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"Die Glaubwürdigkeit des Atomwaffensperrvertrags wird durch die Anwendung von zweierlei Maßstäben aufs Spiel gesetzt"

Der Bundestag diskutierte über die Atomwaffen in Deutschland - Die Debatte im Wortlaut

Am 10. März debattierte der Deutsche Bundestag über die Atomwaffen, die auf deutschem Boden lagern. Die Fraktion Die LINKE hatte einen Antrag eingebracht, in dem der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland gefordert wurde.
Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zog nach und brachte ebenfalls einen entsprechenden Antrag ein (beide Anträge haben wir hier dokumentiert: Linksfraktion fordert "Abzug der Atomwaffen aus Deutschland") und ergänzten ihn um einen aktuellen Antrag zur jüngsten Atomvereinbarung zwischen Indien und den USA (siehe: "Es droht die Gefahr eines nuklearen Dammbruchs").
Wir dokumentieren im Folgenden die Plenarreden von



Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung.
Berlin, Freitag, den 10. März 2006

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie die Zusatzpunkte 10 und 11 auf:

17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland
– Drucksache 16/448 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Abrüstung der taktischen Atomwaffen vorantreiben – US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa vollständig abziehen
– Drucksache 16/819 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nuklearen Dammbruch verhindern – Indien an das Regime zur nuklearen Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung heranführen
– Drucksache 16/834 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Alexander Ulrich (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele Gründe, warum es gut ist, dass wieder eine linke Kraft im Bundestag vertreten ist. Heute kommt ein weiterer hinzu: Mit ihrem heutigen Antrag verfolgt die Linke als einzige Fraktion im Bundestag eine glaubwürdige Friedenspolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

61 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki und 16 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist Rheinland-Pfalz ein riesiges Atomwaffenlager. Auch angesichts des gegenwärtigen Irankonflikts gilt es, klarzustellen: Kein Land auf der Welt hat ein Recht auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dennoch werden nach Schätzungen von US-Experten allein im rheinland-pfälzischen Büchel weiterhin 20 Atombomben stationiert. Das Atomwaffenlager in Ramstein wurde im Frühjahr 2005 angeblich zeitweise geräumt. Wo die dort bis dahin stationierten 130 Bomben derzeit lagern, ist unbekannt. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke geweigert, dazu auch nur ein Wort zu sagen. Wahrscheinlich weiß sie, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen die weitere Stationierung dieser Waffen ist. Die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland trägt nicht zum Schutz der Bevölkerung vor militärischen Angriffen oder Anschlägen bei – ganz im Gegenteil.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Sie stellen eine permanente Bedrohung für die Bevölkerung dar. Das US-Militär selbst hat in internen Dokumenten immer wieder Zweifel an der Sicherheit der in Europa gelagerten Atomwaffen geäußert. Daraus folgt: Katastrophen und Unfälle sind jederzeit möglich und Atomwaffenlager sind immer ein potenzielles Ziel für militärische oder terroristische Anschläge.

Trotzdem hält es die Bundesregierung nicht für nötig, die deutsche Bevölkerung über die Anzahl, Art und Lagerung der Atomwaffen zu informieren. Begründet wird dies zynischerweise auch noch damit, möglichen Risiken für Bevölkerung und Umwelt vorbeugen zu wollen. Auch wenn Deutschland formell keine Atomwaffen besitzt, ist die Bundeswehr über die nukleare Teilhabe in Atomkriegsplanungen verstrickt. In Büchel stehen deutsche Piloten mit den Tornado-Kampfjets der Bundeswehr für Einsätze bereit. Diese Kampfjets können mit Atombomben ausgestattet werden, vorausgesetzt, der US-Präsident hat diese vorher freigegeben.

An die Grünen gerichtet möchte ich sagen: Dieses Problem erledigt sich nicht automatisch im Jahr 2015, wie Sie in Ihrem Antrag suggerieren, weil bis dahin alle atomwaffenfähigen Tornados vollständig durch die neuen Eurofighter ersetzt worden sind.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Deshalb wollen wir das auch eher regeln!)

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage mitgeteilt, dass sogar über das Jahr 2020 hinaus an einer kleinen Stückzahl von Tornados festgehalten wird. Die Bundeswehr soll also weiterhin für den Einsatz von Atomwaffen gerüstet sein. Mit der nuklearen Teilhabe bricht die Bundesregierung ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen in einer Art, wie sie es bei Nicht-NATO-Staaten zu Recht nie akzeptieren würde.

Der rheinland-pfälzische Landtag hat sich bereits im vergangenen Jahr für einen Atomwaffenabzug ausgesprochen. Allerdings hat der dortige Ministerpräsident und SPD-Vize mit hervorgehobener Stellung, Kurt Beck, ebenso wie die komplette rot-gelbe Landesregierung diesen Beschluss ignoriert und die Bundesregierung bisher nicht aufgefordert, auf einen Abzug der Atomwaffen hinzuarbeiten. Auch das können Sie in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage nachlesen.

Kurt Beck hat dieses Thema bei seinem USA-Besuch, wie man Medienberichten entnehmen konnte, bewusst nicht zur Sprache gebracht, da er – das muss man sich einmal überlegen – nicht die Gastfreundschaft verletzen wollte. Wo kommen wir denn hin, wenn ein Ministerpräsident nicht in der Lage ist, einer befreundeten Nation zu sagen, dass der Landtag von Rheinland-Pfalz einen Beschluss zum Atomwaffenabzug gefasst hat? Es ist eben leichter, Weinfeste zu eröffnen oder Lottoscheine entgegenzunehmen, als mit Freunden unangenehme Themen zu besprechen.

(Beifall bei der LINKEN)

Altkanzler Kohl hat in dieser Woche in Trier gesagt, dass dieser Ministerpräsident ein Opportunist ist. Recht hat er!

Wir fordern, dass der Bundestag von der Bundesregierung den Abzug jeglicher Atomwaffen verlangt, die sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befinden, und dass keine Piloten und Flugzeuge der Bundeswehr mehr für Atomwaffeneinsätze bereitgehalten werden. Würden die anderen hier vertretenen Fraktionen den Beschlüssen ihrer Landesparteien folgen, müssten wir unseren Antrag mit großer Mehrheit verabschieden können. Ihre Glaubwürdigkeit steht also auf dem Spiel. Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg von der CDU/CSU-Fraktion.

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ulrich, was eine derart unreflektierte und einseitige Haltung mit effektiver Friedenspolitik zu tun haben soll, das müssen Sie uns einmal erklären.

(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])

Sie haben die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Kleine Anfrage angesprochen. Dennoch hätten Sie nicht unbedingt verschweigen müssen, dass es auch innerhalb des Bündnisses Geheimhaltungsregelungen gibt, die man nicht so leicht vom Tisch wischen kann, wie Sie es gerade getan haben.

Wir diskutieren heute zwei Themenkreise, die ohne Frage in einem gewissen Zusammenhang stehen. Der eine ist der Abzug möglicher auf deutschem Boden stationierter Atomwaffen. Der andere, nach einem Antrag der Fraktion der Grünen, betrifft die Folgen des indischamerikanischen Abkommens. Hier bestehen gewisse Zusammenhänge und diese sollen in der Debatte auch nicht zu kurz kommen.

Über die grundsätzliche Zielsetzung, die weltweite Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen, werden wir uns in diesem Hause einig sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu hat sich Deutschland völkerrechtlich verbindlich verpflichtet – das ist völlig richtig – und dies liegt in unserem wohlverstandenen, fundamentalen Interesse.

(Beifall im ganzen Hause)

Hieran hält offensichtlich auch die Bundesregierung fest, Herr Staatsminister, wie aus der Antwort auf die entsprechende Anfrage deutlich wird.

Der Nichtverbreitungsvertrag, den wir heute in sehr unterschiedlichem Kontext debattieren, hat bekanntlich die Abschaffung sämtlicher Kernwaffen zum Ziel. Diesem Ziel sind auch wir als Bundesrepublik Deutschland verpflichtet; das ist richtig. Man wird dieses Ziel allerdings nur mit einem schrittweisen Ansatz verwirklichen können, wenn man nicht in Träumereien verfallen will und sich nicht Illusionen hingegeben will. Auch wenn Sie Ihre Forderungen jetzt in einem brachialen Stil, wie er in Ihrem Antrag durchscheint, erheben, müssen Sie sich am real Machbaren messen lassen. Auch das gehört zu einem abgewogenen Vorgehen.

Ohne Frage gibt es noch viele Stellen, an denen es hakt. Es gibt in den letzten Jahren aber auch Fortschritte zu konstatieren. Neben allem, was noch wünschenswert ist, darf auch einmal positiv angemerkt werden, dass seit den Spitzenzeiten des Kalten Krieges die Anzahl der nuklearen Arsenale der NATO in Europa bereits um mehr als 95 Prozent reduziert wurde, und das auf der Grundlage der geltenden Strategie des Bündnisses. Das reicht zwar nicht und diese Dinge müssen wir weiterhin vorantreiben, doch einige Punkte sind im Kontext zu sehen: Die notwendige Reduzierung nuklearer Arsenale ist nur in engster Abstimmung mit unseren Bündnispartnern zum Erfolg zu führen und nicht, indem wir gezielt und wiederkehrend einseitig – gelegentlich geschieht dies auch wechselseitig – unsere Bündnispartner brüskieren. Das ist ein völlig falscher Ansatz, um unser Ziel zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Von daher werden Sie dieses Ziel auf die Art und Weise, wie Sie vorgehen, mit Sicherheit nicht erreichen, Herr Ulrich.

