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"Wir entscheiden mittlerweile verdammt häufig über Militäreinsätze"

Die Debatte über den Kriegseinsatz der Bundeswehr im Bundestag: Struck, Pflüger, Hoyer, Lafontaine, Nachtwei, Leutheuser-Schnarrenberger und Koppelin

Das wichtigste in der Bundesrepublik, so könnte es einem Außenstehenden scheinen, sind wohl Militäreinsätze im Ausland. Der vorzeitig aufgelöste 15. Bundestag war - ein neuer Bundestag war bereits gewählt - noch einmal zu einer letzten Sitzung zusammen getrommelt worden, um über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen der von den Vereinten Nationen gebilligten ISAF-Mission zu beschließen (siehe: Das letzte Gefecht). Und die erste politische Entscheidung des neuen Bundestags befasste sich wiederum mit einem Militäreinsatz: Am 8. November 2005 trat der neu gewählte Bundestag zusammen, um nicht nur - vergeblich - in einem vierten Anlauf einen Vizepräsidenten zu wählen (die Wahl des linken Abgeordneten Lothar Bisky scheiterte am problematischen Demokratieverständnis und fehlender Toleranz der Mehrheit des Hauses), sondern auch um über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen von "Enduring Freedom", dem US-geführten "Krieg gegen den Terror", zu befinden. Wieder also sollte die Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch, aber nicht nur dort, stattfinden.

Das Ergebnis ist bekannt: Bis auf die gesamte Linksfraktion und einige wenige Abgeordnete von Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU beschloss der Bundestag mit überwältigender Mehrheit erwartungsgemäß den Kriegseinsatz (siehe: Kampfeinsatz der Bundeswehr im sog. "Anti-Terror-Krieg" vom Bundestag abgesegnet).

An der Bundestagsdebatte über die Verlängerung des Kriegseinsatzes sind eigentlich nur drei Dinge interessant: Verteidigungsminister Struck nutzte seine vermutlich letzte Rede im Amt zu einer "Bilanz" seiner Tätigkeit. Der Abgeordnete Oskar Lafontaine gab seinen Einstand als einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion. Und Winfried Nachtwei fühlte sich berufen, den Bundeswehreinsatz (und nicht nur diesen) mit angeblich "linken" Argumenten zu begründen.
Wir haben diese drei und noch ein paar weitere Reden im Folgenden dokumentiert:

Außerdem dokumentieren wir die zu Protokoll gegebene persönliche Erklärung von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Jürgen Koppelin (beide FDP).



Auszüge aus dem Stenografischen Bericht der 2. Sitzung des Bundestags (16. Wahlperiode) (Plenarprotokoll - Vorab-Veröffentlichung) am 8. November 2005.

Auf Zwischenrufe und Beifallskundgebungen haben wir bei der Widergabe der Reden verzichtet.

Tagesordnungspunkt 2:
Beratung und Beschlussfassung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

- Drucksache 16/26 -

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

(...)
Als Bundesminister der Verteidigung will ich zunächst klarstellen: Militärisches Handeln ist nicht die erste Option. Vor den Soldaten sind die Diplomaten, die Entwicklungshelfer von Regierungsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen, die Menschenrechtler, die Weltbank und andere internationale Institutionen gefordert, um gegen die Ursachen von Terrorismus zu kämpfen. Aber danach bleiben Situationen, die nur mithilfe militärischer Mittel gelöst werden können. Genau diesen Ansatz setzt die internationale Gemeinschaft in Afghanistan um. Gesellschaftlicher Wiederaufbau, die Verabschiedung einer afghanischen Verfassung, die Wahlen des Präsidenten und des Parlaments charakterisieren diesen erfolgreichen Weg.

Der Einsatz militärischer Kräfte hat sich über Afghanistan hinaus als unerlässliches Instrument der internationalen Staatengemeinschaft im Kampf gegen diese neue Geißel der Menschheit erwiesen. Der UN-Sicherheitsrat hat am 13. September 2005 mit der Resolution 1623 die Weltgemeinschaft erneut zur Zusammenarbeit aufgefordert, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen. Die bisherigen Einsätze von Streitkräften der an der Operation Enduring Freedom beteiligten Staaten haben terroristische Rückzugsgebiete beseitigt, wichtige Transportwege unterbunden und stabilisierend auf die Länder am Horn von Afrika gewirkt. Deshalb hat das Bundeskabinett in der vergangenen Woche entschieden, dass Deutschland, vorbehaltlich der Zustimmung dieses Hauses, weiterhin bis zu 2 800 Soldaten der Bundeswehr und entsprechende Ausrüstung bei der UN-mandatierten Operation Enduring Freedom einsetzen kann.

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Diskussionen in den Fraktionen will ich hinzufügen: Diese Obergrenze wird zurzeit nicht ausgeschöpft. Für die Bundesregierung erkläre ich, dass die Oppositionsfraktionen bei einer Aufstockung des Kontingents auf dem üblichen Weg einbezogen werden. Dies soll auch für die Nachfolgeregierung gelten. Mit anderen Worten: Ich gehe davon aus, dass auch die Nachfolgeregierung bei einer Aufstockung des Kontingents mit den Oppositionsfraktionen darüber redet. Ich denke, ich spreche auch in Ihrem Namen, Herr Kollege Jung.

Auch künftig geht es darum, ein hohes Maß an Flexibilität bei militärischen Maßnahmen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu erhalten. Nur auf diese Weise kann auf wechselnde Einsatzerfordernisse schnell und angemessen reagiert werden. Je unberechenbarer die Terroristen agieren, umso wichtiger ist es für die internationale Koalition, für glaubwürdige und effiziente Einsätze ein Spektrum militärischer Optionen zur Verfügung zu haben. Das Spektrum der deutschen Aktivitäten im Rahmen von Enduring Freedom bleibt anspruchsvoll: Die Bundeswehr wird sich am Horn von Afrika weiterhin an der Taskforce 150 mit einer Fregatte mit zwei Bordhubschraubern und, wenn nötig, weiteren Marinekräften beteiligen. Diese Region war in der Vergangenheit mehrfach Schauplatz von Attentaten terroristischer Gruppierungen. In den vergangenen zwölf Monaten wurden 749 Schiffe und Boote überprüft. Deutschland hat von Dezember 2004 bis März 2005 erneut den Kommandeur für die internationale Marinestreitkraft am Horn von Afrika gestellt. Eine erneute Übernahme dieser Funktion ist von August bis Dezember 2006 geplant.

