Ein bewohntes Dorf zerstört
Israel: 1500 Polizisten vernichten Lebensgrundlage von 300 palästinensischen Beduinen
Von Karin Leukefeld *
Rund 1500 israelische Polizeibeamte haben am Dienstag (27. Juli) ein
Dorf von palästinensischen Beduinen in der Negev-Wüste zerstört. Ein
Sprecher der israelischen Polizei sagte, es habe sich um eine »illegale
Siedlung« gehandelt, die nach einer Gerichtsentscheidung (aus dem Jahr
1999) zerstört worden sei.
Nach Augenzeugenberichten israelischer Menschenrechtsaktivisten hatten
die Polizisten vor Morgengrauen die 40 Häuser des Ortes umstellt. Mit
Helmen und Schildern, Handfeuerwaffen, Blend- und Betäubungsgranaten
bewaffnet, schützten sie die Abrißarbeiten, die aus Hubschraubern
überwacht wurden. Die Aktivisten, die von den bedrängten Beduinen
telefonisch zu Hilfe gerufen worden waren, mußten dem Geschehen
ohnmächtig zusehen. Die Polizei verstaute die Habseligkeiten der
Bewohner in Containern, dann zerstörten fünf Bulldozer Häuser und
Schafställe. Ebenfalls zerstört wurden Obstplantagen, Gärten und
Olivenhaine, die die Bewohner von Al-Arakib angelegt hatten. 300
Personen, mehr als die Hälfte Kinder, wurden obdachlos. »Sie haben
unsere Häuser zerstört, unsere Bäume entwurzelt, unsere Generatoren,
Autos und Traktoren genommen«, beschrieb der Dorfvorsteher, Scheich
Siyah al-Turi, gegenüber Journalisten das Geschehen. »Nichts ist
geblieben, als wären wir nie hier gewesen.« Ibrahim al-Waqili vom
Regionalrat der nicht anerkannten Dörfer sprach von einem »gefährlichen
Präzedenzfall« und einer ernsten Bedrohung für 45 weitere Dörfer, die
von Israel als »illegal« bezeichnet werden.
Im Widerspruch zu den Polizeiangaben wies das Forum für Zusammenleben im
Negev und bürgerliche Gleichheit (Negev Coexistence Forum for Civil
Equality) darauf hin, daß ein Rechtsstreit über die Eigentumsrechte
juristisch nicht entschieden sei. Die Einwohner von Al-Arakib seien
»keine Besetzer oder Eindringlinge, ihr Dorf gab es schon lange, bevor
Israel 1948 gegründet wurde«, hieß es in einer Erklärung. Israel habe
die Dorfbewohner erstmals 1951 vertrieben, danach seien sie
zurückgekehrt, um ihr Land weiter zu bebauen. Al-Arakib sei Plänen des
Jüdischen Nationalfonds im Wege, der auf dem Gebiet einen Wald pflanzen
will, so das Negev-Forum weiter, das die Zerstörung als »kriminell« und
einen »kriegerischen Akt« bezeichnete. »Die Beduinen sind Bürger Israels
und keine Feinde«.
Israel erkennt die Ansprüche der Beduinen nicht an, erteilt ihnen keine
Baugenehmigungen und will sie statt dessen in sieben Sammelstädten
unterbringen, was von den Beduinen abgelehnt wird. Der Rechtsstreit um
die Landrechte von Al-Arakib wird vor dem Bezirksgericht in Beer Sheva
verhandelt, wo Wissenschaftler bereits bestätigten, daß die Beduinen als
Eigentümer des Grund und Bodens anzusehen seien, auf dem das Dorf liegt.
Am Tag vor der Zerstörung von Al-Arakib hatte der israelische
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu davor gewarnt, daß »einige
(Gruppen) innerhalb Israels nationale Rechte für sich beanspruchen
könnten, zum Beispiel im Negev, falls dort die jüdische Bevölkerung
nicht in der Mehrheit« sei. Israel will in diesem Jahr die Zerstörungen
von Dörfern in der Negev-Wüste verdreifachen, das Gebiet zur
militärischen Sperrzone erklären und 14 neue Siedlungen bauen.
Während des Krieges 1948 flohen mehr als 80 Prozent der
palästinensischen Beduinen in die angrenzenden Staaten. Einige Familien
zogen in den Gazastreifen, andere in den (ägyptischen) Sinai. Heute gibt
es etwa 160000 Beduinen im Negev unter israelischer Militärverwaltung,
wo sie zumeist ohne Strom, ohne Wasser und ohne Zugang zu öffentlichen
Diensten in ärmlichsten Verhältnissen leben.
* Aus: junge Welt, 29. Juli 2010
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