Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Beduinen Israels – eine vergessene Minderheit

Von Kathrin Köller*

Das allgemeine Interesse am Konflikt in Palästina richtet sich hauptsächlich auf die Situation in den besetzten Gebieten und der diesbezüglichen Politik Israels.
Weniger Beachtung findet die Lage derjenigen Palästinenser, die als israelische Staatsbürger auf israelischem Territorium leben. Auch sie haben zu kämpfen: gegen die Diskriminierung und für die Anerkennung ihrer Rechte seitens Israels.



Nahezu unbeachtet von nationaler wie internationaler Seite sind die Beduinen, die mit blauem Paß auf israelischem Staatsgebiet in Galiläa im Norden und hauptsächlich im Süden in der Wüste Naqab (hebr.: Negev) leben. Die Folgen ihrer Zwangsseßhaftmachung nach der Staatsgründung 1948, ihrer Umsiedlung und vor allem auch ihre aktuellen Probleme mit und in Israel finden weit seltener den Weg zu der breiteren Öffentlichkeit.(1)

Dies bestätigte sich auch während des Abzugs der Siedler aus dem Gazastreifen: Die internationale Gemeinschaft verfolgte mit Argusaugen das Geschehen im Gaza-Streifen und diskutierte mögliche Folgen für die Westbank. Die potentiellen Auswirkungen des ‚Disengagements’ auf die Beduinen fanden jedoch weder national noch international Beachtung. Kaum jemand ging der Frage nach, wo und auf wessen Land die Gaza-Siedler sich niederlassen würden. Dabei hatte Israels Regierung bereits lange im Vorfeld die nötigen rechtlichen Möglichkeiten geschaffen, um einen Teil der Siedler auf beduinischem Land im Negev anzusiedeln. Zudem hatte der israelische Vizepremierminister Peres in einem Treffen mit Vertretern der US-Regierung um mehrere Millionen Dollar zur Finanzierung eines mehrjährigen Entwicklungsprojekts für das Gebiet des Negev gebeten.

Aneignung des Landes im Negev

Doch erfahrungsgemäß wird finanzielle Hilfe nicht etwa zur Verbesserung der Zustände in den dortigen beduinischen Dörfern und Städten genutzt, sondern vielmehr zur Erweiterung bereits bestehender jüdischer Siedlungen verwendet. Weiter werden den jüdischen Siedlern, die sich in der Wüste niederlassen wollen, Finanzzuschüsse, Vergütungen und Land in Aussicht gestellt. Dies macht den Weg frei für eine mögliche Ansiedlung eines Teils der Gaza-Siedler auf dem traditionell beduinischen Territorium. Doch dies ist keine überraschende oder neuartige Entwicklung, sondern vielmehr Israels konsequente Fortführung der Aneignung des Landes im Negev. Nach offizieller Staatsraison nämlich ist die Wüste im Süden Israels, die mit 12 500km2 zwei Drittel der Gesamtfläche des Staates bedeckt, seit der Gründung Israels zu besiedelndes Staatsland.(2)

Das Gebiet ist jedoch alles andere als ‚leer’: Nach den neuesten Statistiken des ‚Regional Council of the Unrecognised Villages’ (RCUV) und der Ben-Gurion University of the Negev leben mehr als 140000 Beduinen in sieben staatlich anerkannten Städten - und in mehr als 37 nicht staatlich anerkannten Siedlungen. Diese Bevölkerungsgröße steigt mit einer Geburtenrate von jährlich 7 %. Die Ansprüche der Beduinen auf Land und Staatsbürgerrechte werden von der israelischen Regierung nicht anerkannt – obwohl sie offiziell Staatsbürger sind.

Bereits mit Ausrufung des Staates Israel wurde diese ehemals nomadische Gruppe seßhaft gemacht und durch eine Reihe von Gesetzen ihres Landes enteignet. Die Beduinen wehrten sich dagegen auf verschiedenen Wegen: Ein Teil weigerte sich, in die für sie vorgesehenen Städte umzusiedeln und Landansprüche aufzugeben und lebt nun ‚illegal’ im Negev; es wurden Klagen vor nationalen und internationalen Gerichten eingereicht – jedoch ohne Erfolg. Auch die Situation der Beduinen, die in den bis dato sieben Beduinen-Städten lebten, ist sehr bedrückend: Sie gehören zu den Ärmsten des Landes, die Zukunftsperspektiven sind äußerst mager und das Gewaltpotential hoch. Eine Besserung der Situation ist nicht in Aussicht – ganz im Gegenteil.

