik herangezogen haben, möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen, was ich hierzu ausgeführt habe. Ich habe Ihnen erstens vorgeworfen, dass ich es als unerträglich empfinde, in welcher Weise sich Ihre Partei von langjährigem Regierungsverhalten verabschiedet hat, und dass das in starkem Widerspruch zu dem steht, was Sie selbst jahrelang gemacht haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe Ihnen zweitens vorgeworfen, dass Sie es als Regierungspartei abgelehnt haben, die Geheimhaltungspflicht des BSR aufzuheben.

Ich habe Ihnen drittens vorgeworfen, dass Sie in Ihrer Amtszeit in erheblichem Umfang Kriegswaffen – es waren keine Spielzeuge, Frau Keul – nach Saudi-Arabien geliefert haben. Sie haben im Jahr 2008, als Herr Steinmeier und Frau Wieczorek-Zeul im Bundessicherheitsrat waren, die Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien mehr als verdreifacht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha! Ihr Heuchler!)

Es ist völlig unredlich, diese Bundesregierung zu einem Exportmonster zu stilisieren.

Ich bin viertens in keiner Weise auf den Inhalt der eventuell vorhandenen Entscheidung eingegangen. Ich habe nur gesagt, dass ich davon ausgehe, dass diese Bundesregierung, falls es eine solche Entscheidung gegeben haben sollte, mit großer Sicherheit das Pro und Kontra in großer Verantwortung abgewogen hat. Ich kann Ihnen, Herr Gabriel, sagen: Ich habe diesbezüglich in diese Bundesregierung ein viel größeres Vertrauen, als ich es in frühere Bundesregierungen gehabt habe.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich habe dann allerdings gesagt, Herr Gabriel: Da dieses Thema in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird, wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung in einer für sie geeigneten Form politisch auf diese Dinge eingeht. Es kann nicht sein, dass Sie von den drei Oppositionsfraktionen in Anträgen hier und heute fordern, dass wir im Deutschen Bundestag einzelne Rüstungsgeschäfte verabschieden. Das kann doch nicht wahr sein.

(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)

Herr Gabriel, jeder, der in diesem Hause irgendwann einmal Regierungsverantwortung anstrebt – das tun Sie offensichtlich –, kann einen solchen Antrag nicht stellen, weil durch ihn die Handlungsfähigkeit einer jeden Bundesregierung beeinträchtigt wäre.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Kollege Gabriel, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es reicht, wenn Sie sich entschuldigen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sigmar Gabriel (SPD):

Herr Präsident! Herr Kollege, erstens neige ich in der Tat nicht dazu, Menschen zu verwechseln. Trotzdem danke ich für die qualifizierte Einführung in die Namenskunde.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal zur Sache!)

Zweitens. Ich wiederhole ausdrücklich: Der Unterschied zwischen dem Handeln der von Ihnen getragenen Regierung und dem früherer Regierungen von SPD und Grünen ist, dass wir uns an die Exportrichtlinien gehalten haben

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Woher wissen Sie denn das?)

und dass wir – wie übrigens Herr Dr. Kohl und andere Regierungschefs – 30 Jahre lang, wenn Saudi-Arabien Panzer wollte, immer Nein gesagt haben.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kohl nicht! Der hat Ja gesagt!)

– Nach meinem Kenntnisstand hat sich damals Herr Möllemann noch darüber beklagt, dass es zu keiner Lieferung gekommen ist.

(Otto Fricke [FDP]: Und bei anderen Dingen, anderen Waffen nach Saudi-Arabien?)

– Herr Kollege Fricke, ich kann nichts dafür, dass ich jetzt die Chance habe, zu antworten. Das ist in der Geschäftsordnung so vorgesehen. Deshalb müssen Sie das jetzt ertragen.

Wir – auch Sie – haben uns 30 Jahre lang daran gehalten, keine Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern, weil das durchaus einen qualitativen Unterschied macht. Das haben wir auf allen Straßen und Plätzen, wo es Demokratiebewegungen gegeben hat, gesehen.

Drittens. Ich hoffe, dass Sie hier nicht Ihr eigenes Interview dementieren; denn dort heißt es – ich zitiere –: Die Kanzlerin und die beteiligten Minister können sich dann nicht mehr schablonenhaft hinter das Schild „geheim“ stellen.

Ich finde, Sie haben recht, Herr Kollege; das tun die Damen und Herren der Regierung aber weiterhin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir diskutieren hier nicht darüber, ob es Rüstungsexporte gibt oder nicht. Das könnten wir tun. Es gibt gute und weniger gute Gründe dafür, darüber zu reden bzw. es zu verbieten. Vielmehr reden wir über einen ganz konkreten Fall und über die daraus entstehenden Konsequenzen für die Demokratiebewegung im Nahen Osten und am Golf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir diskutieren auch nicht darüber, ob der Deutsche Bundestag Rüstungsexporte im Einzelfall genehmigen soll oder nicht.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Doch!)

Das steht auch nicht in unserem Antrag, sondern dort steht, dass, wenn eine positive Entscheidung gefallen ist, wir dies wissen wollen.

