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Dritter Griff nach Weltmacht?

Warum deutsche Interessen auch am Kaukasus verteidigt werden sollen

Von Harri Czepuck *

Menschen mit einigermaßen humanistischer Bildung, wie sie früher auch vermittelt wurde, staunen immer wieder, dass ein Land im Kaukasus wie Georgien in die EU soll, um so von Westeuropäern gegen imaginäre Feinde geschützt zu werden. Georgien ist ein asiatisches Land, wobei überhaupt nichts gegen asiatische Länder einzuwenden ist, vor allem, weil ihre Kultur sehr viel älter ist als die europäische oder die der USA, die den Kaukasus gar an den Nordatlantik (NATO) verlegen wollen. Warum also europäisches Gerangel in diesen asiatischen Weiten? Klar: Die aktuellen Kriege, die USA, NATO und EU manchmal in gemeinsamem Interesse, oft aber in ureigenem Interesse einzelner Mächte mit kolonialistischem Hintergrund in Nah-, Mittel- oder Fernost führen oder vorbereiten, lassen die europäischen Kriegsmächte vergessen, wo Europa aufhört und Asien beginnt. Das blickt auf eine ziemlich lange Tradition zurück und hat keineswegs etwas mit dem »Kampf gegen den Terrorismus und für Freiheit« und Demokratie zu tun.

Das deutsche militärische Engagement begann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Das Deutsche Reich wagte den ersten Griff nach der Weltmacht, der dann in den Ersten Weltkrieg führte. Stichworte: Bagdadbahn, Intervention in China, Balkankriege. Schon damals träumten die Alldeutschen und Mitteleuropapolitiker von jener Erweiterung des von Deutschland angeführten Mitteleuropa-Raumes über die Ukraine und über den Balkan nach Nahost und schließlich über Mesopotamien nach Indien. Zwar ging dieser Krieg verloren, das Großmachtstreben als weiterhin latente Kriegszielpolitik wurde aber deshalb keineswegs ad acta gelegt. Die Wirren nach der Oktoberrevolution und die Interventionspolitik der Großmächte gegen das revolutionäre Russland ließen deutsche Hoffnungen wachsen, wenigstens im Osten noch die Ziele zu erreichen, die man sich gestellt hatte. Der westdeutsche Historiker Fritz Fischer wies das in seinem 1961 erschienenen Buch »Griff nach der Weltmacht« eindrucksvoll nach.

Der deutsche Generalstab als ein ausführendes Organ deutscher Wirtschaftsverbände hatte nach dem Frieden von Brest-Litowsk den Einmarsch in die Ukraine begonnen. Am 1. März 1918 wurde Kiew besetzt. Deutsches Militär marschierte weiter in Richtung Krim und auf einer zweiten Route über das Kubangebiet in Richtung Kaukasus. Fischer zitiert den Chef des Österreichischen Armeeoberkommandos, Arthur Freiherr von Arz: »Die Deutschen verfolgen in der Ukraine ein bestimmtes wirtschaftlich-politisches Ziel. Sie wollen … den sichersten Weg nach Mesopotamien und Arabien, nach Baku und Persien, den ihnen der Einmarsch in die Ukraine in die Hand gespielt hat, für immer in der Hand behalten.«

Wieso nun Georgien bei der Erweiterung nah- und mittelöstlicher Territorien im Fokus stand, hängt auch mit dem Einfluss christlicher Kirchen und einer dortigen deutschen Siedlerkolonie zusammen, die gewissermassen als »fünfte Kolonne« nützlich war. Die Verhandlungen mit den damals führenden Köpfen transkaukasischer Staaten wie Georgien führte eine Zeit lang der bayerische General Lossow, der nach einem Gespräch mit Akaki Iwanowitsch Tschenkelli, einem georgischen Menschewiki, am 15. Mai 1918 seinem Vorgesetzten Ludendorf zunächst berichtete, »dass Georgien sich im Eventualfall mit der Bitte um Eingliederung im deutschen Reichsverband an die deutsche Regierung wenden würde«. Am 23. Mai 1918 proklamierte Georgien seine Unabhängigkeit und bat Deutschland, das Protektorat über das Land zu übernehmen. Dies scheiterte an den türkischen Ansprüchen und Einwänden, doch es gelang Lossow, mit Georgien Sonderverträge abzuschließen.

In diesem Kontext steht auch der zweite deutsche Griff nach der Weltmacht. Hitler versuchte bekanntlich nach dem Überfall auf die Sowjetunion und der ersten Niederlage vor Moskau die Offensive in den Süden Richtung Kaukasus zu verlegen, die zunächst auf den Bahnen verlief, die Lossow und Ludendorff schon einmal probiert hatten. Am Wegesrand lagen die Weizenfelder und Stahlwerke der Ukraine und etwas weiter das Erdöl.

Im Lichte dieser beiden letztlich gescheiterten militärischen Offensiven des deutschen Imperialismus in Richtung Kaukasus und Mittlerer Osten muss man die als »Aufbauhilfe« getarnte abenteuerliche Kriegspolitik im Kaukasus und am Hindukusch kritischer betrachten als es bisweilen geschieht. Zeichnet sich hier ein dritter Griff nach Weltmacht ab?

* Aus: Neues Deutschland, 11. Oktober 2008


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