Die Bundeswehr wird sich weiterhin auch am bündnisgemeinsamen Beitrag der Marinekräfte der NATO für den Kampf gegen den Terrorismus im Mittelmeer beteiligen. In den vergangenen zwölf Monaten war die Bundeswehr mit einer Fregatte an der Operation Active Endeavour im östlichen Mittelmeer beteiligt, zeitweise zusätzlich mit einem U-Boot. Dabei wurden 653 Schiffe überprüft. Die Bundeswehr hält darüber hinaus einen Airbus A310 und eine Challenger CL601 für luftgestützte medizinische Notfallversorgung durchgehend in 24- bzw. 12-Stunden-Bereitschaft. Zur weiträumigen Seeüberwachung wurden in der Vergangenheit auch Seeluftstreitkräfte eingesetzt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Deutschland und die Bundeswehr handeln in Solidarität mit unseren Verbündeten und Partnern auf der Grundlage der Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dies gilt für die Operation Enduring Freedom, über die wir heute zu entscheiden haben, genauso wie für die deutsche Beteiligung an ISAF, über die wir bereits entschieden haben. Stabilisierungsaufgaben und aktive Terroristenbekämpfung sollten aus politischen, rechtlichen und praktischen Erwägungen weiterhin getrennt bleiben.
(...)
(...) erlauben Sie mir, eine kurze Bilanz meiner Amtszeit als Bundesminister der Verteidigung zu ziehen.

Die Bundeswehr ist heute eine Armee im Einsatz; Landesverteidigung findet auch am Hindukusch statt. Selbstverständlich wird die Heimatverteidigung nicht vernachlässigt. Auch dafür werden die Soldatinnen und Soldaten ausgebildet; aber wichtiger sind natürlich die bestmögliche Vorbereitung auf und Ausrüstung für die Auslandseinsätze.

Circa 6 500 Angehörige der Bundeswehr sind heute in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan und am Horn von Afrika. Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind als Militärbeobachter im Sudan, in Äthiopien, Eritrea und Georgien. Sie leisten dort einen wichtigen Dienst und legen Ehre für unser Land ein. Ihr Auftrag ist gefährlich und sie verdienen den Rückhalt des Parlaments und der Bevölkerung.

Die Bundeswehr feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Sie ist in dieser Zeit entschieden für den Frieden eingetreten und das wird auch so bleiben. Fast 374 000 Frauen und Männer arbeiten in der Bundeswehr und der Wehrverwaltung hier in Deutschland und an vielen Stellen auf der Welt. Ihnen gilt mein besonderer Dank für ihre Leistungen. (...)


Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der "Tagesspiegel" in Berlin hat vor wenigen Tagen die Geschichte eines jungen Palästinensers wiedergegeben: Arbeitslos verlässt der 18-Jährige sein Elternhaus in Jordanien; in Essen wird sein Asylantrag abgelehnt, aber aus humanitären Gründen darf er in Deutschland bleiben. Er spricht kaum Deutsch; immer mehr bestimmen Alkohol und Drogen seinen Alltag. In Krefeld lernt er dann eine muslimische Gemeinde kennen. Er sucht nun immer mehr Halt im Gebet. Über den Moscheeverein wird Geld für seine Pilgerfahrt nach Mekka gesammelt. Auf dem Weg dorthin schwärmt man ihm von Afghanistan vor. Er landet schließlich in einem Ausbildungslager von al-Qaida. Dort lernt er, sich in Europa zu tarnen und Bomben zu bauen. 2001 wird er nach Deutschland zurückgeschickt. Die deutschen Behörden merken nicht, dass er monatelang in Afghanistan in einem Terrorcamp war. Der junge Mann, inzwischen völlig fanatisiert, nimmt von hier aus Kontakt zu al-Sarkawi auf. Mit seiner Gruppe spioniert er Anschlagsziele bei uns, in Berlin und Düsseldorf, aus. Zum Glück lauschen die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik mit. Die Gruppe wird festgenommen.

Was lehrt uns dieser Einblick in eine ganz konkrete terroristische Karriere?

Erste Lehre: Die Antiterroroperation Enduring Freedom war und ist richtig.

In den Terrorcamps der al-Qaida unter der Talibanherrschaft in Afghanistan wurden mindestens 20 000 Terroristen ausgebildet und in alle Welt geschickt. Es war richtig, dass die internationale Staatengemeinschaft Terroristen und Taliban angegriffen, die Terrorlager ausgeschaltet und einem demokratischen Verfassungsprozess in Afghanistan, dem "Petersberg-Prozess", den Weg bereitet hat.

CDU und CSU haben den entsprechenden Mandaten Enduring Freedom und ISAF sowie den sie begleitenden politischen Prozess von Beginn an unterstützt.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt auch heute der Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Antiterroroperation Enduring Freedom zu. Die Fortsetzung dieses Einsatzes ist notwendig, weil die weltweite Bedrohung durch den internationalen Terrorismus weiterhin unverändert besteht; sie ist sogar noch gewachsen.

Wir möchten - ich glaube, das kann ich im Namen aller Kollegen im Hause sagen - den Soldaten, die im Rahmen von Enduring Freedom ihr Leben einsetzen, herzlich für ihren Dienst an Freiheit und Sicherheit von uns Deutschen danken.