Beduinen im Nahen Osten

Einiges an der Situation der Beduinen in Israel jedoch ähnelt der in den umliegenden Ländern: Die Ansiedlung der nomadisierenden Bevölkerungen war und ist ein allgemeiner Trend im gesamten Nahen Osten. Die Tendenz, nichtseßhafte Gruppen an einen Ort zu binden, begann bereits im Osmanischen Reich und dauert bis heute an. Die Ausgangssituation betrifft also nicht ausschließlich die Beduinen in Palästina. So setzten zum Beispiel neben Syrien und Jordanien auch Oman und Saudi-Arabien Programme zur Seßhaftmachung ihrer beduinischen Gruppen mit unterschiedlichem ‚Erfolg’ durch. Auch in Palästina wurden vor 1948 die Beduinen erst von der osmanischen und später von der britischen Administration zu einer halbseßhaften Lebensweise gezwungen.

Mit der Proklamation des Staates Israel im Jahre 1948, der damit einhergehenden militärischen Gewalt und mit den Landnahmemethoden des neuen Staates jedoch änderte sich die Situation der dortigen Beduinen nachhaltig im Vergleich zum Rest des Nahen Ostens.
Die Mehrheit der Beduinen (80 % - 85 %) mußte fliehen oder wurde während des Krieges in die umliegenden Länder vertrieben. Der erste offizielle Staatszensus Israels im Jahre 1953 zählte 11 000 Beduinen im Negev. 1946, also am Ende der britischen Mandatszeit waren es ungefähr 95 000.

Beduinen in der ‚Enclosed Zone’

Die verbleibenden Beduinen wurden 1952 in einem abgegrenzten Gebiet, der sogenannte ‚Enclosed Zone’ oder "siyag", im Nordosten des Negev abgedrängt. Bereits im November 1948 hatte die israelische Regierung das Anliegen beduinischer Vertreter, auf ihrem Land im Negev verbleiben zu können, mit zwei Bedingungen verknüpft: Zum einen mußten die Stämme dem Staat Loyalität zusichern, zum anderen mußten sie der Umsiedlung in ein speziell für diesen Zweck abgegrenztes und umzäuntes Gebiet zustimmen. Die Beduinen fügten sich nach einer Reihe von erfolglosen Verhandlungsversuchen. Es war ihre einzige Möglichkeit, bleiben zu können.

Die ‚Enclosed Zone’ umfaßte mit nur zirka 1000 km2 kaum 10 % der ursprünglich von den Beduinen genutzten Fläche der Wüste. Darüber hinaus war sie bis 1966, wie auch andere arabische Gebiete, unter Militärverwaltung gestellt. Dies bedeutete neben dem dramatischen Landverlust erhebliche Einschränkungen in allen Lebensbereichen der Beduinen, so z.B. strenge Überwachung der Bewegungsfreiheit innerhalb des Gebietes durch das israelische Militär. Um die ‚Enclosed Zone’ zu verlassen oder wieder betreten zu dürfen, war ein schriftlicher, behördlich autorisierter Passierschein erforderlich, der an einem der nur sporadisch bemannten Grenzposten zu erbitten war und selbst dann nur in begrenztem Umfang und bei Vorlage ‚triftiger Gründe’ ausgestellt wurde. Innerhalb der Militärzone gab es außer minimalen Flächen für landwirtschaftlichen Anbau und Viehzucht keinerlei Möglichkeiten für wirtschaftliche Tätigkeit. Das Handelszentrum der Beduinen, die Marktstadt Beer Saba’ (das heutige Beer Sheva), lag außerhalb der Zone und war somit nicht oder kaum zugänglich.

Sieben Städte sind bis heute in der Region des Siyag, der ‚Enclosed Zone’ , erbaut worden:

Name Gründungsjahr Bevölkerung 2003*
Rahat 1972 37 258
Tel as-Sab’a 1968 11 505
‘Ar’ara 1981 9 229
Ksifa 1982 9 125
Hura 1989 6 996
Laqiyya 1990 6 422
Sgib as-Salaam 1984 5 148

*Quelle: Interior Ministry the Southern District Administration (2003); Abu-Saad et al. 2004: A Preliminary Evaluation of the Negev Bedouin Experience of Urbanisation. The Center for Bedouin Studies and Development. Beer-Sheba.