Übrigens halte ich es im Zeitalter des Internets für relativ schwierig, zu glauben, dass man irgendwohin Panzer liefern kann und keiner, wenn dann die Leos durch Saudi-Arabien fahren, fragt, woher die kommen. Wenn Sie solche Geschäfte machen, dann können Sie davon ausgehen, dass man das zurückverfolgen kann. Wenn eine Regierung sagt: „Ja, wir stehen dazu, wir haben in einer Güterabwägung entschieden, diesem Export zuzustimmen“, warum soll man das in diesem positiven Fall nicht von vornherein der deutschen Öffentlichkeit und dem Parlament zur Kenntnis geben? Erklären Sie mir das einmal!

Wenn Ihr Argument ist: „Warum habt ihr das früher nicht selber gemacht?“, dann würde ich sagen: Sie haben recht, das hätten wir machen sollen. – Dann machen wir es doch bitte jetzt gemeinsam, da wir merken, dass das notwendig ist.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein!)

Das ist doch ganz einfach.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines ist doch klar: Wenn man uns oder Sie fragt, ob wir immer alles richtig gemacht haben, dann sagen wir oft: Natürlich haben wir immer alles richtig gemacht. Gleichzeitig tun wir so, als hätten alle anderen immer alles falsch gemacht. Das glauben wir noch nicht einmal im Parlament. Warum sollen die Menschen draußen das glauben?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Von daher finde ich die Situation relativ einfach. Sie führen hier eine Debatte über eine werte- und interessengeleitete Außenpolitik. Darüber wollen wir reden. Wir wollen die Begründung dafür hören, warum Sie sich in diesem Fall für Ihre anscheinend vorhandenen Interessen entschieden haben und gegen die von Ihnen mit großem Pathos an diesem Rednerpult vertretenen Werte.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Sigmar Gabriel (SPD):

Darauf hat die deutsche Öffentlichkeit einen Anspruch, und nur darüber wollen wir diskutieren und entscheiden. Ihre Regierung drückt sich vor dieser Debatte. Das erleben wir heute zum zweiten Mal.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Zwischenbemerkungen:

Erstens. Auf Kurzinterventionen kann man nicht mit einer weiteren Kurzintervention reagieren. Sonst würden wir in eine eigentümliche, unübersichtliche Debatte geraten.

Zweitens zu dem Namensstreit, da ich ein ganz klein wenig beteiligt war. Das gibt es ja, dass einem im Moment ein Name nicht einfällt. Deswegen habe ich dem Kollegen Gabriel vorgesagt: Uhl. – Daraufhin hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gerufen: Dr. Uhl! – Darauf hat Kollege Gabriel reagiert. Das geschah nicht in einer beleidigenden Absicht.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das war sehr ironisch!)

Er hat damit lediglich auf den Zwischenruf „Dr. Uhl!“ reagiert. Ich sage das nur, damit wir bei aller Polemik nicht an der falschen Stelle eine Schärfe vermuten. Jetzt erlaube ich mir, zur Beruhigung der Emotionen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen mitzuteilen.

(...)

Nun setzen wir die Debatte fort. Das Wort hat Martin Lindner für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Jetzt kommt Dr. Leo Lindner!)

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):

Herzlichen Dank – Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Kollege Gabriel, wenn Sie mit uns Debatten über interessengeleitete Außenpolitik führen wollen, dann müssen Sie entsprechende Anträge stellen. Stattdessen haben Sie ganz billig versucht, Dinge, die schon seit 1955 im Bereich der Exekutive angesiedelt sind, uns heute hier mithilfe von Verfahrenstricks vorzulegen. Seit 1955, in ununterbrochener Tradition – Schwarz- Gelb, Rot-Gelb, Rot-Grün, egal wie die Regierung hieß –, wurden solche Fragen immer im Bundessicherheitsrat entschieden, und da gehören sie auch hin. Das ist streng exekutives Handeln.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das müssten auch Sie bei einer ernsthaften Betrachtung dieses komplexen, schwierigen Gegenstandes konzedieren. Bei der Beurteilung, was den deutschen sicherheitsund außenpolitischen Interessen dient, ist – Sie können sich das vorstellen; Sie waren ja erst vor kurzem in Regierungsverantwortung – eine Reihe von Fragen zu berücksichtigen.

Wir haben hier vor zwei Tagen darüber diskutiert. Saudi-Arabien ist ein Partnerland im Kampf gegen den Terrorismus. Wir können uns nun einmal nicht aussuchen, wie wir es in dieser Region – ein Kollege sagte: wo alles nur grau ist, wo es kein Schwarz und kein Weiß gibt – gerne hätten. Sie, der Sie hier jahrelang in der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung standen, wissen ganz genau, dass man in diesem Zusammenhang bestimmte Dinge erfährt und dass man nachrichtendienstliche Entwicklungen auszuwerten hat. Das geht nicht im Deutschen Bundestag. Das, Frau Kollegin Roth, ist typischerweise exekutives Handeln, und das muss es auch in Zukunft bleiben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben das unter der rot-grünen Regierung sogar noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund handeln Sie mit Ihren Anträgen – im Zivilrecht würde man sagen: venire contra factum proprium – gegen Ihre eigenen Vorstellungen und gegen Ihr eigenes damaliges Regierungshandeln. Das erlaubt natürlich schon die Frage, ob das nicht ein Stück weit Heuchelei ist, was Sie heute hier aufgeführt haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensiv klingt anders!)