Die zweite Lehre: Ziele in Düsseldorf und Berlin wurden ausspioniert. Es ist wahr, der Terror ist längst zu uns in die westliche Welt gekommen: New York und Washington am 11. September 2001, Madrid im März 2004 und London im Juli dieses Jahres. Gestern wurde in Australien durch eine Großrazzia der Plan eines groß angelegten Terrorangriffes in allerletzter Minute gestoppt. In der letzten Woche berichtete �Le Figaro� von dem Versuch islamistischer Terroristen, in Frankreich mit Boden-Luft-Raketen aus Tschetschenien französische Passagierflugzeuge abzuschießen. In Kopenhagen wurden vor wenigen Tagen sieben Muslime im Alter von 16 bis 20 Jahren festgenommen, die nach Erkenntnissen der dänischen Polizei einem Terrornetzwerk angehören sollen. Sie hatten Selbstmordanschläge in Europa geplant.

Es kann überall passieren - auch bei uns. Al-Qaida geht es um die Errichtung der weltweiten Herrschaft des Islam, so wie ihn seine Führer verstehen. Der Terror richtet sich nicht in erster Linie gegen das, was wir tun, sondern gegen das, was wir sind, nämlich Ungläubige. Der im Frühsommer 2004 bei einer Razzia getötete Al-Quaida-Führer Abd al-Asis al-Muqrin hat es so gesagt:

Wir müssen Juden und Christen töten. Dabei dürfen wir uns heutzutage nicht von Grenzen einschränken lassen. ... Wir müssen die Häuser der Gotteslästerer in eine Hölle verwandeln ... Deshalb sollen alle aktiven Einheiten in der ganzen Welt die geographischen Grenzen überwinden. Es muss ihnen gelingen, die Länder der Gotteslästerer in Kriegszonen zu verwandeln.

Die dritte Lehre: Wieso durfte der Jordanier in Deutschland bleiben? Wer kümmerte sich um ihn? Wieso merkten die Behörden nicht, dass er über Monate in Afghanistan und nicht bei uns lebte? Ist es nicht wahr, was der aus Syrien stammende kurdische Intellektuelle Tariq Hamo sagt?

Europa war lange ziemlich kompromissbereit gegenüber islamistischen Extremisten. Die Regierungen gaben ihnen Bewegungsfreiheit und Handlungsspielraum. Und das ist der Grund, warum sie ihre fundamentalistischen Ideen innerhalb der islamischen Gesellschaften Europas überhaupt so gut verbreiten konnten. Das trug auch dazu bei, dass sich die Muslime in Europa nicht integrieren konnten.

Die vierte Lehre: Wenn der Terror überall stattfinden kann, dann müssen wir auch überprüfen, ob wir alles zum Schutz unserer Bevölkerung getan haben. Meine Partei hat im Juli 2005, zwei Tage vor dem Londoner U-Bahn-Anschlag, in Hannover einen Kongress zu der Frage durchgeführt, wie weit wir vorbereitet sind, um einen großen Terroranschlag zu bewältigen. Die dabei angehörten Praktiker von THW, Deutschem Roten Kreuz, Feuerwehr und Polizei haben uns deutlich zu verstehen gegeben, dass es noch einen erheblichen Verbesserungsbedarf zur Bewältigung dieser neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gibt. Konzepte für Großschadenslagen seien unzureichend vorhanden. Blutkonserven stünden nicht ausreichend zur Verfügung. Für Brandschwerstverletzte gebe es in Deutschland nur 25 bis 30 Betten insgesamt. Feuerwehr und DRK beklagten zudem, dass es kein System für die Dekontamination von Verletzten und Gerät gebe. Sie hätten weder das Geld noch das Personal dazu.

Es darf nicht sein, dass wir nach einer möglichen Katastrophe, die niemand will und die um Himmels willen hoffentlich niemals kommen wird, zugeben müssen: Wir haben zwar alles gewusst, es war überall zu lesen, aber wir haben nicht alles Menschenmögliche getan. - Dazu gehört auch die vorbehaltlose Prüfung und Beantwortung der Frage, ob wir nicht bei der Bewältigung asymmetrischer Bedrohungen, ergänzend zu Polizei und Grenzschutz, die Bundeswehr mit ihren spezifischen Fähigkeiten im eigenen Land einsetzen können.

Die fünfte Lehre: Wenn wir den islamistischen Terrorismus erfolgreich bekämpfen wollen, dann ist es neben allen polizeilichen und militärischen Maßnahmen vor allen Dingen wichtig, sich mit ihm politisch auseinander zu setzen. Bei allen Sorgen und Ängsten über die Bedrohung durch islamistische Terroristen darf es nicht dazu kommen, dass wir Islam und extremistischen Islamismus in einen Topf werfen. Im Gegenteil: Beides muss sauber unterschieden werden. Es wäre der größte Fehler, wenn es zu einem Kampf der Zivilisationen, zu einem Kampf zwischen Christen und Islamisten, käme. Wir müssen vielmehr erreichen, dass wir die Terroristen gemeinsam mit der großen Mehrheit der friedliebenden Muslime isolieren und bekämpfen.

Ein Beispiel dafür ist der in Algerien geborene Mohammed Arkoun. Er lehrt Ideengeschichte an der Pariser Sorbonne. Er wurde von einer aus fünf arabischen Intellektuellen bestehenden Jury mit dem Ibn-Ruschd-Preis für freies Denken ausgezeichnet, weil er in seinen Schriften die Ähnlichkeiten zwischen Islam und Christentum herausarbeitet, anstatt die Unterschiede aufzubauschen. Es ist unendlich wichtig, dass sich solche Stimmen durchsetzen. Nicht wir, aber gemäßigte, aufgeklärte Muslime können vielleicht junge Muslime erreichen.

Es gibt eine positive Entwicklung. Immer mehr europäische Muslime von Rang erheben ihre Stimme gegen den Terror. Auch in Deutschland scheinen die muslimischen Dachorganisationen aufgewacht zu sein. Sie distanzieren sich lauter und vernehmlicher vom Terror als früher. Wir begrüßen das außerordentlich. Denn es ist ungeheuer wichtig, dass den jungen Muslimen aus ihrer eigenen Gemeinde widersprochen wird, wenn sie zu Extremismus und Gewalt neigen.

