Linksfraktion fordert "Abzug der Atomwaffen aus Deutschland" / Grüne für "schnellstmöglichen Ausstieg der Bundeswehr aus der nuklearen Teilhabe"
Der Deutsche Bundestag berät am 10. März über zwei brisante Anträge - Beide Anträge im Wortlaut
Am 10. März behandelt der Deutsche Bundestag zwei Anträge, in denen der Abzug der US-amertikanischen Atomwaffen von deutschem Boden sowie die Beendigung der atomaren Teilhabe der Bundeswehr gefordert werden. Antrag 1 stammt von der der Fraktion DIE LINKE und wurde bereits am 25. Januar 2006 eingebracht. Antrag 2 wurde rund sechs Wochen später von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht. Beide Anträge werden unter Tagesordnungspunkt 17 beraten. Beratungszeit: eine halbe Stunde.
Im Folgenden dokumentieren wir beide Anträge im Wortlaut.
Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode
Drucksache 16/448, 25. 01. 2006
Antrag
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Paul Schäfer (Köln),
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Dr. Kirsten Tackmann, Ulla Jelpke,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
-
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit dem am 2. Mai 1975 erfolgten
Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Nichtver-
breitungsvertrag – NVV) völkerrechtlich verbindlich dazu verpflichtet,
„Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt dar-
über von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“ (Artikel II).
Mit dem „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“
(2+4-Vertrag) vom 12. September 1990 bekräftigten beide deutsche Regie-
rungen den „Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsge-
walt über atomare, biologische und chemische Waffen“ (Artikel 3 Abs. 1). Auf
dem Gebiet der neuen Bundesländer und Berlins dürfen keine „Atomwaffen
oder deren Träger“ (Artikel 5 Abs. 2) stationiert werden.
- Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am 8. Juli 1996 in einem von
der Vollversammlung der Vereinten Nationen (VN) angeforderten Gutachten
festgestellt, dass Androhung und Gebrauch von Atomwaffen generell gegen
die Regeln des für bewaffnete Konflikte geltenden Völkerrechts und im
Besonderen gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht verstößt (General List
No. 95, 105.E). Das Bundesverwaltungsgericht stellte in einem am 21. Juni
2005 ergangenen Urteil fest, dass weder der NATO-Vertrag, das NATO-Trup-
penstatut, das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch der Aufent-
haltsvertrag eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland vorsehen,
entgegen der VN-Charta und dem geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrige
Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen (BVerwG 2 WD 12.04).
- Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen befindet sich in der
größten Krise seiner Geschichte. Die Überprüfungskonferenz der Vertrags-
staaten im Mai 2005 in New York musste ohne Einigung auf ein substantiel-
les Abschlussdokument beendet werden. Dazu trug die US-Regierung bei,
indem sie es ablehnte, dass in dem Abschlussdokument der Konferenz die
von allen Kernwaffenstaaten mit dem Beitritt zum NVV eingegangenen, und
1995 von der NVV-Verlängerungskonferenz detaillierten, Abrüstungsver-
pflichtungen erwähnt werden. Durch das Scheitern der Konferenz wurde
auch eine Einigung über verbesserte Kontrollmechanismen gegenüber Nicht-
kernwaffenstaaten verhindert.
- Im Vorfeld der NVV-Überprüfungskonferenz hat der Deutsche Bundestag dar-
auf hingewiesen, dass weitere Fortschritte der nuklearen Abrüstung für die
Drucksache 16/448 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Stärkung der nuklearen Nichtverbreitung unerlässlich sind (Bundestagsdruck-
sache 15/5254). Das Scheitern der Konferenz zeigt, dass der Nichtverbrei-
tungsvertrag dringend neue Impulse braucht, mit denen deutlich gemacht
wird, dass die Abrüstungsverpflichtungen der Kernwaffenstaaten integraler
Bestandteil des NVV sind. Es ist deshalb angeraten, die im Vorfeld von der
Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnte Forderung nach einem
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland (Antrag der FDP-Fraktion vom
13. April 2005, Bundestagsdrucksache 15/5257) erneut auf die Tagesordnung
zu setzen. Durch die Aufgabe der Stationierung von US-Atomwaffen auf
ihrem Territorium würde die Bundesrepublik Deutschland die Glaubwürdig-
keit des Nichtverbreitungsvertrags insgesamt stärken und ihre eigene Position
in Verhandlungen mit potentiellen neuen Atomwaffenstaaten deutlich verbes-
sern.
