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"Bislang sind die Bedingungen für den Einsatz von Gewalt gegen Irak nicht erfüllt"

Memorandum von Deutschland, Frankreich und der Russischen Föderation zur Lage im Irak (im Wortlaut)

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac am 24. Februar 2003 zu einem informellen Gespräch in Berlin empfangen. An den Gesprächen nahmen auch die beiden Außenminister Joschka Fischer und Dominique de Villepin teil. Bei dem Treffen ging es zum einen um ein neues Memorandum für eine friedliche Entwaffnung des Irak, das Deutschland, Frankreich und Rußland am 24. Februar dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt hatten. Dieses Memorandum wird auch von China unterstützt. Zum anderen wurde über den von den USA, Großbritannien und Spanien eingebrachten Entwurf für eine neue UN-Resolution gesprochen. Schröder und Chirac lehnten den Entwurf übereinstimmend ab.

In dem neuen deutsch-französisch-russischen Vorschlag gehe es um die Abrüstung von bakteriologischen, biologischen, nuklearen und chemischen Waffen. Eine zeitliche Begrenzung der Kontrollen gebe es nicht. "Nur die Inspekteure selbst können entscheiden, wann eine solche Begrenzung ihrer Arbeit sinnvoll ist und wie sie aussehen soll", unterstrich Chirac. Der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident sprachen sich noch einmal nachdrücklich gegen eine neue UN-Resolution aus.

(Nach einer Pressemitteilung des Bundeskanzleramts vom 25.02.2003)

Im Folgenden dokumentieren wir die deutsche Übersetzung des gemeinsamen Memorandums.

Memorandum

1. Die vollständige und wirksame Abrüstung in Übereinstimmung mit den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bleibt das dringende Ziel der Völkergemeinschaft. Unsere Priorität sollte sein, dies mit Hilfe des Inspektionsregimes friedlich zu erreichen. Die militärische Option sollte nur das letzte Mittel sein. Bislang sind die Bedingungen für den Einsatz von Gewalt gegen Irak nicht erfüllt:
  • Zwar bestehen nach wie vor Verdachtsmomente, doch wurden keine Beweise vorgelegt, dass Irak noch immer Massenvernichtungswaffen bzw. Kapazitäten in diesem Bereich besitzt;
  • die Inspektionen sind jetzt voll in Gang gekommen; sie verlaufen ungestört, und sie haben bereits Ergebnisse gezeitigt;
  • zwar ist die Zusammenarbeit Iraks noch nicht ganz zufriedenstellend, doch verbessert sie sich, wie die Chefinspekteure in ihrem letzten Bericht festgestellt haben.
2. Der Sicherheitsrat muss seine Bemühungen verstärken, um der friedlichen Beilegung der Krise eine echte Chance zu geben. In diesem Zusammenhang sind folgende Bedingungen von größter Bedeutung:
  • die Einheit des Sicherheitsrats muss gewahrt werden;
  • der Druck auf Irak muss verstärkt werden.
3. Diese Bedingungen können erfüllt werden, und unser gemeinsames Ziel - die nachprüfbare Abrüstung Iraks - kann durch Umsetzung folgender Vorschläge erreicht werden:

A) Ein klares Aktionsprogramm für die Inspektionen:

Nach der Resolution 1284 müssen die UNMOVIC und die IAEO ihr Arbeitsprogramm dem Rat zur Genehmigung vorlegen. Die Vorlage dieses Arbeitsprogramms sollte beschleunigt werden, insbesondere die noch verbleibenden zentralen Abrüstungsaufgaben, die von Irak aufgrund seiner Verpflichtungen zur Einhaltung der Abrüstungserfordernisse der Resolution 687 (1991) und anderer damit zusammenhängender Resolutionen zu erfüllen sind.

Die verbleibenden zentralen Aufgaben werden in der Reihenfolge ihrer Priorität definiert. Es wird klar und präzise festgelegt, was Irak zur Erfüllung jeder Aufgabe tun muss.

Damit eine solch klare Festlegung der Aufgaben erfolgen kann, muss Irak aktiver mitarbeiten. Dies wird dem Rat auch ein eindeutiges Instrument zur Bewertung der Zusammenarbeit Iraks an die Hand geben.

B) Verstärkte Inspektionen:

Mit der Resolution 1441 wurde ein intrusives und verstärktes Inspektionsregime eingerichtet. Hierbei sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Zu den weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Inspektionen könnten, wie dies in dem den Chefinspekteuren zu einem früheren Zeitpunkt übermittelten französischen Non-Paper veranschaulicht wurde, folgende gehören: Vermehrung und Diversifizierung des Personals und des Fachwissens; Schaffung mobiler Einheiten, die insbesondere Lastwagen kontrollieren sollen; Fertigstellung des neuen Luftüberwachungssystems; systematische Verarbeitung der von dem neu geschaffenen Luftüberwachungssystem gelieferten Daten.

C) Fristen für die Inspektionen und Bewertung:

Im Rahmen der Resolutionen 1284 und 1441 wird sich die Durchführung des Arbeitsprogramms nach dem folgenden realistischen, strikten Zeitplan richten:
  • Die Inspekteure werden gebeten, das Arbeitsprogramm mit den wesentlichen substantiellen Aufgaben, die Irak erfüllen muss, einschließ­lich der Flugkörper, Trägersysteme, chemischen Waffen/Vorläuferstoffen, biologischen Waffen/ Materialien und der Kernwaffen im Zusammenhang mit dem am 1. März fälligen Bericht vorzulegen;
  • die Chefinspekteure berichten dem Rat regelmäßig (alle drei Wochen) über die Umsetzung des Arbeitsprogramms;
  • ein Bericht der UNMOVIC und der IAEO, in dem die bei der Erfüllung der Aufgaben erzielten Fortschritte bewertet werden, wird von den Inspekteuren 120 Tage nach Verabschiedung des Arbeitsprogramms in Übereinstimmung mit der Resolution 1284 vorgelegt;
  • in Übereinstimmung mit Ziffer 11 der Resolution 1441 erstatten der Exekutivvorsitzende der UNMOVIC und der Generaldirektor der IAEO dem Rat über jede Einmischung Iraks in die Inspektionstätigkeiten und über jedes Versäum­nis Iraks, seinen Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen, jederzeit sofort Bericht;
  • jederzeit können zusätzliche Sitzungen des Sicherheitsrats, auch auf hoher Ebene, beschlossen werden.
Um eine friedliche Lösung zu ermöglichen, sollten den Inspektionen die notwendige Zeit und die erforderlichen Ressourcen gegeben werden. Sie können jedoch nicht unbegrenzt fortgesetzt werden. Irak muss abrüsten. Seine volle und aktive Zusammenarbeit ist notwendig. Dies muss die Bereitstellung aller zusätzlichen und konkreten Informationen über von den Inspekteuren aufgeworfene Fragen sowie die Erfüllung ihrer Forderungen, wie sie insbesondere im Schreiben von Hans Blix vom 21. Februar 2003 enthalten sind, einschließen. Die Kombination aus einem klaren Aktionsprogramm, verstärkten Inspektionen, einem klaren Zeitplan und dem militärischen Aufmarsch stellen ein realistisches Instrument dar, um die Einheit im Sicherheitsrat wieder herzustellen und maximalen Druck auf Irak auszuüben.

Quelle: Homepage der Bundesregierung


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