Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

EU- und deutscher Militäreinsatz in der DR Kongo:

Glaubwürdige Hilfe für Demokratie, Sicherheit und Entwicklung oder geostrategisches Planspiel der EU?

Gemeinsames Positionspapier von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe

"Ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass in unserem Kreis keine Eingeborenen [aus dem Kongo ] vertreten sind, und dass die Beschlüsse der Konferenz dennoch von größter Wichtigkeit für sie sein werden" [1].

I. Die Ausgangssituation: ein zerrissenes Land an der Schwelle zur Staatlichkeit

Seit 1998 hat der Bürgerkrieg direkt oder indirekt 3,5 Millionen Opfer verursacht und mehr als 4 Millionen zur Flucht gezwungen. Neben den direkten Opfern der Gewalt leidet die Bevölkerung unter dem Niedergang der Wirtschaft: In der DR Kongo sind laut FAO 72% der Gesamtbevölkerung unterernährt. Das ist, nach Eritrea (73%), die zweithöchste Hungerquote der Welt. Jedes fünfte Kind überlebt die ersten 5 Jahre seines Lebens nicht. Nur jedes zweite Kind geht überhaupt zur Schule. Bei steigender Bevölkerungszahl sinkt die Produktion praktisch aller landwirtschaftlicher Produkte seit Jahren.

Auch nach der Einsetzung der Allparteienregierung 2003 sind politische Kontrolle und Ressourcen des riesigen und unwegsamen Landes unter konkurrierenden Bürgerkriegsparteien, Armeen und Milizen aufgeteilt geblieben, einige offensichtlich mit Unterstützung aus Nachbarländern wie Uganda und Ruanda. Im Osten und Süden kommt es immer wieder zu Kämpfen und Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Selbst die seit 2000 dort stationierten UNTruppen, mit 650 Mio. USD Kosten/Jahr die weltweit größte UN-Mission, sind nur beschränkt in der Lage gewesen, Sicherheit und Ordnung zu garantieren. Von den 17.000 Blauhelmen sind 15.000 in den Krisenprovinzen im Osten des Landes stationiert und gebunden. Trotz dieser von schwersten und massenhaften Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Kämpfen gekennzeichneten Lage, sind seit 2002 deutliche Fortschritte zu verzeichnen: Verfassung, Wahlgesetz, Wiederaufnahme der Verkehrsverbindungen des einst geteilten Landes, Verhaftung einiger Milizenführer, Entwaffnung und Auflösung zahlreicher Milizen, formale Schaffung der gemeinsamen Armee FARDC, Wahl- und Nationalitätengesetz, Registrierung der Wähler und Wählerinnen unter schwierigsten Bedingungen.

Die fehlende demokratische Legitimation der 2002 ausgehandelten Übergangsregierung ist der zentrale Ausgangspunkt, über 100 Jahre europäischer Interessenpolitik, die äußerst komplexe Konfliktlage in der DR Kongo und der Region der Großen Seen Afrikas der Hintergrund der Debatte. Eine weitere Verschiebung der ersten demokratischen Wahlen seit 45 Jahren würde von der Bevölkerung nicht hingenommen werden. Die Wahlen sind zwar nicht hinreichender, aber notwendiger Teil eines Gesamtprozesses der Stabilisierung und Entwicklung. Gleichzeitig sind die Wahlen aber auch die „Achillesferse“ des Friedensprozesses: scheitern sie, ist die durchaus positive Entwicklung der letzten Jahre möglicherweise umsonst gewesen, die Weichen könnten dann erneut auf Krieg gestellt sein. Erklärtes Ziel der Wahlen ist die Ablösung der Übergangsregierung durch eine demokratisch legitimierte Regierung. Auf Bitte der UN und mit Einverständnis des kongolesischen Übergangspräsidenten Kabila wird die EU unter militärischer Führung Deutschlands 1700 Soldaten, darunter 780 deutsche, zur Sicherung der im Juli 2006 anstehenden Wahlen in die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) entsenden. Mit einer zeitlich beschränkten Präsenz in der Hauptstadt Kinshasa soll ein friedlicher Wahlverlauf unterstützt und eventuelle Putschversuche der Wahlverlierer abgeschreckt werden. Im unausgesprochenen Notfall will man zumindest die militärische Evakuierung europäischer Bürger garantieren können..