- Die Bundesregierung informiert den Deutschen Bundestag nicht über Anzahl
und Art der gelagerten Atomwaffen, ihre Stationierungsorte und Einsatz-
szenarien. In Antworten auf entsprechende Anfragen wird darauf verwiesen,
dass Informationen über die Anzahl der Atomwaffen in Deutschland der
Geheimhaltung unterliegen. Implizit wurde durch öffentliche Äußerungen
von Regierungsmitgliedern jedoch bestätigt, dass weiterhin Atomwaffen auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelagert sind. Die Stationierung
von Atomwaffen stellt durch die Gefahr von Unfällen und Anschlägen eine
permanente Bedrohung für die Bevölkerung in Deutschland und insbeson-
dere in Rheinland-Pfalz dar. Die Sicherheit der Stationierungsorte und der be-
troffenen Region kann nicht durch Geheimhaltung sondern nur durch den
vollständigen Abzug gewährleistet werden.
- Aufgrund von Recherchen US-amerikanischer Rüstungskontrollexperten
beim Natural Resources Defense Council (NRDC), die sich auf freigegebene
US-Regierungsdokumente und kommerzielle Satellitenaufnahmen stützen,
darf angenommen werden, dass im Februar 2005 etwa 440 US-Atomwaffen
in sechs europäischen Ländern stationiert waren: in Belgien, Deutschland,
Großbritannien, Italien, den Niederlanden und der Türkei. Unter den in Eur-
opa gelagerten Atomwaffen ist demnach auch der Typ B61-10, bei dem es
sich um eine modifizierte Version des Pershing-II-Sprengkopfs handelt, der
infolge des Abkommens zwischen den USA und der Sowjetunion über die
Beseitigung ihrer Mittel- und Kurzstreckenraketen (INF-Vertrag) von 1987
zunächst abgezogen wurde.
- Mehr als hundert Atomwaffen lagerten den Schätzungen des NRDC zufolge
Anfang 2005 in Deutschland, verteilt auf zwei Stützpunkte in Rheinland-
Pfalz: 90 in Ramstein, 20 weitere in Büchel. Die auf dem von den US-Streit-
kräften genutzten Areal innerhalb des Bundeswehr-Stützpunktes in Büchel
gelagerten Atomwaffen sind nach Einschätzung der NRDC-Studie für den
Einsatz durch die Bundeswehr vorgesehen. Nach einer Freigabe durch den
Präsidenten der USA würden sie an deutsche Kampfjets montiert und könn-
ten von Piloten der Bundeswehr abgeworfen werden. Unbestätigten Medien-
berichteten zufolge wurden im Frühjahr 2005 die in Ramstein gelagerten
Atomwaffen wegen dort stattfindender Bauarbeiten an einen unbekannten
Ort gebracht (DER SPIEGEL vom 6. Juni 2005, die tageszeitung vom 9. Juni
2005).
- Die US-Regierung hat öffentlich zugesagt, sich nicht gegen eine Entschei-
dung der Bundesregierung für einen Abzug der US-Atomwaffen zu stellen.
„Ich denke, das überlasse ich den Deutschen und der NATO“, sagte US-
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dem Nachrichtenmagazin DER
SPIEGEL (31. Oktober 2005) auf die Frage, warum weiterhin US-Atom-
waffen auf deutschem Boden gelagert werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/448
- Nach Angaben der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 15/3609, Ant-
wort zu Frage 44) soll der Eurofighter nicht für den Einsatz mit Atomwaffen
ausgerüstet werden. Nach der angestrebten Außerdienststellung der Torna-
dos wäre die Bundeswehr nach derzeitigem Planungsstand demnach nicht
mehr in der Lage, Einsätze mit den in Büchel stationierten Atomwaffen zu
fliegen.
- Der Landtag von Rheinland-Pfalz hat sich im September 2005 für einen
Abzug der US-Atomwaffen ausgesprochen (Landtag Rheinland-Pfalz,
Plenarprotokoll 14/100 und Bundestagsdrucksache 14/4159). Bei einem
Besuch in Ramstein kündigte der damalige Bundesminister der Vertei-
digung, Dr. Peter Struck, im Mai 2005 an, sich in den zuständigen Gremien
der NATO für einen Abzug einzusetzen. Nach einer Umfrage des Meinungs-
forschungsinstituts TNS Infratest für das Nachrichtenmagazin DER
SPIEGEL (2. Mai 2005) sprechen sich lediglich 18 Prozent der Deutschen
für einen Verbleib der Atomwaffen aus, wohingegen 76 Prozent den Abzug
der Atomwaffen aus Deutschland befürworten.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
-
Flugzeuge und Piloten der Bundeswehr nicht für Einsätze mit Atomwaffen
bereitzustellen und die Vorbereitung auf solche Einsätze zu beenden;
- der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika mitzuteilen, dass die
Bundesrepublik Deutschland jegliche Stationierung von Atomwaffen auf ih-
rem Territorium ablehnt, und sie aufzufordern, die Atomwaffen vom Territo-
rium der Bundesrepublik Deutschland umgehend abzuziehen;
- den Deutschen Bundestag über Fortschritt und Abschluss des Abzugs zu un-
terrichten;
- sich nachdrücklich für weltweite Abrüstung und die Nichtverbreitung von
Atomwaffen einzusetzen.
Berlin, den 24. Januar 2006
Dr. Norman Paech
Alexander Ulrich
Paul Schäfer (Köln)
Wolfgang Gehrcke
Monika Knoche
Dr. Kirsten Tackmann
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion
Quelle: Bundestagsdrucksachen; http://dip.bundestag.de
Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode
Drucksache 16/819, 07.03.2006
(elektronische Vorab-Fassung)*
Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Renate Künast, Fritz Kuhn und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abrüstung der taktischen Atomwaffen vorantreiben - US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa vollständig abziehen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
-
Taktische oder substrategische Atomwaffen unterliegen bisher keiner überprüfbaren
Abrüstungs- oder Rüstungskontrollverpflichtung. Ihre weitere Reduzierung und
Eliminierung ist insbesondere vor dem Hintergrund der Gefahr, dass diese, zum Teil
überalterten Waffen durch Diebstahl in falsche Hände gelangen könnten, von eminenter
Bedeutung.
Der Deutsche Bundestag (Drucksache 15/5254 vom 13.04.2005) hat die Bundesregierung
dazu aufgefordert „sich für die Wiederbelebung der amerikanisch-russischen Abrüstung
bei substrategischen und taktischen Kernwaffen einzusetzen, um diese erhebliche Lücke
im nuklearen Abrüstungsprozess zu schließen Vor allem die taktischen Kernwaffen sollten
in transparenter und nachvollziehbarer Weise auf beiden Seiten reduziert und demontiert
werden.“ Der Deutsche Bundestag tritt weiterhin für eine rasche, überprüfbare und
unumkehrbare Abrüstung der taktischen Atomwaffen und die Ergreifung und
Unterstützung diesbezüglicher Initiativen ein.
