"Wir ehren ausdrücklich den Widerständigen, den gewissenhaften Befehlsverweigerer in Uniform"
Die Internationale Liga für Menschenrechte verlieh die Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006 an Bernhard Docke (Bremen) und Florian Pfaff (München). Rede von von Rolf Gössner
Pressemitteilung im Vorfeld der Verleihung der Medaille
Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, verleiht die „Internationale Liga für Menschenrechte“ die Carl-von-Ossietzky-Medaille an Rechtsanwalt Bernhard Docke und den Major der Bundeswehr Florian Pfaff.
Ihren allgemeinen Zielsetzungen folgend, würdigt die Liga damit Menschen, die durch ihr Engagement Vorbilder im Kampf für Frieden und die Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte sind.
Florian Pfaff wird ausgezeichnet, weil er sich einem Befehl verweigerte, dessen Befolgung ihn zu einem Mithelfer an dem unheilvollen, das Völkerrecht missachtenden Angriffskrieg gegen den Irak gemacht hätte. Carl von Ossietzky hätte sich wohl Offiziere dieses Geistes als Verbündete gegen die Reichswehr als Aggressionsarmee gewünscht.
Rechtsanwalt Bernhard Docke erhält die Medaille für sein intensives, sich über mehrere Jahre erstreckendes Engagement, juristisch und in der Öffentlichkeit, für den im sogenannten „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan und Guantanomo misshandelten, jahrelang rechtswidrig inhaftierten Murat Kurnaz.
Die Liga sieht einen Zusammenhang zwischen Florian Pfaffs Akt der Zivilcourage innerhalb des Militärs und Bernhard Dockes Einsatz für die Menschenrechte eines unter extremen Bedingungen inhaftierten Gefangenen. Der Fall von Murat Kurnaz macht deutlich, dass eine Beteiligung Deutschlands an Militäreinsätzen zu einer Aushöhlung menschen- und völkerrechtlicher Standards beiträgt. In den betroffenen Ländern löst der Krieg keine Probleme – er bringt den Menschen dort Gewalt, Elend und Chaos.
Die Würdigung der Preisträger und die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaillen finden im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung statt am Sonntag, 10. Dezember 2006, dem Tag der Menschenrechte.
Für den Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte
Dr. Rolf Gössner
Kilian Stein,
Yonas Endrias
Thursday 2 November 2006
Warum Carl-von-Ossietzky-Medaille?
Carl von Ossietzky, engagierter Publizist der Weimarer Republik und Herausgeber der Zeitschrift “Weltbühne”, war seit 1920 Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte und bis 1933 ihr Vorsitzender. Als verantwortlicher Redakteur für einen die geheime Aufrüstung der Reichswehr enthüllenden Artikel wurde er 1931 wegen “Verrats militärischer Geheimnisse” zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Am Tag seines Haftantritts erklärte er: “Ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin.” Obwohl 1932 amnestiert, wurde er 1933 nach dem Reichstagsbrand wegen des gleichen Vorwurfs in Gestapo-Haft genommen. 1936 führte eine weltweite Kampagne zur Verleihung des Friedensnobelpreises an den im Konzentrationslager eingekerkerten Carl von Ossietzky. Er starb 1938 an den Folgen der in den Konzentrationslagern erlittenen Misshandlungen.
Seinem unkorrumpierbaren Geist und seinem Einsatz für Frieden und Menschenrechte fühlt sich die Internationale Liga für Menschenrechte verpflichtet. Seit 1962 verleiht sie jährlich die Carl-von-Ossietzky-Medaille an Personen und Gruppen, die sich um die Verteidigung der Menschenrechte besonders verdient gemacht haben.
Einführungsrede von Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaillen 2006 an Rechtsanwalt Bernhard Docke und Major Florian Pfaff
Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ verleiht die Carl-von-Ossietzky-Medaille jährlich
zum Tag der Menschenrechte. Heute vor genau 58 Jahren, also am 10. Dezember 1948,
proklamierten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Das
war ein bedeutender Schritt auf dem langen Weg zu einem wirksamen Schutz der Menschenrechte.
