"Die Glaubwürdigkeit des Atomwaffensperrvertrags wird durch die Anwendung von zweierlei Maßstäben aufs Spiel gesetzt"
Der Bundestag diskutierte über die Atomwaffen in Deutschland - Die Debatte im Wortlaut
Am 10. März debattierte der Deutsche Bundestag über die Atomwaffen, die auf deutschem Boden lagern. Die Fraktion Die LINKE hatte einen Antrag eingebracht, in dem der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland gefordert wurde.
Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zog nach und brachte ebenfalls einen entsprechenden Antrag ein (beide Anträge haben wir hier dokumentiert: Linksfraktion fordert "Abzug der Atomwaffen aus Deutschland") und ergänzten ihn um einen aktuellen Antrag zur jüngsten Atomvereinbarung zwischen Indien und den USA (siehe: "Es droht die Gefahr eines nuklearen Dammbruchs").
Wir dokumentieren im Folgenden die Plenarreden von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung.
Berlin, Freitag, den 10. März 2006
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie die Zusatzpunkte
10 und 11 auf:
17 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Paul
Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland
– Drucksache 16/448 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Abrüstung der taktischen Atomwaffen vorantreiben – US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa vollständig abziehen
– Drucksache 16/819 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nuklearen Dammbruch verhindern – Indien an
das Regime zur nuklearen Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Nichtweiterverbreitung heranführen
– Drucksache 16/834 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner
dem Kollegen Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt viele Gründe, warum es gut ist, dass wieder eine
linke Kraft im Bundestag vertreten ist. Heute kommt ein
weiterer hinzu: Mit ihrem heutigen Antrag verfolgt die
Linke als einzige Fraktion im Bundestag eine glaubwürdige
Friedenspolitik.
(Beifall bei der LINKEN)
61 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki und 16 Jahre
nach dem Ende des Kalten Krieges ist
Rheinland-Pfalz
ein riesiges Atomwaffenlager. Auch angesichts des gegenwärtigen
Irankonflikts gilt es, klarzustellen: Kein
Land auf der Welt hat ein Recht auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dennoch werden nach Schätzungen von US-Experten
allein im rheinland-pfälzischen Büchel weiterhin
20 Atombomben stationiert. Das Atomwaffenlager in
Ramstein wurde im Frühjahr 2005 angeblich zeitweise
geräumt. Wo die dort bis dahin stationierten 130 Bomben
derzeit lagern, ist unbekannt. Die Bundesregierung
hat sich in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion Die Linke geweigert, dazu auch nur ein Wort zu
sagen. Wahrscheinlich weiß sie, dass eine überwältigende
Mehrheit der Bevölkerung gegen die weitere Stationierung
dieser Waffen ist. Die Stationierung von
Atomwaffen in Deutschland trägt nicht zum Schutz der
Bevölkerung vor militärischen Angriffen oder Anschlägen
bei – ganz im Gegenteil.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Sie stellen eine permanente Bedrohung für die Bevölkerung
dar. Das US-Militär selbst hat in internen Dokumenten
immer wieder Zweifel an der Sicherheit der in
Europa gelagerten Atomwaffen geäußert. Daraus folgt:
Katastrophen und Unfälle sind jederzeit möglich und
Atomwaffenlager sind immer ein potenzielles Ziel für
militärische oder terroristische Anschläge.
Trotzdem hält es die Bundesregierung nicht für nötig,
die deutsche Bevölkerung über die Anzahl, Art und Lagerung
der Atomwaffen zu informieren. Begründet wird
dies zynischerweise auch noch damit, möglichen Risiken
für Bevölkerung und Umwelt vorbeugen zu wollen.
Auch wenn Deutschland formell keine Atomwaffen besitzt,
ist die Bundeswehr über die nukleare Teilhabe in
Atomkriegsplanungen verstrickt. In Büchel stehen deutsche
Piloten mit den Tornado-Kampfjets der Bundeswehr
für Einsätze bereit. Diese Kampfjets können mit
Atombomben ausgestattet werden, vorausgesetzt, der
US-Präsident hat diese vorher freigegeben.
An die Grünen gerichtet möchte ich sagen: Dieses
Problem erledigt sich nicht automatisch im Jahr 2015,
wie Sie in Ihrem Antrag suggerieren, weil bis dahin alle
atomwaffenfähigen Tornados vollständig durch die
neuen Eurofighter ersetzt worden sind.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ja, genau! Deshalb wollen wir das
auch eher regeln!)
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere
Kleine Anfrage mitgeteilt, dass sogar über das Jahr 2020
hinaus an einer kleinen Stückzahl von Tornados festgehalten
wird. Die Bundeswehr soll also weiterhin für den
Einsatz von Atomwaffen gerüstet sein. Mit der nuklearen
Teilhabe bricht die Bundesregierung ihre völkerrechtlichen
Verpflichtungen in einer Art, wie sie es bei
Nicht-NATO-Staaten zu Recht nie akzeptieren würde.
Der rheinland-pfälzische Landtag hat sich bereits im
vergangenen Jahr für einen Atomwaffenabzug ausgesprochen.