II. Verantwortung und Interessen Europas

Die EU und einige ihrer Mitgliedsstaaten haben die DR Kongo inzwischen zu einem strategischen Schwerpunkt ihrer neuen kohärenten Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik in Afrika erklärt. Neben dem geplanten militärischen Engagement wurden bisher 300 Mio. Euro für die Unterstützung der Wahlen gegeben. Außerdem sollen über einen EU-Aktionsplan bis zu 650 Mio. Euro als humanitäre, Wiederaufbau- und Entwicklungshilfe in das Land fließen. Der potentielle Reichtum des Landes durch riesige Bodenschätze an Gold, Diamanten, Coltan, Mangan, Zinn, Kupfer und Kobalt spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Infolge der verschärften Rohstoffnachfrage hat die wirtschaftlich strategische Bedeutung des Kongos zugenommen.

Mit dem Friedensabkommen von Pretoria (2002) wurde CIAT ins Leben gerufen, ein internationales Komitee zur Begleitung des kongolesischen Übergangsprozesses, dem England, USA, Frankreich, China, Russland, Südafrika, Sambia, Gabun, Belgien, Kanada, EU und AU angehören. Damit hat die EU Verantwortung auch dafür übernommen, dass die Menschen ohne Angst und in Sicherheit wählen können. Die Regierungen der EU sind auch gegenüber ihren Steuerzahlern in der Verantwortung, dass mehrere hundert Millionen Euro an Investitionen in die Entwicklung des Kongo nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

III. Unsere Beurteilung des geplanten Militäreinsatzes

Als kirchliche, zivile Hilfswerke unterstützen Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe vielfältige Hilfs- und Entwicklungsprogramme von Partnerorganisationen im Land, mit denen diese unter schwierigsten Bedingungen humanitäre und soziale Grundsicherung, wirtschaftlichen Wiederaufbau und friedliche demokratische Entwicklung fördern. Unsere Partner wünschen ausdrücklich ein vielfältiges Engagement der EU und deren Mitgliedsstaaten. – inklusive, sofern notwendig und zweckentsprechend, ihres Engagements für Frieden sichernde Einsätze von Truppen. Als solcher Zweck wird eine zusätzliche Absicherung der Wahlen von der Mehrheit der Brot-Partner grundsätzlich begrüßt. Wir gehen von der Priorität ziviler Maßnahmen aus und sind uns mit unseren Partnern einig, dass Voraussetzung eines internationalen Truppeneinsatzes zur Absicherung der Wahl oder zur Friedenssicherung – neben der (gegebenen) völkerrechtlichen Legitimation und einer (fragwürdigen) Kosten-Nutzen- Kalkulation – eine erfolgversprechende, zielführende Planung benötigt wird. Die Einbettung der Maßnahmen des Militärs in einen umfassenden und mittel- bis langfristigen zivilen Maßnahmenplan zur Stabilisierung des Friedens und der Demokratie in der DR Kongo muss leitendes Prinzip sein. Nur als komplementäres Instrument, das nur in sorgfältig ausgewählten Ausnahmesituationen eingesetzt wird, kann ein friedenssichernder Einsatz überhaupt den erhofften Erfolg einer Stabilisierung erreichen. Hier sehen wir erhebliche Defizite und sind besorgt über die verengte Diskussion um den Militäreinsatz, die den Blick auf wichtige politische Schritte des Gesamtprozesses verstellt.

