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Die Debatte um den NATO-Krieg gegen Jugoslawien geht weiter
Heute: Ein Leserbrief aus Augsburg
Am 2. Juni 2001 veröffentlichte die FR einen weiteren Leserbrief im Rahmen der FR-Debatte, die im März mit der Veröffentlichung eines Briefes der beiden Hamburger Friedensforscher Lutz und Mutz initiiert worden war.
Zum Thema haben wir auf unserer Homepage die folgenden Stellungnahmen dokumentiert:
Selbstinszenierung
Zu Elementares Debattendefizit (FR vom 15. Mai 2001): Der
Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei kritisiert die Kriegspropaganda seines
Verteidigungsministers - gut! Einen rhetorischen und moralischen "Overkill" nennt
er Scharpings Auftritt vor dem Bundestag - noch besser, denn endlich gibt einer die
Einheit von Moral und Krieg zu. Natürlich kommt's auf die Dosierung an: Overkill ist
schädlich, punktgenau soll die Moral dem Killen dienen. Wie das geht, das haben
die Pazifisten unter den Grünen der großen Kriegskoalition schon 1999
vorgesungen und MdB Nachtwei hat brav seinen Text gelernt und nachgebetet:
Man inszeniert im Stil der attischen Tragödie sich selbst als tragischen Helden.
Der steht zwischen ethischen Prinzipien, die absolute Gültigkeit haben und
zugleich sich gegenseitig ausschließen. Wie immer der tragische Held sich
entscheidet: Er ist immer sittlich rein und schuldig zugleich, weil er einen
absoluten ethischen Wert realisiert und sich dabei gegen einen anderen versündigt.
Auf die blutige Farce von 1999 übertragen heißt das, dass unsere
schuldig-unschuldigen Parlamentarier von den kollidierenden Werten geradezu
aufgerieben worden sind. Hier die völkerrechtliche Souveränität Jugoslawiens, hier
das Verbot des Angriffskrieges in der Verfassung. Dort die unteilbaren
Menschenrechte, dort das Recht der Kosovaren auf Leben und Heimat, dort die
Nothilfe für die Opfer der "ethnischen Säuberung", dort der "humanitäre Krieg". Ist
es nicht ein Wunder, dass sich trotz solcher Gewissenskonflikte eine große
Kriegskoalition im Bundestag zusammenfand? Wie kann man nur "apodiktisch und
ohne jeden Abwägungsversuch" (Nachtwei) die Selbstinszenierung der großen
Kriegskoalition ablehnen?
Schön und gut (griechisch: kalos k'agathos) ist die Menschenrechtspolitik für die
Nato und ihre Erfüllungsgehilfen auch aus einem anderen Grund. Sie erweitert ihren
Aktionsradius. Wo immer die Nato Verletzungen der Menschenrechte feststellt,
kann, aber muss sie nicht intervenieren (siehe Türkei und Kurden). Solange die
Menschenrechte als Recht des Menschen gegen den Staat galten, stellten sie
eine Schranke für ihn dar. Im Zeichen der Globalisierung werden solche Schranken
überwunden und aus der Not wird eine Tugend.
Wolfgang Walter, Augsburg
Leserbrief aus: Frankfurter Rundschau, 2. Juni 2001
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