Kleinwaffen am Horn von Afrika
Ein wissenschaftliches Projekt fordert Verknüpfung von Abrüstung und Entwicklungspolitik
Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung des BICC-Bonn International Center for Conversion vom 17. Mai 2002. Darin werden Ergebnisse eines spannnenden Projekts vorgetragen, das von 2000 bis 2002 durchgeführt wurde und sich mit der Nachfrageseite der Kleinwaffenproblematik am Horn von Afrika befasste. Einen ausführlichen Bericht dazu enthält auch das diesjährige Friedensgutachten der fünf Friedensforschungsinstitute.
PRESSEERKLÄRUNG
17. Mai 2002
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik
sind seit
mehreren Monaten Marineeinheiten im Einsatz am Horn
von Afrika.
Das Operationsziel dieser Einheiten ist unter
anderem
Waffenschmuggel zu verhindern. Wie kaum eine andere
Region in
Afrika ist das Horn von Kleinwaffen überschwemmt.
Sie bestimmen
nicht nur Formen und Intensität von lokalen
bewaffneten
Auseinandersetzungen, sondern auch das Alltagsleben
der Menschen.
Seit 2000 betreibt das SALIGAD-Projekt (Small Arms
and Light
Weapons in IGAD) konkrete Datenerhebung und
Feldforschung zu
Nachfrage und Gebrauch von Kleinwaffen am Horn von
Afrika. In
einem beispiellosen Dialogprogramm hat das
SALIGAD-Projekt
darüber hinaus in Workshops und Konferenzen
Regierungs- und
lokale Vertreter, regionale und internationale
Nicht-Regierungs-
sowie Entwicklungshilfeorganisationen
zusammengebracht, um
Informationen und Erfahrungen auszutauschen. Das
SALIGAD-Projekt, maßgeblich gefördert durch das
Bundesministerium für Wirtschaftliche
Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) über die Gesellschaft für
Technische
Zusammenarbeit (GTZ) und Brot für die Welt, gehört
zu den
wichtigsten Kleinwaffen-Projekten des
Internationalen
Konversionszentrums Bonn (BICC).
Als Institution mit langjähriger Erfahrung in der
Demobilisierung und
Reintegration von ehemaligen Kämpfern lag es für
das BICC nahe,
das SALIGAD-Projekt in enger Zusammenarbeit u.a.
mit der
Pastoralist Peace and Development Initiative
(Kenia), dem Peace
and Development Committee (Äthiopien) und dem
Injury Control
Center (Uganda) vor Ort zu organisieren. "Heute ist
es so, dass in
der Region kontinuierlich aufgebaute
Entwicklungsmaßnahmen
über Nacht durch den Einsatz von Kalaschnikows
zunichte
gemacht werden können. Der Zusammenhang zwischen
Abrüstungspolitik und Entwicklungspolitik könnte
nicht
deutlicher und dramatischer sein", betont Peter
Croll, Direktor
des BICC.
Erste Ergebnisse der SALIGAD-Aktivitäten liegen nun
in Form einer
Studie mit dem Titel "Small Arms in the Horn of
Africa:
Challenges, Issues and Perspectives" vor:
-
Erste Schritte zur Einschränkung des Einsatzes
von
Kleinwaffen wurden gemacht. Beispiel hierfür
ist
Somaliland, wo durch den Ältestenrat Rückgabe
und
Kontrolle von Kleinwaffen in die Verantwortung
der lokalen
Gemeinden gelegt wurde. Dadurch sind heute in
Somaliland
zwar immer noch Waffen vorhanden, sie kommen
aber nicht
mehr wie noch vor wenigen Jahren wahllos zum
Einsatz.
-
Verstärkte gesellschaftliche Kontrolle in
ländlichen
Gebieten wurde erreicht. Durch die massenhafte
Verbreitung von Kleinwaffen wurde
Viehdiebstahl zu einem
militarisierten Beutezug. Im Grenzgebiet Kenia
und Tansania,
Kuria-Region, begegnete man diesen Ausbrüchen
der Gewalt,
die zahlreiche Opfer forderten, mit
"Sungusungu", der
Wiedereinführung eines traditionellen
Untersuchungs- und
Gerichtsverfahrens. Auch wenn diese Methoden
weit davon
entfernt sind, rechtsstaatlich zu sein und aus
Menschenrechtswarte kritisiert werden können,
trugen sie
doch zur Eindämmung des bewaffneten
Viehdiebstahls bei.
