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Das Verbrechen, nicht zu töten

Berufungsgericht entscheidet: Britischer Afghanistankriegsverweigerer bleibt in Haft

Von Jürgen Heiser *

Joe Glenton muß weiter im Gefängnis bleiben. Der ehemalige britische Besatzungssoldat war am 5. März 2010 von einem Militärgericht wegen »unerlaubter Abwesenheit von der Truppe« zu einer neunmonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Er hatte sich geweigert, zu seiner Einheit nach Afghanistan zurückzukehren (jW berichtete). Ein Londoner Berufungsgericht unter Vorsitz des Lordoberrichters verwarf am Mittwoch Glentons Berufungsantrag und bestätigte das Urteil der Militärrichter. Das Berufungsgericht entschied, die Haftstrafe sei »weder exzessiv noch dem Grunde nach falsch«. Damit reagierte das Gericht auf das wesentliche Argument der Verteidigung, wonach das Urteil schon allein deshalb »dem Grunde nach falsch« sei und aufgehoben werden müsse, da ein Sachverständigengutachten bei ihrem Mandanten schon vor dem Prozeß posttraumatische Störungen nachgewiesen hatte.

Traumatisiert durch einen siebenmonatigen Einsatz in Afghanistan, hatte der aus York stammende Joe Glenton sich 2007 von seiner Einheit, dem Royal Logistic Corps, abgesetzt, weil er einem erneuten Gestellungsbefehl zum Kriegseinsatz in Afghanistan nicht Folge leisten wollte. Zwar stellte er sich im August 2009 freiwillig den Behörden, die Militärführung nahm es ihm aber außerordentliche übel, daß er seine Verweigerung zuvor im Oktober 2009 noch auf einer Antikriegskundgebung in London öffentlich gemacht und von Premierminister Gordon Brown gefordert hatte: »Unsere Sache in Afghanistan ist weder gerechtfertigt noch richtig. Ich bitte Sie inständig, Sir, holen Sie unsere Soldaten nach Hause!«Wie andere NATO-Kriegsparteien steht auch die britische Regierung unter starkem öffentlichen Druck, da nach der jüngsten repräsentativen Umfrage vom Frühjahr 71 Prozent der britischen Bevölkerung wollen, daß der Krieg sofort beendet und die britische Armee heimgeholt wird. Die Verantwortlichen ließen deshalb keine Gelegenheit aus, Glenton öffentlich als »Feigling« und »Nestbeschmutzer« hinzustellen.

Entsprechend harsch ist auch die Behandlung des 27jährigen Gefreiten während seiner bisherigen siebenwöchigen Haftzeit im Militärgefängnis Colchester in Essex. Wie das Londoner Payday Men’s Network mitteilte, sieht sich Glenton, »der als erster Soldat in Europa öffentlich den Kriegs­einsatz in Afghanistan verweigert hat«, deshalb zunehmenden Schikanen ausgesetzt. Bücher, die Unterstützer ihm in die Haft geschickt haben, wurden nicht ausgehändigt, seine Beschwerde von der Gefängnisleitung mit der Ankündigung eines Disziplinarverfahrens »wegen Beleidigung eines Bediensteten« beantwortet. Sein Verteidiger soll ihn dabei nicht vertreten dürfen. Nun droht dem Gefangenen Einzelhaft, weil er sich weigert, in verlauster schmutziger Bettwäsche zu schlafen. Vor allem aber, so das Payday-Netzwerk, werde seine posttraumatische Belastungsstörung trotz richterlicher Zusicherung von Anfang März weiterhin nicht behandelt. »Die Weigerung zu töten ist kein Verbrechen. Bringt die wahren Kriegsverbrecher vor Gericht, nicht Joe Glenton!« schließt Payday seinen Bericht.

* Aus: junge Welt, 24. April 2010

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