Die sechste Lehre: Wir werden den Terror nur besiegen, wenn es gelingt, in den islamischen Ländern Diktatur, Willkür, Arbeitslosigkeit, Vetternwirtschaft sowie Perspektiv- und Würdelosigkeit abzubauen. Denn diese sind der ideale Nährboden für radikale Ideen, politisch motivierte Gewalt sowie islamistischen Extremismus. Ziel muss es sein, dass die Menschen eine selbstbestimmte Perspektive bekommen und ihnen der Anschluss an die Globalisierung gelingt.

Auch dafür gibt es immer mehr positive Signale.

Ein Beispiel ist Ägypten. Dass erstmals ein ägyptischer Präsident nicht per Referendum, sondern per Wahl mit mehr als einem Gegenkandidaten bestimmt wurde, war ein richtiger Schritt in Richtung Demokratie. Ägyptische Oppositionelle sprechen sogar von einem Wendepunkt in der Geschichte Ägyptens und der Chance für den Aufbau eines neuen Staates, bei dem sie sich aktiv einbringen können.

Zusammen mit den Kollegen Gloser und Stinner konnte ich Bundeskanzler Schröder auf seiner Reise in den Golf begleiten. Wir haben eigentlich überall in den Golfstaaten Bewegungen für mehr Frauenrechte und mehr Demokratie erlebt. Selbst in Saudi-Arabien hat es immerhin kommunale Wahlen gegeben. Das sind gute und wichtige Entwicklungen. Auch wenn diese Staaten erst am Anfang stehen, sollten wir sie bestärken, wenn sie ihre Petrodollars jetzt das erste Mal auch für Reformen und für eine Öffnung ausgeben.

Oder nehmen wir den Irak. Als Zeichen des friedlichen politischen Widerstandes gegen die täglichen feigen Terroranschläge haben die Iraker für eine Verfassungsordnung gestimmt, die für das Land einmalig und in der arabischen Welt ohne Beispiel ist. Das gibt Anlass zu Hoffnung und macht jenen in der arabischen Welt Mut, die sich für mehr Demokratie und Freiheit einsetzen. Wir müssen den Menschen im Irak das Signal geben, dass wir trotz der schwierigen Lage an das Gelingen des Weges glauben, den die große Mehrheit des Irak jetzt wagt.

Auch wenn in den Staaten des größeren Mittleren Ostens bis zur Verwirklichung von Freiheit und guter Regierungsführung noch erhebliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind, so widerlegen die bisherigen Entwicklungen doch das Vorurteil, dass Islam und Demokratie nicht zusammenpassen würden. Was bisher an ersten, gewiss noch unzureichenden Reformen und Liberalisierungsschritten gegangen wurde, müssen wir, so gut es geht, fördern und begleiten.

Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Wir wollen keinen Kulturimperialismus und keine Belehrungen. Wir haben keinen Grund zu Überheblichkeit. Die Staaten der Region müssen ihren eigenen Weg der Modernisierung finden. Aber wir wollen unsere Unterstützung leisten, wenn in der arabischen Welt vorhandene demokratische Traditionen weiterentwickelt werden.

Siebente und letzte Lehre: Ein wichtiger Faktor für das Bemühen, diese Entwicklungen zu fördern, ist, wie glaubwürdig wir alle uns für die Lösung des Nahostkonfliktes auf der Grundlage der Roadmap einsetzen. Der Stachel des Palästinaproblems sitzt überall in der arabischen Welt sehr tief. Es ist gut, dass sich die EU noch stärker engagiert und mit der Polizeimission einen eigenen Sicherheitsbeitrag leisten wird. Wir werden zwischen unserer Welt und der islamischen Welt keinen Frieden finden, wenn dieser Konflikt nicht fair, gerecht und dauerhaft gelöst wird und wenn in dieser Region nicht die Gewalt auf beiden Seiten ein Ende hat. Dazu müssen alle Staaten in der Region einen Beitrag leisten.

Das gilt auch und gerade für den Iran. Deshalb möchte ich an dieser Stelle für meine Fraktion in aller Deutlichkeit sagen: Die barbarische Sprache des iranischen Präsidenten gegen Israel ist völlig unakzeptabel.

Wer Israel ausradieren will, der verstärkt doch den Verdacht, dass sein Atomprogramm einem anderen als dem vorgeblich friedlichen Zweck dient.

Wir haben uns parteiübergreifend immer wieder für den kritischen Dialog mit Teheran eingesetzt. Wir haben auch und gerade in Amerika dafür geworben, einer friedlichen, diplomatischen Lösung eine Chance zu geben. Aber klar sein muss doch auch: Ein Land, das Israel vernichten will, kann nicht Partner der Bundesrepublik Deutschland sein.

Bernard Lewis kommt in seinem Buch "What Went Wrong?" - "Was lief falsch?" -, in dem er den Niedergang des Islam als der einst größten, fortschrittlichsten und offensten Kultur analysiert, zu dem Schluss, dass die Staaten des Nahen Ostens jetzt über ihren künftigen Weg entscheiden müssen. Wenn die Völker des Nahen Ostens weiter so verfahren würden wie bisher und die Schuld für alle Probleme, für alle Rückständigkeiten immer nur bei anderen, nämlich beim Westen, abladen, die Schuld aber nie bei sich selbst, sondern immer in Amerika, in Israel, im Westen schlechthin suchen würden, dann wären sie nicht in der Lage, den Anschluss an die moderne Welt zu finden. Dann, so schreibt er, wird der Selbstmordattentäter womöglich zur Metapher für die gesamte Region und es wird keinen Ausweg aus der Spirale von Gewalt und Hass geben.

Wir alle wollen das Gegenteil. Wir alle stehen in der großen Verpflichtung, auf den Islam zuzugehen, die großen humanen Traditionen des Islam zu würdigen, anzuerkennen und überall zu fördern. Wir stehen aber auch in der Verantwortung, dort, wo es Terrorismus und Extremismus gibt, diesen entschieden entgegenzutreten.

Deshalb stimmen wir heute Enduring Freedom zu.


Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon bemerkenswert: Die letzte Entscheidung des alten Deutschen Bundestages betraf einen Militäreinsatz, ISAF. Die erste Entscheidung des neuen Bundestages betrifft ebenfalls einen Militäreinsatz, Operation Enduring Freedom. Wir entscheiden mittlerweile verdammt häufig über Militäreinsätze. Trotzdem darf das niemals zur Routine werden.

In diesem Fall geht es sogar um einen wirklich besonderen Einsatz: Es handelt sich unter gar keinen Umständen um einen Einsatz, den man als Aufbauhilfe oder Ähnliches verbrämen kann, sondern um einen Kampfeinsatz. Es geht konkret darum, dass unsere Soldaten und Soldatinnen kämpfen müssen. Wir tragen also eine riesige Verantwortung. Deswegen dürfen wir auch niemals mit einer Art Routine über diesen Einsatz entscheiden.

Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es um einen Einsatz geht, der als sehr frühe Antwort auf den 11. September 2001 zu verstehen ist. Der Geist, der die Mitglieder dieses Hauses damals geeint hat - die Entschlossenheit, einen deutschen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus zu leisten und diesem Anschlag auf die Vereinigten Staaten von Amerika, der ein Anschlag auch auf uns war, entgegenzutreten -, sollte uns auch leiten, wenn wir über die weitere Entwicklung der Operation Enduring Freedom entscheiden.

Das Parlament ist hierbei in einer ganz besonderen Pflicht; denn es nimmt seine Rechte wahr. Das hat das Parlament in den letzten Jahren, wie ich finde, in sehr verantwortlicher Weise getan. Durch den Parlamentsvorbehalt hat nicht nur das Parlament eine zentrale Funktion übernommen; vielmehr hat der Parlamentsvorbehalt auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sehr gut getan. Die Einsätze sind dadurch, dass das Parlament sehr genau hingesehen hat, nicht schlechter geworden.

Deswegen sind wir der Überzeugung, dass der Parlamentsvorbehalt auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen muss. Wir müssen übrigens, nachdem wir nun erste Erfahrungen mit dem Entsendegesetz gesammelt haben, auch einmal darüber sprechen, wie sie zu bewerten sind und ob wir Konsequenzen aus ihnen ziehen müssen. Denn mit den Rechten, die das Parlament im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten wahrnimmt, gehen auch Pflichten einher, die teilweise gar nicht so leicht zu tragen sind: Zum einen müssen wir Auffassungen vertreten, die nicht unbedingt populär sind, und zum anderen müssen wir uns - auch vom Verfahren her - auf Bedingungen einlassen, die unsere Arbeit nicht leichter machen. Das gilt bei der Operation Enduring Freedom im besonderen Maße; denn hier bedeutet das Brechen von Geheimhaltungsbestimmungen eine unmittelbare Gefährdung unserer Soldaten. Dazu darf es nicht kommen.
(...)
Die FDP-Fraktion wird den Parlamentsvorbehalt auch in Zukunft hochhalten. Wir sind der Meinung, dass wir auch über den Entsendeausschuss noch einmal neu nachdenken müssen; denn in unserem gestrigen Gespräch haben wir gemerkt, dass diese Entscheidung gar nicht so leicht zu treffen ist, übrigens auch deshalb, weil wir, was die Geheimhaltungsbestimmungen angeht, im internationalen Vergleich in eine schwierige Situation kommen.

Ich bin letzte Woche in Washington gewesen und habe mit einigen amerikanischen Kollegen gesprochen. Dort habe ich von ihnen über bestimmte Themen sehr viel erfahren. Allerdings hätte ich unseren Geheimhaltungsbestimmungen zufolge noch nicht einmal mit dem Auge zucken dürfen, um zu demonstrieren, ob ich etwas schon gewusst habe oder nicht. Wir brauchen also eine internationale Harmonisierung der Bestimmungen über den Umgang mit der Geheimhaltung. Aber Geheimhaltung ist erforderlich und zwingend notwendig: im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten und - nebenbei bemerkt - ihrer Familien.

Meine Damen und Herren, wir werden den Parlamentsvorbehalt auch aus folgendem Grund sehr stark betonen: Ich will einer großen Koalition zwar nicht unterstellen, dass sie automatisch zu Machtmissbrauch neigt - ganz bestimmt nicht -, aber es besteht schon die Gefahr, dass möglicherweise eine gewisse Hemdsärmeligkeit eintritt. Genau das wollen wir im Umgang mit der Bundeswehr auf jeden Fall vermieden wissen. Deshalb werden wir am Parlamentsvorbehalt festhalten.

Die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe der Operation Enduring Freedom ist nicht erledigt. Übrigens ist sie auch erforderlich - das ist ein Teilaspekt -, um die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten, die im Rahmen von ISAF zum Einsatz kommen. Also: Diese Aufgabe, gerade im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, ist nicht erledigt. Die Aufgabe vor Ostafrika ist nicht erledigt. Wir werden den Angehörigen der Bundeswehr hier noch einiges zumuten müssen.

Deswegen ist es umso wichtiger, dass das Mandat präzise definiert ist. Der Einsatzraum ist sehr großzügig dimensioniert. Man weiß ja nicht, was kommt: Letzte Woche gab es ja eine Überraschung mit einem Kreuzfahrtschiff. Aber auch von der quantitativen Dimension ist das schon sehr großzügig angelegt: Wir haben vor vier Jahren mit 3 900 Soldaten angefangen, sind jetzt bei 3 200 und es hat einige Überredungskraft gekostet, an eine weitere Reduzierung zumindest heranzugehen. Die Bundesregierung hat um 300 reduziert. Ich erkenne das an, ich halte es aber bei weitem nicht für ausreichend. Wenn man das neue Seeraumüberwachungsflugzeug schon einsetzen könnte, wenn man noch eine Fregatte oder einen Einsatzgruppenversorger nach Dschibuti schicken würde, käme man auf eine Größenordnung, so sehr man es auch hochrechnen mag, von vielleicht 1 500, aber dann ist Schluss. Hier ist nun von 2 800 die Rede. Dabei haben wir große Bedenken. Ich bedauere, dass sich die Bundesregierung nicht dazu bereit finden konnte, hier eine realistische Größe zu nennen. Denn sosehr Flexibilität erforderlich ist - das sehe ich ein -, der Verdacht eines Vorratsbeschlusses sollte schnellstens ausgeräumt werden.

Wenn eine völlig neue Situation entsteht, die es erforderlich macht, erheblich aufzustocken - quantitativ und gegebenenfalls auch qualitativ -, dann sollte die Bundesregierung an das Parlament herantreten und sich diesen Einsatz neu legitimieren lassen.

Ich freue mich, Herr Bundesminister, dass Sie heute eine Erklärung abgegeben haben, die diesen Bedenken Rechnung trägt. Ich sehe natürlich: Zwischen der Befassung der Fraktionen und dem konstitutiven Beschluss des Bundestages ist noch ein Unterschied. Vielleicht können wir im nächsten Jahr diesen Schritt auch noch gehen. Aber Sie sind, von daher gesehen, auf dem richtigen Weg.

Meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten tragen mit großer Mehrheit den Antrag zur Verlängerung des Mandats der Operation Enduring Freedom mit - nicht ohne Bauchgrimmen aufgrund der Elemente, die ich gerade zum Schluss vorgetragen habe, aber doch in der Verantwortung für die deutsche Beteiligung an dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus, aus Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. (...)


Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke lehnt die Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe auf die USA ab.

Vielmehr fordert sie heute den Bundestag auf, das Mandat für diese Militäraktionen zu beenden und die Bundesregierung zu beauftragen, die Einsätze des Kommandos Spezialkräfte in Afghanistan unverzüglich einzustellen.

Im Gegensatz zur Bundesregierung und zur Mehrheit des Deutschen Bundestages sind wir nicht der Auffassung, dass die in Rede stehenden Militäreinsätze ein angemessener Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind. Sie bewirken nach unserer Auffassung eher das Gegenteil: Die Spirale militärischer Gewalt führt, wie wir insbesondere im Irak täglich beobachten, zu immer neuen terroristischen Anschlägen. Sie vergrößert die Gefahr, dass terroristische Angriffe demnächst auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland stattfinden. Mittlerweile kursieren im Internet Warnungen afghanischer Islamisten, die darauf hinweisen, dass die Bundeswehr in Afghanistan Moslems getötet habe. Inzwischen gibt es einen Sachstandsbericht des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums, in dem darauf hingewiesen wird, dass die deutsche Sicherheitslage entscheidend aufgrund der Vorgänge in Afghanistan beurteilt wird.

Man muss auch wissen, dass der Tod eines Taliban- oder Clanführers seine Angehörigen und seine Anhänger verpflichtet, Rache zu üben. Diese Verpflichtung ist jedoch nicht so gefasst, dass diese Rache nur auf dem Territorium Afghanistans geübt werden kann.

Meine Damen und Herren, wer den Terrorismus bekämpfen will, muss wissen, was er unter Terrorismus versteht. Wenn ich aufmerksam gelesen und zugehört habe, dann ist es so: Die amtierende Bundesregierung und die Fraktionen, die den militärischen Einsätzen in den vergangenen Legislaturperioden zugestimmt haben, haben der deutschen Öffentlichkeit bis zum heutigen Tage nicht erklärt, was sie unter Terrorismus eigentlich verstehen.

Das kann ja noch nachgeholt werden. Auf diese Erklärung sind wir wirklich gespannt.

Für die Linken ist Terrorismus das Töten unschuldiger Zivilisten zum Erreichen politischer Ziele. Wer den Terrorismus mit militärischen Mitteln bekämpfen will, muss daher sicherstellen, dass die Schuldigen - in diesem Fall die Kombattanten - die Ziele von Vergeltungsakten sind. Wird die durch das internationale Recht vorgegebene Pflicht, Unschuldige zu schonen, grob verletzt, dann werden die militärischen Einsätze zur Bekämpfung des Terrorismus selbst zu Terrorakten.

Spätestens seit der flächendeckenden Bombardierung afghanischer Städte und Dörfer durch die Vereinigten Staaten, bei der viele Tausende unschuldiger Menschen ums Leben kamen, ist die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe ebenso völkerrechtswidrig wie die Beteiligung Deutschlands am Jugoslawienkrieg und am Irakkrieg.

Der Verweis auf den Irakkrieg mag viele von Ihnen überraschen, lesen Sie doch immer wieder, dass sich Deutschland nicht am Irakkrieg beteiligt habe. Zwar ist und bleibt es verdienstvoll, dass sich die Regierung Schröder geweigert hat, im UNO-Sicherheitsrat einem Mandat für einen Angriff der USA auf den Irak zuzustimmen. Dass wir uns im Irakkrieg aber nicht neutral verhalten haben, hat das Bundesverwaltungsgericht vor einiger Zeit in wünschenswerter Klarheit festgestellt. Das verdient auch hier im Deutschen Bundestag einmal gesagt zu werden. Das Parlament kann über dieses wichtige Urteil doch nicht einfach hinweggehen.

Das Gericht hat der Klage des Bundeswehrmajors Florian Pfaff stattgegeben, der sich während des Irakkrieges geweigert hatte, an einem Softwareprojekt der Bundeswehr weiterzuarbeiten, mit dem nach seiner Auffassung mittelbar ein völkerrechtswidriger Krieg unterstützt wurde. Daraufhin haben seine Vorgesetzten veranlasst, dass er auf seinen Geisteszustand untersucht wurde, und er wurde degradiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Soldaten in vollem Umfang rehabilitiert.

Im Namen der Fraktion Die Linke spreche ich diesem Soldaten heute im Deutschen Bundestag den Respekt für seine tapfere Haltung aus.

Der Kernsatz der Begründung des Urteils lautet:

Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.

