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Das lag in der Luft

Friedensnobelpreis 2013 geht an Organisation zum Verbot von Chemiewaffen *

Der Friedensnobelpreis geht 2013 an die internationale Organisation zum Verbot von C-Waffen – nicht zuletzt mit Blick auf ihre brisante Mission im bürgerkriegsgeplagten Syrien. Die OPCW mit Sitz in Den Haag, die vertraglich an die UNO gebunden ist, bekomme die Auszeichnung »für ihren umfassenden Einsatz bei der Vernichtung von Chemiewaffen«, erklärte Nobelkomitee-Chef Thorbjörn Jagland am Freitag in Oslo. Mit der Entscheidung wolle man zur Zerstörung der Massenvernichtungsmittel beitragen. Diese Würdigung verband Jagland aber auch mit Kritik: Manche Staaten seien immer noch keine OPCW-Mitglieder, andere hätten die für April 2012 festgesetzte Deadline für die Zerstörung ihrer Chemiewaffen nicht eingehalten. Das gelte insbesondere für die USA und Russland.

OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü wertete die Auszeichnung als Bestätigung für den Beitrag, den seine Organisation in den 16 Jahren seit ihrer Gründung zum Frieden geleistet habe. Auch international wurde die Auszeichnung überwiegend begrüßt. Die EU sei entschlossen, bei der Zerstörung der Arsenale mitzuwirken, so EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Moskau allerdings monierte, dass der Friedensnobelpreis kein »Vorschuss« sein dürfe, schließlich habe die OPCW ihre Arbeit in Syrien erst begonnen. Kritik gab es auch aus der deutschen Friedensbewegung, die u.a. bemängelte, dass die »früher prägende Auszeichnung herausragenden Engagements aus der Zivilgesellschaft auf der Strecke« geblieben sei.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Oktober 2013


Anerkennung und Appell

Von Olaf Standke **

Tatsächlich lässt sich monieren, dass der Friedensnobelpreis zuletzt allzu häufig an Institutionen und Politiker gegangen ist, die per se beauftragt sind, unsere Welt sicherer zu machen. Und nicht an Aktivisten und Bewegungen, die sich unter oft schwierigen, ja lebensgefährlichen Bedingungen gegen Krieg und Menschenrechtsverletzungen dort engagieren, wo Diplomaten versagen. Aber kann man wirklich etwas dagegen haben, wenn diese Auszeichnung an eine Organisation geht, die sich die Abschaffung schrecklichster Massenvernichtungswaffen auf die Fahnen geschrieben hat?

Richtig ist sicher auch der Hinweis, dass die Ehrung wie schon im Fall des US-Präsidenten Barack Obama nicht zum Vorschuss auf erhoffte gute Taten verkommen dürfe. Nur, wer die gestrige Verleihung des Nobelpreises an die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen allein an die Giftgas-Vernichtung in Syrien bindet, greift zu kurz. Ihren unabhängigen Inspektionen ist es zu verdanken, dass weltweit über 80 Prozent der C-Waffen abgerüstet wurden. Doch ist der Preis auch ein dringender Appell – an die USA und Russland etwa, die bei der Vernichtung hinter dem Zeitplan liegen, vor allem aber an Staaten wie Ägypten, Nordkorea oder Israel, die die Verbotskonvention noch immer nicht unterzeichnet bzw. ratifiziert haben.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Oktober 2013 (Kommentar)


Lesen Sie auch:

Friedensnobelpreis 2013 an die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW)
Friedensbewegung mit Kritik und Lob / Friedensratschlag: Eine mutlose Entscheidung - IPPNW gratuliert OPCW (12. Oktober 2013)



Pressestimmen

Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Pressekommentare aus dem In- und Ausland. Gesammelt wurden sie u.a. vom Deutschlandfunk.


FRANKFURTER RUNDSCHAU
"Die betagten Herren des Nobelpreiskomitees hatten ein besseres Händchen als bei früheren Gelegenheiten. Für die Europäische Union gab es vor zwölf Monaten so wenige gute Argumente wie heute. Für die Organisation zur Durchsetzung des Chemiewaffen-Verbots, OPCW, spricht unendlich viel mehr. Sie ist ein idealer Preisträger im Sinne des Stifters Alfred Nobel. Wegen ihrer blanken Existenz. Und wegen ihrer derzeitigen Rolle in Syrien."


NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
"Dass das Nobelpreiskomitee erneut nur Vorschusslorbeeren verteilt habe, lässt sich nicht behaupten, selbst wenn die Abrüstung in Syrien noch ins Stocken geraten sollte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Großmächte freiwillig auf die billigen Low-Tech-Waffen verzichten, weil ihre konventionellen Bomben ohnehin wirksamer sind und weil sie dank Nuklearwaffen einen umso exklusiveren Klub von Staaten mit Massenvernichtungswaffen bilden."


WELT AM SONNTAG
"Diese hier hat gerade Publicity, weil sie in Syrien ihren Job macht. Das ist schön und praktisch, aber es hat nur mittelbar und fallweise etwas mit Idealen oder Mut zu tun. Anders als das Rote Kreuz, das mehrfach den Preis bekommen hat, ist die OPCW nicht ursprüngliche Manifestation und Durchsetzerin eines humanistischen Gedankens, sondern Ausführungsorgan für diese und jene Verhandlungsergebnisse. Nein, die Sache ist viel einfacher. Hier belohnen Funktionäre internationaler Organisationen andere Funktionäre internationaler Organisationen, weil sie finden, dass die Arbeit internationaler Organisationen mal mehr gewürdigt werden sollte. Darum hier schon einmal eine Prognose für nächsten Herbst: Der Friedensnobelpreis 2014 geht an … das Friedensnobelpreiskomitee! Das muss einfach mal gewürdigt werden."


DIE WELT
"Gut, weil die Chemiewaffenkonvention, der bisher 189 Staaten beigetreten sind, ein wichtiger Bestandteil der normativen internationalen Ordnung ist, vergleichbar dem 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrag oder der Biowaffenkonvention von 1972. Alle drei Verträge sollen die Pandora-Box wieder schließen, die mit der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen einst geöffnet wurde. Eine Welt, in der diese Verbote an Bindungskraft verlören, wäre eine schlechtere Welt. Wie so oft beim Friedensnobelpreis ist er jedoch auch diesmal ein Wechsel auf die Zukunft. Denn die schwerste Bewährungsprobe steht der OPCW erst noch bevor - in Syrien. Das wird der Test sein, ob das Chemiewaffenverbot und seine Wachorganisation OPCW über die nötigen Zähne verfügt."


NÜRNBERGER NACHRICHTEN
"Wenn der diesjährige Nobelpreis nicht zum bloßen Appell verkommen soll, müssen sich auch einige der Staaten bewegen, die jetzt artig Beifall für die Osloer Entscheidung klatschten. Vorneweg die USA. Nicht Syrien, sondern Amerika verfügt gemeinsam mit Russland bis heute über die größten Vorräte an chemischen Kampfstoffen."


REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER
"Die OPCW ist kein Verein oder ein Zusammenschluss ehrenamtlich engagierter Menschen, sondern eine von UNO-Mitgliedern bezahlte Organisation mit bezahlten Spezialisten. Ihre Arbeit wird durch die Preisverleihung weder in Syrien noch sonst wo erleichtert oder beschleunigt, und deswegen werden jene Staaten, die der Chemiewaffenkonvention noch nicht angehören, kaum freiwillig beitreten. Im Gegensatz zu vielen früheren Vergaben geht von der gestrigen Osloer Entscheidung kein Signal aus."


SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
"Der Friedenspreis ist die politischste der Nobel-Auszeichnungen, weshalb niemals Einigkeit darüber herrschen wird, ob ein Preisträger nun der Sache würdig ist oder nicht. Das Auswahl-Komitee aber hat diese an sich schwierige Entscheidung in den letzten Jahren noch aufgeladen, indem es mit dem Preis eine gewichtige politische Botschaft transportieren, ja gar Politik machen wollte. Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen wird nicht die politische Bedeutung der Atomenergie-Behörde bekommen. Aber sie spielt eine wichtige Rolle im Geflecht der Staaten der Welt, die sich per Vertrag binden und einem Kontrollregime unterwerfen."

Quelle: Deutschlandfunk, 12. und 13. Oktober 2013; http://www.dradio.de/dlf/


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