a) Zu enger Focus: Sowohl die zivile Unterstützung der Wahl, als auch der EU Militäreinsatz zur Wahl, ist ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtverantwortung der internationalen Gemeinschaft, den Kongo nachhaltig und umfassend zu fördern. Die politischen Handlungsoptionen der EU und der Bundesregierung wurden in der Vergangenheit nicht genutzt, was uns zur Sorge veranlasst, dies könne auch in Zukunft nicht geschehen. So wurden Verstöße der Regierungen in Kinshasa und in den Nachbarländern gegen die Resolution 1596 des UNSicherheitsrates (u.a. sie sieht u.a. Überwachung des Flugverkehrs zur Verhinderung des Waffenschmuggels vor) nicht konsequent geahndet. Auf Verletzung der territorialen Integrität der DR Kongo und Störung des Friedensprozesses durch Nachbarländer (insbesondere wäre hier Ruanda zu nennen) wurde meist halbherzig reagiert. Ebenso halbherzig war das Vorgehen gegen die illegale Ausbeutung der Bodenschätze. Dabei lag mit der Untersuchung der UN vom Jahr 2002 über die Praxis der Rohstoffausbeutung in der DR Kongo eine solide und detaillierte Basis vor sein. Sie fordert das Einfrieren von Geldern auf europäischen Konten und nennt die beteiligten westlichen Firmen beim Namen. Konsequenzen daraus wurden von den EU Regierungen nicht gezogen. Weiterhin ist das Fehlen eines Gesamtkonzepts zu beklagen, das in die Zukunft weist und das Gelingen der Wahl als einen Baustein in den Gesamtprozess stellt. Auch über die Zukunft des CIAT nach offiziellem Abschluss der Übergangsphase gibt es allenfalls vage Überlegungen.

b) MONUC zu schwach, EU am falschen Platz: Die UN Friedenstruppe MONUC ist seit Jahren chronisch unterfinanziert und schon im Ansatz zu klein gedacht. Mit etwa 13% des Truppenkontingents im Vergleich zum Irak soll sie ein Land „befrieden“, das ungleich größer, bevölkerungsreicher und logistisch schwieriger ist als dieser. Der Forderung von UN Generalsekretär Kofi Annan nach 25.000 Soldaten wurde nie entsprochen. Nur mühsam wurde die Truppenstärke von Anfangs 5.000 auf heute knapp 17.000 erhöht. Unabhängige Schätzungen beziffern den Bedarf auf mindestens 100.000 fest stationierte Soldaten. Die Frage stellt sich, warum hier von Seiten der EU-Staaten bisher ungenügende Unterstützung erfolgte und daneben ein eigener Einsatz geplant wird.

Die geplante Stationierung eines Großteils der EU-Truppe außerhalb des Landes kann nicht zur Förderung eines Klimas der Sicherheit in Kinshasa beitragen, noch kann es in den Straßen Kinshasas abschreckende Wirkung auf Milizen entfalten.

c) Fragwürdige Glaubwürdigkeit: Auch wenn Belgien als ehemalige Kolonialmacht des Kongo nicht an der Truppe beteiligt sein wird, wirft ein separates Auftreten alter Kolonialmächte unter eigener Flagge Fragen auf. Warum hat sich die EU nicht stattdessen stärker unter UN Führung engagiert? Ist der Grund für den eigenen Auftritt außenpolitische Profilierung und geostrategisches Interesse? Eine Stationierung am Flughafen schürt unter Kongolesen die Befürchtung, es gehe vor allem um die Evakuierung von Europäern, was als Ausdruck dafür gewertet wird, dass die EU eine nicht kontrollierbare Eskalation erwartet. All dies untergräbt die Glaubwürdigkeit Europas, im besten Interesse der DR Kongo zu handeln.