Dieser Satz trifft in vollem Umfang auf die militärische Mission zu, die der Bundestag heute verlängern will. Vor allem trifft er auf die Einsätze der KSK in Afghanistan zu. Die bisherige Geheimhaltungspraxis über Art und Umfang ihres Einsatzes ist nicht mit dem Sicherheitsbedürfnis dieser Einheit zu begründen. Sie verschleiert vielmehr den völkerrechts- und verfassungswidrigen Charakter der Einsätze dieser Sondereinheit. (

Wenn der Krieg gegen den Terror so geführt wird wie in den letzten Jahren, dann werden wir genau die Werte untergraben, die die Terroristen ins Visier nehmen: die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit. - So urteilte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan.

Statt zur Bekämpfung des Terrorismus auf völkerrechtswidrige militärische Maßnahmen zu setzen, muss die Bundesrepublik Deutschland in den betroffenen Regionen zur Förderung der sozialen und politischen Rechte beitragen und dabei helfen, Armut, Bildungsnotstand und Arbeitslosigkeit abzubauen.

Der Terrorismus kann eben nicht durch diese Art von Krieg bekämpft, geschweige denn ausgerottet werden. Wenn im Bombenhagel viele Unschuldige sterben, wachsen immer neue Terroristengenerationen heran.

Die vor einigen Jahren eingeleitete Enttabuisierung des Militärischen war daher einer der großen Fehler der deutschen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg.

Insbesondere die Beteiligung am Afghanistan- und die mittelbare Beteiligung am Irakkrieg erhöhen die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland. Sie ist mit der Pflicht, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, nicht zu vereinbaren.

Der Krieg ist darin schlecht, dass er mehr böse Menschen macht, als er deren wegnimmt.

So schrieb der Königsberger Philosoph Immanuel Kant. Es wäre ein Fortschritt, wenn Deutschland diese Maxime des Königsberger Philosophen in Zukunft wieder beherzigen würde.

Selbstverständlich ist den Soldaten, die ihren Dienst tun, Respekt entgegenzubringen. Aber wir sind - das ist hochaktuell - dann auch verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie für ihre Einsätze entsprechend ausgerüstet sind. Es mehren sich in der Öffentlichkeit kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass die Ausrüstung der Soldaten bei weitem nicht reicht, um sie in solch gefährliche Einsätze zu schicken. Auch dies muss vor dem Deutschen Bundestag einmal angemerkt werden.

Die Linke ist nicht der Auffassung, dass Deutschland - wie es so populär formuliert worden ist - am Hindukusch verteidigt wird.

Wir glauben, dass Deutschland immer noch in Deutschland verteidigt werden muss und dass wir den besten Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus leisten, wenn wir das Völkerrecht beachten und auf zivile, friedliche Mittel sowie auf die Entwicklungshilfe setzen, um die Ursachen des Terrors zu bekämpfen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

(...) Kollege Lafontaine, Sie haben hier ein Zerrbild der deutschen Beiträge zur internationalen Terrorismusbewältigung entworfen.

Die Konsequenzen Ihrer Forderung, bezogen auf Afghanistan, sind ganz eindeutig und klar: volle Bewegungs- und Anschlagsfreiheit für die Taliban- und andere Terrorgruppen und Zerstörung des UN-mandatierten Stabilisierungsprozesses, der schon schwierig genug ist.

In der Tat ist die Entscheidung über den Antrag der Bundesregierung keine Routine und darf keine Routine sein, auch wenn es für viele von uns die vierte Entscheidung solcher Art ist; denn es geht hier um Menschenleben, um Gewalt- und Kriegseindämmung. Deshalb haben wir uns immer wieder zu fragen: Ist dies notwendig, dringlich und ergiebig? Ist dies legal und verantwortbar? Was sind die Alternativen?

Zur Erinnerung: Deutsches Territorium ist bisher von terroristischen Anschlägen verschont geblieben. Aber dies ist kein Grund zur Beruhigung und kein Grund zu der illusionären Annahme, diesen Zustand dadurch aufrechterhalten zu können, indem sich Deutschland aus allem heraushält.

Der UN-Generalsekretär hat in seinem großen Bericht vom 21. März dieses Jahres zum Thema Terrorismus festgestellt - er hat den Terrorismus dabei treffend definiert und die Bundesregierung hat dies voll unterstützt -:

Der transnationale Terrorismus hat sich in den letzten fünf Jahren zu einer immer akuteren Gefahr entwickelt. Grenzüberschreitende Netzwerke terroristischer Gruppen verfügen mittlerweile über eine globale Reichweite, machen gemeinsame Sache und stellen eine globale Bedrohung dar. Diese Gruppen machen aus ihrem Wunsch keinen Hehl, nukleare, biologische und chemische Waffen zu erwerben. Schon ein einziger derartiger Anschlag und die dadurch möglicherweise ausgelöste Kettenreaktion könnten unsere Welt für immer verändern.

Die hochrangige Gruppe zur UN-Reform hat in ihrem Bericht vom vergangenen Dezember festgestellt:

Die Angriffe in den vergangenen fünf Jahren gegen mehr als zehn Mitgliedstaaten auf vier Kontinenten haben gezeigt, dass die al-Qaida und die mit ihr verbundenen Gruppierungen eine weltweite Bedrohung für alle Mitglieder der Vereinten Nationen und für die Vereinten Nationen selbst darstellen. In öffentlichen Erklärungen hat die al-Qaida die Vereinten Nationen speziell als ein wesentliches Hindernis für ihre Ziele erwähnt und sie als einen ihrer Feinde definiert.

Wir sollten nicht vergessen, dass es nicht nur die Resolution des Sicherheitsrats vom 14. September gibt. Vielmehr hat der Sicherheitsrat seit dem 11. September 2001 zu dieser Problematik insgesamt 22 Resolutionen einstimmig beschlossen, in denen der internationale Terrorismus gebrandmarkt wurde und die Staaten dazu aufgefordert wurden, im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen und des humanitären Völkerrechts - das ist eine sehr wichtige Auflage, die zwingend notwendig ist - jeden ihnen möglichen Beitrag zu leisten. Die Berichte stellen auch klar, dass eine globale Gesamtstrategie gegen den Terrorismus notwendig ist. Es liegt eigentlich auf der Hand: Direkte Täterverfolgung, Gefahrenabwehr, politische Isolierung und mittel- und langfristig wirkende Ursachenbekämpfung gehören untrennbar zusammen.