Die Gesamtsituation innerhalb des "siyag" war dramatisch, der Lebensstandard in allen Bereichen extrem niedrig: Die Beduinen waren nicht nur ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage beraubt, sondern auch ihrer Würde. Sie mußten in Blechhütten hausen, da keine Gebäude aus Stein oder Beton errichtet werden durften. Sie waren auf das Gutdünken der Grenzposten angewiesen, um in Kontakt mit der ‚Außenwelt’ zu treten. Die Sterberate war sehr hoch, eine Gesundheitsversorgung praktisch nicht existent. Die Beduinen lebten in allen Bereichen am Existenzminimum.

Der Verlust des Landes

Zur gleichen Zeit benannten die israelischen Behörden 19 Scheichs und erkannten 19 Stämme offiziell an. Jeder Beduine mußte sich unabhängig von seiner ursprünglichen Stammeszugehörigkeit einem dieser anerkannten Stämme anschließen, um als Staatsbürger Israels registriert zu werden und somit im Land verbleiben zu dürfen. Dies mißachtete und schädigte die beduinische Sozial- und Wirtschaftsstruktur ungemein, da das politische System und die kulturelle Identität nach historisch nachvollziehbarer Verwandtschaft segmentär organisiert sind und auf dieser Stammessolidarität beruhen.

Die Beduinen wurden jedoch de facto nicht nur ihrer Lebensweise beraubt, sondern hatten - nach israelischer Rechtssprechung - auch de jure mit der Gründung des Staates die Ansprüche auf ihr Land im Negev verloren. Israel sicherte sich dieses mit einer Reihe von gesetzlichen Schachzügen:

1953 trat das ‚Land Acquisition Law’ in Kraft, welches dem Staat das Landeigentum jeder Person zuführte, die zu einem bestimmten Datum nicht auf dem Land wohnhaft war oder es kultivierte. Da die Mehrheit der Beduinen zu diesem Zeitpunkt nicht auf ihren Ländereien anwesend sein konnte – sie waren entweder geflohen oder in militärischem Sperrgebiet – verloren sie ungefähr 95 % ihrer Ländereien.

Zudem wandten die israelischen Behörden bei der Staatsgründung das aus osmanischer Zeit stammende ‚Mawat’-Landgesetz aus dem Jahre 1858 im Negev an: Es deklarierte alle nicht oder nur zeitweise genutzten Ländereien zum Staatseigentum. Den Beduinen war jedoch de facto sowohl im Osmanischen Reich als auch während des Britischen Mandats immer traditionelles Landrecht und Landnutzung gewährt worden. Israel wandte dieses Gesetz an und erklärte kurzerhand den gesamten Negev zum Staatsland – traditioneller Landbesitz und -nutzung war fortan illegal. Einzig anerkannter Beweis für Eigentum an Land war und ist eine offizielle Landregistrierungsbestätigung aus dem Jahre 1921. Die jedoch konnte und kann die Mehrheit der Beduinen nicht vorweisen, da sie ihre Ländereien aus verschiedenen Gründen nicht registrieren ließ.

Beduinenpolitik: Umsiedlung

Anfang der 60er Jahre änderte sich die israelische ‚Beduinenpolitik’: Die Regierung Ben-Gurion verabschiedete ein Mehrjahresprojekt, um die Beduinen in ständigen urbanen Siedlungen zu konzentrieren.(3) Ein detaillierter Urbanisierungsplan wurde ausgearbeitet und der Bau von mehreren Städten innerhalb der ‚Enlosed Zone’ beschlossen, in die die Beduinen nach und nach umgesiedelt werden sollten. Hintergrund war, das von den Beduinen besiedelte Land des "siyag" für jüdische Siedlungen zu nutzen und eine ‚Arabische Landbrücke’ zwischen Gazastreifen, Negev/siyag und Westbank zu vermeiden.(4) Der offizielle Staatsdiskurs wies dieses Vorhaben als Modernisierung aus:

„Wir sollten die Beduinen in ein städtischen Proletariat verwandeln; ein Proletariat für die Industrie, den Dienstleistungssektor, die Bau- und Landwirtschaft. 88% der israelischen Bevölkerung sind keine Bauern, sollen doch die Beduinen genauso sein. Natürlich wäre das ein radikaler Schritt. Er bedeutet, daß der Beduine nicht mehr auf dem Lande mit seinen Herden leben würde, sondern daß er ein seßhafter Mensch werden würde, der am Abend heimkommt und seine Pantoffel anzieht.[…] Dies wäre eine Revolution, aber wohl in zwei Generationen überstanden.“(5)

Die Israelische Regierung bot zwar den Bau von Infrastruktur, medizinischen Einrichtungen und Schulen sowie Zugang zu Wasser und Elektrizität an. Der Preis hierfür war jedoch hoch: Denn als Gegenleistung mußten die zukünftigen Bewohner bei einem Umzug in die Stadt alle Ansprüche auf ihren traditionellen Landbesitz im Negev aufgeben. Folglich ließ sich nur etwa die Hälfte der beduinischen Bevölkerung zu einem Umzug in die Städte bewegen – wegen der extrem schwierigen Lebensbedingungen im "siyag" war dies für manche jedoch die einzige Überlebenschance.

Alle Städte gelten offiziell als die ärmsten des Landes und haben mit enormen Problemen wie hoher Arbeitslosigkeit, Kriminalität und niedrigem Bildungsstand zu kämpfen. Einer Studie des ‚Center for Bedouin Studies and Development’ der Ben-Gurion Universität Beer-Sheva zufolge ist eine überwältigende Mehrheit der beduinischen Stadtbewohner der Meinung, die israelische Regierung hätte ihre Gegenleistungen und Versprechen nicht eingehalten – weite Teile der Städte haben weder Abwassersysteme noch eine funktionierende Infrastruktur, es mangelt an Arbeitsmöglichkeiten und Schuleinrichtungen. Der Gesamtlebensstandard wird als ‚äußerst unbefriedigend’ beschrieben – die Entscheidung, in eine der Städte zu ziehen, würde nicht noch einmal getroffen werden. Zudem waren 70 % der Bewohner nicht informiert, daß sie zwar Eigentümer ihrer Häuser sind, aber nicht des Grundes, auf dem diese erbaut wurden: Dieser wurde auf 99 Jahre befristet an sie verpachtet. Was nach Ablauf dieser Frist geschehen wird, weiß jedoch niemand.(6)

Die Beduinen, die sich weigerten ihre Landansprüche aufzugeben oder auf ihrem Stammesland in der ‚Enclosed Zone’ bleiben wollten, leben dort nach wie vor ‚illegal’ auf Staatsland und kämpfen um Anerkennung ihrer Eigentumsansprüche. Davon sind derzeit ungefähr 76 000 Menschen betroffen. Sie leben in sogenannten ‚Unrecognised Villages’ (nichtanerkannten Dörfern) unter extremsten Bedingungen ohne Wasser, Elektrizität oder Anschluß an das staatliche Gesundheitssystem. Zudem ist nicht vorhersehbar, ob ihre Dörfer nicht von eigens hierzu gegründeten israelischen Spezialeinheiten abgerissen werden und sie selbst vom Staat aufgrund rechtswidriger Landbesetzung strafrechtlich verfolgt werden.

Historische Quellen belegen, daß die Beduinen ursprünglich 12 600 000 Dunum (1 Dunum = 1 000 km2) des Negev besaßen. Nach statistischen Angaben der Arabischen Menschenrechtsorganisation (HRA) und der Ben-Gurion-Universität lebt die gesamte beduinische Bevölkerung innerhalb der sieben Städte und der mehr als 45 Dörfern auf ganzen 240 000 Dunum, was 1,3 % des Negevlandes entspricht. Eigentumsklagen umfassen jedoch laut RCUV und Mossawa, einer NGO zur Anerkennung und Gleichstellung Arabischer Bürger Israels, (7) 850 000 Dunum. In den Dörfern kämpfen die Beduinen vor allem um die Möglichkeit, auf den nur 180 000 Dunum leben bleiben, ihre kleinen Herden halten und Feldbau betreiben zu können. Nach Angaben von Mossawa liegen derzeit über 3000 Petitionen der Beduinen gegen die Landenteignung im allgemeinen und gegen von Israel angekündigte Umsiedlungspläne der verbleibenden Beduinen in die Städte im besonderen vor.