Des Weiteren sind die in Deutschland stationierten Nuklearwaffen der NATO unterstellt. Demzufolge ist die Frage, ob und wann diese abgezogen werden, eine Frage, die die NATO zu beantworten hat. Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie, nur um Ihre Tradition antiamerikanischer Reflexe aufrechtzuerhalten

(Widerspruch bei der LINKEN)

– so ist es doch! Es ist immer wieder dasselbe; lesen Sie doch einmal Ihren Antrag! –,

(Beifall bei der CDU/CSU)

isoliert die USA auffordern, ihre Waffen abzuziehen. Sie scheinen die Zusammenhänge noch nicht ganz erkannt zu haben. Andernfalls hätten Sie in Ihrem Antrag einen Beitrag dazu geleistet, wie eine strategische Neuausrichtung der NATO aussehen könnte. Doch darüber liest man nichts bei Ihnen. Besonders bemerkenswert ist, dass Sie sich auf Verteidigungsminister Rumsfeld beziehen. Das hat schon eine besondere Note. Nur sollte dann auch der entsprechende Kontext genannt werden.

In die Erwägungen sollte die abgewogene Beurteilung einiger Punkte zumindest einbezogen werden: Mit der Verringerung der Zahl der Atomwaffen auf ein, wie es so schön heißt, allianzpolitisches Minimum ist weiterhin die nukleare Teilhabe der europäischen Bündnispartner verbunden; das haben Sie richtig angemerkt. Solange wir eine nukleare Planung und ein gewisses Maß an Nuklearwaffen innerhalb des Bündnisses haben, ist damit natürlich auch der Einfluss auf diese Planungen gewährleistet. Übrigens ist diese Strategie der NATO, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, erst im Jahre 1999 noch einmal fortentwickelt und bestätigt worden und die Fraktion der Grünen hat ihr zumindest nicht widersprochen; auch das ist anzumerken.

Einen weiteren Aspekt, der damit im Zusammenhang steht, will ich eher in Frageform bringen: Kommt es aufgrund einer überhasteten Abkopplung – wenn wir also eine Abkopplung von dieser Strategie betreiben würden – möglicherweise zu einer Desolidarisierung innerhalb des Bündnisses? Dazu liest man in Ihrem Antrag nur ein wenig, während die Grünen auf Griechenland und Kanada verweisen. Das ist aber natürlich ein bisschen dürr. Die Frage ist, wie man dem kreativ begegnen kann. Ich glaube, das Letzte, was wir wollen – mit einer Ausnahme wahrscheinlich –, ist eine Destabilisierung und Desolidarisierung innerhalb des Bündnisses. Hier ist schon etwas mehr als nur das zu leisten, was in den Anträgen zu lesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Solange wir uns in einem schrittweisen Vorgehen befinden, ist es doch auch in unserem Interesse, sich noch ein gewisses Mitspracherecht für diese genannten Fälle zu bewahren. Ja, meine Damen und Herren, man darf durchaus auch kritisch hinterfragen, ob die Stationierung von Waffen, die erst einmal an einen Ort verbracht werden müssten, an dem sie zum Einsatz kommen könnten, aufgrund der Erweiterung der NATO und der Europäischen Union sowie aufgrund der veränderten Sicherheitslage noch zeitgemäß ist. Diese Frage darf gestellt werden. Wenn man diese Frage aber stellt, dann sollte man sie auch mit aktuellen Entwicklungen auf dieser Erde koppeln und nicht isoliert behandeln. Man sollte sie dann auch in den Kontext stellen, wie sich die gesamte Sicherheitslage darstellt. Stichwort „Iran“: Man muss sich dabei auch fragen, wo neue nukleare Potenziale entstehen. Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn Sie hier so isoliert vorgehen.

Um einmal einen einseitigen Zungenschlag von Ihrer Seite herauszuarbeiten: Herr Ulrich, wo benennen Sie – die Grünen tun das; man sollte sie auch einmal loben –

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

beispielsweise die angekündigten Reduzierungen russischer substrategischer Nuklearwaffen? Davon liest man bei Ihnen überhaupt nichts. Es ist auch erwartungsgemäß, dass das nicht der Fall ist. Bezüglich der Amerikaner machen Sie wieder mal Tabula rasa. Bei Ihnen steht nichts davon. Das ist bei weitem zu wenig. Es wäre Ihnen vielleicht einmal zu empfehlen, hier den Gesamtkontext herzustellen

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es geht um die Atomwaffen in Deutschland! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden halt nicht in Rheinland-Pfalz gelagert!)

– Herr Kollege Trittin, ein Schelm, der hier irgendwelche wahltaktischen Erwägungen vermutet, wenn man auch an Rheinland-Pfalz denkt. Zur indisch-amerikanischen Vereinbarung, deren Charakter mit Sicherheit ambivalent ist.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Jetzt wird es heikel!)

Diese Ambivalenz sollten wir auch herausstellen. Kollege Trittin, zu den jeweiligen Punkten in Ihrem Antrag, die Sie im Hinblick auf diese Vereinbarung genannt haben, kann man nur sagen: Sie sind schwer von der Hand zu weisen. Ich glaube, trotzdem bleibt es für uns eine ernsthafte und gewichtige Wertungsfrage, ob man, wie Sie, darin im Wesentlichen eine Erschütterung des Nichtverbreitungsvertrages sehen will oder ob man das Abkommen trotz aller negativen Implikationen zumindest auch als partielle Heranführung Indiens an den Nichtverbreitungsvertrag erachten kann. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir diese Bewertung vornehmen.

Das eigentliche Problem ist doch weniger, dass der Nichtverbreitungsvertrag durch das Abkommen als solches geschwächt würde; denn Indien hat ihn nie unterzeichnet. Durch die Vereinbarung werden vielmehr die bekannten Schwächen wieder offensichtlich, Schwächen, für die viele Verantwortung tragen – auch die Vereinigten Staaten. Das wollen wir hier nicht ausklammern. Viele tragen hierfür Verantwortung. Diese Schwächen liegen aber insbesondere auch in der mangelnden Universalität. Das ist eine der Grundschwächen in diesem Zusammenhang.

Wird der Beitritt Indiens zum Nichtverbreitungsvertrag damit unwahrscheinlicher? Für mich ist zunächst einmal nicht erkennbar, dass der Beitritt vorher wahrscheinlicher gewesen ist. Noch einmal: Lassen Sie uns positiv hervorheben, dass im Kontext dieses Abkommens zukünftig zumindest in einem begrenzten Bereich Inspektionen der IAEO stattfinden. Das ist ein Zwischenschritt hin zu einem zu fordernden Gesamtschritt, den wir politisch dann auch zu flankieren und zu unterstützen haben.

Herr Präsident, ich schließe mit den Fragen – das dürfen wir auch einmal selbstkritisch anmerken –: Wo waren in dem Gesamtkontext des letzten Punktes – Amerika, Indien – eigentlich wir, die Europäer? Wo war die Europäische Union? Wo findet hier eine europäische Außenpolitik im Kontext sich verändernder strategischer Neuausrichtungen und Umstände in der Welt statt?

Ich glaube, das ist bei weitem wichtiger, als dass wir, wie auf der linken Seite dieses Hauses, nur auf Bündnispartner einprügeln. Wir müssen uns über unsere Rolle als solche wieder klar werden und wir müssen uns wieder bewusst werden, dass wir in diesem Zusammenhang eine weitergehende Aufgabe haben. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDPFraktion.

(Beifall bei der FDP)

Elke Hoff (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Drei eng miteinander verknüpfte Themen stehen im Zentrum der heutigen Debatte: die nuklearen Ambitionen des Iran, das jüngste Nuklearabkommen zwischen Indien und den USA sowie der Abzug der taktischen Nuklearwaffen aus Deutschland. Die Verhandlungen mit dem Iran über dessen mögliche Ambitionen, Nuklearwaffen herzustellen, stecken nach dem Scheitern der russischen Kompromisslösung in der diplomatischen Sackgasse. Die internationale Staatengemeinschaft ist sich ausnahmslos bewusst, dass hier eine sicherheitspolitische Zeitbombe mit gefährlichen Auswirkungen auf die Stabilität im Nahen und Mittleren Osten und auch darüber hinaus tickt. Wir wissen, dass die Chancen der internationalen Gemeinschaft, den Iran von seinem Vorhaben abzubringen, überhaupt nur dann vorhanden sind, wenn ein breiter Konsens zwischen den Staaten erkennbar ist. Vor allem die Geschlossenheit der P 5 ist hier entscheidend, wenn der Iran eine Angelegenheit des UN-Sicherheitsrates wird.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)

In dieser Situation ist es mehr als unglücklich, dass die Regierung Bush gerade jetzt mit Indien ein Abkommen über zivile Nuklearkooperation abschließen will. Indien gehört neben Pakistan und Israel zu den Atommächten, die sich seit langem weigern, dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag beizutreten und die darin festgelegten Verpflichtungen zu erfüllen. Wenn dieser beklagenswerte Zustand jetzt in Form einer nuklearen Partnerschaft sozusagen ein internationales Gütesiegel erhält, untergräbt und schwächt dies das nukleare Nichtverbreitungsregime nachhaltig. Der Eindruck, der Besitz von eigenen Nuklearwaffen auch außerhalb des Vertragswerkes erhöhe das internationale Profil und sichere Macht, Einfluss und Anerkennung eines Staates, wäre für so manche potenzielle Nuklearmacht ein geradezu unwiderstehlicher Anreiz.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist leider wahr!)

Natürlich ist Indien die größte Demokratie weltweit, aber das ist nach den Prinzipien des nuklearen Nichtverbreitungsregimes nicht das ausschlaggebende Kriterium.