- Ende 1991, kurz vor der Auflösung der Sowjetunion, kündigten die damaligen Präsidenten
Bush und Gorbatschow wechselseitig einseitige Schritte zur substanziellen Abrüstung
ihrer taktischen Atomwaffen an. Diese Absicht wurde vom russischen Präsidenten Jelzin
1992 bekräftigt. Der Deutsche Bundestag begrüßt diese vor 15 Jahren beschlossenen
Beiträge zur nuklearen Abrüstung.
Die Umsetzung und Unumkehrbarkeit dieser rechtlich unverbindlichen Erklärungen ist
nicht verifizierbar. Die USA haben nach eigenen Angaben ihre Bestände an
substrategischen Atomwaffen seit 1989 um mehr als 90 Prozent und die Zahl der auf dem
NATO-Gebiet vorgesehenen Lagerstätten um 80 % reduziert. Im Rahmen der Umsetzung
der Presidental Nuclear Initiatives (PNI) sind weltweit angeblich mehr als 3.000 taktische
US-Atomwaffensprengköpfe zurückgezogen und vernichtet worden. Nach Angaben der
NATO, wurde diese Reduzierung in Europa 1993 abgeschlossen. Derzeit haben die USA
vermutlich 1.100 taktische Atomwaffen im aktiven Bestand. Etwa 480 dieser Atomwaffen
werden in Europa, davon 20 in Büchel und 130 in Ramstein, vermutet.
Die Zahlen über den Bestand und die Reduzierung der russischen taktischen Atomwaffen
schwanken erheblich. Russland hat alle taktischen Atomwaffen, die außerhalb seines
Staatsgebietes gelagert waren, zurückgezogen. Experten gehen davon aus, dass es in
Russland von den ehemals bis zu 21.000 Atomsprengköpfen noch zwischen 3.000 und
8.000 taktische Atomsprengköpfe gibt. Von russischer Seite wurde 2004 angekündigt,
dass in Reaktion auf die amerikanischen Pläne zum Bau von Mini-Nukes nicht alle
taktischen Atomwaffen wie beabsichtigt zerstört, sondern nur eingelagert würden. Die
Sicherung und die Sicherheit der russischen Atomwaffen und Lagerstätten gilt als eine der
größten Sorgen der internationalen Staatengemeinschaft.
- Die 1997 von den USA und Russland angekündigte Absicht, die Abrüstung der
substrategischen Atomwaffen und vertrauensbildende, die Transparenz erhöhende
Maßnahmen zum Gegenstand von START III Verhandlungen zu machen, wurde Ende
2000 fallen gelassen. Die Vertragsstaaten des NVV haben sich auf der
Überprüfungskonferenz 2000 zu 13 Schritten zur Abrüstung verpflichtet. Das bisherige
Ergebnis ist enttäuschend und ein Grund für die gegenwärtige Krise der nuklearen
Abrüstung und Nichtweiterverbreitung. Der Deutsche Bundestag dringt darauf, die
Umsetzung dieser Schritte mit aller Kraft und mit neuen Initiativen fortzusetzen. Dies gilt
auch für die weitere Reduzierung der in Schritt 9 genannten nicht-strategischen
Atomwaffen als wesentlicher Bestandteil des nuklearen Abrüstungsprozesses und die in
Schritt 11 gemachte Zusicherung, die allgemeine und vollständige Abrüstung unter
wirksame internationale Kontrolle zu stellen.
