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Vom Recht - und wie es gebeugt wird

Wie der Generalbundesanwalt die Strafanzeigen gegen die Bundesregierung wegen der Beteiligung am Irakkrieg behandelt

Im Folgenden dokumentieren wir einen auf der "World Socialist Web Site" (http://wsws.org.de) veröffentlichten Beitrag, der sich aus Sicht der Kläger mit den abgelehnten Strafanzeigen gegen die Bundesregierung wegen Beteiligung an einem Angriffskrieg befasst. Der Generalbundesanwalt hat bereits im März zahlreiche entsprechende Klagen abgewiesen. Die Begründung haben wir seinerzeit im vollen Wortlaut dokumentiert ("Kein Anfangsverdacht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges").


Von Alexander Bahar und Armin Fiand
19. April 2003

Mit Bescheid vom 1. April 2003 (Eingang 04. April 2003) hat Generalbundesanwalt Kay Nehm erneut eine Strafanzeige gegen die Bundesregierung wegen der Unterstützung bzw. Vorbereitung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges abgelehnt. Die Strafanzeige hatten Mitglieder der Initiative gegen den Irak-Krieg erstattet. Anzeige erstattet hatten sie auch gegen die Staatsoberhäupter der USA und ihrer "willigen" Bündnispartner.

Auch wenn es zu erwarten war, dass der Generalbundesanwalt als weisungsgebundener politischer Beamter die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Bundesregierung ablehnen würde - wer beißt schon die Hand seines Dienstherrn, die Hand, die ihn füttert - seine "Argumentation" ist politisch und juristisch ein Skandal.

Während international renommierte Völkerrechtler fast einhellig den amerikanisch-britischen Überfall auf den Irak als eine bewaffnete völkerrechtswidrige Aggression bewerten und beispielsweise die Internationale Juristenkommission (ICJ) in Genf von einer "flagranten Verletzung des Gewaltverbots" spricht, gibt der Generalbundesanwalt vor, aufgrund der angeblich verworrenen Rechtslage nicht entscheiden zu können, was überhaupt ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg sei.

Um dem Primat der Politik Genüge zu tun, drückt sich Nehm wie die rot-grüne Bundesregierung um eine juristische Beurteilung des glasklaren Sachverhalts. Da er ganz genau weiß, dass bei der Zugrundelegung anerkannter völkerrechtlicher Maßstäbe - keine vorausgegangenen militärischen Angriffshandlungen durch den Irak gegen die USA oder ein anderes Mitlied der Kriegsallianz, noch gegen irgend einen anderen Staat der Welt, kein entsprechender Beschluss des UN-Sicherheitsrats - die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens gegen die Bundesregierung unumgänglich wäre, baut Nehm die Phantomkulisse eines völkerrechtlichen schwarzen Loches auf, das alle Rechtstatbestände verschluckt. So versucht er uns weiszumachen, dass dem Völkerrecht, "kein allgemein anerkannter und auch nur einigermaßen ausdifferenzierter Begriff der völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggression zu entnehmen" sei, und erklärt apodiktisch, "im Rahmen der strafrechtlichen Prüfung" sei "nicht zu entscheiden, ob die Anwendung von Gewalt durch die Vereinigten Staaten von Amerika ohne oder gegen den Willen des Sicherheitsrats völkerrechtlich zulässig wäre". Der Bescheid des Generalbundesanwalts trägt das Datum 01. April 2003. Trotzdem unterscheidet sich die Begründung nicht wesentlich von derjenigen, mit der Nehm am 18. März die Strafanzeige des ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke abgewiesen hatte. Das beweist, dass sich der Generalbundesanwalt überhaupt nicht mit den Ereignissen befasst hat, die sich in der Zeit zwischen dem 18. März und dem 01. April zugetragen haben. Die Entwicklung, die dem Beginn des Krieges unmittelbar vorausgegangen ist, hat er also nicht mehr berücksichtigt. Dies sind jedoch gerade die entscheidenden Tage, auf die es bei der rechtlichen Beurteilung der Frage - völkerrechtswidriger Angriffskrieg oder nicht - ankommt, weil sie den Krieg gegen den Irak mit hinreichender Deutlichkeit als eine völkerrechtswidrige Aggression entlarven.

Der Generalbundesanwalt sagt die Unwahrheit, wenn er behauptet, er habe sowohl den in der Anzeige dargestellten Sachverhalt als auch "die in diesem Zusammenhang bisher bekannt gewordenen Tatsachen" berücksichtigt. Seine Sachverhaltsfeststellung erschöpft sich darin, die verschiedenen Resolutionen zu zitieren (sehr wahrscheinlich, ohne sie jemals gelesen zu haben), die der UN-Sicherheitsrat gegen den Irak verabschiedet hat. Sie endet damit, dass die Allierten ihre Truppen im Nahen Osten konzentriert hätten, so als ob sie heute immer noch da stehen würden. Weder der Kriegsausbruch am 20. März noch die wesentlichen Tage davor werden in den Sachverhalt, den der Generalbundesanwalt festzustellen und rechtlich zu würdigen hat, einbezogen.

