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Friedensnobelpreis 2013 an die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW)

Friedensbewegung mit Kritik und Lob / Friedensratschlag: Eine mutlose Entscheidung - IPPNW gratuliert OPCW


Der Friedensnobelpreis 2013 geht an die Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW) mit Hauptsitz in Den Haag. Das gab das norwegische Nobelkomitee am 10. Oktober in Oslo bekannt. Die OPCW bekomme die Auszeichnung "für ihren umfassenden Einsatz für die Vernichtung von Chemiewaffen", begründete der Komiteevorsitzende Thorbjörn Jagland die Entscheidung der Jury.
Die Entscheidung wurde weltweit von Regierungen und hohen politischen Repräsentanten gefeiert. Die Gratulanten reichen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon über US-Präsident Obama bis zur deutschen Bundeskanzlerin Merkel.
Verhaltener fielen die Reaktionen in der Friedensbewegung aus. Im Folgenden dokumentieren wir drei Stellungnahmen:

Nach zahlreichen Fehlgriffen: Eine respektable, aber mutlose Entscheidung

Nobelpreiskomitee geht auf Nummer sicher

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel, 11. Oktober 2013 - Zur Bekanntgabe des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers erklärte der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Nach einigen höchst umstrittenen und aus friedenspolitischer Sicht unmöglichen Entscheidungen ging das Nobelpreis-Komitee in diesem Jahr auf Nummer Sicher, indem es eine allgemein anerkannte internationale Organisation auszeichnete: Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) wird von 189, d.h. fast allen Staaten der Welt getragen und hat die Aufgabe, die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention aus dem Jahr 1992 zu überwachen. Derzeit sind Inspekteure der OPCW in Syrien vor Ort, um die vereinbarte Vernichtung von chemischen Kampfstoffen und ihren Trägermitteln zu beaufsichtigen.

Die OPCW ist eine unabhängige Organisation, vertraglich aber an die UNO angebunden. Das Mandat zur Überprüfung der syrischen Chemiewaffen erhielt sie vom UN-Sicherheitsrat. Insofern knüpft die Entscheidung Oslos an ähnliche Auszeichnungen etwa für die UNO (2001), die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO, 2005) oder den Weltklimarat (IPCC, 2007) an.

Das Nobelpreiskomitee ließ dieses Mal viel Vorsicht bei seiner Entscheidung walten. Zu stark klang offenbar die Kritik an der letztjährigen Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union oder an US-Präsident Obama im Jahr 2009 nach. So einen Fehler wollte man sich nicht mehr erlauben. Mutig war die Entscheidung aber nicht. UN-Einrichtungen oder ihnen assoziierte Organisationen kommen als Preisträger aus unserer Sicht nur dann in Frage, wenn sie selbst politisch initiativ werden und in schwierigen Situationen wertvolle Beiträge zur Friedensstiftung leisten.

Eine Reihe von Kandidaten für den Friedensnobelpreis ist nicht berücksichtigt worden: Zu nennen sind etwa die Whistleblower Bradley Manning (der seine Aufklärung von Kriegsverbrechen mit einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe bezahlen muss) oder Julian Assange, dessen Enthüllungsplattform WikiLeaks weltweit die Aufmerksamkeit auf völkerrechtswidrige Kriegshandlungen und -vorbereitungen lenkte. Von Edwar Snowden ganz abgesehen, der allerdings aus formalen Gründen für den diesjährigen Nobelpreis (noch) nicht in Frage kam. Auch die Verhandlungspartner zur Beendigung des Jahrzehnte dauernden Bürgerkriegs in Kolumbien (Regierung und Befreiungsorganisation FARC) wären würdige Preisträger gewesen. Hinzu kommen unsere Wunschkandidaten Jean Ziegler (Schweiz), Malalay Joya (Afghanistan) oder die zivilgesellschaftliche Kampagne zur Ächtung von Streubomben (Cluster Munition Coalition - CMC), auf Grund deren Drucks 2008 eine internationale Konvention zur Ächtung solcher Waffen zustande gekommen ist. Unser Fazit: Das Nobelpreiskomitee wollte diesmal nicht anecken und ging den sicheren Weg. Es wird daher viel Beifall und wenig Kritik geben. Die Friedensbewegung hätte sich mehr gewünscht.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski, Sprecher



Wer B- und C-Waffen verbietet, kann auch A-Waffen ächten

Friedensnobelpreisträger IPPNW gratuliert OPCW

Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), und Friedensnobelpreisträger von 1985 begrüßt die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) auszuzeichnen „Das Verbot von Chemiewaffen ist eine Errungenschaft der internationalen Zivilgesellschaft und der Diplomatie, ebenso wie das Verbot biologischer Waffen. Jetzt ist es an der Zeit, dass Atomwaffen aufgrund ihrer katastrophalen humanitären Folgen ebenfalls verboten und vernichtet werden,“ erklärt Xanthe Hall, Abrüstungssprecherin der IPPNW.

