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Genforschung für die Bundeswehr

Umweltbundesamt kritisiert Erprobung biologischer Kampfstoffe - Bericht, Kommentar und Stellungnahme

Nach Berichten der "Welt am Sonntag" vom 22. Oktober und des SPIEGEL vom 23. Oktober 2000 ist die Bundeswehr an mindestens 25 gentechnischen Forschungsvorhaben beteiligt. Die Palette reiche von der Forschung an gentechnisch veränderten Tomaten, Kartoffeln oder Sojabohnen bis hin zu Experimenten mit Kolibakterien sowie Milzbrand-, Cholera- oder Pesterregern.

Ziel der Arbeiten sei es, biologische Kampfstoffe besser aufzuspüren und wirksame Gegenmittel zu entwickeln. Die Forschung werfe jedoch zum Teil erhebliche Sicherheitsfragen auf, berichteten die Blätter unter Berufung auf das Umweltbundesamt.

Als besonders "delikat" hätten die Fachleute die Arbeit der Bundeswehr mit potenziellen B-Waffen-Erregern bezeichnet, die mit einer Resistenz (Widerstandsfähigkeit) gegen Antibiotika ausgestattet seien. Damit seien die Erreger noch waffentauglicher gemacht worden, da sie im Ernstfall mit dem verwendeten Antibiotikum nicht mehr hätten behandelt werden können, zitierte das Blatt Experten des Umweltbundesamtes. Diese seien zu dem Schluss gekommen, dass die Bundeswehr zwar keine offensive B-Waffen-Forschung betreibe, sich aber offensichtlich "einfach ignorant gegenüber der Zweischneidigkeit defensiver Forschung" verhalte.

Als "bemerkenswert" stuften die Mitarbeiter der Behörde auch die Tatsache ein, dass gerade dieses Forschungsvorhaben auf einer Übersicht für die Mitglieder des Verteidigungsausschusses nicht aufgeführt sei. Zudem sei auch die in diesem Fall eigentlich zuständige bayerische Überwachungsbehörde nicht wie erforderlich über die Antibiotikaresistenz des Bakteriums unterrichtet worden.

Das Bundesverteidigungsministerium bestätigte, dass in diesem Jahr seien rund drei Millionen Mark für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet gentechnischer Arbeitsmethoden ausgegeben wurden. Vorwürfe, einzelne Projekte seien angesichts ihrer Gefährlichkeit nicht richtig eingestuft worden, seien dem Ministerium nicht bekannt. Das Programm diene ausschließlich dem Zweck, biologische Kampfstoffe aufzuspüren und wirksam zu bekämpfen. Wörtlich: "Forschung und Entwicklung zur Herstellung von B-Waffen wurden und werden vom Bundesverteidigungsministerium weder betrieben noch in irgend einer Weise gefördert oder unterstützt." Auch unterlägen sämtliche Forschungseinrichtungen der Aufsicht der zustäöndigen Behörden vor Ort. Eine Verletzung der strengen Sicherheitsbestimmungen sei nirgends festgestellt worden.

Kommentar

Soweit die nüchternen Meldungen. In einem Kommentar der Frankfurter Rundschau heißt es zur Heimlichtuerei des Verteidigungsministeriums u.a.:

Im Bereich des Militärischen gibt es ja bekanntlich keinen Unfug, der bisher nicht auch eine Begründung gefunden hätte. Aber auf die Begründung für diese B-Waffen-Forschung wäre man doch gespannt. Gibt es etwa rings um Deutschland perfide Schurkenstaaten, die uns mit Bakterien, mit Pest und Cholera sozusagen, drohen? Und zu welchem militärischen und sicherheitspolitischen Zweck sollen denn Kartoffeln, Tomaten und Sojabohnen gentechnisch verändert werden?
Diese obskuren Forschungen - allen Erfahrungen nach kam erst die Spitze eines Eisbergs zum Vorschein - kosten Geld. Seit zwei Jahren beklagt .. Rudolf Scharping ... die Geldnot seiner Armee. Wohlan, Rudi, hier tut sich eine gute Chance für Sparen auf! Ansonsten sei empfohlen, doch gleich die Bürger selbst gentechnisch gegen B-Waffen resistent zu machen.
Aus Frankfurter Rundschau, 23.10.2000

(Anmerkung: Wäre es nicht besser, die Bevölkerung resistent gegen die Bundeswehr und deren Waffenprogramme zu machen? Aber das fällt wohl nicht mehr ins Ressort der Presse, das muss die Friedensbewegung erledigen.)