Allerdings hat der dortige Ministerpräsident
und SPD-Vize mit hervorgehobener Stellung,
Kurt
Beck, ebenso wie die komplette rot-gelbe Landesregierung
diesen Beschluss ignoriert und die Bundesregierung
bisher nicht aufgefordert, auf einen Abzug der
Atomwaffen hinzuarbeiten. Auch das können Sie in der
Antwort auf unsere Kleine Anfrage nachlesen.
Kurt Beck hat dieses Thema bei seinem USA-Besuch,
wie man Medienberichten entnehmen konnte, bewusst
nicht zur Sprache gebracht, da er – das muss man sich
einmal überlegen – nicht die Gastfreundschaft verletzen
wollte. Wo kommen wir denn hin, wenn ein Ministerpräsident
nicht in der Lage ist, einer befreundeten Nation zu
sagen, dass der Landtag von Rheinland-Pfalz einen Beschluss zum Atomwaffenabzug gefasst hat? Es ist eben
leichter, Weinfeste zu eröffnen oder Lottoscheine entgegenzunehmen,
als mit Freunden unangenehme Themen
zu besprechen.
(Beifall bei der LINKEN)
Altkanzler Kohl hat in dieser Woche in Trier gesagt, dass
dieser Ministerpräsident ein Opportunist ist. Recht hat
er!
Wir fordern, dass der Bundestag von der Bundesregierung
den Abzug jeglicher Atomwaffen verlangt, die
sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
befinden, und dass keine Piloten und Flugzeuge der
Bundeswehr mehr für Atomwaffeneinsätze bereitgehalten
werden. Würden die anderen hier vertretenen Fraktionen
den Beschlüssen ihrer Landesparteien folgen,
müssten wir unseren Antrag mit großer Mehrheit verabschieden
können. Ihre Glaubwürdigkeit steht also auf
dem Spiel.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Ulrich, was eine derart unreflektierte
und einseitige Haltung mit effektiver Friedenspolitik
zu tun haben soll, das müssen Sie uns einmal erklären.
(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann
[CDU/CSU])
Sie haben die Antwort der Bundesregierung auf Ihre
Kleine Anfrage angesprochen. Dennoch hätten Sie nicht
unbedingt verschweigen müssen, dass es auch innerhalb
des Bündnisses Geheimhaltungsregelungen gibt, die
man nicht so leicht vom Tisch wischen kann, wie Sie es
gerade getan haben.
Wir diskutieren heute zwei Themenkreise, die ohne
Frage in einem gewissen Zusammenhang stehen. Der
eine ist der Abzug möglicher auf deutschem Boden stationierter
Atomwaffen. Der andere, nach einem Antrag
der Fraktion der Grünen, betrifft die Folgen des indischamerikanischen
Abkommens. Hier bestehen gewisse Zusammenhänge
und diese sollen in der Debatte auch nicht
zu kurz kommen.
Über die grundsätzliche Zielsetzung, die
weltweite
Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen, werden
wir uns in diesem Hause einig sein.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Dazu hat sich Deutschland völkerrechtlich verbindlich
verpflichtet – das ist völlig richtig – und dies liegt in unserem
wohlverstandenen, fundamentalen Interesse.
(Beifall im ganzen Hause)
Hieran hält offensichtlich auch die Bundesregierung fest,
Herr Staatsminister, wie aus der Antwort auf die entsprechende
Anfrage deutlich wird.
Der Nichtverbreitungsvertrag, den wir heute in sehr
unterschiedlichem Kontext debattieren, hat bekanntlich
die Abschaffung sämtlicher Kernwaffen zum Ziel. Diesem
Ziel sind auch wir als Bundesrepublik Deutschland
verpflichtet; das ist richtig. Man wird dieses Ziel allerdings
nur mit einem schrittweisen Ansatz verwirklichen
können, wenn man nicht in Träumereien verfallen will
und sich nicht Illusionen hingegeben will. Auch wenn
Sie Ihre Forderungen jetzt in einem brachialen Stil, wie
er in Ihrem Antrag durchscheint, erheben, müssen Sie
sich am real Machbaren messen lassen. Auch das gehört
zu einem abgewogenen Vorgehen.
Ohne Frage gibt es noch viele Stellen, an denen es
hakt. Es gibt in den letzten Jahren aber auch Fortschritte
zu konstatieren. Neben allem, was noch wünschenswert
ist, darf auch einmal positiv angemerkt werden, dass seit
den Spitzenzeiten des Kalten Krieges die Anzahl der nuklearen
Arsenale der
NATO in Europa bereits um mehr
als 95 Prozent reduziert wurde, und das auf der Grundlage
der geltenden Strategie des Bündnisses. Das reicht
zwar nicht und diese Dinge müssen wir weiterhin vorantreiben,
doch einige Punkte sind im Kontext zu sehen:
Die notwendige Reduzierung nuklearer Arsenale ist nur
in engster Abstimmung mit unseren Bündnispartnern
zum Erfolg zu führen und nicht, indem wir gezielt und
wiederkehrend einseitig – gelegentlich geschieht dies
auch wechselseitig – unsere Bündnispartner brüskieren.
Das ist ein völlig falscher Ansatz, um unser Ziel zu erreichen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Von daher werden Sie dieses Ziel auf die Art und Weise,
wie Sie vorgehen, mit Sicherheit nicht erreichen, Herr
Ulrich.