Neue Gesetze und Verordnungen erschweren die Lage

Neben den beiden bereits erwähnten Landgesetzen hat die israelische Regierung jedoch im Laufe der Jahre eine Serie weiterer Gesetze und Verordnungen verabschiedet, die es den Beduinen nicht nur erschwert, Eigentumsansprüche zu stellen, sondern die dem Staat noch mehr rechtliche Möglichkeiten an die Hand geben, Siedlungen und Dörfer als ‚illegal’ zu deklarieren und Häuser und Anbauflächen zu zerstören, die sich auf ausgewiesenem Staats- oder Nicht-Siedlungsgebiet befinden:

Das ‚Planning and Construction Law’ aus dem Jahre 1965 wies einen Großteil der beduinisch besiedelten Gebiete als nicht vom Bebauungsplan erfaßt aus. Dies bedeutet, daß keine anderen Gebäude außer Lagerstätten errichtet werden dürfen. Darüber hinaus wurde das Gesetz post facto angewandt und erklärte bestehende Gebäude in diesem Gebiet rückwirkend als illegal – auch wenn diese aus der Zeit vor der Staatsgründung stammten. Zudem wurden Teile des Negev als Naturschutzgebiet und Militärsperrgebiet ausgewiesen

Im Jahre 1976 gründete der Staat eine paramilitärische Truppe (Green Patrol) mit der offiziellen Aufgabe, Staatsland und Naturschutzgebiete vor Übergriffen und illegaler Besiedlung zu schützen. Seither kontrolliert die Green Patrol die Anzahl des Viehs, die Größe der Weide- und Anbauflächen, vertreibt Bewohner ‚illegaler’ Dörfer, zündet Zelte an und zerstört Häuser. Es gibt außerdem Berichte über getötetes Vieh, vergiftete Ernten und Beschimpfungen sowie verbale Bedrohungen seitens der “Grünen Patrouille”.(8)

Beduinen: Opfer des Abzugs der Siedler aus dem Gazastreifen

Das ‚Removal of Intruders Law’ (1981) gewährt weiterhin die gesetzliche abgesicherte Möglichkeit, “illegale Bewohner” von israelischem Staatsland und aus unrechtmäßigen Wohnstätten zu entfernen. Die Gesetzesänderung von 2005, die zeitgleich mit den Abzugsplänen aus dem Gazastreifen verabschiedet wurde, vereinfachte diesen Prozeß.

Das ‚Disengagement Law 2005’, das die Knesset am 18. Februar 2005 verabschiedet hat, beinhaltet laut Rechtsanwälten von Mossawa eine Reihe von Klauseln, die die Ansiedlung der Gazasiedler im Negev und in Galiläa ermöglichen. Es sieht zum Beispiel spezielle Vergünstigungen für jüdische Siedler vor: Zuschüsse von 135 000 New Israeli Schekel für den Kauf von Baugrund und die Konstruktion eines Hauses (Klausel 47(a)). Darüber hinaus wurden von Regierungsseite Institutionen wie die ‚Home Demolition Unit’ und ‚Office of Bedouin Administration’ ins Leben gerufen.

Die Situation im Negev ist dementsprechend alarmierend: Alle beduinischen Städte und Dörfer liegen am untersten Ende der offiziellen sozioökonomische Statistiken. Sämtliche “nicht-anerkannte Dörfer” sowie die Mehrzahl der bis dato anerkannten Ansiedlungen haben keinen direkten Zugang zu Wasser, Abwassersystem, Elektrizität, Kliniken oder Schulen. Die Arbeitslosenrate der ärmsten Dörfer beträgt 60 % bei Männern und 80 % bei Frauen; die Rate der Schulabbrecher der Gymnasien liegt bei 50 %. Die Kindersterblichkeit im Negev beträgt 1,8% in beduinischen Gebieten, verglichen mit 0,4 % in den jüdischen Siedlungen.(9)