Seine substanzielle Glaubwürdigkeit wird durch die Anwendung von zweierlei Maßstäben – auf der einen Seite die Forderung an den Iran nach Verzicht und auf der anderen Seite die Privilegien für Indien ohne gravierende Auflagen – ohne Not aufs Spiel gesetzt.

Vor allem aber schwächt dieser Nukleardeal die Verhandlungsposition gegenüber dem Iran, hintertreibt die diplomatischen Bemühungen der EU 3 und gefährdet den weltweiten Konsens gegenüber Teheran, und zwar nicht nur, weil die Iraner selbst neue Argumente auf dem silbernen Tablett serviert bekommen. Wir alle wissen, dass die Mitwirkung und Zustimmung Chinas in der Iranfrage kritisch ist. Peking hat einerseits wegen seines enormen Energiebedarfs ein zwingendes Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen zum Iran. Andererseits wissen die Chinesen aber auch, dass sie als größter regionaler Rivale einer der Adressaten des indischen Nuklearwaffenprogramms sind. Ich bezweifle, dass das amerikanisch-indische Nuklearabkommen die konstruktive Mitwirkung Pekings in der Iranfrage befördern wird.

Noch ist dieses Abkommen nicht endgültig ratifiziert. Der amerikanische Kongress wird sich dazu äußern müssen. Über die Nuclear Suppliers Group hat Deutschland gemeinsam mit den EU-Partnern Mitverantwortung und Einwirkungsmöglichkeiten. Ich bin mir durchaus bewusst, dass dies, folgte man dabei alten Reflexen, eine erneute Belastung der transatlantischen Beziehungen darstellen könnte. Die Bundesregierung muss aber an dieser Stelle ebenso wie es alle anderen Beteiligten auch tun, das nationale Interesse in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen und mit einer klaren sicherheitspolitischen Position, die mir bisher allerdings noch nicht aufgefallen ist, in dieser Frage aufwarten.

Das amerikanisch-indische Abkommen ist ein schwerer Schlag für den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, der sich seit dem Scheitern der Überprüfungskonferenz im vergangenen Jahr ohnehin in einer Glaubwürdigkeitskrise befindet. Wir werden die Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungsregimes nur dann stärken können, wenn wir weltweit endlich wieder zu einer stringenten nuklearen Abrüstungspolitik zurückfinden.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Verehrter Kollege Ulrich, es bedarf nicht des Erscheinens der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag; denn die FDP hat bereits vor knapp einem Jahr hier im Bundestag einen abrüstungspolitischen Antrag eingebracht, in dem als wichtiges Abrüstungssignal unter anderem ein Abzug der amerikanischen taktischen Nuklearwaffen aus Deutschland gefordert wurde.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was macht die Landesregierung Rheinland-Pfalz?)

Die FDP hat damit eine Diskussion angestoßen, die seit langem überfällig war und mit den jetzt vorliegenden Anträgen wieder aufgegriffen wird.

Die bis heute in Deutschland stationierten taktischen Nuklearwaffen sind ein Relikt des Kalten Krieges und haben angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts keine strategische Funktion mehr.

(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Potenzielle Adressaten nuklearer Abschreckung in Staaten, die den atomaren Einsatz zu einem legitimen politischen Mittel erklären, wären mit diesen Waffen theoretisch nicht zu erreichen.

Der russische Außenminister hat im Sommer 2005 verkündet, Moskau sei zu neuen Abrüstungsverhandlungen bereit. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld hat erklärt, dass er bereit sei, Deutschland und der NATO die Entscheidung zu überlassen. Wir wollen, dass beide hier beim Wort genommen werden.

Zum Schluss darf ich feststellen: Die alte Bundesregierung hat zwar als Reaktion auf unseren Antrag im vergangenen Jahr zugesagt, das Thema in der NATO zur Sprache zu bringen. In den zuständigen NATO-Gremien ist dieser Punkt aber bisher noch nicht auf der Tagesordnung erschienen.

Ich frage die neue Bundesregierung: Macht die Stationierung von taktischen Nuklearwaffen in Deutschland noch Sinn und ist die nukleare Teilhabe nach dem Ende des Kalten Krieges in dieser Form noch begründet? Das Forum, in dem über diese Frage nüchtern und sachlich diskutiert werden muss, sind – das hat mein Vorredner richtigerweise gesagt – die Gremien der NATO.

Wir hoffen sehr, dass in absehbarer Zeit ein klares Signal zur Abrüstung, das den Prozess weiter befördern kann, zu erwarten ist. Wir als FDP stehen nach wie vor zu dem Antrag, den wir im letzten Jahr eingebracht haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion.

Dr. Rolf Mützenich (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Wochen haben wir häufig über die Rolle der Atomwaffen, die Krise der nuklearen Rüstungskontrolle und die Folgen für die internationale Politik gesprochen. Dies war richtig; denn es gab leider genügend Anlässe dafür.

