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"Keinen Einfluß auf Behandlung nehmen"

Psychologenverband kritisiert, daß die Bundeswehr sich der Dienste von Therapeuten bedient. Ein Gespräch mit Klaus Jürgen Bruder *


Klaus Jürgen Bruder ist Professor an der Freien Universität Berlin und Vorsitzender der »Neuen Gesellschaft für Psychologie« (NGfP).


Die »Neue Gesellschaft für Psychologie« hat am Wochenende die Kooperation der Bundespsychotherapeutenkammer mit dem Militär kritisiert. Was ist geplant?

Der Präsident der Kammer, Rainer Richter, hatte erklärt, Therapeuten seien in der Lage, psychisch erkrankte Soldaten so zu behandeln, daß sie wieder zum Einsatz zurückkehren können. Die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr sieht zudem vor, daß alle Psychotherapeuten, die von der Kammer zugelassen sind, Soldaten behandeln dürfen – selbst wenn sie keine eigene Niederlassung haben. Die Kammer ist ein Berufsverband, in dem alle zugelassenen Psychotherapeuten organisiert sind. Es ist keine individuelle Entscheidung, ob man dort Mitglied wird oder nicht.

Die Bundeswehr finanziert die Behandlung. So werden ethische und fachliche Voraussetzungen der Psychotherapie ad absurdum geführt: Etwa daß der Therapeut alleine für das Wohl des Patienten zuständig ist und keinen äußeren Instanzen gegenüber rechenschaftspflichtig sein darf oder gar von ihnen kontrolliert wird. Wir kritisieren den Rahmen der Abhängigkeit vom Militär, in dem die Therapie stattfinden soll. Erwartet wird eine bestimmte Haltung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr: Der Therapeut verpflichtet sich, ihnen nicht kritisch gegenüberzustehen.

Dazu gibt es von der »Neuen Gesellschaft« eine Stellungnahme – was setzen Sie entgegen?

Wir lehnen psychotherapeutische Behandlungen unter der Regie der Bundeswehr ebenso ab wie die von ihr organisierten Fortbildungen. Der jeweilige Therapeut muß dafür sorgen, daß Dritte keinen Einfluß auf die Behandlung nehmen können. Es kann nicht Aufgabe von Psychologen sein, Reaktionen von Soldaten auf Kriegshandlungen – wie Entsetzen, Abscheu und Angst vor erneutem Erleben – wegzutherapieren, um sie für den nächsten Einsatz fit zu machen. Therapien mit solchen Zielen dienen der Unterstützung und Fortsetzung von kriegerischen Einsätzen der Bundeswehr. Wir aber meinen, daß das Leiden an den Bedingungen und Folgen eines Kriegseinsatzes seine Ursachen hat, und daß der Soldat dann auch nicht wieder dorthin zurückkehren soll.

Wie haben Sie von der Einmischung der Bundeswehr erfahren?

Am Donnerstag findet die erste Schulung für Therapeuten statt. Bezeichnend ist der Veranstaltungsort: das Offiziersheim der Blücherkaserne in Berlin. Der einzige freie Psychologe unter den Vortragenden ist der Präsident der Psychotherapeutenkammer selbst, alle anderen sind Beamte oder Generäle der Bundeswehr. Aus dem Titel eines geplanten Vortrags »Truppenpsychologen im Einsatz, mit Soldaten auf Patrouille, auf Wache, im Feldlager« geht klar hervor: Therapeuten sollen im militärischen Umfeld eingebettet arbeiten.

Sie reden in dem Zusammenhang von Kriegspsychologie – ein neuer Trend?

Bundeswehrübungen waren in der Vergangenheit eher ein Männlichkeitsritual mit teils extremen Formen von Demütigung. Deutschland stellt sich zunehmend darauf ein, sich an Kriegen zu beteiligen, dabei sollen dann auch Psychologen mitmachen. Seit dem Kosovo-Krieg 1998 gibt es wieder Fronteinsätze. 2010 ist Bundespräsident Horst Köhler noch darüber gestolpert, weil er bekannt hatte: Ein militärischer Einsatz könne notwendig sein, um deutsche Wirtschaftsinteressen zu wahren. Mittlerweile ist es kein Problem mehr, das zu sagen!