-
Erste Initiativen wurden ergriffen, um in
urbanen
Gebieten die Zusammenarbeit von Polizei und
Zivilisten
wiederzubeleben. In Nairobi war das Vertrauen
der
Bevölkerung in die Polizei auf den Nullpunkt
gesunken, da
diese im Verdacht stand, durch Waffenverleih
und Korruption
die Kriminalität in der kenianischen
Hauptstadt noch zu
fördern. Durch Infrastrukturförderung der
Geschäftswelt ist die
Polizei mittlerweile in die Lage versetzt
worden, ihre Aufgaben
wieder wahrzunehmen und den
Kleinwaffenmissbrauch zu
bekämpfen.
"Solange man nicht genau versteht, was die Menschen
motiviert,
sich von ihrem geringen Einkommen eine Waffe zu
kaufen,
solange werden wir von Kleinwaffenkontrolle weit
entfernt
sein", warnt Kiflemariam Gebre-Wold, Projektleiter
SALIGAD.
In diesem Zusammenhang verweist er auf verschiedene
kulturelle und
soziale Motivationen: In vielen ländlichen Regionen
ist die
Rachekultur noch lebendig, Heldentum bei jungen
Männern ein
gesellschaftlich erstrebenswertes Ziel. Unter
solchen Umständen
werden sich Menschen bewaffnen, um ihre Würde zu
verteidigen,
den Brautpreis durch bewaffneten Viehdiebstahl zu
erwirtschaften
oder um ihre Rechte als ethnische Gruppe
durchzusetzen.
Gebre-Wold betont, dass man sich erst am Anfang
eines langen
Weges befände, an dessen Ende die freiwillige
Abgabe der
Kleinwaffen und ihre Vernichtung stehen muss.
Entscheidend für die Lösung des Kleinwaffenproblems
ist die
Einbindung der Zivilgesellschaft, insbesondere der
ländlichen
Bevölkerung. Sie muss den Waffeneinsatz als Mittel
der
Konfliktaustragung ächten und (traditionelle)
Alternativen der
Konfliktaustragung nutzen bzw. wiederbeleben. Auch
die
Unterstützung der National Focal Points (NFP) hat
in diesem
Zusammenhang große Bedeutung. Der Staat wiederum
muss in die
Lage versetzt werden, sein Gewaltmonopol unter
Einhaltung der
Menschenrechte und bei ziviler Kontrolle
einzusetzen. Die
Entwicklungszusammenarbeit ist hier gefordert und
beabsichtigt im
Horn von Afrika, u.a. durch die Unterstützung von
SALIGAD, das
Thema Kleinwaffen beispielhaft in die Projektarbeit
der technischen
Zusammenarbeit zu einzubringen.
Für die nächste Zukunft hält das SALIGAD-Projekt
die folgenden
Aspekte für zentral:
-
Der Umgang mit und die Auswirkungen von
Kleinwaffen sind
durch die Geschlechterrollen bestimmt. Deshalb
muss mehr
Augenmerk auf geschlechtsspezifische Fragen
gelegt werden.
Eine Lösung des Kleinwaffenproblems ist
solange nicht
möglich, wie die Frauenfrage ausgeblendet
bleibt. Das BICC
bereitet eine Dokumentation hierzu vor.
-
Waffen ohne Munition sind wie Krokodile ohne
Zähne.
Technisch, etwa durch Markierung, und mit
polizeilichen
Mitteln, etwa ein bilaterales strenges
Grenzregime, kann
Munition besser kontrolliert werden.
-
Der von SALIGAD initiierte Dialog zum Thema
Kleinwaffen
zwischen Zivilgesellschaft und NGOs einerseits
und der
Regierungsseite andererseits muss auch über
die Laufzeit des
Vorhabens fortgesetzt und vertieft werden. Die
Schaffung von
gesellschaftlicher Transparenz im
Sicherheitssektor,
einschließlich der Kleinwaffen im zivilen und
militärischen
Besitz, ist eine gesellschaftliche Aufgabe,
bei der die
Entwicklungszusammenarbeit wichtige Impulse
geben kann.
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