Des Weiteren sind die in Deutschland stationierten
Nuklearwaffen der NATO unterstellt. Demzufolge ist die
Frage, ob und wann diese abgezogen werden, eine
Frage, die die NATO zu beantworten hat. Sie machen es
sich zu leicht, wenn Sie, nur um Ihre Tradition antiamerikanischer
Reflexe aufrechtzuerhalten
(Widerspruch bei der LINKEN)
– so ist es doch! Es ist immer wieder dasselbe; lesen Sie
doch einmal Ihren Antrag! –,
(Beifall bei der CDU/CSU)
isoliert die USA auffordern, ihre Waffen abzuziehen. Sie
scheinen die Zusammenhänge noch nicht ganz erkannt
zu haben. Andernfalls hätten Sie in Ihrem Antrag einen
Beitrag dazu geleistet, wie eine strategische Neuausrichtung
der NATO aussehen könnte. Doch darüber liest
man nichts bei Ihnen. Besonders bemerkenswert ist, dass
Sie sich auf Verteidigungsminister Rumsfeld beziehen.
Das hat schon eine besondere Note. Nur sollte dann auch
der entsprechende Kontext genannt werden.
In die Erwägungen sollte die abgewogene Beurteilung
einiger Punkte zumindest einbezogen werden: Mit
der Verringerung der Zahl der Atomwaffen auf ein, wie
es so schön heißt, allianzpolitisches Minimum ist weiterhin
die nukleare Teilhabe der europäischen Bündnispartner
verbunden; das haben Sie richtig angemerkt. Solange
wir eine nukleare Planung und ein gewisses Maß an Nuklearwaffen
innerhalb des Bündnisses haben, ist damit
natürlich auch der Einfluss auf diese Planungen gewährleistet.
Übrigens ist diese Strategie der NATO, wenn ich
das richtig in Erinnerung habe, erst im Jahre 1999 noch
einmal fortentwickelt und bestätigt worden und die Fraktion
der Grünen hat ihr zumindest nicht widersprochen;
auch das ist anzumerken.
Einen weiteren Aspekt, der damit im Zusammenhang
steht, will ich eher in Frageform bringen: Kommt es aufgrund
einer überhasteten Abkopplung – wenn wir also
eine Abkopplung von dieser Strategie betreiben
würden – möglicherweise zu einer Desolidarisierung innerhalb
des Bündnisses? Dazu liest man in Ihrem Antrag
nur ein wenig, während die Grünen auf Griechenland
und Kanada verweisen. Das ist aber natürlich ein bisschen
dürr. Die Frage ist, wie man dem kreativ begegnen
kann. Ich glaube, das Letzte, was wir wollen – mit einer
Ausnahme wahrscheinlich –, ist eine Destabilisierung
und Desolidarisierung innerhalb des Bündnisses. Hier ist
schon etwas mehr als nur das zu leisten, was in den Anträgen
zu lesen ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Solange wir uns in einem schrittweisen Vorgehen befinden,
ist es doch auch in unserem Interesse, sich noch
ein gewisses
Mitspracherecht für diese genannten Fälle
zu bewahren. Ja, meine Damen und Herren, man darf
durchaus auch kritisch hinterfragen, ob die Stationierung
von Waffen, die erst einmal an einen Ort verbracht werden
müssten, an dem sie zum Einsatz kommen könnten,
aufgrund der Erweiterung der NATO und der Europäischen
Union sowie aufgrund der veränderten Sicherheitslage
noch zeitgemäß ist. Diese Frage darf gestellt
werden. Wenn man diese Frage aber stellt, dann sollte
man sie auch mit aktuellen Entwicklungen auf dieser
Erde koppeln und nicht isoliert behandeln. Man sollte sie
dann auch in den Kontext stellen, wie sich die gesamte
Sicherheitslage darstellt. Stichwort „Iran“: Man muss
sich dabei auch fragen, wo neue nukleare Potenziale entstehen.
Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht,
wenn Sie hier so isoliert vorgehen.
Um einmal einen einseitigen Zungenschlag von Ihrer
Seite herauszuarbeiten: Herr Ulrich, wo benennen Sie
– die Grünen tun das; man sollte sie auch einmal loben –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
beispielsweise die angekündigten Reduzierungen russischer
substrategischer Nuklearwaffen? Davon liest man
bei Ihnen überhaupt nichts. Es ist auch erwartungsgemäß,
dass das nicht der Fall ist. Bezüglich der Amerikaner
machen Sie wieder mal Tabula rasa. Bei Ihnen steht
nichts davon. Das ist bei weitem zu wenig. Es wäre Ihnen
vielleicht einmal zu empfehlen, hier den Gesamtkontext
herzustellen
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es geht um
die Atomwaffen in Deutschland! – Jürgen
Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie
werden halt nicht in Rheinland-Pfalz gelagert!)
– Herr Kollege Trittin, ein Schelm, der hier irgendwelche
wahltaktischen Erwägungen vermutet, wenn man
auch an Rheinland-Pfalz denkt.
Zur
indisch-amerikanischen Vereinbarung, deren
Charakter mit Sicherheit ambivalent ist.
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Jetzt wird es
heikel!)
