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"Verstehen Sie bitte meine Vorwürfe gegen die Kriegsbefürworter als eine Friedenserklärung an den Staat"

Dankesrede von Major Florian Pfaff anlässlich der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille

Am 10. Dezember 2006, dem "Internationalen Tag der Menschenrechte" fand in Berlin die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaillen statt. Einer der Preisträger war Major Pfaff, der 2003 wegen seiner Weigerung, sich auch nur indirekt am Irakkrieg zu beteiligen, von der Bundeswehrführung degradiert wurde, später aber höchstrichterlich rehabilitiert werden musste. Wir dokumentieren im Folgenden seine Rede im Wortlaut.
Die Eröffnungsrede von Rolf Gössner haben wir hier veröffentlicht: "Wir ehren ausdrücklich den Widerständigen, den gewissenhaften Befehlsverweigerer in Uniform".



Sehr geehrter Herr Dr. Rolf Gössner, liebe Anwesende,

meinen ganz herzlichen Dank an die Internationale Liga für Menschenrechte, dass Sie sich entschieden haben, auch mich mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille auszuzeichnen. Dies ist für mich eine ganz besondere Ehre. Vielen Dank auch an Jürgen Rose für die Laudatio, aber ich habe nur meine Pflicht als Soldat und Christ getan. Sie belohnen nicht nur meine damalige Entscheidung zugunsten meines Diensteides, sondern bewirken damit auch, dass meine persönliche Meinung, meine Anklage gegen die fatalen Zustände, öffentlicher wird.

Ich bin daher auch dankbar, die folgenden Worte, die ich mit meinem Dank verbinde, an die Öffentlichkeit richten zu dürfen. Die Tat eines Einzelnen vermag nämlich keine Angriffskriege zu stoppen. Auch die Mahnung, die ich nun aussprechen möchte, wird bestenfalls ein bescheidener Beitrag zum Frieden sein. Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen und versuchen, den Ein- oder Anderen zum Mitmachen zu ermutigen. Verstehen Sie bitte meine Vorwürfe gegen die Kriegsbefürworter als eine Friedenserklärung an den Staat.

Auch ich spreche natürlich nur als Privatperson, nicht in meiner Funktion als Major im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Es besteht bestimmt keine Gefahr, dass ich mich mit dem sogenannten Verteidigungsministerium, mit Leuten, die die Mitwirkung an Mord und Totschlag sowie die Vorbereitung von Angriffskrieg nicht ablehnen, identifiziere. Um unumwunden Klartext zu reden: Leute, die auch in völkerrechtswidrigen Angriffskriegen Hilfe von mir erwarten, die Soldaten wie mich auffordern, das Grundgesetz in diesem Punkt zu missachten, sind für mich irrelevant. Ich nehme sie als Vorgesetzte gar nicht mehr ernst.

Die Drohungen gegen mich mit Entlassung bzw. Degradierung musste ich damals zwar sehr ernst nehmen, nicht aber die Verkünder selbst, also nur ihre Macht, nur ihre Uniform. Vorsätzliche Nötigung genügt natürlich nicht, mich mit Respekt zu erfüllen und Gutes zu reden über diese Leute, die mir einreden wollten, ich selbst solle nicht mehr prüfen, ob ich an Verbrechen beteiligt bin. Indem meine damaligen Vorgesetzten von mir verlangten wegzusehen, haben sie ja nicht nur den Irak-Krieg begünstigt, der schon damals nach der herrschenden juristischen Meinung in Deutschland ein ungesetzlicher Angriffskrieg war. Diese Leute haben durch die Aufforderung, das Gesetz zu ignorieren, sogar offen zu erkennen gegeben, dass sie den Irak-Krieg für ein Verbrechen halten. Wer nämlich glaubt, nur Gutes abzuverlangen, der sagt wohl nicht: “Schauen Sie weg, denken Sie nicht darüber nach!” - Er wird statt dessen sagen: “Sehen Sie doch her, hören Sie doch zu!” Meinen Vorgesetzten war also nachweislich bewusst, dass zumindest ich zum richtigen Ergebnis kommen werde, wenn ich die Rechtslage (wie gesetzlich vorgeschrieben) prüfe. Auch der sogenannte Rechtsberater, der mich einseitig beriet, hatte auf meine Frage, was denn passiere, wenn ich mich bis zuletzt konsequent an das Recht halte, nicht mitmache und vor Gericht Recht bekomme, geantwortet: “Dann sind Sie ein Held”. Er wusste, wie Rechtstreue wirkt. Wäre er von der Verwerflichkeit meines Handelns ausgegangen, hätte doch auch er anders geantwortet, z.B.: “Sie können gar nicht Recht bekommen, weil dieser Krieg sauber ist.” Alle wussten wohl, dass solche Kriege ein Verbrechen sind, dass nur Macht gegen Recht und Moral stand. Hätte ich mich nach solcher Klärung der Lage etwa zum Mörder machen sollen, nur weil das möglicherweise bequemer gewesen wäre? Sicher nicht. Man braucht wohl ausserdem nicht sonderlich viel Mut in einem Rechtsstaat, in dem man auf relativ unabhängige Gerichte vertrauen kann, in dem man als Kritiker normalerweise nicht zum Krüppel geprügelt wird, nicht vergiftet und auch nicht ohne Anwalt anonym in eine Geheimdienstvollzugsanstalt verschleppt und gefoltert wird. Ich bin somit kein Held, zwar ein rechtstreuer und gottesfürchtiger Soldat des alten Europa - aber kein Sold-Mörder.