Stellungnahme

In einer Stellungnahme des Sunshine Projects hieß es zu den Experimenten der Bundeswehr u.a.:

Die gentechnischen Experimente der Bundeswehr sind nur die Spitze des Eisberges. In den letzten Jahren wurden mit Hilfe der Gentechnik biologische Waffen entwickelt, die weitaus gefährlicher sind als alle bekannten Krankheitserreger. Tödliche Bakterien, die Impfungen überwinden, Antibiotika überleben, obskure Krankheitssymptome auslösen und nicht von Nachweissystemen erfasst werden sind bereits Realität.
...
"Jede Übertragung von waffentauglichen Genen auf potenzielle Biowaffen muss strikt verboten und international geächtet werden,“ fordert Dr. Jan van Aken, Projektleiter beim Sunshine Project, einem internationalen Verein zur Bekämpfung biologischer Waffen. „Die Militärs im Westen geben sich besorgt über die russischen Arbeiten mit Milzbrand. Doch um eine internationale Ächtung gentechnischer Arbeiten an Biowaffen zu erreichen, müssen Bundeswehr und NATO mit gutem Beispiel vorangehen und die eigenen Arbeiten mit antibiotikaresistenten Erregern sofort stoppen,“ erklärt van Aken.
Zur ganzen Stellungnahme im Wortlaut

Interview

In der jungen welt vom 23.10.2000 war ein Interview mit Michael Haupt zu lesen. Haupt ist Experte für Gentechnik der Umweltorganisation Greenpeace.

Frage: Nach Informationen des Bundesumweltamtes stellt die Bundeswehr seit geraumer Zeit gentechnische Forschungen an, um biologische Kampfstoffe zu verändern. Mit welchem Ziel verfolgt die deutsche Armee solche Projekte und wie bewertet Greenpeace die Nachricht?

Michael Haupt: Vom Auftrag her darf die Bundeswehr solche Forschungen natürlich nur für defensive Zwecke anstellen. Andererseits ist es aus verschiedener Hinsicht schon zweifelhaft, ob so etwas das richtige Vorgehen ist. Die westlichen Armeen argumentieren immer, daß die »Schurkenstaaten« wahrscheinlich in derselben Richtung forschen und man sich daher defensiv vorbereiten müsse. Das ist aber der vollkommen falsche Weg. Man muß im Grunde schon verhindern, daß solche Staaten diesen Weg der Aufrüstung beschreiten, anstatt hier ebenfalls aufzurüsten.

F: Wie könnte diese Forschung in den angeblichen »Schurkenstaaten« denn verhindert werden?

Michael Haupt: Das wäre über den üblichen Weg internationaler Vereinbarungen möglich. Das ist eine sehr komplizierte Geschichte, weil es international noch keine Macht gibt, die so etwas durchsetzen kann.

F: Aber ist es nicht auch so, daß Komponenten für viele Kampfstoffe aus den Industriestaaten erst in diese sogenannten Schurkenstaaten geliefert werden?

Michael Haupt: Ich kann nicht sagen, wie weit auch diese Länder autark in der Lage sind, die Kampfstoffe selber herzustellen.

F: Liest man die Meldung über die Bundeswehr, so hat es den Anschein, daß das Bundesumweltamt selber überrascht war. Das wirft die Frage nach der Kontrolle der Bundeswehr auf.

Michael Haupt: Ja, natürlich. Der eigentliche Skandal ist ja nicht nur, daß diese Forschungen bei der Bundeswehr offensichtlich auf unverantwortliche Weise unter Mißachtung von Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden. Der Skandal ist auch, daß offensichtlich dem Verteidigungsausschuß des Bundestages Informationen vorenthalten wurden. Sie bekommen dort im Regelfall Übersichten über die Aktivitäten der Bundeswehr. In den bisherigen Dokumenten waren diese Projekte nicht aufgelistet.

F: Das heißt, die parlamentarischen Kontrollmechanismen wurden bewußt ausgehebelt?

Michael Haupt: Nach den bisherigen Medienberichten stellt sich das so dar.

F: Wie reagiert eine Umweltorganisation wie Greenpeace auf einen solchen Fall, welche Konsequenzen müssen hier Ihrer Meinung nach gezogen werden?

Michael Haupt: Im Grunde muß man die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium dazu bringen, die Karten auf den Tisch zu legen. Man darf es nicht Dritten überlassen, auf diesem Feld für ein bißchen Transparenz zu sorgen. Da darf auch nicht der bequeme Hinweis auf das militärische Geheimnis genügen. Besonders in Anbetracht dessen, daß hier elementare Sicherheitsvorkehrungen nicht genügend beachtet wurden, muß die Öffentlichkeit über die Projekte informiert werden. Darauf gilt es nun zu drängen. Man muß sich genau anschauen, was die Bundeswehr treibt und ob sie dazu überhaupt berechtigt ist. Das wird auch im Rahmen von internationalen Vereinbarungen zu prüfen sein.
(Interview: Harald Neuber)

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