Diese Ambivalenz sollten wir auch herausstellen. Kollege
Trittin, zu den jeweiligen Punkten in Ihrem Antrag,
die Sie im Hinblick auf diese Vereinbarung genannt haben,
kann man nur sagen: Sie sind schwer von der Hand
zu weisen. Ich glaube, trotzdem bleibt es für uns eine
ernsthafte und gewichtige Wertungsfrage, ob man, wie
Sie, darin im Wesentlichen eine Erschütterung des
Nichtverbreitungsvertrages sehen will oder ob man das
Abkommen trotz aller negativen Implikationen zumindest
auch als partielle Heranführung Indiens an den
Nichtverbreitungsvertrag erachten kann. Das sollten wir
nicht vergessen, wenn wir diese Bewertung vornehmen.
Das eigentliche Problem ist doch weniger, dass der
Nichtverbreitungsvertrag durch das Abkommen als solches
geschwächt würde; denn Indien hat ihn nie unterzeichnet.
Durch die Vereinbarung werden vielmehr die
bekannten Schwächen wieder offensichtlich, Schwächen,
für die viele Verantwortung tragen – auch die Vereinigten
Staaten. Das wollen wir hier nicht ausklammern.
Viele tragen hierfür Verantwortung. Diese
Schwächen liegen aber insbesondere auch in der mangelnden
Universalität. Das ist eine der Grundschwächen
in diesem Zusammenhang.
Wird der Beitritt Indiens zum Nichtverbreitungsvertrag
damit unwahrscheinlicher? Für mich ist zunächst
einmal nicht erkennbar, dass der Beitritt vorher wahrscheinlicher
gewesen ist. Noch einmal: Lassen Sie uns
positiv hervorheben, dass im Kontext dieses Abkommens
zukünftig zumindest in einem begrenzten Bereich
Inspektionen der IAEO stattfinden. Das ist ein Zwischenschritt
hin zu einem zu fordernden Gesamtschritt,
den wir politisch dann auch zu flankieren und zu unterstützen
haben.
Herr Präsident, ich schließe mit den Fragen – das dürfen
wir auch einmal selbstkritisch anmerken –: Wo waren
in dem Gesamtkontext des letzten Punktes – Amerika,
Indien – eigentlich wir, die Europäer? Wo war die
Europäische Union? Wo findet hier eine europäische
Außenpolitik im Kontext sich verändernder strategischer
Neuausrichtungen und Umstände in der Welt statt?
Ich glaube, das ist bei weitem wichtiger, als dass wir,
wie auf der linken Seite dieses Hauses, nur auf Bündnispartner einprügeln. Wir müssen uns über unsere Rolle
als solche wieder klar werden und wir müssen uns wieder
bewusst werden, dass wir in diesem Zusammenhang
eine weitergehende Aufgabe haben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDPFraktion.
(Beifall bei der FDP)
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Drei eng miteinander verknüpfte Themen
stehen im Zentrum der heutigen Debatte: die nuklearen
Ambitionen des Iran, das jüngste Nuklearabkommen
zwischen Indien und den USA sowie der Abzug der taktischen
Nuklearwaffen aus Deutschland.
Die Verhandlungen mit dem
Iran über dessen mögliche
Ambitionen, Nuklearwaffen herzustellen, stecken
nach dem Scheitern der russischen Kompromisslösung
in der diplomatischen Sackgasse. Die internationale
Staatengemeinschaft ist sich ausnahmslos bewusst, dass
hier eine sicherheitspolitische Zeitbombe mit gefährlichen
Auswirkungen auf die Stabilität im Nahen und
Mittleren Osten und auch darüber hinaus tickt. Wir wissen,
dass die Chancen der internationalen Gemeinschaft,
den Iran von seinem Vorhaben abzubringen, überhaupt
nur dann vorhanden sind, wenn ein breiter Konsens zwischen
den Staaten erkennbar ist. Vor allem die Geschlossenheit
der P 5 ist hier entscheidend, wenn der Iran eine
Angelegenheit des UN-Sicherheitsrates wird.
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)
In dieser Situation ist es mehr als unglücklich, dass
die Regierung Bush gerade jetzt mit Indien ein Abkommen
über zivile Nuklearkooperation abschließen will.
Indien gehört neben Pakistan und Israel zu den Atommächten,
die sich seit langem weigern, dem nuklearen
Nichtverbreitungsvertrag beizutreten und die darin festgelegten
Verpflichtungen zu erfüllen. Wenn dieser beklagenswerte
Zustand jetzt in Form einer nuklearen Partnerschaft
sozusagen ein internationales Gütesiegel erhält,
untergräbt und schwächt dies das nukleare Nichtverbreitungsregime
nachhaltig. Der Eindruck, der Besitz von eigenen
Nuklearwaffen auch außerhalb des Vertragswerkes
erhöhe das internationale Profil und sichere Macht,
Einfluss und Anerkennung eines Staates, wäre für so
manche potenzielle Nuklearmacht ein geradezu unwiderstehlicher
Anreiz.
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist leider
wahr!)
Natürlich ist Indien die größte Demokratie weltweit,
aber das ist nach den Prinzipien des nuklearen Nichtverbreitungsregimes
nicht das ausschlaggebende Kriterium.