Kollege Ulrich, die Lagerung von Atomwaffen in Deutschland ist ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang. Ich finde aber, dass Sie mit Ihrem Antrag zu kurz gesprungen sind. Der Kollege Guttenberg hat bereits einige Zusammenhänge dargestellt. Ich möchte dem noch einiges hinzufügen.

Lassen Sie mich begründen, warum Sie mit dem Antrag zu kurz gesprungen und damit den Herausforderungen, die Deutschland im Zusammenhang mit Atomwaffen hat, nicht gerecht geworden sind: Sie agieren bewusst einseitig und innenpolitisch motiviert und verkürzen die Zusammenhänge.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Anders kann ich mir diesen Antrag nicht erklären.

Wenn Sie sich ernsthaft mit den Problemen beschäftigt hätten, dann hätten Sie einige Punkte besser gewichten müssen. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht die Atomwaffen in anderen europäischen Staaten wie Belgien oder Großbritannien thematisieren. Sind sie besser? Wenn wir als deutsches Parlament im europäischen Kontext agieren wollen, dann muss man das doch benennen. Warum soll das nicht in den Antrag mit hineingehören?

Sie haben die Forderung des Kollegen Guttenberg belächelt, auch die russischen taktischen Nuklearwaffen zu benennen. Natürlich stehen sie im Zusammenhang mit dem Thema. Das hätten Sie in Ihrem Antrag mit aufnehmen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen wiederhole ich: Ihr Antrag ist nur innenpolitisch motiviert. Er wird den internationalen Herausforderungen nicht gerecht.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, den Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben. Ich war damals dabei, als die von Ihnen zitierte Studie vorgestellt wurde. Es ging darum, dass bei einer weiteren Krise im Nahen und Mittleren Osten möglicherweise europäische Atomwaffen eingesetzt werden könnten. Das ist meiner Meinung nach in keiner Weise herzuleiten; ich halte es auch nicht für belegbar. Wenn es dazu kommen sollte, dann werden keine Atomwaffen von hier aus eingesetzt; es wäre vielmehr eine Situation, der wir gemeinsam begegnen müssten, und zwar nicht mit Alarmismus und solchen Anträgen, sondern durch eine kluge Politik, mit der Sie die Bundesregierung unterstützen könnten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es gibt einen weiteren Grund, weshalb Sie mit Ihrem Antrag viel zu kurz gesprungen sind. Sie beziehen sich darin auf die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Dabei benennen Sie nur die USA, als ob das der einzige Akteur wäre, durch den die Konferenz gescheitert ist. Bei der Überprüfungskonferenz im Mai 2005 in New York haben auch der Iran, Frankreich und Ägypten eine Rolle gespielt. Das war nicht so einseitig, wie Sie es darstellen.

Es bringt allerdings nichts, nur über verkürzte Zusammenhänge in Anträgen zu sprechen. Erlauben Sie mir deshalb einen Hinweis. Ich habe nichts dagegen, wenn Verteidigungsminister Jung in den zuständigen Gremien auf das Thema eingehen wird, aber in dem Fall sollten auch die Zusammenhänge berücksichtigt werden, wie es der frühere Verteidigungsminister Struck getan hat. Ich glaube, es lohnt sich, an dieser Stelle die Zusammenhänge zu benennen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auch auf den Antrag der Grünen eingehen. Sie haben zu Recht auf den Antrag unserer damaligen rot-grünen Koalition hingewiesen, weil darin die Gesamtzusammenhänge beschrieben worden sind. Ich glaube, es lohnt sich, über beide Anträge eine intensive Debatte im Auswärtigen Ausschuss, aber auch im Unterausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu führen.

Der eigentliche Kern, über den wir diskutieren müssen, wenn es um Atomwaffen geht, besteht auch in Folgendem: Ich selbst habe nach dem Ende des Ost-West- Konflikts gedacht, es gebe eine Chance für Abrüstung, es gebe eine Chance für die Friedensdividende. Leider ist das nicht eingetreten. Wir erleben seit Mitte der 90er- Jahre in diesen Dingen einen Rückfall. Bisher sind es nur die europäischen Länder gewesen, die versucht haben, Regelwerke in die Diskussion einzubringen, die dem Thema der nuklearen Rüstungskontrolle gerecht werden.