Die Eliminierung von C- und B-Waffen sei eine sehr schwierige Aufgabe. Die Überprüfung der Chemiewaffenkonvention verlange eine langjährige intensive Arbeit, hartnäckige Kontrollen durch die OPCW, andererseits aber auch Vertrauen. Trotz dieser Schwierigkeiten seien für B- und C-Waffen Verbotsverträge zustande gekommen. "Die Verifizierung einer Atomwaffenkonvention wäre im Vergleich zu den B- und C-Waffenkonventionen einfacher“, sagt Hall, „es fehlt nur der politische Wille der Atomwaffenstaaten und ihrer Bündnispartner, um nicht nur B und C zu sagen, sondern auch A."

Die Auszeichnung für die OPCW steht sicher auch im Zusammenhang mit den tragischen Opfern des Giftgasangriffes bei Ghuata nahe Damaskus. Aus diesem Anlass erinnert die IPPNW auch an frühere Giftgasopfer zum Beispiel im Iran, wo Überlebende noch heute unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Die gegen den Iran verhängten Finanzsanktionen führen jetzt dazu, dass Medikamente zur Behandlung der Opfer fehlen. Um ein politisches Zeichen gegen die Inhumanität dieser Sanktionen zu setzen, haben die deutsche und die schwedische Sektion der IPPNW mit Hilfe des Medikamentenhilfswerks „action medeor“ dringend benötigte Medikamente für die an schweren Lungenerkrankungen leidenden Menschen gespendet. Sie sind am 7. Oktober 2013 in Teheran eingetroffen.

Irakische Truppen setzten das Giftgas im Krieg gegen Iran zwischen 1983 und 1988 ein. Herstellerin eines wichtigen Teils der Produktionsanlagen war damals die im hessischen Dreieich ansässige Firma Karl Kolb. Schätzungsweise 1 Million Menschen wurden den toxischen Substanzen ausgesetzt. Das Giftgas tötete etwa 20.000 Soldaten, rund 100.000 mussten deshalb behandelt werden.

Theoretisch sind Medikamente zwar ausgenommen von den westlichen Sanktionen, in der Praxis ist es für medizinische Einrichtungen in Iran und pharmazeutische Unternehmen aber extrem schwierig, Zahlungen und Versand zu organisieren.


Friedensnobelpreis - wichtiges Thema, falscher Adressat?

Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die OPCW löst beim Netzwerk Friedenskooperative keine Begeisterung aus.

"Die Arbeit der Chemiewaffenkontrolleure ist extrem wichtig und jetzt in Syrien auch eine gefährliche Mission, die jede Anerkennung verdient", betont Netzwerk-Geschäftsführer Manfred Stenner.

"Allerdings setzt das Nobel-Komitee damit den Trend der letzten Jahre fort, die wichtige Auszeichnung an supranationele Organisationen bzw. Staatenbündnisse wie vormals die IAEO oder die UN selbst, die EU oder - noch unverdienter - an Staatschefs wie Präsident Obama zu verleihen. also an Institutionen, die von Amts wegen friedenspolitisch handeln sollten.

Die früher prägende Auszeichnung herausragenden Engagements aus der Zivilgesellschaft bleibt auf der Strecke. Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wie früher mal die die Ärzteorganisationen IPPNW und Ärzte ohne Grenzen oder die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen, die Friedensfrauen aus Nordirland oder starke Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner bzw. aktuell die vom Europaparlament ausgezeichnete pakistanische Schülerin Malala Yousafzai würden dem Vermächtnis Alfred Nobels besser entsprechen".

Zu hoffen sei - so die Friedenskooperative -, dass von der Aufmerksamkeit für die Beseitigung der seit 1997 geächteten Chemiewaffen auch Impulse für die Beseitigung weiterer umstrittener Waffen wie Streubomben, der Modernisierung von Atomwaffen und der Robotisierung des Krieges mit Drohnen und Cyberwar ausgehen.

Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative



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