Seine substanzielle Glaubwürdigkeit wird durch die Anwendung
von zweierlei Maßstäben – auf der einen Seite
die Forderung an den Iran nach Verzicht und auf der anderen
Seite die Privilegien für Indien ohne gravierende
Auflagen – ohne Not aufs Spiel gesetzt.
Vor allem aber schwächt dieser Nukleardeal die Verhandlungsposition
gegenüber dem Iran, hintertreibt die
diplomatischen Bemühungen der EU 3 und gefährdet
den weltweiten Konsens gegenüber Teheran, und zwar
nicht nur, weil die Iraner selbst neue Argumente auf dem
silbernen Tablett serviert bekommen. Wir alle wissen,
dass die Mitwirkung und Zustimmung Chinas in der
Iranfrage kritisch ist. Peking hat einerseits wegen seines
enormen Energiebedarfs ein zwingendes Interesse an guten
Wirtschaftsbeziehungen zum Iran. Andererseits wissen
die Chinesen aber auch, dass sie als größter regionaler
Rivale einer der Adressaten des indischen
Nuklearwaffenprogramms sind. Ich bezweifle, dass das
amerikanisch-indische Nuklearabkommen die konstruktive
Mitwirkung Pekings in der Iranfrage befördern
wird.
Noch ist dieses Abkommen nicht endgültig ratifiziert.
Der amerikanische Kongress wird sich dazu äußern müssen.
Über die Nuclear Suppliers Group hat Deutschland
gemeinsam mit den EU-Partnern Mitverantwortung und
Einwirkungsmöglichkeiten. Ich bin mir durchaus bewusst,
dass dies, folgte man dabei alten Reflexen, eine
erneute Belastung der transatlantischen Beziehungen
darstellen könnte. Die Bundesregierung muss aber an
dieser Stelle ebenso wie es alle anderen Beteiligten auch
tun, das nationale Interesse in den Mittelpunkt ihres
Handelns stellen und mit einer klaren sicherheitspolitischen
Position, die mir bisher allerdings noch nicht aufgefallen
ist, in dieser Frage aufwarten.
Das amerikanisch-indische Abkommen ist ein schwerer
Schlag für den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag,
der sich seit dem Scheitern der Überprüfungskonferenz
im vergangenen Jahr ohnehin in einer Glaubwürdigkeitskrise
befindet. Wir werden die Glaubwürdigkeit des
Nichtverbreitungsregimes nur dann stärken können,
wenn wir weltweit endlich wieder zu einer stringenten
nuklearen Abrüstungspolitik zurückfinden.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der SPD)
Verehrter Kollege Ulrich, es bedarf nicht des Erscheinens
der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag;
denn die
FDP hat bereits vor knapp einem Jahr hier im
Bundestag einen
abrüstungspolitischen Antrag eingebracht,
in dem als wichtiges Abrüstungssignal unter anderem
ein Abzug der amerikanischen taktischen Nuklearwaffen
aus Deutschland gefordert wurde.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was macht
die Landesregierung Rheinland-Pfalz?)
Die FDP hat damit eine Diskussion angestoßen, die seit
langem überfällig war und mit den jetzt vorliegenden
Anträgen wieder aufgegriffen wird.
Die bis heute in Deutschland stationierten taktischen
Nuklearwaffen sind ein Relikt des Kalten Krieges und
haben angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts keine strategische Funktion
mehr.
(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])
Potenzielle Adressaten nuklearer Abschreckung in Staaten,
die den atomaren Einsatz zu einem legitimen politischen
Mittel erklären, wären mit diesen Waffen theoretisch
nicht zu erreichen.
Der russische Außenminister hat im Sommer 2005
verkündet, Moskau sei zu neuen Abrüstungsverhandlungen
bereit. Der amerikanische Verteidigungsminister
Rumsfeld hat erklärt, dass er bereit sei, Deutschland und
der NATO die Entscheidung zu überlassen. Wir wollen,
dass beide hier beim Wort genommen werden.
Zum Schluss darf ich feststellen: Die alte Bundesregierung
hat zwar als Reaktion auf unseren Antrag im
vergangenen Jahr zugesagt, das Thema in der NATO zur
Sprache zu bringen. In den zuständigen NATO-Gremien
ist dieser Punkt aber bisher noch nicht auf der Tagesordnung
erschienen.
Ich frage die neue Bundesregierung: Macht die Stationierung
von taktischen Nuklearwaffen in Deutschland
noch Sinn und ist die nukleare Teilhabe nach dem Ende
des Kalten Krieges in dieser Form noch begründet? Das
Forum, in dem über diese Frage nüchtern und sachlich
diskutiert werden muss, sind – das hat mein Vorredner
richtigerweise gesagt – die Gremien der NATO.
Wir hoffen sehr, dass in absehbarer Zeit ein klares Signal
zur Abrüstung, das den Prozess weiter befördern
kann, zu erwarten ist. Wir als FDP stehen nach wie vor
zu dem Antrag, den wir im letzten Jahr eingebracht haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den vergangenen Wochen haben wir häufig über die
Rolle der Atomwaffen, die Krise der nuklearen Rüstungskontrolle
und die Folgen für die internationale Politik
gesprochen. Dies war richtig; denn es gab leider genügend
Anlässe dafür.
