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Ein Akt auf dem Drahtseil

Kritik am geplanten EU-Rahmenbeschluss zur Terrorbekämpfung

Von Holger Elias, Brüssel *

Die Zahl terroristischer Anschläge hat sich laut europäischer Polizeibehörde Europol im vergangenen Jahr deutlich erhöht. Demnach gab es in den EU-Staaten 583 Anschläge. Insgesamt 1044 Personen seien verhaftet worden, sagte Europol-Direktor Max-Peter Ratzel, der auf einem Forum zum Thema Terrorismusbekämpfung im EU-Parlament am Montag den Jahresbericht seiner Behörde vorstellte.

Den von Ratzel vorgelegten Daten zufolge wäre die Zahl der Anschläge im Vergleich zum Jahre 2006 um 24 Prozent und die der Festnahmen um immerhin 48 Prozent gestiegen. Der Großteil der Anschläge sei auf Aktivitäten baskischer und korsischer Separatisten in Spanien und Frankreich zurückzuführen, dagegen wurde mit nur vier Anschlägen ein Rückgang der Taten mit islamistischem Hintergrund registriert. Ebenfalls rückgängig waren 2007 die Aktionen von Linksextremisten. 21 registrierte Vorfälle richteten ausschließlich materielle Schäden an. Von deutschen Behörden wurden laut Europol im vergangenen Jahr 20 Anschläge vereitelt, 15 Verdächtige seien festgenommen worden. Frankreich führt die Statistik mit 409 Festnahmen an, gefolgt von Spanien (261) und Großbritannien (203).

Ratzel erklärte, die Attentate islamistischer Extremisten stellten vor allem ein großes Problem für die EU dar, weil die Aktionen darauf abzielten, möglichst große menschliche Verluste herbeizuführen. Darauf deuteten auch die im Internet verfügbaren Anleitungen für den Bombenbau hin. Im September 2007 waren zwei Deutsche und ein Türke unter dem Verdacht festgenommen worden, mehrere Anschläge, unter anderem auf eine US-Basis, geplant zu haben. Die Sprengkraft der dazu hergestellten Bomben war enorm. Sie hätten mehr Zerstörungskraft gehabt als jene Sprengsätze, mit denen in Madrid 191 Menschen getötet wurden. Ratzel erklärte, dass sich die Kommandostrukturen der islamistischen Terroristen in EU-Staaten als auch in Pakistan befänden.

Der Präsident der Unterkommission des Europarats zum Kampf gegen den Terrorismus, Dick Marty, übte während der Ausschussberatung in Brüssel heftige Kritik an den von der EU-Kommission geplanten neuen Antiterror-Bestimmungen. Diese berücksichtigten nur sehr ungenügend die fundamentalen Menschenrechte und stellten sogar die kürzlich angenommene Konvention des Europarates in Frage. Er forderte die EU-Mitgliedstaaten im Falle der Durchsetzung des Maßnahmekatalogs auf, sich an die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu halten.

Die als Berichterstatterin des Europäischen Parlaments zu den Beschlussvorschlägen eingesetzte französische Sozialdemokratin Rosalyne Lefrancois räumte ein, dass der von der Kommission eingebrachte Entwurf des Rahmenbeschlusses, der einerseits die Bekämpfung des Terrorismus zum Ziel habe, andererseits die Einhaltung der Menschenrechte garantieren soll, einen »Akt auf dem Drahtseil« darstelle. Es gehe darum, Freiheit und Sicherheit gegenseitig aufzuwiegen, sagte sie. Durch die neue Bestimmung würden künftig nicht nur Vergehen geahndet, sondern es werde bereits gegen Aufrufe zu terroristischen Taten vorgegangen. In dem Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2003 war laut der damals ausgehandelten Terrorismus-Definition ausschließlich die Verfolgung von Straftaten benannt, die mit einem besonderen Vorsatz ausgeführt werden.