IV. Von den damit befassten Politikerinnen und Politikern in Deutschland erwarten die Diakonie Katastrophenhilfe und Brot für die Welt:
  • dass sie das Konzept und den Umfang des geplanten Militäreinsatzes in einer Weise gestalten, die der Sicherheit der Bevölkerung wirklich nutzt und die Glaubwürdigkeit der EU nicht untergräbt.
  • dass sie alle politischen Handlungsmöglichkeiten nutzen, um die Regierungen in Kinshasa und den Nachbarländern zu verpflichten, sich den einschlägigen UN Resolutionen, insbesondere der Resolution 1596 zu beugen, um den illegalen Waffenhandel in die DR Kongo zu unterbinden.
  • dass sie Unternehmen zur Verantwortung ziehen, die an der illegalen Ausbeutung der Bodenschätze beteiligt sind oder waren. Oftmals mag ihnen strafrechtlich nichts vorzuwerfen sein. Dennoch, den OECD-Richtlinien für Unternehmensverantwortung muss hier Geltung verschafft werden. Langfristig ist die Anerkennung der UN-Normen zu Unternehmensverantwortung als geltendes internationales Recht anzustreben.
  • dass sie die notwendigen Mittel und politischen Vorraussetzungen bereitstellen, damit die UN-Mission MONUC Frieden und Sicherheit im ganzen Land mittelfristig absichern können.
  • dass sie ihre Handlungsmöglichkeiten nutzen, um eine Weiterarbeit der internationalen politischen Begleitung in geeigneter Form zu gewährleisten, da mit dem Ende der kongolesischen Transition definitionsgemäß das Mandat des CIAT entfällt und bisher kein Ersatz existiert, um die Einhaltung nationaler und internationaler politischer Verabredungen zu Frieden, Demokratisierung und Menschenrechtsschutz und die Vollendung des Wahlzyklus zu überprüfen und zu begleiten – bei grundsätzlicher Achtung der Souveränität der neuen Regierung.
  • dass sie den Einfluss der EU nutzen, um die Bildung einer nationalen Armee und Polizei, die allein der Verfassung des Landes verpflichtet ist, voranzutreiben. Neben der bereits länger angelaufenen finanziellen Unterstützung und Ausbildung ist der politische Wille der Regierung in Kinshasa hier entscheidend.
  • dass sie dafür sorgen, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden. Wir begrüßen ausdrücklich die Überstellung des Milizenführers Thomas Lubanga an den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Wir sind uns im klaren darüber, dass dieses Ziel sorgfältig ausbalanciert werden muss mit den Bemühungen um eine Integration der Armee und der Fortführung des Friedensprozesses. Der Aufbau eines Rechtssystems, einer unabhängigen Justiz, in der DR Kongo bedarf in diesem Zusammenhang dringend der Unterstützung.
  • dass sie die Wiedereingliederung von Angehörigen der Milizen in die Zivilgesellschaft und die Rückkehr von Vertriebenen unterstützen. Hierzu zählen nicht nur die Förderung alternativer Einkommensmöglichkeiten. Der mäßige Erfolg der bisherigen DDRR(R)- Programme in der DR Kongo zeigt, dass es weiterer Anstrengungen bedarf, um insbesondere auch die Integrierungsfähigkeit der betroffenen Gemeinschaften zu erhöhen.
  • dass sie Ihre Unterstützung für mittelfristige Nothilfe und langfristige Entwicklungsprogramme verstärken, mit denen Armut bekämpft, die Ernährungssicherheit wiederhergestellt und die Infrastruktur des Landes wieder aufgebaut und Traumata aufgearbeitet werden.
  • dass sie den notwendigen Druck auf die (zukünftige) Regierung in Kinshasa ausüben, damit diese entschiedene Schritte zur Bekämpfung der grassierenden Korruption unternimmt.
  • Eines der zentralen Probleme der Region sind die ruandischen FDLR-Milizen, die sich auch zwölf Jahre nach dem Genozid in Ruanda noch in kongolesischen Wäldern versteckt halten, die lokale Bevölkerung terrorisieren, und zumindest zum Teil nach „Rache an den Tutsi“ in Ruanda trachten. Eine Erklärung vom März 2005, sich den ruandischen Behörden stellen zu wollen, blieb ohne Umsetzung. Wir erwarten von den politisch Verantwortlichen in unserem Land, dass sie sich dafür einsetzen, dass neue diplomatische Bemühungen unternommen werden, um wieder Bewegung die festgefahrene Situation zu bringen.
  • Sehen Sie ihr Planen und Handeln im größeren Kontext: Der Kongo steht stellvertretend für viele Länder Afrikas, denen nur durch massive, langfristig angelegte Investitionen in Bildung und Gesundheit, in politische und wirtschaftliche Systeme sowie in die Infrastruktur geholfen werden kann.
Anmerkung
  1. Aus der Eröffnungsrede des britischen Botschafters Sir Edward Malet auf der Berliner Kongokonferenz 1885, auf der von den europäischen Staaten die damalige Kolonie Kongo geschaffen und als Privatbesitz an den belgischen König vergeben wurde.
Im Mai 2006


Zurück zur Kongo-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Entwicklungspolitik"

Zurück zur Homepage