- Der Deutsche Bundestag dankt der Bundesregierung für ihre in der Vergangenheit
gemachten Vorschläge zur kontrollierten Eliminierung taktischer Nuklearwaffen und die
wertvollen Beiträge, um die 7. Überprüfungskonferenz zum NVV vor einem Scheitern zu
bewahren. Wir begrüßen und unterstützen, dass die Bundesregierung im Jahr 2005 ihre
Bereitschaft erklärt hat, einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland zu
befürworten. Die diesbezüglichen Konsultationen mit den Bündnispartnern müssen
fortgesetzt werden. Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt die Entscheidung der
Bundesregierung, keine neuen nuklearwaffenfähigen Trägersysteme zu beschaffen und
damit die technische-nukleare Teilhabe zu beenden. Die Jagdbomber-Geschwader 31 und
33 werden 2007-2010 bzw. 2012-2015 mit den mehrrollenfähigen Eurofighter
ausgestattet. Es ist nicht geplant, den Eurofighter für einen Einsatz mit Nuklearwaffen zu
befähigen. Der Deutsche Bundestag sieht in einem schnellstmöglichen Ausstieg der
Bundeswehr aus der nuklearen Teilhabe ein international wichtiges Zeichen und eine
Stärkung des Abrüstungs- und Nichtweiterverbreitungsprozesses.
- Alle NATO-Staaten, in denen US-Atomwaffen gelagert sind, haben im Oktober 2004 der
Resolution der UN-Generalversammlung zugestimmt, die eine weitere Reduzierung der
nicht-strategischen Atomwaffen fordert. Staaten wie Kanada und Griechenland haben sich
in den vergangenen Jahren aus der technischen-nuklearen Teilhabe der NATO
zurückgezogen. Großbritannien hat die Jagdbomberflotte von der Nuklearrolle befreit. Die
NATO hat mehrfach bekräftigt, in keinem der Beitrittsländer Atomwaffen stationieren zu
wollen. Der Deutsche Bundestag begrüßt den Beschluss des belgischen Senats vom 21.
April 2005 für einen „schrittweisen Rückzug der amerikanischen taktischen Atomwaffen
aus Europa“ und den Vorschlag „im NATO-Russland-Rat Verhandlungen über die
Reduzierung und Vernichtung der amerikanischen taktischen Atomwaffen in Europa und
der russischen taktischen Atomwaffen aufzunehmen“. Er unterstützt das Ziel, dass diese
Schritte zu einer atomwaffenfreien Zone aller Nichtkernwaffenstaaten in Europa führen
müssen. Der frühere britische Außenminister, Robin Cook, und Robert McNamara,
früherer US-Verteidigungsminister, appellierten nach dem Scheitern der NVV-Konferenz
am 23. Juni 2005 in der Financial Times „Jetzt ist es an der Zeit für die Verantwortlichen
in der NATO, den Weg für ein Abkommen mit Russland über die Erfassung und
nachprüfbare Vernichtung taktischer Atomwaffen zu ebnen, indem sie die in Europa
verbliebenen Waffen dieses Typs abziehen.“
- Die Zukunft der taktischen Atomwaffen wird auch in den USA offen diskutiert. Der
“Report of the Defense Science Board Task Force on Future Strategic Strike Forces
(Februar 2004) empfiehlt dem US-Verteidigungsministerium “OSD [Office of the
Secretary of Defense] should consider eliminating the nuclear role for Tomahawk cruise
missiles and for forward-based, tactical, dual-capable aircraft. There is no obvious
military need for these systems, and eliminating the nuclear role would free resources that
could be used to fund strategic strike programs of higher priority. To a great extent, their
continuation is a policy decision.” Nach einem Bericht des US-Außenministeriums vom
10.02.2005 „the United States can reduce the number of deployed nuclear warheads, and
can further reduce non-strategic warheads to achieve President Bush’s vision of the
smallest stockpile consistent with national security”. US-Verteidigungsminister Rumsfeld
hat im Oktober 2005 angekündigt, die Entscheidung über einen Abzug der USAtomwaffen
Deutschland und der NATO zu überlassen. Auch der Kongress hat im
Rahmen der Haushaltsberatungen für das Jahr 2006 sein Interesse an dem Thema
artikuliert. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Bereitschaft der US-Regierung die
taktischen Atomwaffen zur Disposition zu stellen.