Wenn man ein bisschen Exegese der Ereignisse der letzten 10, 15 Jahre betreibt – weiter muss man gar nicht zurückgehen –, dann kommt man zu einem Artikel von RP Online vom 4. Juli 2000.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war vor elf Jahren!)

Da wird berichtet – ich zitiere –:

Der Bundessicherheitsrat hat nach Informationen des Hamburger Magazins „Stern“ der Lieferung von 1.200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zugestimmt. Als ob das Waffen wären, Kollege Gabriel, die weniger geeignet wären, im Kampf gegen Aufständische eingesetzt zu werden,

(Sigmar Gabriel [SPD]: Vor allem gegen Panzereinsätze!)

als ein 4 mal 7 Meter großer Panzer! Da ist die Heuchelei schon erkennbar.

Weiter heißt es:

Gegen den Rüstungsexport hätten Bundesaußenminister Joschka Fischer von den Grünen und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul von der SPD gestimmt.

Nicht bekannt wurde, dass die beiden anschließend aus der Regierung ausgeschieden wären; vielmehr sind sie selbstverständlich, wie es bei Ihnen Tradition war, an ihren Sesseln kleben geblieben. Sie haben so geredet, aber so gehandelt.

Dann heißt es weiter:

Das Bundespresseamt wollte zu dem Bericht ebenso wie Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt keinerlei Kommentar abgeben. Eine Sprecherin des Bundespresseamts verwies nur darauf, dass die Sitzungen des Bundessicherheitsrats strikter Geheimhaltung unterliegen.

Sie haben damals genauso gehandelt, wie Sie es uns heute mit großem Pathos und im Brustton der Empörung vorhalten. Das ist Heuchelei und nichts anderes.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie entlarven sich selber.

Etwas weiter hinten heißt es:

Im Herbst vorigen Jahres

– das war 1999 –

waren trotz der Geheimhaltungsvorschriften Einzelheiten der Entscheidung des Bundessicherheitsrats

– unter Rot-Grün –

über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Türkei an die Öffentlichkeit gelangt.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und das, obwohl Sie, Frau Kollegin Roth, auf jedem Parteitag immer wieder betont haben, dass Kampfpanzer – wegen der schwierigen Lage der Kurden – nicht in die Türkei geliefert werden dürften.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht geliefert worden!)

Sie haben schon immer geheuchelt und setzen das heute hier fort.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Was den Leopard 2 angeht: Im Jahr 1981 gab es diesbezügliche Anfragen an Helmut Schmidt. Da heißt es 1981 im Spiegel:

Der König aus dem Morgenland zeigte Verständnis für den deutschen Kanzler. Als der saudiarabische Herrscher Chalid Ibn Abd el-Asis im vergangenen Juni in Bonn einen Staatsbesuch abstattete, bat Helmut Schmidt in einem Gespräch unter vier Augen den Gast, er möge sich mit seinem Wunsch nach deutschen Waffen noch ein wenig gedulden – bis nach dem 5. Oktober, dem Tag der Bundestagswahl.

Erzählen Sie uns doch nicht, dass das nicht auch Thema war. Ihre Bundesregierung hat das damals genauso abgelehnt wie entsprechende Anfragen an die Regierung Kohl in der Zeit zwischen 1990 und 1992, und zwar wegen der Intervention Israels und wegen nichts anderem. Dieser Grund ist jetzt weggefallen. Deswegen kann man nunmehr zu einer anderen Lagebeurteilung kommen. Als ernsthafte Oppositionsfraktion müssen Sie doch konzedieren, dass man bei solch schwierigen Entscheidungen nicht einfach nur schwarz-weiß malen und so tun kann, als sei alles wahninnig einfach. Sie haben in ähnlichen Situationen doch auch gerungen, und Sie kamen auch zu Ergebnissen, die nicht auf den Marktplätzen der Republik ausgetragen wurden. Das muss man doch realistisch betrachten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Ganze geht noch weiter: Es kam zu den Panzerlieferungen an Katar; da saßen Sie, Kollege Steinmeier, im Bundessicherheitsrat. Es wurden zumindest Voranfragen gestellt, die – den vorliegenden Presseinformationen zufolge – nur im Hinblick auf Israel möglicherweise anders beschieden wurden.

Ich sage Ihnen in aller Ernsthaftigkeit: Man kann in dieser Frage – bei Vorliegen aller Fakten; aber diese Fakten liegen ja nur neun Mitgliedern des Hauses vor – im Ergebnis möglicherweise zu einer anderen Betrachtungsweise kommen. Man kann sicherlich aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland war oder ist, solche Waffen in diese Region, an dieses Land zu liefern.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):

Ich warne Sie ganz klar: Sie sind im Moment in der Opposition.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Moment ja!)

Wenn Sie in diesem Land irgendwann einmal wieder Verantwortung übernehmen wollen,

(Elke Ferner [SPD]: Sehr bald!)

werden Sie in diesen Fragen höchstwahrscheinlich eine sehr harte und unangenehme Bekanntschaft mit der Realität machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort zu zwei Kurzinterventionen erteile ich zunächst Gregor Gysi und dann Claudia Roth.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Herr Lindner, ich habe Ihnen genau zugehört. Wissen Sie, was mich unheimlich stört? Sie diskutieren über die Frage der Geheimhaltung, darüber, wie das früher war, und haben im Übrigen gar nicht begriffen, dass es den Kalten Krieg gar nicht mehr gibt und dass eine neue Zeit angebrochen ist. Abgesehen davon erklären Sie sich nicht mit einem Satz dazu, ob es nun richtig oder falsch ist, 200 Panzer an das Herrschaftshaus Saudi-Arabien zu liefern, in ein Land, in dem die reichen Familien al-Qaida bezahlen und das die Demokratiebewegung im Nachbarland zusammenschießt.