Seit Staatsgründung Israels wurden somit Lebensform, Sozialstruktur und traditionelle Rechte der Beduinen nicht, oder wenn überhaupt, nur ungenügend respektiert. Als Pastoralnomaden waren Beduinen ökonomisch angewiesen auf Land und der damit verbundenen Möglichkeit weiterzuziehen, sobald Bedarf bestand. Der Verlust des Landes des Naqab bedeutete gleichermaßen den Verlust von Weideflächen für Kamele und Schafe wie auch ein Ende der pastoralen Subsistenzwirtschaft. Dies degradierte ehemals ökonomisch autonome Beduinen zu einer von staatlichen Faktoren abhängigen Minderheit. Die Arbeit als Hirten und Schafhalter ist reduziert auf ein Minimum, zumal noch immer eine offizielle israelische Erlaubnis benötigt wird, um das Weideland außerhalb der Ansiedlungen oder Städte nutzen zu dürfen. Beschäftigung gegen Entgelt wird somit zur Hauptverdienstquelle. Diese zu finden, ist jedoch äußerst schwierig; die Mehrheit der Beduinen ist entweder arbeitslos oder arbeitet als unqualifizierte Arbeiter für ein geringes Entgelt als Hilfskräfte in Parks und Kibbuzim oder als Wachmänner. Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der Beduinenstädte sind rar, da strikte Auflagen seitens der israelischen Behörden zu beachten sind und zudem nur ein kleiner Prozentsatz der Gebäude gewerblich genutzt werden darf.

Eingedenk dieser Tatsachen ist es kaum zu glauben, daß die neuesten Pläne der Regierung, die Wirtschaft und Wohnsituation im Negev zu fördern und verbessern, zum Wohle der Beduinen gedacht sind. Im Januar 2003 präsentierte die Regierung Sharon einen Fünfjahresplan um das - Zitat – ‚Beduinenproblem im Negev’ zu beenden: Dieser beinhaltete den Bau weiterer Städte für die Beduinen der nicht-anerkannten Dörfer und stellte zusätzliche Mittel für die Green Patrol und andere Spezialtruppen zur Verfügung, um die Umsetzung von ‚government policies’ zur Zwangsumsiedlung der Beduinen von den Dörfern in die Städte zu ermöglichen. Der Plan sah jedoch auch Finanzmittel speziell für rechtliche Mittel vor, um diejenigen Beduinen belangen zu können, die sich weigern, den Weisungen der Regierung Folge zu leisten oder die gegen die Landenteignung klagen. Allein im Jahre 2004 wurden mehr als 150 Gebäude abgerissen und fast die komplette Ernte der Dörfer mit Chemikalien vernichtet. In den vergangenen sechs Monaten diesen Jahres haben zum Beispiel mehrere Hundert Bewohner des Dorfes Um Al-Hairan einen Räumungsbefehl der israelischen Behörden erhalten. (10)

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Politik Israels gegenüber den Beduinen diskriminierende Elemente enthält, die anhand von Fakten und Statistiken klar nachweisbar sind. Ein Einlenken der Regierung ist nicht absehbar.

Fußnoten
  1. Mossawa (2005): The Palestinian Arab Citizens of Israel: Status, Opportunities and Challenges for an Israeli-Palestinian Peace, Haifa.
  2. Shamir, R. (1996): Suspended in Space: Bedouins under the Law of Israel. In: Law & Society Review, 30, 231- 257.
  3. Knesset Protokoll 05/08/59.
  4. Yiftachel, O. (1999): ''Ethnocracy': The politics of Judaizing Israel / Palestine.' In: Constellation: An International Journal of Critical and Democratic Theory, 6, 339-64.
  5. Moshe Dayan, damaliger Agrarminister, in einem Interview der Tageszeitung Ha’aretz vom 31. Juli 1963.
  6. Abu-Saad, I., Lithwick, H. & Abu-Saad, K. (2004): A Preliminary Evaluation of the Negev Bedouin Experience of Urbanisation, The Center for Bedouin Studies and Development. Beer-Sheba.
  7. Katja Hermann: Anti-Rassismus-Arbeit in Israel: Das Mossawa Center in Haifa. In: INAMO Nr. 39/Herbst 2004.
  8. Mossawa 2005.
  9. UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights Report 2003; RCUV Statistik 2004.
  10. Ebenda.
* Kathrin Köller, St. Antony´s College, Oxford.


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 44, Winter 2005/06

Die Zeitschrift inamo erscheint vier Mal im Jahr und ist zu beziehen bei:
inamo e.V.
Postfach 310 727
10637 Berlin
(Tel.: 030/86421845; e-mail: redaktion@inamo.de )




Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage