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Kriegspsychotherapeuten

Gegenüber Auslandseinsätzen »nicht ablehnend« – Berufsvereinigung will traumatisierte Bundeswehrsoldaten fit für den nächsten Einmarsch machen

Von Peer Heinelt *

Die Gleichung ist einfach: Je länger Deutschland in aller Welt Krieg führt, desto mehr Soldaten kehren als seelische Krüppel aus den diversen Einsatzgebieten zurück – sei es, weil sie Greueltaten erlebt, sei es, weil sie selbst solche begangen haben. Für die hiesige politisch-militärische Führung ist das ein gravierendes Problem, denn schwerst traumatisierte Kameraden wirken sich negativ auf die Moral der Truppe aus und tragen zudem nicht gerade dazu bei, die Bundeswehr als »Toparbeitgeber« zu positionieren. Um Abhilfe zu schaffen, will man verstärkt auf zivile Psychotherapeuten zurückgreifen – zumal, wenn sich deren Berufsverbände als Serviceagenturen des Militärs verstehen: »Es spricht nichts dagegen, daß ein Soldat, der psychisch krank war, aber erfolgreich behandelt wurde, seinen Dienst weiter fortsetzt – und auch an Auslandseinsätzen teilnimmt«, erklärt etwa Professor Rainer Richter, Präsident des Vorstandes der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

Jüngster Ausdruck der »zivil-militärischen Zusammenarbeit« auf medizinischem Gebiet ist eine von der BPtK als »Fortbildung« für Psychotherapeuten deklarierte Veranstaltung, die am heutigen Donnerstag im Offiziersheim der Berliner Blücher-Kaserne stattfinden wird. Nach einer kurzen Begrüßung durch den erwähnten Rainer Richter und den im Bundesverteidigungsministerium für Fragen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Soldaten zuständigen Brigadegeneral Klaus von Heimendahl sollen die Teilnehmer zunächst über die »Besonderheiten des Soldatenberufs« und die Spezifika einer »Heilbehandlung für die Bundeswehr« aufgeklärt werden. Laut Veranstaltungsprogramm folgt dann ein Referat einer Vertreterin des Einsatzführungskommandos, das die Kriegsgebiete, in denen sich aktuell deutsche Landser tummeln, zum Inhalt hat. Wer bis hierhin durchgehalten hat, darf sich auf tiefe Einblicke in den Alltag der Truppenpsychologen freuen: Stefan Schanze vom »Kommando Sanitätsdienst« wird von »Maßnahmen zu Erhalt und Steigerung der psychischen Fitness bei Soldaten« berichten, während sich sein Kamerad Alexander Vam der psychologischen Betreuung der Krieger »auf Patrouille«, »auf Wache« und »im Feldlager« widmen will. Zuletzt erfahren die Teilnehmer, was die Bundeswehr von ihnen erwartet: Thema des Schlußvortrags sind die »Symptom- und Belastungslagen von Soldatenpatienten« und die »Schnittstellen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung« in der Heimat.

Hintergrund der »Fortbildungsveranstaltung« ist ein am 16. September 2013 in Kraft getretener Vertrag zwischen der BPtK und dem Verteidigungsministerium. Die Vereinbarung, die nicht zuletzt auf Drängen der Kammer zustande kam, sieht vor, daß traumatisierte Soldaten sich auf Wunsch in privatärztliche Behandlung begeben können und daraus gegebenenfalls resultierende Mehrkosten von der Bundeswehr übernommen werden. Psychotherapeuten, die zwar nicht über eine Kassenzulassung verfügen, aber kein Problem damit haben, deutsche Landser wieder kriegsverwendungsfähig zu machen, dürfen sich seither über viele neue Patienten freuen: Offiziellen Angaben zufolge wurden 2013 allein in den Krankenhäusern der Bundeswehr 1423 Soldaten wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung behandelt. Wissenschaftler der TU Dresden haben zudem 2011 ermittelt, daß zwar nur zwei Prozent der an Kriegsoperationen wie in Afghanistan beteiligten deutschen Militärs an PTBS leiden, jedoch etwa 25 Prozent anderweitig seelisch erkranken.

Mit der medizinischen Versorgung der Betroffenen scheinen die deutschen Streitkräfte indes schon länger überfordert zu sein: Bereits 2009 rief die »Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung« ihre Mitglieder in einem internen Rundschreiben auf, »kurzfristig« Therapieplätze für Soldaten zur Verfügung zu stellen, da zusätzlich zu den bestehenden Behandlungsmöglichkeiten unbedingt »qualifizierte externe Psychotherapeuten« gebraucht würden. An Kriegsgegner war dabei allerdings – analog zu heute – explizit nicht gedacht: Interessierte Ärzte sollten eine förmliche Erklärung abgeben, »den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend« gegenüberzustehen.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 13. März 2014

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