Kein einziger Satz dazu! Sagen Sie doch einmal, ob Sie dafür oder dagegen sind, damit hier im Parlament mal Klarheit herrscht!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine zweite Bitte. Frau Bundeskanzlerin – jetzt sind Sie da –, nichts gegen Herrn Nüßlein, aber ich finde, Sie könnten dessen Redezeit von sechs Minuten übernehmen und sagen, welche Ziele Sie in der Außenpolitik eigentlich verfolgen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Bitte schön, Kollegin Roth.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Herr Dr. Lindner mit flotter Zunge von „Heuchelei“ geredet hat. Ich würde Sie, wenn Sie anderen Heuchelei vorwerfen, darum bitten, sich an die Wahrheit zu halten. Wahr ist: Es gab einen Konflikt in der rot-grünen Koalition über geplante Panzerlieferungen an die Türkei. Wahr ist aber auch, dass es aufgrund genau dieser Auseinandersetzung zu einer Neuverhandlung der Rüstungsexportrichtlinien gekommen ist, dass der Kollege Gernot Erler für die SPD-Fraktion und die Kollegin – ich – für die grüne Fraktion mit der Bundesregierung verhandelt haben.

In diesen Verhandlungen wurden die Rüstungsexportrichtlinien verändert und restriktiver gefasst. Unter anderem wurde ein Menschenrechtskriterium in den Rüstungsexportrichtlinien verankert, das es nachgerade unmöglich macht, dass Panzer an Saudi-Arabien geliefert werden. Es wurde ein Kriterium verankert, das es nachgerade unmöglich macht, Waffen bzw. Rüstungsexportgüter in Spannungsregionen wie Saudi-Arabien zu liefern.

In der Folge wurden keine Panzer in die Türkei geliefert. Anders als in der schwarz-gelben Regierungszeit hat Rot-Grün in die Rüstungsexportrichtlinien aufgenommen, dass bei einer angespannten Menschenrechtslage keine Waffen geliefert werden dürfen, auch wenn die Waffen nicht unmittelbar zur Menschenrechtsverletzung eingesetzt werden können.

Behaupten Sie also keine Unwahrheiten, wenn Sie nicht wissen, worüber Sie reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Kollege Lindner, bitte.

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):

Herr Gysi, Sie sagen, die Geheimhaltung habe möglicherweise im Kalten Krieg noch gegolten. Der Kalte Krieg endete 1989 und nicht 2009, als die SPD aus der Bundesregierung ausgeschieden ist; das als kleine Gedächtnisstütze.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Endlich mal ein wahres Wort!)

Sie haben mich aufgefordert, in der Sache Stellung zu nehmen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie ja in sechs Minuten nicht geschafft!)

Ich hatte Ihnen – wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie das – vorhin deutlich gemacht, dass eine abschließende Beurteilung, ob besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland – so steht es in den Richtlinien – dafür sprechen, Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu liefern, ausschließlich von neun Personen vorgenommen werden kann. Ich gehöre nicht zu diesen neun Personen. Nur den Mitgliedern des Bundessicherheitsrats liegen die Fakten vollständig vor, auf deren Grundlage eine solche Frage seriös beantwortet werden kann.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Dann muss man das aber schnell ändern!)

Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man in einer so schwierigen Situation wie im Nahen und Mittleren Osten im Kampf gegen den Terrorismus steht, muss man natürlich Kooperationen eingehen und über Dinge verhandeln, die nicht immer schön sind und die – anders als es eine populistische Partei gerne hätte – nicht immer einem Schwarz-Weiß-Schema entsprechen. Sie müssen aber schon konzedieren, dass nach unserer Verfassung die Menschen, die dafür gewählt sind und ihren Amtseid geschworen haben, solches exekutives Handeln vollziehen und darüber berichten und das Parlament anschließend über die Berichte diskutiert. So ist das in den meisten demokratischen Ländern üblich; so werden wir es weiterhin handhaben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Kollegin Roth, es ist sehr spannend, was Sie mir vorhalten. Sie haben gar nicht abgestritten, dass die Panzer doch in die Türkei gerollt sind.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sie sind nicht geliefert worden! – Petra Ernstberger [SPD]: Zuhören!)

Sie sagen nur, Sie hätten anschließend die Rüstungsexportrichtlinien geändert und dann quasi waffenfrei weiterregiert.

Frau Kollegin Roth, im Jahr 2002 – da haben Sie regiert; das war nach der Änderung der Richtlinien – lag das Volumen der Kriegswaffenexporte bei knapp 300 Millionen Euro. Im Jahr 2003 haben Sie das Volumen auf 1,3 Milliarden Euro gebracht.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden wir über die Lieferung von Panzern in die Türkei!)

Das ist zugegebenermaßen eine gewisse Steigerung, oder? Frau Roth, Ihre neuen Richtlinien haben dann also wirklich gewirkt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im Jahr 2005 hat Ihre Regierung dann den Gipfel erreicht: über 1,6 Milliarden Euro.

(Zurufe von der FDP und der CDU/CSU: Oh!)

Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Ihr wievieltes Jubiläum der Mitgliedschaft im Bundessicherheitsrat haben Sie zu diesem Zeitpunkt gefeiert? Ihr siebtes, und dann waren Sie noch zwei weitere Jahre drin.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den türkischen Panzern, was Sie behauptet haben!)

Wenn das alles so schrecklich und unmöglich war, warum sind Sie dann nicht ausgeschieden? Sie klebten alle an Ihren Sesseln. Heute werfen Sie uns vor, was Sie damals selbst gemacht haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Immer weiter so!)

Frau Roth, abschließend lese ich Ihnen vor, was 2001, in Ihrer Regierungszeit, nach Saudi-Arabien geliefert wurde – jetzt tut es richtig weh –: Schießanlagen, Schießsimulatoren, Revolver, Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre, Panzerfäuste, Teile für Patrouillenboote, Munition für Haubitzen, Maschinenpistolen etc.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finde ich nicht in Ordnung!)

Jetzt sagen Sie mir, dass man all die Waffen nicht gegen Demonstranten und Aufständische einsetzen kann. Das ist doch völliger Blödsinn!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Beherrschen Sie sich und halten Sie in dieser Frage Maß, wie es einem Mitglied einer Exregierungspartei zusteht.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ich freue mich, dass die Mitglieder des Bundessicherheitsrates jetzt weitgehend anwesend sind und der Debatte folgen. Am Mittwoch haben wir eine denkwürdige Fragestunde erlebt. Staatssekretär Otto versuchte verzweifelt, eine Entscheidung seiner Regierung zu rechtfertigen, ohne zuzugestehen, dass es überhaupt eine Entscheidung gegeben hat. In der nachfolgenden Aktuellen Stunde durften die Redner der Koalition darüber spekulieren, welche Kriterien und Argumente möglicherweise von der Regierung erwogen wurden oder auch nicht. Warum aber sollten Parlamentarier eine Entscheidung der Exekutive verteidigen, über deren Existenz sie nicht einmal informiert werden? Das ist eines Parlamentes unwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dem Kollegen Stinner von der FDP war das Leiden dann auch deutlich anzusehen. Er hat völlig recht, wenn er ausführt, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages hätten das Recht und auch die Pflicht, sich mit dem Vorgang zu beschäftigen. Es ist richtig, dass er die Bundesregierung auffordert, eine öffentliche Debatte zu führen und den Deutschen Bundestag über die Entscheidungsgrundlage zu informieren.

Geheimnisschutz ist kein Selbstzweck. Geheimnisschutz setzt immer ein schutzwürdiges Interesse voraus.

Jetzt fragen wir uns doch einmal konkret, was hier geschützt werden soll. Betriebsgeheimnisse der Firma Krauss-Maffei Wegmann? Die Phase des Bangens vor der Konkurrenz ist mit der Genehmigung doch abgeschlossen. Jetzt kann geliefert werden. Eine solche Lieferung kann ohnehin nicht geheim gehalten werden. Auch die Saudis freuen sich über die Genehmigung und haben kein erkennbares Geheimhaltungsinteresse mehr. Unfreundliche Nachbarn sollen ja gerade von den Kampfpanzern erfahren, um beeindruckt zu werden, und die eigene Bevölkerung darf ohnehin keine kritischen Fragen stellen. Also bleibt nur, dass die Bundesregierung selbst ein Geheimhaltungsinteresse hat, weil sie ihre Entscheidung nicht öffentlich begründen will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingo Gädechens [CDU/ CSU]: Nein, der Bundessicherheitsrat!)

Das ist sogar nachvollziehbar, weil die Entscheidung gar nicht begründbar ist.

Deutschland ist aber nicht Saudi-Arabien. Wie der Außenminister dezent angedeutet hat, gibt es einen gewissen Unterschied zwischen Saudi-Arabien und Deutschland. Bei uns muss sich die Regierung vor dem Parlament verantworten. Es ist nicht zielführend, wenn wir uns immer wieder gegenseitig vorhalten, welche Regierung am meisten geliefert hat. Zielführend wäre es, wenn wir Parlamentarier uns auf unsere wichtigste Aufgabe besännen und gemeinsam mehr Transparenz bei der Genehmigung von Rüstungsexporten einfordern würden, damit auch in diesem wichtigen Bereich endlich parlamentarische Kontrolle möglich wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kiesewetter, ich habe Ihnen gut zugehört. Wenn Sie das mit der Transparenz ernst meinen, müssten Sie unserem Antrag zustimmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)

In Gesetzen und Richtlinien haben wir Kriterien festgelegt, an die sich angeblich alle halten wollen. Wie sieht es mit diesen Kriterien konkret aus? Ein besonderes sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik vermag ich hier beim besten Willen nicht zu erkennen. Die atomare Bedrohung durch den Iran kann nicht ernsthaft als Grund für die Lieferung von Panzern herhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Gegenteil: Die Aufrüstung von Saudi-Arabien ist für den Iran eine willkommene Rechtfertigung für die Fortsetzung des Nuklearprogramms.

Nun habe ich mich am Mittwoch belehren lassen müssen, dass der Satz „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“, in Wirklichkeit bedeutet, dass sie doch eine Rolle spielen dürfen, nur keine ausschlaggebende.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So steht es darin!)

Die Sorge der Industrie ist ja verständlich, da jetzt alle europäischen Länder ihre Militärhaushalte reduzieren. Auch unser Verteidigungsminister de Maizière hat in seinen Verteidigungspolitischen Richtlinien klargestellt, dass der Wehrindustrie eine dienende Funktion zukommt. Damit steht die Bundeswehr nicht mehr als Spielwiese für die Industrie zur Verfügung. Man will jetzt zur Abwechslung einmal das anschaffen, was die Truppe braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

EADS-Chef Stefan Zoller ist ganz offen, wenn er sagt: „Wir müssen jetzt dahin, wo die Militärausgaben zweistellig steigen, wie etwa in Indien, Brasilien oder dem Mittleren Osten“. Die industriepolitischen Interessen sind die einzig plausiblen Gründe für eine solche Entscheidung. Damit haben sie aber nicht nur eine Rolle, sondern die ausschlaggebende Rolle gespielt. Genau das dürfen sie nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Darüber hinaus stehen der Genehmigung die Gefahr innerer Repression und die systematischen Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien entgegen. Nähere Ausführungen zu den Abscheulichkeiten wie Auspeitschen, Handabhacken und öffentliche Hinrichtungen wollen wir uns an dieser Stelle ersparen. Die Fakten sind hinlänglich bekannt.

Die Genehmigung der Panzerlieferung ist nicht zu halten. Ich appelliere an Sie als Parlamentarier: Lassen Sie nicht zu, dass die Regierung uns an dieser Stelle völlig entrechtet! Fordern Sie mit uns den Widerruf dieser Genehmigung und transparente Verfahren für die Zukunft!
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Georg Nüßlein von der Fraktion der CDU/ CSU das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, ich muss Sie enttäuschen, in dieser Parlamentsdebatte hat nicht die Regierung das letzte Wort.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie als Merkel-Imitator? Das ist mir neu! – Sigmar Gabriel [SPD]: Sie hat weder das erste noch das zweite noch das letzte Wort!)

Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, und das ist richtig und gut so. Deshalb wundert mich jetzt, dass etliche Kollegen hier in dieser Debatte so tun, als sei das schon entschieden und als ob sie wüssten, was warum wie entschieden worden ist. Das ist doch offensichtlich nicht der Fall.

(Widerspruch bei der SPD)

– Ich rekurriere auf alles, was hier vorgetragen wurde, und etliche Kollegen tun so, als sei das eine ganz klare Sache.

Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, aber offenbar kommt es bei der Beantwortung der Frage, ob es richtig ist, dass er geheim tagt, auf dessen Besetzung an. Wenn er von der einen Seite des Hauses besetzt ist, ist es in Ordnung, dass er geheim tagt, wenn er von der anderen Seite des Hauses besetzt ist, ist es falsch. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe in die jetzige Besetzung jedenfalls mehr Vertrauen als in die alte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Im Übrigen liegt auch mir die Liste, die Kollege Lindner gerade vorgetragen hat, vor. Dies ist eine spannende Liste. Sie ist ellenlang und enthält Handfeuerwaffen, Munition, auch schwere Munition, also alles Mögliche, was man im Inland sehr gut, wenn nicht sogar besser als nach außen einsetzen kann.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Nein, die gestatte ich nicht. Herr Präsident, hier sitzt eine Reihe von Kollegen, die abstimmen wollen. Dafür habe ich viel Verständnis.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)

Wir diskutieren jetzt zum zweiten Mal über dieses Thema, und die Argumente sind irgendwann ausgetauscht. Ich weise noch einmal darauf hin: Unter Rot-Grün gab es für 260 Millionen Euro Exporte an Saudi-Arabien. Auch da gilt, was ich vorhin gesagt habe: Offenbar kommt es weniger darauf an, was exportiert wird, sondern von wem es exportiert wird.

(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wohin!)

Ich finde, das ist für Sie hochblamabel.

Die Frage, ob Saudi-Arabien ein Bollwerk gegenüber dem Iran ist, kann ich als einfacher Wirtschaftspolitiker schwer beurteilen.

(Zurufe von der SPD: Ah!)

Ich setze an dieser Stelle auf die Beurteilung der Israelis; über diesen Punkt sollte man nicht so hinweggehen, wie es einige Kollegen getan haben. Gestatten Sie mir beim Thema Wirtschaftspolitik folgenden Hinweis: In der Rüstungsindustrie gab es einmal 280 000 Beschäftigte. Mittlerweile gibt es noch 80 000 Mitarbeiter in diesem Bereich. Ich weiß, man begibt sich bei diesem Thema auf gefährliches Terrain und ist, insbesondere vonseiten der Grünen – Frau Roth schüttelt an dieser Stelle schon den Kopf –, sofort Verleumdung ausgesetzt.

