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Der "Bikini-Tag" und Hawaii

Pazifische Friedensbewegung gegen Militarisierung der Region

Von Hilmar König *

Während Washington am Wochenende entschieden hat, erstmals nach über 20 Jahren wieder einen neuen Atomsprengkopf zu entwickeln, erinnerte die Friedensbewegung im pazifischen Raum mit dem »Bikini-Tag« an den Abwurf einer mächtigen US-amerikanischen Wasserstoffbombe auf eine der Marshallinseln.

In einer Erklärung zum »Tag des atomwaffenfreien und unabhängigen Pazifik«, so die Langfassung des Gedenktages, verwies die neuseeländische Friedensbewegung Aotearoa auf das Desaster vom 1. März 1954, das die 15-Megatonnen-H-Bombe »Bravo« verursacht hat. Tausend Mal stärker als die Hiroshima-Bombe, verseuchte sie weite Gebiete des Stillen Ozeans radioaktiv und riss in das Bikini-Atoll einen 70 m tiefen und anderthalb Kilometer langen Krater. Der »Bravo« folgten noch 67 Kernwaffenversuche des Pentagon in diesem Gebiet. Den 1. März, so die Friedensaktivisten, müsse man zum Anlass nehmen, sich die »verschiedenen Gesichter der Kolonialisierung – physische, kulturelle, spirituelle, wirtschaftliche, nukleare, militärische – sowie die Probleme von Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Souveränität« zu vergegenwärtigen. Ihr Forderungskatalog enthält auch die Auflösung von Militärbasen im US-Bundesstaat Hawaii.

Wer mit dem Schiff in Hawaiis Hauptstadt Honolulu eintrifft, wird schon auf dem Wasser mit »militärischen Ehren« empfangen. Ein Boot der US-Küstenwache samt Schütze am Drücker des aufgepflanzten Maschinengewehres begleitet die Ankömmlinge in den Hafen – wo am Pier Hawaiianer mit Tanz und Gesang ein freundliches »Aloha« zelebrieren. Das US-amerikanische Militär besorgte 1893 den Sturz der letzten Hawaii-Königin Lili'uokalani, stand Pate bei der Installierung einer Marionetten-Regierung Washingtons und bei der folgenden Annexion, überwachte die Amerikanisierung der Inseln und sicherte schließlich 1959 auch ab, dass die Eingliederung Hawaiis als 50. Bundesstaat in die USA reibungslos verlief. 100 Jahre brauchte es, bis sich dann Präsident Bill Clinton für die Vergewaltigung des Völkerrechts, den »illegalen Sturz« der rechtmäßigen Regierung des unabhängigen Hawaii öffentlich entschuldigte.

Das Pentagon baute seine strategische Position im Nordpazifik über die Jahrzehnte ständig aus. Für viele Soldaten, die in den Irak-Krieg ziehen oder zu einem anderen Interventionseinsatz aufbrechen, ist Hawaii die letzte Station auf heimatlichem Territorium. Eliteeinheiten wie die »Stryker Combat Brigade« werden auf der Insel Oahu für Kriege in Übersee gedrillt. Auf der Großen Insel existiert das Pohakulea-Übungsgelände – das größte im gesamten Pazifikraum –, auf dem mit scharfer Munition geschossen wird und zu dem ein Bombodrom gehört. Das Gelände soll beträchtlich ausgebaut werden, um »die Sicherheit unserer Soldaten in Irak und Afghanistan« zu erhöhen, wie ein hawaiianischer Senator dieses Vorhaben begründete. Zum Bild gehört auch, dass gerade ein Prozess vor einem Militärgericht gegen einen aus Hawaii stammenden Leutnant läuft, der sich standhaft weigerte, in den illegalen Krieg gegen Irak gezwungen zu werden.

Für die seit den 1970er Jahren aktive Souveränitätsbewegung ist die Militarisierung nur ein Aspekt. Ihr Hauptanliegen ist, den Einheimischen zu Würde, Freiheit und Selbstbestimmung zu verhelfen. Noenoe Silva, Professorin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität von Hawaii, betonte unlängst, dass die Kolonisierung durch die USA zur Zersplitterung des Ackerlandes, zur Übernutzung der Wasserressourcen, zu Obdachlosigkeit, militärischer und kommerzieller Umweltverschmutzung, hohen Häftlingszahlen sowie zur Entweihung heiliger Stätten der Urbevölkerung führte. Die Urbevölkerung, das waren beim Eintreffen James Cooks im Jahre 1778 etwa 500 000 Menschen. 40 Jahre später hatte man sie durch eingeschleppte Krankheiten und Alkohol bereits auf 40 000 reduziert.

Heute stehen die hawaiianischen Souveränitätsaktivisten vor zwei Optionen: Integration mit den USA nach dem nicht gerade überzeugenden Modell der Indianer und Inuit oder Unabhängigkeit. Die nicht homogene Bewegung sucht noch nach dem richtigen Weg. Prof. Silva nannte als Minimalziel, den Hawaiianern »einen Platz zu geben, auf dem es ihnen möglich ist zu leben, wo die Umwelt wieder intakt ist und die Vorfahren respektiert werden«. In einer von P.K. Laenui, Präsident des Pazifik-Asien-Rates der indigenen Völker, angefertigten tiefgründigen Studie des Souveränitätsproblems wird auf Selbstbestimmung mit all ihren Aspekten (Selbstdefinierung, Selbstregierung, Territorialrechte, Sprache, Bräuche, Traditionen, Spiritualität) orientiert. Das Papier enthält auch Stufen für einen Entkolonialisierungsprozess.

Nach Laenuis Auffassung hat die Entwicklung in anderen Teilen der Welt den Glauben erschüttert, wer einmal Teil der USA geworden sei, könne sich nie wieder davon trennen. Daraus resultiert die Hoffnung vieler Souveränitätssympathisanten, dass Hawaii, als letzter Stern dem Sternenbanner hinzugefügt, auch als erster wieder verschwinden könnte. In einer Art Referendum »Native Hawaiian Vote« im Jahre 1996 bejahten 73,28 Prozent der Einheimischen die Frage, ob sie Delegierte wählen sollten, um eine eigene hawaiianische Regierung zu bilden.

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2007


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