Die Allgemeine Menschenrechtserklärung ist eine historische Konsequenz aus den
leidvollen Menschheitserfahrungen mit der Nazidiktatur und zwei verheerenden Weltkriegen
– genauso wie die Charta der Vereinten Nationen, die zur Wahrung des Weltfriedens und internationaler
Sicherheit auf das Prinzip der Gewaltfreiheit setzt.
Doch mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror werden diese internationalen Konventionen
zunehmend in Frage gestellt, ja systematisch verletzt. Präventive Angriffskriege und
Kriegsverbrechen, extralegale Haft, Folter, aberwitzige „Antiterror“-Aktionen im Namen der
Sicherheit und Freiheit – seit Jahren erleben wir ein tiefgreifendes Umorientierungs-, Umgestaltungs-,
ja ein regelrechtes Umerziehungsprogramm. Wir sind Zeugen einer Entfesselung
staatlicher Gewalten, wir sind Zeugen einer Demontage hergebrachter Standards des Völkerrechts,
der Menschen- und Bürgerrechte. Denken wir nur an den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen den Irak, an systematische Folterungen in Abu Ghraib und die Entrechtung
auf Guantànamo. Denken wir aber auch an die bundesdeutschen „Antiterror“-Gesetzespakete
mit ihren Befugniserweiterungen für Polizei und Geheimdienste, oder denken wir an die Nutzung
der giftigen Früchte der Folter durch bundesdeutsche Sicherheitsorgane, die damit das
absolute Folterverbot relativieren. Jedenfalls werden demokratische und zivilisatorische Errungenschaften
- die einen Rechtsstaat von einem Unrechtsstaat unterscheiden - in ihrer Substanz
in Frage gestellt – Errungenschaften, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte mühsam, unter
schweren Opfern erkämpft worden sind.
Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006
Auf dem Hintergrund dieser verhängnisvollen Destruktion findet die heutige Verleihung der
Carl-von-Ossietzky-Medaillen statt. Mit Bernhard Docke und Florian Pfaff zeichnen wir Akteure
aus, die sich in ihren recht unterschiedlichen Wirkungsbereichen auf eindrucksvolle
Weise dieser Destruktion entgegengesetzt haben und weiterhin widersetzen.
Nun, manche werden sich vielleicht gewundert haben, dass wir heute mit Major Florian Pfaff einen Angehörigen der Bundeswehr auszeichnen. Ist das nicht ein Widerspruch? Der Pazifist Carl von Ossietzky und ein Bundeswehrmajor, der eine Medaille mit Ossietzkys Namen überreicht bekommt – wie passt das zusammen? Noch nie in der Geschichte der Liga ist ein aktiver Militärangehöriger mit dieser Auszeichnung geehrt worden. Und noch nie hat ein
aktiver Militärangehöriger, in unserem Fall Oberstleutnant Jürgen Rose, eine Laudatio auf einen
Ossietzky-Medaillen-Träger gehalten, der Soldat ist. Wir betreten hier also Neuland.
Doch wir zeichnen nicht den Soldaten aus, der kein Pazifist oder Antimilitarist sein kann,
sondern wir ehren ausdrücklich den Widerständigen, den gewissenhaften Befehlsverweigerer
in Uniform. Denn Florian Pfaff hat sich während des Angriffskriegs gegen den Irak standhaft
geweigert, Beihilfe zu diesem Völkerrechtsverbrechen zu leisten. Zur Begründung hat er angeführt,
er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, Befehle zu befolgen, die geeignet
seien, die völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen im Irak zu unterstützen. Wörtlich: „Ich
beteilige mich nicht an einem Verbrechen, auch nicht auf Befehl“. Das ist – so widersprüchlich
es auch immer klingen mag - Zivilcourage im Militär.
Zur Erinnerung: Die rot-grüne Bundesregierung, die eine Beteiligung an der „Koalition der
Willigen“ abgelehnt hatte, zeigte sich gegenüber den USA dennoch willfährig: Mit Überflugrechten,
Awacs-Aufklärungsflügen und Logistikhilfe leistete sie tatkräftige Unterstützung und
Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Irakkrieg mit seinen verheerenden Folgen, in dessen Verlauf
bis heute Hunderttausende Zivilisten sterben mussten. Völkerrechtswidrig handelt auch
derjenige Staat, der den militärischen Aggressor in seinem völkerrechtswidrigen Tun unterstützt.