Kollege Ulrich, die
Lagerung von Atomwaffen in
Deutschland ist ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang.
Ich finde aber, dass Sie mit Ihrem Antrag zu
kurz gesprungen sind. Der Kollege Guttenberg hat bereits
einige Zusammenhänge dargestellt. Ich möchte dem
noch einiges hinzufügen.
Lassen Sie mich begründen, warum Sie mit dem Antrag
zu kurz gesprungen und damit den Herausforderungen,
die Deutschland im Zusammenhang mit Atomwaffen
hat, nicht gerecht geworden sind: Sie agieren
bewusst einseitig und innenpolitisch motiviert und verkürzen
die Zusammenhänge.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Anders kann ich mir diesen Antrag nicht erklären.
Wenn Sie sich ernsthaft mit den Problemen beschäftigt
hätten, dann hätten Sie einige Punkte besser gewichten
müssen. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht die
Atomwaffen in anderen europäischen Staaten wie Belgien
oder Großbritannien thematisieren. Sind sie besser?
Wenn wir als deutsches Parlament im europäischen Kontext
agieren wollen, dann muss man das doch benennen.
Warum soll das nicht in den Antrag mit hineingehören?
Sie haben die Forderung des Kollegen Guttenberg belächelt,
auch die russischen taktischen Nuklearwaffen zu
benennen. Natürlich stehen sie im Zusammenhang mit
dem Thema. Das hätten Sie in Ihrem Antrag mit aufnehmen
können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Deswegen wiederhole ich: Ihr Antrag ist nur innenpolitisch
motiviert. Er wird den internationalen Herausforderungen
nicht gerecht.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, den Sie in Ihrem
Antrag angesprochen haben. Ich war damals dabei,
als die von Ihnen zitierte Studie vorgestellt wurde. Es
ging darum, dass bei einer weiteren Krise im Nahen und
Mittleren Osten möglicherweise europäische Atomwaffen
eingesetzt werden könnten. Das ist meiner Meinung
nach in keiner Weise herzuleiten; ich halte es auch nicht
für belegbar. Wenn es dazu kommen sollte, dann werden
keine Atomwaffen von hier aus eingesetzt; es wäre vielmehr
eine Situation, der wir gemeinsam begegnen müssten,
und zwar nicht mit Alarmismus und solchen Anträgen,
sondern durch eine kluge Politik, mit der Sie die
Bundesregierung unterstützen könnten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es gibt einen weiteren Grund, weshalb Sie mit Ihrem
Antrag viel zu kurz gesprungen sind. Sie beziehen sich
darin auf die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag.
Dabei benennen Sie nur die USA, als ob
das der einzige Akteur wäre, durch den die Konferenz
gescheitert ist. Bei der Überprüfungskonferenz im
Mai 2005 in New York haben auch der Iran, Frankreich
und Ägypten eine Rolle gespielt. Das war nicht so einseitig,
wie Sie es darstellen.
Es bringt allerdings nichts, nur über verkürzte Zusammenhänge
in Anträgen zu sprechen. Erlauben Sie mir
deshalb einen Hinweis. Ich habe nichts dagegen, wenn
Verteidigungsminister Jung in den zuständigen Gremien
auf das Thema eingehen wird, aber in dem Fall sollten
auch die Zusammenhänge berücksichtigt werden, wie es
der frühere Verteidigungsminister Struck getan hat. Ich
glaube, es lohnt sich, an dieser Stelle die Zusammenhänge
zu benennen.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte auch auf den Antrag der Grünen eingehen.
Sie haben zu Recht auf den Antrag unserer damaligen
rot-grünen Koalition hingewiesen, weil darin die Gesamtzusammenhänge
beschrieben worden sind. Ich
glaube, es lohnt sich, über beide Anträge eine intensive
Debatte im Auswärtigen Ausschuss, aber auch im Unterausschuss
für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu führen.
Der eigentliche Kern, über den wir diskutieren müssen,
wenn es um Atomwaffen geht, besteht auch in Folgendem:
Ich selbst habe nach dem Ende des Ost-West-
Konflikts gedacht, es gebe eine Chance für Abrüstung,
es gebe eine Chance für die Friedensdividende. Leider
ist das nicht eingetreten. Wir erleben seit Mitte der 90er-
Jahre in diesen Dingen einen Rückfall. Bisher sind es
nur die europäischen Länder gewesen, die versucht haben,
Regelwerke in die Diskussion einzubringen, die
dem Thema der nuklearen Rüstungskontrolle gerecht
werden.
Wir haben diese Krise der nuklearen Rüstungskontrolle,
weil Initiativen scheitern. Der umfassende Teststoppvertrag
ist nicht unterzeichnet worden; das festzustellen,
ist im Zusammenhang mit Indien und den USA
ganz interessant. Ferner gab es in jüngster Zeit Krisen in
Bezug auf Nordkorea und den Iran. Wir haben es aber
auch mit Ländern zu tun, die sich in diesen Fragen
sozusagen ein besonderes Recht herausnehmen, wie beispielsweise
Brasilien im Zusammenhang mit der Urananreicherung.