Welche Behandlung von Soldaten wäre aus Sicht der bei der NGfP organisierten 200 Psychologen und Psychotherapeuten sinnvoll?

Soldaten kommen aus belastenden Erlebnissen heraus in die Therapie: Weil sie z. B. Menschen erschießen mußten, die sie gar nicht kannten oder die sie bedroht hatten. Es läßt sie nicht los, wenn sie zerfetzte Körper und zerstörte Familien sehen mußten; gar in dem Wissen, das selbst verursacht zu haben. Danach suchen sie mitunter auch im zivilen Leben den Feind: Sei es, daß sie ihre Frau, ihre Freunde oder andere Unbeteiligte bedrohen – oder sich selber zerstören. Der Patient muß in jedem Fall selbstbestimmt die Therapie aufsuchen. Es darf kein Konstrukt geben, wie dieses: Der Soldat wird vorher darauf hingewiesen, daß er Geheimnisträger ist; er darf deshalb nicht alles sagen, was er weiß und was ihm durch den Kopf geht. Letzteres ist aber eine von Sigmund Freud vorgegebene Grundregel der Therapie.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014

Im Wortlaut: Stellungnahme zur Psychotherapie von Soldaten

Auf dem Symposium der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) „Trommeln für den Krieg“ vom 8. März 2014 in der Freien Universität Berlin wurde die nachfolgende Stellungnahme vorgeschlagen:

Stellungnahme zur Psychotherapie von Soldaten

Am 16. September 2013 trat eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Bundespsychotherapeutenkammer in Kraft, nach der zivile Psychotherapeuten in Privatpraxen Soldaten nach Verfahren behandeln, die von der Bundeswehr geregelt sind. Der Vereinbarung ging eine gleichartige Übereinkunft des Bundesministeriums der Verteidigung mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung voraus. Die Bundeswehr und die Psychotherapeutenkammer veranstalten zudem am 13. März 2014 in Berlin im Offiziersheim der Blücher-Kaserne eine erste gemeinsame Fortbildungsveranstaltung, die Therapeuten auf die Behandlung von Soldaten vorbereiten soll.

Aus der Vereinbarung, dem Programm der Fortbildungsveranstaltung und aus Äußerungen des Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer, Professor Rainer Richter am 26. November 2013 geht eindeutig hervor, dass es sich um psychotherapeutische Behandlungen durch zivile Therapeuten unter der Regie und im Interesse der Bundeswehr handelt. Richter ließ erklären, dass bei zunächst psychisch erkrankten und dann „erfolgreich behandelten” Soldaten nichts gegen eine Teilnahme an Auslandseinsätzen spreche.

Psychisch belastete oder traumatisierte Soldaten bedürfen selbstverständlich einer psychotherapeutischen Behandlung, aber psychotherapeutische Behandlung von Soldaten muss unabhängig von derBundeswehr sein. Das Bundesverteidigungsministerium oder die Truppe dürfen weder die Behandlungsmethoden noch Behandlungsziele vorgeben. Es kann nicht Aufgabe von Psychologen sein, Reaktionen von Soldaten auf Kriegshandlungen -wie Entsetzen, Abscheu und Angst vor erneutem Erleben -weg zu therapieren, um Soldaten für den nächsten Einsatz fit zu machen. Therapien mit solchen Zielsetzungen dienen der Unterstützung und Fortsetzung von kriegerischen Einsätzen der Bundeswehr.

Im Mittelpunkt jeder Therapie haben allein Wohl und Gesundheit des Klienten zu stehen.

Es ist Pflicht des Therapeuten dafür zu sorgen, dass Dritte mit anderen Interessen keinen Einfluss auf die Behandlung nehmen können. Daher lehnen wir solche psychotherapeutische Behandlungen unter der Regie der Bundeswehr ebenso wie die von der Bundeswehr organisierten Fortbildungen ab.

Berlin, 9. März 2014
Der Vorstand:
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder, Dr. Christoph Bialluch, Dipl.-Psych. Jörg Hein


Quelle: Website der Neue Gesellschaft für Psychologie; http://www.ngfp.de




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