Das Stichwort: Der Rahmenbeschluss

Mit der vorgeschlagenen Änderung des EU-Rahmenbeschlusses des Rates vom Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung sollen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus weiter angeglichen werden. Als terroristische Straftaten sollen künftig ausdrücklich auch die öffentliche Aufforderung zur Begehung eines Terroraktes, die Anwerbung für entsprechende Taten, die Ausbildung für terroristische Zwecke, schwerer Diebstahl mit dem Ziel, Materialien für einen Terrorakt zu erlangen und die Ausstellung gefälschter Verwaltungsdokumente gelten. (ND)



* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2008


Terrorlisten abschaffen!

Von Ulla Jelpke **

Das Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat vergangenen Donnerstag (3. April) entschieden, dass die Arbeiterpartei Kurdistans PKK und der aus ihr hervorgegangene Volkskongress Kurdistan Kongra-Gel von der Terrorliste der EU gestrichen werden müssen. Die Europäische Union habe die Aufnahme der Organisationen in die Liste in den Jahren 2002 und 2004 nicht ausreichend begründet, rechtfertigte das Gericht seine Entscheidung mit Verfahrensfehlern. [siehe hierzu: Sieg für die PKK]

Praktische Folgen wird das Urteil nicht haben. Denn schon längst hat das hinter verschlossenen Türen tagende Gremium des EU-Rats eine von dem Urteil nicht berührte Neufassung der Liste beschlossen, die weiterhin die PKK und Kongra-Gel enthält. So ist das aktuelle Urteil lediglich eine weitere Ohrfeige für die »schwarzen Listen« und ein erneuter Beweis für Rechtsverletzungen im so genannten Anti-Terror-Kampf.

Auch der Sonderermittler des Europarats, Dick Marty, hatte vergangenen November harte Kritik an den willkürlichen Terrorlisten geübt und mehr Rechtsschutz für die Betroffenen eingefordert. Denn schon ein vager Verdacht reiche aus, um als unbescholtener Bürger auf die Terrorlisten zu kommen --mit gravierenden Folgen wie der Sperrung der Konten und der Unterbindung aller Geschäftsbeziehungen der Betroffenen.

Die Listen mit rund 50 als »terroristisch« eingestuften Organisationen und ebensovielen Einzelpersonen waren nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vom Rat der Europäischen Union eingeführt worden. Allein außenpolitische Interessen der EU-Staaten entscheiden darüber, ob eine Gruppierung als terroristische oder Befreiungsbewegung eingestuft wird. So finden sich auf der Liste neben Al Qaida auch die vor ihrem Verbot mit zahlreichen Bürgermeistern im spanischen Baskenland präsente Partei Batasuna und die von einem Großteil der Palästinenser bei der letzten Wahl unterstützte Hamas.

Neben der Beschlagnahme von Geldern dient die Aufführung auf den Terrorlisten der Stigmatisierung von Konflikt- und Bürgerkriegsparteien. Dies erschwert Friedenslösungen etwa in Kurdistan und dem Nahen Osten, auf Sri Lanka oder in Kolumbien. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, sich von der Praxis der »schwarzen Listen« zu distanzieren.

Zusätzlich zu den Terrorlisten besteht in Deutschland seit 1993 das PKK-Verbot. In den letzten Wochen wurden deswegen wieder mehrere Kurden verhaftet und Kulturvereine durchsucht. Regelmäßig kommt es zu Polizeiübergriffen auf friedliche Demonstrationen, nur weil dort Bilder des in der Türkei inhaftierten kurdischen Politikers Abdullah Öcalan gezeigt werden. Organisationen, die wie der Kongra-Gel für eine politische Lösung der kurdischen Frage im Rahmen einer demokratischen Föderation eintreten, werden verfolgt und kriminalisiert.

In den letzten Monaten ging die türkische Armee gegen Kurden im benachbarten Irak vor. Bei den Newroz-Festen vor drei Wochen wurden in der Türkei drei Menschen von der Polizei erschossen und Hunderte Verhaftet.

Ein Ende des PKK-Verbots in Deutschland ist notwendig, um hier lebenden kurdischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern eine demokratische politische Betätigung zu ermöglichen. Dies wäre ein Beitrag zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage auch in der Türkei.

** Aus: Neues Deutschland, 11. April 2008


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