Die Rolle, die Kernwaffen und militärische
Gewalt spielen können, wird in vielen Ländern neu
definiert, nicht nur in den USA, sondern auch in Russland
und der Volksrepublik China. Wenn Sie das Thema
wirklich ernst nehmen würden, hätten Sie diese Entwicklungen
in Ihrem Antrag aufgreifen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich möchte jetzt zu dem Themenkomplex
Indien
kommen. Ich glaube, dass die jüngsten Entwicklungen
– wir haben am Mittwoch im Ausschuss darüber diskutiert
– leider einen weiteren Schritt darstellen, der in den
nächsten zehn oder 20 Jahren die internationale Nuklearordnung
verändern wird. Ich gebe zu: Gut ist, dass es der
Internationalen Atomenergiebehörde in Zukunft möglicherweise
erlaubt werden soll, 50 oder 60 Prozent der
dortigen Anlagen zu inspizieren. Ein abschließendes Urteil
kann man sich heute noch nicht bilden, weil uns, sowohl
der Öffentlichkeit als auch – wenn ich das richtig
verstanden habe – der Bundesregierung, der Text des
Abkommens nicht vorliegt. Wir sollten darüber diskutieren,
wenn wir den Text kennen.
Aber eines ist bereits jetzt klar – das hat die Kollegin
vorhin sehr deutlich gemacht –: Es wird ein Prinzip des
Nichtverbreitungsvertrages infrage gestellt, ein Prinzip,
das darin besteht: Wir belohnen die Staaten, die auf
Atomwaffen verzichten, in Form von Unterstützung. Ob
wir das nun aus innenpolitischer Sicht für gut halten oder
nicht: Dieses Prinzip war wichtig und richtig, um Staaten
an den Atomwaffensperrvertrag heranzuführen. Jetzt
ist es das erste Mal, dass dieses Prinzip einseitig – so
muss man schon sagen – hintertrieben wurde.
Besonders hinterfragen möchte ich die Einseitigkeit
dieser Handlungen. Wenn ich es richtig verstanden habe,
haben die USA niemanden, insbesondere niemanden aus
der Nuclear Suppliers Group, an dieser Diskussion beteiligt.
Ferner glaube ich, dass der Zeitpunkt, zu dem diese
Vereinbarung unterzeichnet wurde, schlecht gewesen ist,
weil wir, besonders mit Blick auf den
Iran, niemandem
erklären können, warum dieser Vertrag die nukleare
Rüstungskontrolle stärken soll. Darüber hinaus ist die
Chance vertan worden, Indien zu verpflichten, dem Problem
der Rüstungskontrolle in
Südasien seine Aufmerksamkeit
zu widmen. Es gibt in Südasien bisher keine
Vereinbarung, die der Frage der nuklearen Rüstungskontrolle
dort gerecht würde, im Gegenteil: Diese Vereinbarung
zwischen den USA und Indien ist zum Anlass genommen
worden, neue Waffenverkäufe anzubieten. Wir
tun dieser Region mit Sicherheit keinen Gefallen, wenn
wir sie in einen neuen Rüstungswettlauf stürzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Auch Folgendes möchte ich noch anführen: Ich hätte
es verstanden, wenn wir über eine
Alternative zum
Nichtverbreitungsvertrag, zum Atomwaffensperrvertrag
verfügen würden. Aber die haben wir überhaupt
nicht. Keiner bietet aktuell eine Alternative dazu an, weder
die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates
noch andere Staaten. Deswegen ist es ja so wichtig, dass
wir an dem Atomwaffensperrvertrag weiterarbeiten.
Deswegen war es gut, dass die 25 Staaten der Europäischen
Union im Mai auf der Überprüfungskonferenz gemeinsam
agiert haben. Man muss auch sehen, dass der
Atomwaffensperrvertrag in den letzten zehn, 20 Jahren
Vorteile gebracht hat. Denn Südafrika, Brasilien und Argentinien
haben sich zu diesem Vertrag bekannt, ebenso
wie einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Deswegen
lohnt es sich, diesen Vertrag zu stärken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Dazu rufe ich die Bundesregierung von dieser Stelle
aus auf. Ich glaube, dass es notwendig ist, im Rahmen
der Europäischen Union neue Initiativen mit auf den
Weg zu bringen, mit denen der Atomwaffensperrvertrag,
aber auch die Rüstungskontrolle insgesamt gestärkt werden.
Wir sollten in diesem Zusammenhang darüber
nachdenken, ob möglicherweise die Ansätze betreffend
Abrüstung und Rüstungskontrolle, die die
USA in letzter
Zeit verfolgen – sie sind zwar sehr einseitig, aber immerhin
gibt es welche, wie die PSI-Initiative –, in ein Regelsystem
überführt und institutionalisiert werden sollten.
Wir brauchen auf jeden Fall ein Regelsystem, das verhindert,
dass Mittelstreckenraketen in die Hände von
Staaten gelangen, die sie möglicherweise missbrauchen.
Dazu sind die Ansätze geeignet. Aber es muss einen völkerrechtlichen
Vertrag geben. Ich glaube jedenfalls, dass
es in den USA relevante Ansätze gibt. Ich finde, es ist
hochinteressant, dass Senator Lugar in der „Süddeutschen
Zeitung“ darauf hingewiesen hat, er könne sich
vorstellen, dass die USA direkt mit dem Iran verhandeln.