Genau darin, dies global und unter Bündnispartnern durchzusetzen, liegt die Schwierigkeit.

Dabei müssen wir nüchtern feststellen, dass der Hauptfehler in diesem Bereich in vielen Ländern die Reduzierung der Terrorismusbekämpfung auf das militärische, polizeiliche und nachrichtendienstliche Element ist. Dies bewirkt den bekannten und berüchtigten Hydra-Effekt.

Es ist allerdings völlig unzureichend, sich nur auf die Ursachenbekämpfung zu beschränken. Das ist zwar sehr wichtig, hilft aber gegenüber akuten terroristischen Bedrohungen überhaupt nicht.

Die deutschen Beiträge zur Terrorismusbekämpfung gehen über dieses gesamte Spektrum von der Ursachenbekämpfung bis hin zur direkten Gefahrenabwehr und Terrorismusverfolgung und verfolgen einen primär politischen und ganzheitlichen Einsatz.

Man kann deutlich erkennen, dass unter den vielen deutschen Beiträgen zur Terrorismusbekämpfung die Beiträge zur Stabilisierung Afghanistans und die Gegnerschaft gegen den Irakkrieg von wirklich strategischer Bedeutung sind. Transnationaler Terrorismus lässt sich nicht mit Krieg besiegen. Das ist uns völlig klar.

Bestimmte Akteure und Aktionsformen sind aber ohne Militär nicht einzudämmen. Beides muss auseinander gehalten werden.

Deutschland beteiligt sich an der Operation Enduring Freedom nicht pauschal und uneingeschränkt, sondern mit ausgewählten und präzisen Fähigkeiten, insgesamt zurückhaltend und mit klarer rechtsstaatlicher Begrenzung.

Das größte Kontingent besteht aus Marinekräften zur Seeraumüberwachung. Dies ist notwendig und nützlich, um dort terroristische Bewegungen - zumindest deren Bewegungsfreiheit - einzuschränken.

Es ist richtig - das ist von allen angesprochen worden -: Potenziell am riskantesten ist der zeitweilige Einsatz von maximal 100 Soldaten der KSK in Afghanistan. Dass Afghanistan nicht mehr das Rückzugs- und Ausbildungsgebiet für den transnationalen Terrorismus ist, ist ein enormer Fortschritt.

Dieser Fortschritt ist aber nur dann zu halten, wenn Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan insgesamt vorankommen.

Beides ist durch enorme Gewaltpotenziale gefährdet, über die man nicht einfach hinwegreden oder hinwegblicken kann. Diese Gewaltpotenziale sind ohne die Ausweitung der ISAF-Stabilisierungstruppe und die Rückendeckung durch Enduring Freedom nicht einzudämmen und zu bewältigen.

Umgekehrt: Ohne Enduring Freedom keine ISAF, keine Stabilisierungschance für Afghanistan. Deshalb hat sich Präsident Karsai - übrigens im Unterschied zu den Formulierungen im Antrag der Linkspartei - ausdrücklich für die Präsenz dieser Truppen ausgesprochen.

Er hat sich darüber hinaus sogar - wir teilen das nicht - für das Zusammenfügen von ISAF und der OEF ausgesprochen.

Ein erhebliches Problem bei der Zusammenarbeit im Rahmen der OEF ist allerdings, dass sich die US-Streitkräfte bekanntermaßen und in erschütternder Weise nicht an die Genfer Konvention halten, vor allem, was die Behandlung von Gefangenen angeht.

Die deutschen Soldaten sind hier eindeutig und zwingend an Recht und Gesetz gebunden. Dies ist auch vom Ministerium klargestellt worden.

Es wäre in Hinblick auf die insgesamt notwendige Geheimhaltung im Zusammenhang mit der KSK sehr hilfreich, wenn die Bundesregierung hier die Geheimhaltung auf das Ausmaß beschränken würde, welches zum Schutz von Operationen und Personen notwendig ist.

Zusammengefasst: Die heute beantragten Beiträge zur Operation Enduring Freedom sind notwendig und verantwortbar. Die Bundesrepublik sieht sich damit ganz und gar nicht in dem zu Recht kritisierten Krieg gegen den Terrorismus; vielmehr liegt sie voll auf der Linie dessen, was in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und in den höchsten UN-Berichten eingefordert wird. Deshalb stimmt die grüne Fraktion in ihrer übergroßen Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung zu.

Quelle: Website des Deutschen Bundestags: www.bundestag.de


Keine Verlängerung von "Enduring Freedom"

10. November 2005

Am 8.12.2005 habe ich zusammen mit meinem Kollegen, Jürgen Koppelin, eine weitere Verlängerung des Bundeswehrmandats "Enduring Freedom" abgelehnt. Unsere Erklärung lautet im Wortlaut:

Erklärung zur Abstimmung nach § 31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu TOP 2 der Plenartagesordnung am 8. November 2005:

Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen:

Ich stimme der vierten Verlängerung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen von Enduring Freedom nicht zu.

Bei der Verlängerung des Mandates handelt es sich um die allgemeine, nicht sehr konkrete Vorhaltung und Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten in verschiedenen Regionen der Welt, aber nicht um die Entscheidung für einen konkreten Einsatz. Der Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages kann nach meiner Auffassung nach nur wirkungsvoll wahrgenommen werden, wenn der Bundestag über genau bestimmte Einsätze entscheidet, aber nicht der Bundesregierung erneut einen Blankoscheck erteilt.

Deshalb überwiegen bei aller Anerkennung des konsequenten Vorgehens gegen Terrorismus, auch gegebenenfalls mit militärischen Mitteln, wie bei den bisherigen Verlängerungen des Mandates, meine Bedenken gegen die Beteiligung deutscher Soldaten bei Enduring Freedom.

Quelle: Homepage von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: www.leutheusser-schnarrenberger.de


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