Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zustimmung im Bundestag - Skepsis, Kritik und Ablehnung in der Gesellschaft:

Die Kongoentscheidung des Deutschen Bundestags - Erklärungen aus der Friedensbewegung, vom Bundeswehrverband und con caritativen Einrichtungen

Am Kongoeinsatz-Beschluss des Deutschen Bundestags vom 1. Juni 2006 gab es viel Skepsis und Kritik aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. So kamen Einwände nicht nur aus der Friedensbewegung, sondern auch von der "Gegenseite", dem Bundeswehrverband. Eher ablehnend denn zustimmend äußerten sich auch karitative Verbände. Im Folgenden dokumentieren wir - exemplarisch für weitere Stimmen aus der Öffentlichkeit:


Kongobeschluss des Bundestags eine Katastrophe

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel-Hamburg, 1. Juni 2006 – Anlässlich der Abstimmung im Deutschen Bundestags über die Führung einer EU-Kampftruppe durch die Bundeswehr unter Beteiligung von 780 Soldaten in der DR Kongo erklären die Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag Peter Strutynski (Kassel) und Lühr Henken (Hamburg):

Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat frühzeitig auf seine Ablehnungsgründe hingewiesen und die Bundestagsabgeordneten aufgefordert, dem Antrag der Bundesregierung nicht zuzustimmen. Er weiß sich damit im Einklang mit der Mehrheit der Bevölkerung. Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des STERN ergab Ende Mai, dass 57 Prozent der Bundesbürger gegen die Mission sind und lediglich 40 Prozent dafür. Im Bundestag dagegen stimmten heute 76 Prozent der anwesenden Abgeordneten für den Militäreinsatz. Wir stellen mit Befremden fest, wie weit sich die Mehrheit der Abgeordneten bereits vom Willen der Bevölkerung entfernt hat und wie die große Koalition den verderblichen Weg der Militarisierung der deutschen Außenpolitik unbeirrt fortsetzt.

Wir registrieren aber auch Zeichen der Hoffnung. Nie wurde im Bundestag ein Bundeswehreinsatz so kontrovers diskutiert wie dieser. Und erfreulicherweise hat die FDP-Fraktion – sonst wahrlich kein Hort des Pazifismus – fast einmütig ihre Zweifel am Sinn dieses Kongoeinsatzes zum Ausdruck gebracht.

Dagegen scheinen die Wortführer von Bündnis 90/Die Grünen noch nicht mitbekommen zu haben, dass sie inzwischen in der Opposition angekommen sind. Immer noch versuchen sie sich als bessere Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums hervorzutun. Einem Großteil der Grünen-Wähler wird das nicht sonderlich gefallen.

Warum hätte von der ganzen Opposition, und nicht nur von der Linken und der FDP, und warum hätte auch von noch mehr kritischen Abgeordneten aus den Reihen der Koalitionsfraktionen ein klares Nein zum Kongoeinsatz kommen müssen?

1) Weil der Einsatz als Probelauf für die im Aufbau befindlichen EU-Battle-Groups gilt:
Die Regierungschefs der EU haben im Dezember 2005 formell eine Afrikastrategie beschlossen, die sich offiziell den Aufbau und die Stabilisierung unseres großen Nachbarkontinents zum Ziel gesetzt hat. Sie behalten sich vor, dies Vorhaben auch militärisch abzustützen. Dem dient der Aufbau der "Battle Groups". Die Wahlen in der DR Kongo sind willkommener Anlass, diese militärischen Instrumente auszuprobieren und die Bevölkerungen der EU-Staaten an die Militarisierung der EU zu gewöhnen. Zur Absicherung der Wahlen werden sie nicht benötigt. Im für die Akzeptanz des Wahlergebnisses zentralen Nervenzentrum Kinshasa ist mit keinen bewaffneten Störern zu rechnen, da es außer der 10.000 bis 15.000 Elitesoldaten starken persönlichen Garde des haushohen Wahlfavoriten und derzeitigen Übergangspräsidenten Joseph Kabila keine bewaffneten Kräfte gibt, die einen Finger für ihre Warlords angesichts dieser Übermacht krümmen würden. Für die Aufrechterhaltung der Ordnung sind die kongolesischen Sicherheitskräfte und die MONUC zuständig. Eventuell notwendige Evakuierungen können von MONUC vorgenommen werden. Sie verfügt über ein landesweites Luftverkehrsnetz.