Wegen seiner Gehorsamsverweigerung warf die militärische Führung Florian Pfaff eine
schwere Dienstpflichtverletzung vor: Er wurde kriminalisiert, degradiert und psychiatrisiert,
musste sich also einer Untersuchung seines Geisteszustandes unterziehen lassen. Das Truppengericht
segnete seine Degradierung ab, weshalb Florian Pfaff vor das Bundesverwaltungsgericht
zog - und Recht bekam: Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts
sprach den Major mit einem denkwürdigen Urteil vom Vorwurf der rechtswidrigen Befehlsverweigerung
frei und rehabilitierte ihn. Soldaten dürften den Befehl verweigern, wenn sie
sonst gegen das „völkerrechtliche Gewaltverbot“ oder gegen die Menschenwürde verstoßen
würden, oder wenn sie die Befehlsausführung nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können.
Auf eine Rehabilitierung durch Verteidigungsministerium und Bundeswehr wartet Florian
Pfaff bis heute.
Rechtsanwalt Bernhard Docke setzte jahrelang alle Hebel in Bewegung, um seinen seit
2002 im US-Gefangenenlager Guantànamo widerrechtlich inhaftierten Mandanten Murat
Kurnaz zu befreien. Nicht allein mit rechtlichen und gerichtlichen Schritten, sondern auch auf
politischer Bühne und mit Hilfe der Öffentlichkeit – eine aufreibende, zeitaufwändige Arbeit,
die weit über ein anwaltliches Engagement hinausgeht.
Endlich im August dieses Jahres ist Murat Kurnaz freigelassen worden – nach fast fünf Jahren
Haft unter unmenschlichen Bedingungen, ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren und ohne
Verteidigung. Während dieser Zeit war er schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt,
wurde gequält, gedemütigt und entwürdigt. Nach den Worten von Bernhard Docke ist er
„durch die Hölle gegangen“.
Dieser skandalöse Fall eines in extremem Maße von „Antiterror“-Maßnahmen betroffenen,
unschuldigen Menschen zeigt exemplarisch, zu welch schrecklichen Folgen der von den USA
erklärte „Antiterror-Krieg“ im Namen der Sicherheit und Freiheit führt. Doch auch die Bundesrepublik,
die diesen Krieg auf ihre Weise führt und unterstützt, trägt Mitverantwortung an
diesem Menschenrechtsdrama. Nach Aussagen von Kurnaz waren deutsche Sicherheitskräfte
direkt in seinen Fall verstrickt. Er sei von Soldaten des KSK – des geheimen „Kommandos
Spezialkräfte“ - in Afghanistan misshandelt worden, später haben ihn Verhörspezialisten des
Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes unter Guantànamo-Bedingungen
verhört. Erst seit Beginn dieses Jahres haben deutsche Regierungsstellen ernsthaft mit der USRegierung
über seine Freilassung verhandelt – nachdem die rot-grüne Bundesregierung es allem
Anschein nach jahrelang am notwendigen Engagement hatte fehlen lassen. Deshalb
macht Bernhard Docke diese Regierung für die lange Haftzeit unter Folter-Bedingungen verantwortlich.
Partizipation an den „giftigen Früchten“ der Folter
Murat Kurnaz ist einer unter Tausenden von Geschundenen und Geschädigten im weltweiten
„Antiterrorkampf“ – in dessen Verlauf mehr und mehr Inseln des Unrechts entstanden sind,
rechtsfreie, genauer menschenrechtsfreie Räume staatlicher Willkür wie Guantànomo, Abu
Ghraib, Lager in Afghanistan oder Folter-Gefängnisse in anderen Ländern, auch in Europa.
Verbunden sind diese Inseln durch die CIA-Airlines mit Zwischenstopp in Deutschland –
völkerrechtswidrige Flüge mit gekidnappten Terrorverdächtigen und „Geistergefangenen“, die auch über die Bundesrepublik in Folterstaaten verschleppt, in Geheimgefängnissen misshandelt,
von deutschen Sicherheitskräften verhört wurden.
Das alles ist Terrorbekämpfung mit den Mitteln des Terrors, dem auch der deutsche Staatsbürger
Khaled El Masri zum Opfer fiel, der Ende 2003 von der terroristischen Vereinigung
CIA aus Mazedonien nach Afghanistan verschleppt, über ein halbes Jahr festgehalten, misshandelt
und unter Folter verhört worden ist. In diesem Fall haben sich rot-grüne Regierungsmitglieder
wie Mafiosi in das Schweigekartell der USA einbinden lassen. Sie sind Mitwisser
von Verbrechen, von Entführung und Verschleppung, Freiheitsberaubung und Folter – und sie
haben Öffentlichkeit und Bundestag durch Nichtinformation hintergangen. Zivilcourage in
Regierungskreisen? Offensichtlich Fehlanzeige. Angesichts dieser Kumpanei fragt man sich:
Leben wir in einem unabhängigen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat - und wer zieht die
Verantwortlichen zur Rechenschaft?
Rettungsfolter als humanitäre Intervention?
Um anrüchige Methoden und Maßnahmen zu verschleiern, hat sich die herrschende Sprache
immer wieder phantasievoller Begriffe bedient. Die Euphemismen sind Legion, seit das „Liebesministerium“
erfunden und ein Geheimdienst zum „Verfassungsschutz“ verklärt wurde.
Der gezielte Todesschuss mausert sich zum „finalen Rettungsschuss“, das Flüchtlingslager
zum „Begrüßungscamp“, die todbringende Rakete trägt den Namen „Peace-maker“. Auch
Angriffskriege und Kampfeinsätze wirken viel menschlicher, wenn sie zur „humanitären Intervention“
erklärt und als „Friedensmission“ geheiligt werden, notfalls mit „robustem Mandat“.
Zudem spart es Kosten für Kriegsgräber, wenn die Bundeswehrsoldaten, die bislang bei
Auslandseinsätzen um Leben kamen, vom Verteidigungsministerium offiziell nicht als
„Kriegstote“ anerkannt werden.
Der Kriegsminister wäre ohnehin lieber ein Minister für Krisenbewältigung, der Polizeiminister
lieber Chef eines Präventions- oder auch Wahrheitsministeriums. Und die geächtete Folter
könnte als spezielle Methode humanitärer Intervention oder als „Rettungsfolter“ Karriere machen
und dereinst Gesetzeskraft erlangen – natürlich nur für den äußersten Notfall, mit Aidshandschuhen
und unter ärztlicher Kontrolle.
Das denkbar milde Urteil gegen den Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner,
der Folter androhen ließ, setzte insoweit bereits ein klares Signal: Folter sei zwar prinzipiell
nicht erlaubt, aber bei edler Motivlage legitim und praktisch straffrei. Dieses Urteil passt in
eine Zeit, in der so mancher politische Verantwortungsträger vom absoluten Folterverbot abrückt
– nach dem Motto: Wo gekämpft wird, da rinnt Blut. Die Bereitschaft zur Brutalität
wächst auch in der Bevölkerung mit der Größe des Feindbildes, die unablässig beschworen
wird – denn im Kampf gegen das Böse, gegen Schurken, Terroristen und Kinderschänder gibt
es keine Tabus.
Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei – und wenn die Angst vor dem Terror nachlässt,
dann wird sie notfalls geschürt, damit diese Art von Terrorismusbekämpfung wie geschmiert
funktioniert. Schon zu Ende der rot-grünen Regierungszeit kritisierte der damalige Oppositionspolitiker
und heutige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, die Deutschen seien nicht
ausreichend über die tatsächliche Gefahrenlage informiert. Nur 39 Prozent fühlten sich bedroht,
während es in den USA 71 Prozent und im EU-Schnitt 51 Prozent seien. Schäuble
machte „Versäumnisse in der Aufklärung“ dafür verantwortlich (FR 10.9.05, Spiegel 30/05, 16).
Derselbe Wolfgang Schäuble hält es - übrigens in Übereinstimmung mit dem Präsidenten des
Bundesverfassungsschutzes, Heinz Fromm - mit menschenrechtlichen Grundsätzen vereinbar,
wenn deutsche Sicherheitsorgane von unmenschlichen Haftbedingungen und Verhörsituationen profitieren, ja möglicherweise unter Folter erpresste Erkenntnisse für die Gefahrenabwehr
verwenden. Von Unrechtsbewusstsein keine Spur.
Die Folterszenen von Abu Ghraib und Guantànamo strahlen längst weit hinein nach Europa,
in die Bundesrepublik, auf ihre Polizei und Bundeswehr. Das zeigte die öffentliche Debatte
um den Fall Daschner, das zeigen auch die erschreckenden Folterübungen und makabren Totenkopforgien
bei der Bundeswehr, die sich für Militäreinsätze in aller Welt stählt. Kriegsbeteiligung
führt unweigerlich zu menschlicher Verrohung.
Bundeswehr: von der Verteidigungs- zur Interventionsarmee
Man kann es nicht kürzer und treffender ausdrücken: Krieg ist Terror. Auch Antiterrorkriege
sind Terror - auch wenn sie zu humanitären Interventionen erklärt, im Namen der Sicherheit
und Freiheit geführt, zur Rettung der Menschenrechte hochstilisiert werden. Sie produzieren
letztlich das, was sie bekämpfen sollen, nämlich Krieg und weiteren Terror. Sie töten, verletzen
und schänden unschuldige Zivilisten, stehen in krassem Widerspruch zu Menschenrechten
und Gerechtigkeit, die sich genauso wenig herbeibomben und erfoltern lassen wie Freiheit
und Demokratie.
Der weltweite Krieg gegen den Terror hat sämtliche Prinzipien militärischer Beschränkung
aufgeweicht, hat die Unterordnung unter die Regeln des Verfassungs- und Völkerrechts aufgekündigt
– ob in der NATO, der EU oder der Bundeswehr. Die Verteidigungspolitischen
Richtlinien von 2003 und das erst kürzlich aufgelegte Weißbuch des Verteidigungsministeriums
stellen die Landesverteidigung konsequent auf „Krisenbewältigung“ und „Terrorismusbekämpfung“
um – das heißt: Bundeswehr-Einsätze in aller Welt. Nach dem „Weißbuch“,
das sich wie eine präventive Kriegserklärung liest, sollen die Aufgaben der Bundeswehr
ausgedehnt werden auf geostrategische Einsätze zur Sicherung der Rohstoff- und Energieversorgung,
freier Transportwege und ungehinderten Welthandels sowie zur Abwehr „unkontrollierter
Migration“.
Deutschland hat der Devise „Nie wieder Krieg!“ längst schon abgeschworen und sich selbst
an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligt. Die Bundeswehr ist auf dem Weg zur internationalen
Einsatztruppe – obwohl ein solches Mandat mit dem Verteidigungsbegriff des
Artikel 87a Grundgesetz nicht vereinbar ist. Dort heißt es unmissverständlich: „Der Bund
stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“. Um diesen Verteidigungsauftrag mit dem neuen
Mandat doch irgendwie noch in Einklang zu bringen, verfiel der ehemalige SPD-Verteidigungsminister
Peter Struck auf die Formel: „Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am
Hindukusch verteidigt“. Struck kündigte damit einen permanenten Bruch des Völker- und
Verfassungsrechts an, wie er inzwischen längst praktiziert wird, auch von der Großen Koalition.
Dazu passt die Aufforderung aus den USA, die Ende November die Titelseite des „Spiegel“
zierte: „Die Deutschen müssen das Töten lernen“ – wieder, wäre zu ergänzen!
Militarisierung der „Inneren Sicherheit“
Wir erleben aber nicht allein eine Militarisierung der Außenpolitik, sondern auch der „Inneren
Sicherheit“, in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Inland stehen soll – obwohl Polizei
und Militär schon aus historischen Gründen sowie nach der Verfassung strikt zu trennen
sind. Gleichwohl sind Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef
Jung wild entschlossen, die Bundeswehr nicht nur im Notstandsfall gemäß den Notstandsgesetzen,
sondern regulär als nationale Sicherheitsreserve im Inland einzusetzen, um damit
die Polizei zu stärken – wobei es nicht nur um Objektschutz gehen soll, sondern, wie es heißt,
um den „Schutz der Bevölkerung vor terroristischen und asymetrischen Bedrohungen“. Es sei
notwendig, so der unerschöpfliche Wolfgang Schäuble, die Bedrohungslage deutlicher darzustellen,
um so in der Bevölkerung auch die Einsicht reifen zu lassen, dass – so wörtlich - „die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit obsolet geworden“ seien. Deshalb soll die
verfassungsmäßige Trennung zwischen Militär und Polizei gekappt werden. Und es gibt Pläne
– so etwa im neuen Weißbuch -, den „Verteidigungsfall“ nach Art. 87a per Definition vorzuverlagern,
um ihn auch im Fall drohender Terroranschläge ausrufen zu können, die damit
kriegerischen Angriffen von feindlichen Armeen gleichgesetzt würden.
Militärischer Heimatschutz also nicht nur zur Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch,
sondern auch bei Hindelang in den bayerischen Alpen – wie die „Süddeutsche Zeitung“
fragt? Das verweist auf einen fatalen Zusammenhang: Je mehr sich die deutsche Außenpolitik
an militärischen Interventionen weltweit beteiligt, desto größer wird die Gefahr terroristischer
Anschläge gegen die Bundesrepublik. Das heißt: Die Bundesregierung wappnet
sich gegen mögliche Reaktionen auf ihre eigene Außen- und Kriegspolitik auch mit dem Einsatz
der Bundeswehr im Innern – „Kollateralschäden“ inbegriffen.
Verfassungswidrige Gesetze und bürgerrechtliche Gegenwehr
Wie viel Verfassungs- und Völkerrechtsbruch verträgt eigentlich dieses Land? Das Bundesverfassungsgericht
und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mussten in den letzten
Jahren mehrfach Gesetze und Maßnahmen für verfassungswidrig erklären - erinnert sei
nur an den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen, an die
präventive Telekommunikationsüberwachung, den Europäischen Haftbefehl, den Fluggastdatentransfer
an US-Sicherheitsbehörden, die Befugnis zum präventiven Abschuss eines gekaperten
Passagierflugzeugs durch das Militär im Luftsicherheitsgesetz – eine staatliche Lizenz
zur gezielten Tötung von unschuldigen Menschen. Auch die exzessiven Rasterfahndungen
nach „islamistischen Schläfern“ sind für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig erklärt
worden.
Diese hohe Anzahl verfassungswidriger Gesetze und Maßnahmen, aber auch der völkerrechtswidrige
Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die deutsche Beihilfe zum Völkerrechtsverbrechen
gegen den Irak verweisen auf ein Verfassungsbewusstsein in der politischen Klasse,
das im Zuge der Terrorismusbekämpfung immer mehr zu schwinden scheint – strenggenommen
ein Fall für den „Verfassungsschutz“.
Wird hier, wo Recht zu Unrecht wird, nicht Widerstand geradezu zur Pflicht? Widerstand und
Zivilcourage gegen völkerrechtswidrige Kriegseinsätze; gegen eine Militarisierung der Außenpolitik
und der EU; gegen den Ausbau der Bundeswehr zu einer weltweit operierenden Interventionstruppe;
gegen die klammheimliche Duldung von Folter und die Nutzung von Folteraussagen;
gegen die Renaissance eines sog. Feindstrafrechts, wie es in Juristenkreisen wieder
debattiert wird – ein Sonderrecht für angebliche Staatsfeinde, deren Grundrechte suspendiert
werden sollen. Der Weg vom demokratischen Rechtsstaat zum präventiven Unrechtsstaat
ist tatsächlich kürzer, als man denkt. Deshalb dürfen wir in unserem Kampf um Menschenrechte,
im Kampf gegen ihre Demontage nicht nachlassen und uns keinesfalls entmutigen
lassen. Unsere Ossietzky-Medaillenträger, Florian Pfaff und Bernhard Docke, können dabei
Vorbild und Ermutigung sein.
* Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Publizist. Seit 2003 Präsident der „Internationalen Liga für
Menschenrechte“ (Berlin). Mitherausgeber von „Ossietzky“ - Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/
Wirtschaft sowie des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Reports“. Mitglied der Jury zur Verleihung
des Negativpreises „BigBrotherAward“ und des Kuratoriums zur Verleihung der Carl-von-
Ossietzky-Medaille. Autor zahlreicher Bücher zu „Innerer Sicherheit“ und Bürgerrechten, zuletzt:
>Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates.< (2003).
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