Ich muss den damaligen Verantwortlichen daher fast schon danken, dass sie Recht und Gesetz so unverhohlen mit Füßen getreten und so konsequent verwerflich gehandelt haben. Hätte ich bei diesen Leuten die Überzeugung feststellen müssen, dass sie einen guten Grund hatten, meine Mitarbeit zu verlangen, und hätten Sie nicht auch den Bruch des Wehrstrafgesetzes ganz unverblümt verlangt, hätte ich wohl länger prüfen müssen und wäre die Entscheidung schwieriger gewesen, hätte mehr Mut abverlangt. So hatte ich keine Wahl.

Natürlich empfinde ich nicht wirklich Dankbarkeit diesen Leuten gegenüber. Meinen heutigen unmittelbaren Vorgesetzten, auch den nächsthöheren gegenüber, allerdings schon, das will ich hier auch erwähnen. Diese haben mich, im Gegensatz zu den damaligen (im übrigen schon lange vor dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Juni 2005) nicht nur moralisch unterstützt, einer hat mir sogar schriftliche Zitate zum Vorrang des Gewissens übergeben, weil er glaubte, dass schon meine moralische Begründung vor Gericht ausreichen werde. Wie wir heute wissen, hatte er Recht. Ich möchte an dieser Stelle aber auch allen anderen Organisationen und Einzelnen danken, die sich gegen die Zerstörung unseres kulturellen Fundaments und für den Erhalt der Würde des Menschen engagieren. Sie sind der Beweis, dass sich solcher Einsatz lohnt. Wegen Ihnen war ich gerne Soldat. Ich schließe hier ausdrücklich alle Radikal-Pazifisten ein, die ich verstehe, auch wenn sie oft belächelt werden.

Es ist auf der anderen Seite sehr schade, dass der Verteidigungsminister ein Papier herausgegeben hat, das Richterschelte betreibt, mir unterstellt, ich hätte keine existentiellen Gewissensgründe gehabt, und sogar in völlig abstruser Weise von mir verlangt, ich solle auch im Fall befohlener völkerrechtswidriger Angriffskriege gehorchen, anstatt nach dem letztinstanzlichen Urteil nun einzugestehen, dass ich ein Gewissen hatte, haben durfte, und dass es Vorrang vor solchen ungesetzlichen Kriegen hat.v Nach unserem Grundgesetz ist die Würde des Menschen unantastbar. Dass meine Würde mit Füßen getreten und ich als schlechter Soldat hingestellt werde, ist dabei noch relativ harmlos. Dass alle einfachen Soldaten auch in ungesetzlichen Angriffskriegen gehorchen sollen, halte ich jedoch für einen gravierenden Fehler, sogar für ein Verbrechen. Auf Befehl in Angriffskriege wie den Irak-Krieg zu folgen - nicht weniger verlangt das Ministerium in Fällen wie dem meinen noch heute - heißt doch vor allem, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, also elementare Menschenrechte, einfach geopfert werden soll. In dem durch die USA im Irak ausgelösten Krieg heißt das inzwischen mehr als 500.000 Tote und noch viel mehr Gefolterte und Verstümmelte. Die Iraker sind offenbar ein Problem. Keine Iraker sind für die Bush-Administration offenbar kein Problem. Wo bleibt da die Bindung an Recht und Gesetz? Soll weltweiter Angriff aufgrund von Lügen zur Demokratie führen? Ich verstehe etwas anderes unter Demokratie, vor allem bei uns, wo der Friede das Wahlversprechen war und ein Anteil der Bevölkerung irgendwo zwischen 90 und 99 Prozent die Beteiligung an solchen Verbrechen als Mittel zum vermeintlichen Wohl ablehnte.

Wir Soldaten haben früher gelernt, das Völkerrecht habe Vorrang vor nationalen Befehlen. Nach dem Völkerrecht war der Irak-Krieg verboten. Ist ein Angriff nur auf Grund von Interessen, aber ohne zuvor selbst angegriffen worden zu sein, nun Bürgerpflicht, oder bleibt er, auch wenn ein Bündnispartner darum bittet, Mord und Totschlag? Das bleibt Mord - und zwar auch dann, wenn wir glauben, keine Angst mehr haben zu müssen, unmittelbar in einen Krieg verwickelt zu werden, weil wir den Angegriffenen etwa für relativ schwach halten.

Mord und Totschlag sind immer verwerflich, auch ohne für sich selbst Nachteile befürchten zu müssen. Dabei sehen wir doch bereits deutlich die Folgen: Wir können inzwischen nicht einmal mehr mit einer Tüte Milch in ein Flugzeug steigen. Unsere Freiheit geht verloren. Von Recht und Moral, dem Fundament unserer Gesellschaft, ganz zu schweigen.

Dies nicht, weil uns ein Militärpakt bedrohen würde, sondern nur, weil wir den Terror der Starken gegen die Schwachen unterstützen und nun zu Recht fürchten, dass der Krieg der Schwachen gegen die Starken, den wir in Form von Terror zurück erhalten (siehe Madrid, London usw.), allmählich auch uns vermehrt trifft - weil wir immer weiter hineinschlittern.

Was soll die Entmenschlichung von Gefangenen und die Bewachung von Foltergefängnissen durch deutsche Soldaten? Will die Bundesregierung etwa als nächstes die Pflicht zur Eroberung unserer Rohstoffe in Artikel 3 des NATO-Vertrags festschreiben lassen oder vielleicht einfach nur nichts wissen wollen, was ja auch eine Methode ist, Kriegsverbrechen wie in Falludscha zu begünstigen? Man kann dann ganz in Ruhe die Bomber weiter betanken.

Wir diskutieren inzwischen ganz offen, ob wir den Iran konventionell oder atomar angreifen sollten, weil es ja sein könnte, dass er irgendwann das gleiche Recht fordert, das sich andere in der Region, wie Israel, Indien oder Pakistan schon herausgenommen haben.

Nach dem Willen eines unserer Minister sollten Foltergeständnisse legal verwertbar werden. Das versteht er offenbar unter Menschenrechten. Wer nun glaubt, das Bundesamt für Verfassungsschutz werde unser Grundgesetz hüten, der wird feststellen müssen, dass dort auch schon die Heinzelmännchen sitzen, die am Gesetz sägen. Sogar der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz lehnte sich kürzlich aufgrund der herbei gebombten Bedrohungslage aus dem Fenster für eine Legalisierung der Verwendung von rechtswidrig und unmenschlich erpressten - natürlich damit auch falschen - Geständnissen.

Wer Folter grundsätzlich verwenden will, ist ein kleiner Perverser - und ein dümmlicher dazu, der das Signal aussendet, er sei ansonsten hilflos und am Ende. Damit erklären solche Leute nur ihren intellektuellen und moralischen Bankrott. Lassen Sie uns den Teufelskreis aus Menschenverachtung und gleichermaßen rechtswidrigen und unmoralischen Folgen durchbrechen! Mit so einem Apparat, der den Rechtsbruch der Mächtigen besser zu schützen scheint als das Recht der Schwachen, der sich vorbehält, auch dort einen sogenannten Kreuzzug zu führen, wo er nicht bedroht war, für den die Verteidigung von Interessen das Recht einschließt, seine Soldaten auch zu Angriffskriegen zu zwingen, ist bei Licht betrachtet doch auf Dauer kein Staat zu machen. Glauben wir nicht den falschen Propheten. Wir sind stark und zahlreich genug. In Deutschland sind wir mehr als 90%. Nicht nur das Recht, auch die Moral ist zudem ganz auf unserer Seite. Die USA setzen nach ihrem “stopp loss”-Gesetz inzwischen sogar zwangsweise Soldaten in ihrem Krieg ein, wenn Sie so wollen “Kampfsklaven”. Selbst das nützt ihnen nichts. Sie ernten nur immer mehr Widerstand. Wo keine Flächenbombardements erfolgen und keine Hochzeitsgesellschaften in die Luft gesprengt werden, nur weil ein Terrorist darunter sein könnte, gibt es dagegen viel weniger Widerstand. Nicht Machtausübung, Verteufelung und Terror führen zum Frieden. Nein. Gerechtigkeit, Freundschaft und Friede verringern den Terror. Machen wir also die Lüge zum ersten Opfer im Frieden! Handeln wir konsequent!

Ich fordere alle Bürger auf, künftig nur noch Parteien zu wählen, die sich nicht an Angriffskriegen beteiligt haben und dies für die Zukunft auch ausdrücklich ausschließen. Ich bitte alle meine Kameraden: Verweigern Sie alle Befehle zur Mithilfe an Angriffskriegen. Angriff ist immer abzulehnen. Dass die Vorbereitung von Angriffskriegen verboten ist, geben die Kriegstreiber ja selbst zu. Glauben Sie nicht den unverbindlichen Lügen, Sie müssten an bereits begonnenen oder durch Sie nicht vorbereiteten Verbrechen als Kombattant mitwirken. Beteiligen Sie sich nicht einmal an der Diskussion, ein anderes Land zu überfallen, ohne dass dieses zuvor den Frieden gebrochen hat. Ich jedenfalls antworte denen, die mich zwingen wollen, auch an Angriffskriegen wie dem Irak-Krieg mitzuwirken, Leuten, die ich unumwunden “Verbrecher” nenne, nur: “Nein - Der Friede sei mit Ihnen!”

Allen Übrigen rufe ich dagegen zu: “Ja - Der Friede sei mit Ihnen! - Vielen Dank!”


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