Wir haben diese Krise der nuklearen Rüstungskontrolle, weil Initiativen scheitern. Der umfassende Teststoppvertrag ist nicht unterzeichnet worden; das festzustellen, ist im Zusammenhang mit Indien und den USA ganz interessant. Ferner gab es in jüngster Zeit Krisen in Bezug auf Nordkorea und den Iran. Wir haben es aber auch mit Ländern zu tun, die sich in diesen Fragen sozusagen ein besonderes Recht herausnehmen, wie beispielsweise Brasilien im Zusammenhang mit der Urananreicherung. Die Rolle, die Kernwaffen und militärische Gewalt spielen können, wird in vielen Ländern neu definiert, nicht nur in den USA, sondern auch in Russland und der Volksrepublik China. Wenn Sie das Thema wirklich ernst nehmen würden, hätten Sie diese Entwicklungen in Ihrem Antrag aufgreifen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte jetzt zu dem Themenkomplex Indien kommen. Ich glaube, dass die jüngsten Entwicklungen – wir haben am Mittwoch im Ausschuss darüber diskutiert – leider einen weiteren Schritt darstellen, der in den nächsten zehn oder 20 Jahren die internationale Nuklearordnung verändern wird. Ich gebe zu: Gut ist, dass es der Internationalen Atomenergiebehörde in Zukunft möglicherweise erlaubt werden soll, 50 oder 60 Prozent der dortigen Anlagen zu inspizieren. Ein abschließendes Urteil kann man sich heute noch nicht bilden, weil uns, sowohl der Öffentlichkeit als auch – wenn ich das richtig verstanden habe – der Bundesregierung, der Text des Abkommens nicht vorliegt. Wir sollten darüber diskutieren, wenn wir den Text kennen.

Aber eines ist bereits jetzt klar – das hat die Kollegin vorhin sehr deutlich gemacht –: Es wird ein Prinzip des Nichtverbreitungsvertrages infrage gestellt, ein Prinzip, das darin besteht: Wir belohnen die Staaten, die auf Atomwaffen verzichten, in Form von Unterstützung. Ob wir das nun aus innenpolitischer Sicht für gut halten oder nicht: Dieses Prinzip war wichtig und richtig, um Staaten an den Atomwaffensperrvertrag heranzuführen. Jetzt ist es das erste Mal, dass dieses Prinzip einseitig – so muss man schon sagen – hintertrieben wurde.

Besonders hinterfragen möchte ich die Einseitigkeit dieser Handlungen. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben die USA niemanden, insbesondere niemanden aus der Nuclear Suppliers Group, an dieser Diskussion beteiligt. Ferner glaube ich, dass der Zeitpunkt, zu dem diese Vereinbarung unterzeichnet wurde, schlecht gewesen ist, weil wir, besonders mit Blick auf den Iran, niemandem erklären können, warum dieser Vertrag die nukleare Rüstungskontrolle stärken soll. Darüber hinaus ist die Chance vertan worden, Indien zu verpflichten, dem Problem der Rüstungskontrolle in Südasien seine Aufmerksamkeit zu widmen. Es gibt in Südasien bisher keine Vereinbarung, die der Frage der nuklearen Rüstungskontrolle dort gerecht würde, im Gegenteil: Diese Vereinbarung zwischen den USA und Indien ist zum Anlass genommen worden, neue Waffenverkäufe anzubieten. Wir tun dieser Region mit Sicherheit keinen Gefallen, wenn wir sie in einen neuen Rüstungswettlauf stürzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch Folgendes möchte ich noch anführen: Ich hätte es verstanden, wenn wir über eine Alternative zum Nichtverbreitungsvertrag, zum Atomwaffensperrvertrag verfügen würden. Aber die haben wir überhaupt nicht. Keiner bietet aktuell eine Alternative dazu an, weder die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates noch andere Staaten. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir an dem Atomwaffensperrvertrag weiterarbeiten. Deswegen war es gut, dass die 25 Staaten der Europäischen Union im Mai auf der Überprüfungskonferenz gemeinsam agiert haben. Man muss auch sehen, dass der Atomwaffensperrvertrag in den letzten zehn, 20 Jahren Vorteile gebracht hat. Denn Südafrika, Brasilien und Argentinien haben sich zu diesem Vertrag bekannt, ebenso wie einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Deswegen lohnt es sich, diesen Vertrag zu stärken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu rufe ich die Bundesregierung von dieser Stelle aus auf. Ich glaube, dass es notwendig ist, im Rahmen der Europäischen Union neue Initiativen mit auf den Weg zu bringen, mit denen der Atomwaffensperrvertrag, aber auch die Rüstungskontrolle insgesamt gestärkt werden. Wir sollten in diesem Zusammenhang darüber nachdenken, ob möglicherweise die Ansätze betreffend Abrüstung und Rüstungskontrolle, die die USA in letzter Zeit verfolgen – sie sind zwar sehr einseitig, aber immerhin gibt es welche, wie die PSI-Initiative –, in ein Regelsystem überführt und institutionalisiert werden sollten. Wir brauchen auf jeden Fall ein Regelsystem, das verhindert, dass Mittelstreckenraketen in die Hände von Staaten gelangen, die sie möglicherweise missbrauchen. Dazu sind die Ansätze geeignet. Aber es muss einen völkerrechtlichen Vertrag geben. Ich glaube jedenfalls, dass es in den USA relevante Ansätze gibt. Ich finde, es ist hochinteressant, dass Senator Lugar in der „Süddeutschen Zeitung“ darauf hingewiesen hat, er könne sich vorstellen, dass die USA direkt mit dem Iran verhandeln. Das Parlament und die Bundesregierung sollten das aufnehmen.