(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es wird gesagt, es ginge hier nur um wirtschaftliche Interessen. Weil ich den Eindruck verhindern möchte, dass es nur uns um wirtschaftliche Interessen geht, gestatten Sie mir, dass ich Aussagen des Kollegen Arnold von der SPD aus 2010 zitiere. Er sprach 2010 von „Verantwortung für die deutsche Rüstungsindustrie“. Dazu kann ich nur Bravo sagen. Er sagte, dass wir „Hochtechnologie und hochqualifizierte Ingenieure in Deutschland halten“ wollen. Bravo, Herr Kollege Arnold. Es gehe um „Fähigkeiten, die wir haben und die wir nicht verlieren dürfen“. Auch das ist ein Zitat von Ihnen. Er sagte außerdem, der „Erhalt nationaler Kernkompetenzen im Rüstungsbereich“ sei eine gesamtpolitische Aufgabe und im Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik Deutschland. Auch wirtschaftspolitische Interessen sind also bei den Entscheidungen, die im Bundessicherheitsrat wohl abgewogen getroffen werden, zu berücksichtigen.

Wenn es um Menschenrechte und Frauenrechte geht, kann man, wie ich glaube, besser mit einem Staat reden, wenn man

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Panzer liefert?)

ihn nicht komplett ablehnt, sondern ihm auf Augenhöhe begegnet

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und auch auf der Grundlage von Wirtschaftsbeziehungen miteinander diskutieren kann.

Dass wir vielfältige Wirtschaftsbeziehungen zu Saudi-Arabien haben, wissen Sie. Ich glaube, dass es bei der Gesamtabwägung Sinn macht, dies bei der Entscheidung im Bundessicherheitsrat zu berücksichtigen. Der Bundessicherheitsrat wird unter dieser Regierung die richtigen Entscheidungen treffen. In diesem Sinne: Eine schöne Sommerpause!

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Zu zwei Kurzinterventionen erteile ich zunächst dem Kollegen Ströbele und dann dem Kollegen Arnold das Wort.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ströbele hat mehr Redezeit als jeder Hauptredner! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh nein! Nicht schon wieder Ströbele! – Muss das sein?)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Nüßlein hat darauf hingewiesen – das haben auch andere Redner getan, und auch in der Öffentlichkeit wird das dauernd erwähnt –, dass die Sitzungen des Bundessicherheitsrats geheim sind. Das stimmt; ich habe die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates hier.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Sehr gut!)

Aber: Der Bundessicherheitsrat ist ein Ausschuss der Bundesregierung. Der „Geheim“-Stempel, der an ihm haftet, geht nicht auf einen göttlichen Befehl, sondern auf einen Beschluss der Bundesregierung zurück. Selbstverständlich kann die Bundesregierung, allen voran die Bundeskanzlerin, den Grad der Geheimhaltung herunterstufen und dem Deutschen Bundestag Auskunft erteilen. Sie kann nicht nur, sie muss. Sie will nur nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Der Kollege Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen, dass sich Saudi-Arabien immer wieder darum bemüht hat, Panzerlieferungen aus Deutschland zu bekommen. Er hat hinzugefügt, in 30 Jahren sei es nie zu solchen Panzerlieferungen gekommen. Ich möchte den Kollegen Nüßlein – er ist Mitglied der CSU, gehört also der Union an – fragen, ob er bestätigen kann, dass im Jahr 1991, also vor 20 Jahren, die damalige Bundesregierung 37 Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien geliefert hat, und zwar zu einem Preis von 446 Millionen D-Mark, dass 220 Millionen D-Mark davon nützliche Aufwendungen gewesen sind – nützliche Aufwendungen sind Schmiergelder – und dass ein Teil dieser Schmiergelder an die Union geflossen ist,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

nämlich als der damalige Waffenlobbyist Schreiber an der Schweizer Grenze 1 Million D-Mark in einem Koffer an den damaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep übergeben hat? So sieht es aus!

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat doch mit dieser Debatte überhaupt nichts mehr zu tun!)

Insofern ist es dringend erforderlich, dass wir die Wahrheit erfahren, Auskunft bekommen, kontrollieren und der Frage nachgehen: Sind in diesem Fall wieder nützliche Aufwendungen gezahlt worden?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Ich habe im Untersuchungsausschuss 1999 gelernt, dass Saudi-Arabien in der Regel auf die Zahlung solcher Schmiergelder besteht. Wenn jetzt 200 Panzer der Marke Leo an Saudi-Arabien geliefert werden, drängt sich mir der Verdacht auf, dass wieder nützliche Aufwendungen gezahlt worden sind. Das muss dringend aufgeklärt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Kollege Arnold.

Rainer Arnold (SPD):

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben mich zitiert. Ich habe davon keinen Satz zurückzunehmen. Sozialdemokraten bekennen sich nämlich zu ihrer Verantwortung für die Hochtechnologie, auch im Rüstungsbereich. Ich glaube sogar, wir sind mit diesem Thema viel besser, verantwortungsvoller und sensibler umgegangen als Sie. Zu dieser Verantwortung gehört auch, dass man sich an die Exportrichtlinien hält. Dies tun Sie nicht. Eigentlich habe ich mich zu Wort gemeldet, weil ich auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen wollte. Ich finde, die Beiträge von Herrn Dr. Lindner und Herrn Dr. Nüßlein waren entlarvend. Sie reden davon, dass sich die Politik verändert hat, und meinen damit Israel. Schauen Sie einmal genau, was sich wirklich verändert hat und ob sich bei Israel etwas verändert hat.

Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass Israel vor wenigen Wochen sogar der Auffassung war, dass das Jordantal für sie strategisch wichtig ist, weil sie einen Angriff mit Panzern genau aus dieser Richtung befürchten? Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass das Risiko, das Israel zu Recht beschreibt, nämlich die Gefahr einer nuklearen Bedrohung aus dem Iran, eben nie und nimmer durch Kampfpanzer einzudämmen ist?

Die Welt hat sich verändert; da haben Sie recht. Das ist das Entlarvende: Zu dieser eigentlichen Veränderung sagen Sie keinen Satz. Sie finden das, was sich in der arabischen Welt mit den Hunderttausenden jungen Menschen wirklich verändert hat, die für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen und gegen die Despoten ihr Leben riskieren, in keiner Zeile erwähnenswert.

(Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD])

In diesem Sinn bewegt sich diese Entscheidung der Bundesregierung auf einer durchaus kontinuierlichen Linie, nämlich auf der Linie von der Fehlentscheidung, sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu enthalten, bis hin zu Waffenlieferungen an einen Despoten, der vor wenigen Wochen Waffen im Nachbarland eingesetzt hat, um junge Menschen zu bedrohen und umzubringen. Dies sind die Fakten. Wer diese Veränderungen nicht sieht, der sendet die falschen Signale.

Dieses große Wirtschaftsland Deutschland hat eine Kanzlerin, die bei einer solchen Debatte schweigend dasitzt, anstatt klar zu sagen: Wir brauchen das Signal an die arabische Welt. Wir stützen die jungen Menschen, die für Freiheit kämpfen, und wir stützen nicht die Despoten. Wenn dieses Signal fehlt, dann hat dieses Land ein erhebliches außenpolitisches Problem.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Kollege Nüßlein.

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Kollege Arnold, erstens bewundere ich die hellseherischen Fähigkeiten, die hier etliche Kolleginnen und Kollegen zu haben scheinen, sodass sie, ohne zu wissen, wie die Entscheidung ausgeht, was die Grundlage der Entscheidung ist und wie sie begründet ist, schon sagen können, wer verantwortungsvoller handelt und wo die Wahrnehmung der Verantwortung besser aufgehoben ist.

Zweitens. Was Sie zu dem Thema Israel gesagt haben, deckt sich mit dem, was ich gesagt habe. Im Übrigen haben Sie ja hauptsächlich den Kollegen Lindner angesprochen. Drittens. Kollege Ströbele, diese Verdächtigungen sind abstrus, abscheulich und unglaublich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig, das ist abscheulich!)

Ich finde es absolut unangemessen, dass Sie hier einen Eindruck erwecken wollen, der haltlos ist und mit dem Sie im Übrigen nicht nur eine Fraktion treffen, sondern am Schluss wieder die gesamte politische Klasse beschädigen werden. Ich bitte Sie, doch wenigstens das zu berücksichtigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6528 mit dem Titel „Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen“. Wir stimmen über den Antrag auf Verlangen der Fraktion Die Linke nun namentlich ab.

An dieser Stelle will ich erwähnen, dass zu den drei namentlichen Abstimmungen eine Reihe von schriftlichen Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung vorliegen.1) Auch über die beiden anderen Anträge wird, wie schon bekannt gegeben, namentlich abgestimmt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung. Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglieder des Bundestages abgestimmt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6540 mit dem Titel „Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete – Für die Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik“. Auch von der Fraktion der SPD wurde namentliche Abstimmung verlangt. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze wieder eingenommen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung.

Haben alle Abgeordneten abgestimmt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die zweite Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3)

Wir kommen zur dritten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6529 mit dem Titel „Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien“. Über diesen Antrag stimmen wir ebenfalls namentlich ab. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze wieder eingenommen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die dritte und letzte namentliche Abstimmung.

Wenn ich es richtig sehe, haben alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.4) Die Ergebnisse aller drei namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.

(...)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Bevor wir mit der Debatte fortfahren, kommen wir zu den namentlichen Abstimmungen zurück. Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt.

Ich gebe Ihnen zuerst das Ergebnis zum Antrag der Fraktion Die Linke „Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen“ auf Drucksache 17/6528 bekannt: abgegebene Stimmen 543. Mit Ja haben gestimmt 135 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 301 Kolleginnen und Kollegen. Es gab 107 Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zum Antrag der Fraktion der SPD „Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete – Für die Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik“ auf Drucksache 17/6540: abgegebene Stimmen 544. Mit Ja haben gestimmt 246 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 298 Kolleginnen und Kollegen. Es gab keine Enthaltung. Der Antrag ist ebenfalls abgelehnt.

Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien“ auf Drucksache 17/6529: abgegebene Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 243 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein 297 Kolleginnen und Kollegen. Es gab zwei Enthaltungen. Auch dieser Antrag ist abgelehnt.

[Das genaue Ergebnis der Abstimmungen mit allen Namen befindet sich im Protokoll auf den Seiten 14326-14332]

Quelle: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Juli 2011, Plenarprotokoll 17/121, S. 14303-14332; Internet: www.bundestag.de [externer Link].


Zurück zur Bundestags-Seite

Zu weiteren Beiträgen über Rüstung und Rüstungsexport

Zur Saudi-Arabien-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zurück zur Homepage