2) Weil es in Wirklichkeit um die Sicherung von Ressourcen geht:
Kabila, der in seiner kurzen Amtszeit den Ausverkauf kongolesischen Reichtums an Bodenschätzen an transnationale Minengesellschaften zur persönlichen Bereicherung so rasant vorangetrieben hat wie keiner seiner Vorgänger, ist der Mann Frankreichs und der USA und Garant für die Fortsetzung dieser Politik. Deutschland will in Zentralafrika Präsenz zeigen, um bereits vorhandene (Siemens) oder künftige wirtschaftliche Interessen besser vertreten zu können. Es ist dem CDU-Abgeordneten Eckart von Klaeden zu danken, dass er in der heutigen Debatte auf die Bedeutung des Kongo wegen des "Rohstoffreichtums" des Landes hingewiesen hat. Von den Wahlen selbst wird leider kein Impuls für die so wünschenswerte Prosperität der bitterarmen kongolesischen Bevölkerung ausgehen.

3) Und weil es um die irrationale Furcht vor Flüchtlingsströmen geht:
Bundesverteidigungsminister Jung hat in den letzten Wochen mehrfach darauf hingewiesen, dass eine militärische "Stabilisierung" der DR Kongo dazu diene, Flüchtlingsströme aus Afrika von Europas Grenzen abzuhalten. Da sei es gut, bereits "vor Ort" militärische Vorsorge zu treffen. Genauso argumentierte heute im Bundestag der SPD-Verteidigungsexperte Walter Kolbow, als er sagte: "Wir müssen vor Ort die Probleme angehen, bevor die Probleme zu uns kommen". Die übrigen Maßnahmen zum Küstenschutz und zur Kooperation mit Partnern à la Marokko und Mauretanien werden zur Zeit von der EU-Kommission getroffen.

Abschließend stellen wir fest:
  1. Der Kongoeinsatz ist überflüssig, was die offiziell vorgegebenen Gründe betrifft.
  2. Der Kongoeinsatz ist denjenigen willkommen, die eine stärkere geopolitische Rolle Deutschlands und der EU im weltweiten Kampf um Ressourcen wollen und sie auch militärisch erzwingen wollen.
  3. Mit dem Kongoeinsatz soll die Öffentlichkeit daran gewöhnt werden, dass Militär wieder zum "normalen" Mittel der Politik wird.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg
Peter Strutynski, Kassel


Militäreinsatz im Kongo - Frieden mit der Bundeswehr?

Frankfurt/Essen 01.06.2006

Die DFG-VK fordert 56 Mio. € Soforthilfe für eine umfassende Entwaffnung sowie die Konzeption eines langfristig angelegten zivilen Demilitarisierungs- und Entwicklungshilfeprogramms für die „Region der großen Seen“ und für den Kongo.

Zum Einsatz von knapp 800 bewaffneten Bundeswehrsoldaten, die zur „Sicherung des Wahlprozesses“ in der Demokratischen Republik Kongo (Kinshasa) eingesetzt werden sollen, wie es in den Veröffentlichungen der Bundesregierung heißt, erklärt der Politische Geschäftsführer der DFG-VK, Joachim Thommes: „Die Entsendung von Truppen in den Kongo ist ein Musterbeispiel eines von nationalen Interessen geleiteten, scheinbar humanitär und sicherheitspolitisch motivierten Einsatzes von Militär in einer sensiblen afrikanischen Kriegs- und Krisenregion. Was nicht nur der Kongo, sondern die gesamte Region der großen Seen wirklich bräuchte, wäre in einem ersten Schritt ein ganzheitlich und langfristig angelegtes Entwaffnungs- und Demilitarisierungsprogramm. Notwendig wäre auch der sofortige Stopp aller Rüstungsexporte in diese Krisenregion.“

Wenn die Bundesregierung wirklich Interesse an der Stabilisierung des Landes und der Stärkung einer zivilen und friedlichen Entwicklung im Kongo hat, muss sie andere als militärische Maßnahmen einleiten, um die Situation für die Bevölkerung in der Konfliktregion der großen Seen in Afrika zu verändern. Wie bereits der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) in seiner kürzlich veröffentlichten Stellungnahme zu Recht feststellt, ist „Entwicklungs-Engagement wichtiger als kurze Militäreinsätze“!

Offensichtliches Ziel der 56 Mio. € teueren militärischen Aktion sei die Sicherung von wirtschaftlichen Interessen in einer der rohstoffreichsten Regionen der Erde, analysiert denn auch der Informationsdienst German Foreign Policy. Auch der politisch unverdächtige und vor Ort im Kongo aktiv tätige EED stellt fest: „Auf lange Sicht könnten die Menschen die potentiell reiche Kongoregion selbst entwickeln - wenn es ihnen gelänge, sich vor der Plünderung ihrer Ressourcen zu schützen. … Europäische Politik und Wirtschaft sollten sich deshalb an den Bedürfnissen der Menschen und an langfristigen entwicklungspolitischen Zielen orientieren.“

Die DFG-VK intensiviert zur Zeit Kontakte zu Demilitarisierungsexperten und aus Afrika geflohenen Menschen. Ziel hierbei ist es, dem Anliegen der Betroffenen Gehör zu verschaffen und ihren Analysen und Forderungen ein stärkeres öffentliches Gewicht zu verleihen. U.a. forderten unsere Gesprächspartner - entgegen den naiven Vorstellungen der Bundesregierung - eine sofortige Entwaffnung und umfangreiche, langfristig Demilitarisierungsprogramme in dieser Krisenregion. Erst danach sind nicht nach ihrer Ansicht freie und unabhängige Wahlen möglich.

Kontakt:
Joachim Thommes, Politischer Geschäftsführer der DFG-VK


Sicherheit der Bevölkerung muss im Mittelpunkt stehen

Anlässlich der Bundestagsentscheidung über den geplanten Einsatz von Bundeswehrsoldaten appellieren Diakonie Katastrophenhilfe und „Brot für die Welt“ an die deutschen Politikerinnen und Politiker, das Konzept des geplanten Militäreinsatzes in einer Weise zu gestalten, die der Sicherheit der Bevölkerung bei den Wahlen wirklich nutzt und sie auch nach Abzug der Truppen gewährleisten hilft. „Unsere Partner wünschen ausdrücklich ein vielfältiges Engagement der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Sie begrüßen eine zusätzliche Absicherung der für 30. Juli geplanten Wahlen“, erklärt Hannelore Moll, Leiterin der Projektabteilung von „Brot für die Welt“.

In einem gemeinsamen Positionspapier äußern die beiden Hilfswerke die Befürchtung, dass das Augenmerk zu sehr auf den Militäreinsatz gerichtet ist. Die Debatte um diesen Einsatz müsse um die Diskussion, die sich intensiv mit dem politischen Gesamtprozess zur Stabilisierung des Friedens und zum Wiederaufbau befasst, erweitert werden.

Es gelte, alle politischen Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um Hindernisse bei der friedlichen Entwicklung im Kongo zu beseitigen. Die Wiedereingliederung der Milizen in die Zivilgesellschaft und die Rückkehr von Vertriebenen müssten stärker als bislang unterstützt werden.

„Unsere Partner wünschen ausdrücklich ein vielfältiges Engagement der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Sie begrüßen eine zusätzliche Absicherung der für 30. Juli geplanten Wahlen“, erklärt die Direktorin der evangelischen Hilfsorganisationen, Cornelia Füllkrug-Weitzel, in einem Positionspapier. „Wir sind jedoch besorgt über die verengte Diskussion um den Militäreinsatz, die den Blick auf wichtige Schritte des politischen Gesamtprozesses zur Stabilisierung des Friedens und zum Wiederaufbau einschränkt.“

Handlungsspielräume wurden bisher nicht genutzt

Die politischen Handlungsspielräume der Europäischen Union und der Bundesregierung seien bereits in der Vergangenheit nicht genutzt worden, kritisierte Füllkrug-Weitzel in dem Papier. „Das veranlasst uns zu der Sorge, dies könne auch in Zukunft nicht geschehen.“ So seien etwa Verstöße aus der Region gegen eine UN-Resolution, die den Waffenschmuggel unterbinden soll, nicht konsequent geahndet worden. Auch das Vorgehen gegen die illegale Ausbeutung der Rohstoffe sei „halbherzig“ gewesen.

Appell an deutsche Politikerinnen und Politiker

An die deutschen Politikerinnen und Politiker appellierte Füllkrug-Weitzel, das Konzept des geplanten Militäreinsatzes in einer Weise zu gestalten, die der Sicherheit der Bevölkerung bei den Wahlen wirklich nutzt und sie auch nach Abzug der Truppen gewährleisten hilft. Es gelte, alle politischen Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um Hindernisse bei der friedlichen Entwicklung im Kongo zu beseitigen. Die Wiedereingliederung von Milizen in die Zivilgesellschaft und die Rückkehr von Vertriebenen müssten stärker als bislang unterstützt werden.

Darüber hinaus seien dringend Überlegungen erforderlich, wie die internationale Begleitung der kongolesischen Politik künftig gewährleistet werden dann. Nach der Wahl wird das bisher für die Begleitung des Demokratisierungsprozesses zuständige Gremium CIAT (Le Comité international d’accompagnement de la transition) seine Arbeit einstellen.

Langjährige Partner

Die Diakonie Katastrophenhilfe und „Brot für die Welt“ und die Diakonie Katastrophenhilfe unterstützen seit Jahren vielfältige Hilfs- und Entwicklungsprogramme von Partnerorganisationen im Kongo, mit denen diese unter schwierigsten Bedingungen humanitäre und soziale Grundsicherung, wirtschaftlichen Wiederaufbau und demokratische Entwicklung fördern.

zuletzt aktualisiert: 01.06.2006

Hier geht es zum Gemeinsamen Positionspapier von "Brot für die Welt" und Diakonie


BundeswehrVerband kritisiert Kongo-Beschluss / Gertz: Sinnhaftigkeit der Mission nicht erkennbar

01.06.2006 - 15:02 Uhr

Berlin (ots) - Auch nach dem Bundestagsbeschluss zur Entsendung von rund 780 deutschen Soldaten in den Kongo ist für den Deutschen BundeswehrVerband die Sinnhaftigkeit des risikoreichen Einsatzes nicht erkennbar. "In einem Land von der Größe Westeuropas mit 6000 Wahllokalen ist die Präsenz von 300 Bundeswehrsoldaten in einer Acht-Millionen-Stadt kein glaubwürdiger Beitrag zur Stabilisierung", sagte Bundesvorsitzender Oberst Bernhard Gertz. Der Kongo sei zwar der Schlüssel zur Stabilisierung Afrikas. "Aber er verdient eine Mission, die konzeptionell schlüssig sowie nachhaltig und nicht nur sporadisch und sektoral wirksam ist." Andernfalls stelle das zentralafrikanische Land lediglich eine politische Showbühne dar. "Denn ein Wahlgang macht aus dem Milliardär Kabila noch keinen Demokraten. Skepsis ist also angebracht mit Blick auf die Entwicklung des Landes nach dem Abzug der EU-Truppen." Viele Bundeswehrsoldaten teilten diese Skepsis. "Ihnen hat noch niemand überzeugend vermitteln können, dass ihr Einsatz tatsächlich ein wirkungsvoller Beitrag für die politische Modernisierung des Kongo ist."

Die Mittel, die die europäischen Teilnehmerländer aufwendeten, könnten effektiver eingesetzt werden. "Schätzungen zufolge kostet der Militäreinsatz mindestens 180 Millionen Euro. Dieses Geld könnte auch in konkrete zivile Aufbau- und Hilfsprojekte gesteckt werden", sagte Gertz.


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