Die Rüstungskontrolle hat mitgeholfen, den Ost- West-Konflikt zu überwinden. Dieses Instrument könnte auch bei anderen Rüstungskonflikten und Regionalkonflikten helfen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin vom Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abrüstung und Nichtverbreitung sind aktuelle, aber auch globale Themen. Global bedeutet ein bisschen mehr als Hunsrück und Eifel, lieber Kollege Ulrich. Sie haben zwar Recht, dass wir die taktischen Waffen abziehen müssen; wir haben dazu entsprechende Vorschläge vorgelegt. Aber die eigentliche Herausforderung ist in der Tat die globale Infragestellung des Nichtverbreitungsvertrages. Der Kern dessen, worüber wir heute diskutieren, ist die Frage: Gelingt es uns, das Regime der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung zu erhalten, oder bewegen wir uns in eine Richtung, die dazu führt, dass dieses System durchlöchert und schließlich aufgelöst wird? Das ist gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um den Iran von zentraler Bedeutung.

Wir sind klar dagegen, dass sich der Iran unter dem Deckmantel der zivilen Nutzung der Atomenergie Atomwaffen verschafft. Wir wollen ihn mit friedlichen, zivilen Mitteln daran hindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber in einer solchen Situation muss man alles vermeiden, was anschließend nach nachträglicher Legitimation der Argumentation der iranischen Führung aussieht nach dem Motto „Hier soll ein Sonderrecht allein gegen den Iran als ein muslimisches Land geschaffen werden“. Genau das ist die subkutane Botschaft des Abkommens zwischen den USA und Indien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ich mich nicht dem Verdacht des Antiamerikanismus aussetze,

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Bestimmt nicht!)

will ich an dieser Stelle zwei Zitate anführen. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreibt, dass mit dem USA-Indien-Deal ein „schlechtes Beispiel schlechte Schule mache und den internationalen Bemühungen zur Nichtproliferation einen Bärendienst erweise. Indien wird im Nachhinein belohnt für seine nukleare Aufrüstungspolitik; die Bereitschaft, einen Teil seiner zivilen Nuklearanlagen unter internationale Kontrolle zu stellen, gilt erstens nur für einen Teil und schließt zweitens die militärische Seite vollkommen aus“. Sie schließt also all das aus, was für die Fragen betreffend die Nichtproliferation, die Anreicherung und den Prozess der Separierung von Plutonium in Wiederaufarbeitungsanlagen relevant ist.

Dem, was Edward Markey, ein demokratischer Abgeordneter im US-amerikanischen Repräsentantenhaus, gesagt hat, ist zuzustimmen: Das Abkommen „untergräbt die Sicherheit nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern des Rests der Welt … Der Präsident hat mit einem einzigen Schlag ein Loch in das nukleare Regelwerk gesprengt.“ Diese Form praktizierter Doppelstandards können wir uns gerade angesichts der Auseinandersetzung um den Iran nicht erlauben. Hier kommt es in sehr starkem Maße auf die Haltung der Bundesregierung an. Wollen Sie den für Indien geltenden Lieferstopp hinsichtlich nuklearen Materials und entsprechender Technologie nun aufheben? Oder beharren Sie auf dem Prinzip der Einstimmigkeit in der Nuclear Suppliers Group? Ich glaube, dass die Aufrechterhaltung des Lieferstopps der richtige Weg gewesen wäre, Indien an das nukleare Kontrollregime heranzuführen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder muss doch wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Indien nicht mehr über hinreichende Mengen an Uran verfügt, um seine Anlagen zu betreiben. Hier konsequent geblieben zu sein, wäre der richtige Weg gewesen, Herr von Guttenberg, wenn man das hätte erreichen wollen, was man zu Recht begrüßt, nämlich dass es ein kleines Stück mehr Kontrolle gibt. Wenn man hartnäckig und konsequent geblieben wäre, dann wäre man auf dem richtigen Weg gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier ist vom Scheitern des letzten Nichtverbreitungsvertrages gesprochen worden. Damals hat Kofi Annan ein bitteres Fazit gezogen. Er hat gesagt: Das große Thema, das fehlt, ist Abrüstung und Nichtverbreitung. Dies ist eine echte Schande. Wir haben in diesem Jahr zweimal versagt. Wir versagten bei der NPT-Konferenz und wir versagten jetzt. – Ich finde, mit dem Versagen muss es ein Ende haben. Es ist Zeit, zu handeln, und wir müssen zu dem großen Konsens zurückkehren, den wir einmal hatten, nämlich mit dafür zu sorgen, dass es keine Atomwaffen mehr auf diesem Globus gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/448, 16/819 und 16/834 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Quelle: Plenarprotokoll 16/23, S. 1799-1806


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