- Der schleppende Prozess der nuklearen Abrüstung, Gerüchte über die Stationierung oder
Verlagerung von taktischen Atomwaffen in Europa oder deren Einsatz im Zusammenhang
mit nuklearen „Präventivschlägen“ haben in der Öffentlichkeit immer wieder für Unruhe
gesorgt. Initiativen wie die der „Mayors for Peace“ plädieren für die „Aufnahme von
Verhandlungen, die zu einer umfassenden Abschaffung und Zerstörung von Atomwaffen
führen. Ebenso fordern wir die internationale Kontrolle von atomwaffenfähigen
Materialien, um einen heimlichen Bau von Atombomben zu verhindern“. Mehr als 1.150
Kommunen, darunter mehr als 180 deutsche Städte und Gemeinden, haben sich bislang
dem Appell der „Mayors for Peace“ angeschlossen. Sie sind Ausdruck dafür, dass das
Thema viele Menschen, auch auf kommunaler und Landesebene bewegt. Der Deutsche
Bundestag begrüßt die Entscheidung des Landtags in Rheinland-Pfalz, einen Abzug der
US-Atomwaffen zu unterstützen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf
-
an der Stärkung des Nichtweiterverbreitungsvertags, einschließlich der Verpflichtung zur
vollständigen nuklearen Abrüstung, weiterhin aktiv mitzuwirken
elektronische Vorab-Fassung*
- weiterhin mit Nachdruck für die Einrichtung eines Kernwaffenregisters, eine
Berichtspflicht im Rahmen der Überprüfungskonferenzen, eine Offenlegung der
Plutoniumbestände und sonstigen vertrauensbildenden und die Transparenz erhöhenden
Maßnahmen im nationalen wie internationalen Bereich einzutreten
- weiterhin Vorschläge zu unterbreiten bzw. zu unterstützen, die eine vollständige
Reduzierung und Vernichtung aller substrategischen Atomwaffen im Rahmen
überprüfbarer Abrüstungsvereinbarungen zum Ziel haben
- weiterhin und verstärkt an bi- und multilateralen Aktivitäten mitzuwirken, die die
Sicherung und Vernichtung von nuklearen Beständen, insbesondere in Russland, zum Ziel
haben
- bilateral und im Rahmen der EU und NATO darauf hin zu wirken,
-
dass in Umsetzung der vielfältigen Beschlüsse und Erklärungen die Rolle und die
Bedeutung von Atomwaffen weiter gesenkt werden
- die Nuklear-Strategie der NATO auch in den Punkten nukleare
Nichtangriffsgarantien gegen Nicht-Nuklearwaffenstaaten und Verzicht auf den
Ersteinsatz von Atomwaffen angepasst wird,
- dass auf die Weiterentwicklung von taktischen Atomwaffen und Mini-Nukes
verzichtet wird,
- dass die Atomwaffenbestände auch im Bündnis weiter reduziert werden
- weiterhin bilateral und gegenüber den Partnern in der EU und NATO zu bekräftigen, dass
die Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der veränderten Weltlage und der
Krise der nuklearen Nichtweiterverbreitung und Abrüstung bereit und Willens ist,
-
auf die Mitwirkung der Bundeswehr an der technisch-nuklearen Zusammenarbeit in
Friedens- wie in Kriegszeiten zu verzichten
- sich keine neuen nuklearfähigen Trägersysteme zu beschaffen
- die gegenwärtigen Jagdbomber-Verbände schnellstmöglich von der Nuklearrolle zu
befreien
- einen weiteren und vollständigen Abbau der US-amerikanischen Atomwaffen in
Europa mit Nachdruck zu fordern und zu unterstützen
- Initiativen für die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone aller Nicht-
Nuklearwaffenstaaten in Europa zu unterstützen
- den Deutschen Bundestag über die Umsetzung dieser Maßnahmen fortlaufend und in
geeigneter Weise zu unterrichten
Berlin, den 7. März 2006
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
* Wird nach Vorliegen der lektorierten Druckfassung durch diese ersetzt.
Quelle: Bundestagsdrucksachen; http://dip.bundestag.de
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