Das Parlament und die Bundesregierung sollten das aufnehmen.
Die Rüstungskontrolle hat mitgeholfen, den Ost-
West-Konflikt zu überwinden. Dieses Instrument könnte
auch bei anderen Rüstungskonflikten und Regionalkonflikten
helfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abrüstung
und Nichtverbreitung sind aktuelle, aber auch globale
Themen. Global bedeutet ein bisschen mehr als Hunsrück
und Eifel, lieber Kollege Ulrich. Sie haben zwar
Recht, dass wir die taktischen Waffen abziehen müssen;
wir haben dazu entsprechende Vorschläge vorgelegt.
Aber die eigentliche Herausforderung ist in der Tat die
globale Infragestellung des Nichtverbreitungsvertrages.
Der Kern dessen, worüber wir heute diskutieren, ist die
Frage: Gelingt es uns, das Regime der nuklearen Rüstungskontrolle
und Abrüstung zu erhalten, oder bewegen
wir uns in eine Richtung, die dazu führt, dass dieses System
durchlöchert und schließlich aufgelöst wird? Das ist
gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um
den Iran von zentraler Bedeutung.
Wir sind klar dagegen, dass sich der Iran unter dem
Deckmantel der zivilen Nutzung der Atomenergie
Atomwaffen verschafft. Wir wollen ihn mit friedlichen,
zivilen Mitteln daran hindern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU)
Aber in einer solchen Situation muss man alles vermeiden,
was anschließend nach nachträglicher Legitimation
der Argumentation der iranischen Führung aussieht nach
dem Motto „Hier soll ein Sonderrecht allein gegen den
Iran als ein muslimisches Land geschaffen werden“. Genau
das ist die subkutane Botschaft des Abkommens
zwischen den USA und Indien.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Damit ich mich nicht dem Verdacht des Antiamerikanismus
aussetze,
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Bestimmt nicht!)
will ich an dieser Stelle zwei Zitate anführen. Die
„Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreibt,
dass mit dem USA-Indien-Deal ein „schlechtes Beispiel
schlechte Schule mache und den internationalen Bemühungen
zur Nichtproliferation einen Bärendienst erweise.
Indien wird im Nachhinein belohnt für seine nukleare
Aufrüstungspolitik; die Bereitschaft, einen Teil seiner zivilen
Nuklearanlagen unter internationale Kontrolle zu
stellen, gilt erstens nur für einen Teil und schließt zweitens
die militärische Seite vollkommen aus“. Sie schließt
also all das aus, was für die Fragen betreffend die Nichtproliferation,
die Anreicherung und den Prozess der Separierung
von Plutonium in Wiederaufarbeitungsanlagen
relevant ist.
Dem, was Edward Markey, ein demokratischer Abgeordneter
im US-amerikanischen Repräsentantenhaus,
gesagt hat, ist zuzustimmen: Das Abkommen „untergräbt
die Sicherheit nicht nur der Vereinigten Staaten,
sondern des Rests der Welt … Der Präsident hat mit
einem einzigen Schlag ein Loch in das nukleare Regelwerk
gesprengt.“ Diese Form praktizierter Doppelstandards
können wir uns gerade angesichts der Auseinandersetzung
um den Iran nicht erlauben. Hier kommt es in
sehr starkem Maße auf die Haltung der Bundesregierung
an. Wollen Sie den für
Indien geltenden
Lieferstopp
hinsichtlich nuklearen Materials und entsprechender
Technologie nun aufheben? Oder beharren Sie auf dem
Prinzip der Einstimmigkeit in der Nuclear Suppliers
Group? Ich glaube, dass die Aufrechterhaltung des Lieferstopps
der richtige Weg gewesen wäre, Indien an das
nukleare Kontrollregime heranzuführen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jeder muss doch wissen, dass es nur eine Frage der
Zeit ist, bis Indien nicht mehr über hinreichende Mengen
an Uran verfügt, um seine Anlagen zu betreiben. Hier
konsequent geblieben zu sein, wäre der richtige Weg gewesen,
Herr von Guttenberg, wenn man das hätte erreichen
wollen, was man zu Recht begrüßt, nämlich dass es
ein kleines Stück mehr Kontrolle gibt. Wenn man hartnäckig
und konsequent geblieben wäre, dann wäre man
auf dem richtigen Weg gewesen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hier ist vom Scheitern des letzten
Nichtverbreitungsvertrages
gesprochen worden. Damals hat Kofi
Annan ein bitteres Fazit gezogen. Er hat gesagt: Das
große Thema, das fehlt, ist Abrüstung und Nichtverbreitung.
Dies ist eine echte Schande. Wir haben in diesem
Jahr zweimal versagt. Wir versagten bei der NPT-Konferenz
und wir versagten jetzt. – Ich finde, mit dem Versagen
muss es ein Ende haben. Es ist Zeit, zu handeln, und
wir müssen zu dem großen Konsens zurückkehren, den
wir einmal hatten, nämlich mit dafür zu sorgen, dass es
keine Atomwaffen mehr auf diesem Globus gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/448, 16/819 und 16/834 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Quelle: Plenarprotokoll 16/23, S. 1799-1806
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