Im Grunde will der Generalbundesanwalt damit wohl zum Ausdruck bringen, dass schon die UN-Resolutionen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Krieg darstellen, so wie das auch die Verbrecher gegen den Frieden in Washington und London sehen.

Als ob der Verdrehung des Rechts damit nicht mehr als Genüge getan wäre, gelingt es Nehm, in seinem Ablehnungsbescheid eine wichtige Passage falsch und grob sinnentstellend zu zitieren. So behauptet er zunächst: "Nach dem erklärten und wiederholt geäußerten Willen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers, sich an einem militärischen Schlag gegen den Irak nicht zu beteiligen, soll sich die deutsche Unterstützung für die Vereinigten Staaten von Amerika in der Gewährung von Überflug-, Bewegungs- und Transportrechten erschöpfen", um dann festzustellen: "Die Gewährung solcher Rechte wird aber als eine bloße Nichtverhinderung von Angriffshandlungen (vgl. dazu Randelzhofer in Simma , Charta der Vereinten Nationen, § 51 Rn. 28) vom Tatbestand des § 80 StGB nicht erfasst."

Tatsächlich unterscheidet Randelzhofer aber zwischen der "freiwilligen Überlassung von Staatsgebiet an einen anderen Staat" und der "bloßen Nichtverhinderung von Angriffshandlungen eines anderen Staates auf dem eigenen Staatsgebiet". Nur der zweite Fall soll vom Tatbestand des § 80 StGB nicht erfasst werden, während Randelzhofer im ersten Fall die Angriffshandlung dem das Territorium zur Verfügung stellenden Staat neben dem aktiv agierenden Staat als eigene zurechnet.

Mit diesem juristischen "Kunstgriff" hat der Generalbundesanwalt die Argumentation von Randelzhofer ins Gegenteil verkehrt!

Darüber hinaus trifft aber bereits die von Nehm aufgestellte Prämisse gar nicht zu. Entscheidend ist nicht, nachdem die US-Kriegsmaschine einmal wütet, was die Bundesregierung erklärt, sondern was sie tut. Ihre faktische Unterstützung des Krieges "erschöpft" sich eben nicht in der Gewährung von Überflug-, Bewegungs- und Transportrechten. Bekanntlich
  • sitzen deutsche Soldaten nicht nur in Fuchs-Spürpanzern in Kuwait, sondern auch in AWACS-Aufklärungsflugzeugen über der Türkei, wo sie auch unerlässliche logistische Schützenhilfe für militärische Angriffshandlungen leisten,
  • schützen deutsche Soldaten auch US-Kasernen und Militärstützpunkte in Deutschland und ermöglichen so die Freisetzung von US-Kontingenten für aktive Kriegshandlungen,
  • morden deutsche Waffen nicht nur sprichwörtlich, sondern faktisch in den Händen von Amerikanern und Briten (nach den Recherchen von Monitor verstößt die von der Bundesregierung genehmigte Lieferung von wichtigen Waffenbestandteilen an die USA und Großbritannien eindeutig gegen das Waffenkontrollgesetz).
Nach anfänglicher Distanzierung hat sich die Bundesregierung nun auch verbal zu den amerikanisch-britischen Kriegszielen bekannt und ihre Hoffnung auf einen "schnellen Sieg" der Kriegsallianz zum Ausdruck gebracht. Inzwischen beteiligt sie sich gemeinsam mit den "Kriegsgegnern" in Paris und Moskau am Geschacher über die Aufteilung der Beute.

Nach § 80 StGB muss durch die Vorbereitung eines Angriffskrieges die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt werden. Der Generalbundesanwalt hat sich mit dieser Frage ziemlich am Schluss seines Bescheides beschäftigt und sie verneint. Doch hat nicht Bundesinnenminister Otto Schily höchstpersönlich erklärt, mit dem Krieg am Golf sei das Risiko terroristischer Anschläge auch in Deutschland gestiegen!? Und wird der Haupt-Aggressor USA durch die indirekte Kriegs-Unterstützung der Bundesregierung nicht ermutigt, unter Missachtung der staatlichen Souveränität und des internationalen Rechts weitere Länder zu überfallen, so wie Bush, Cheney, Rumsfeld und Powell dies bereits Syrien, dem Iran und Nordkorea angedroht haben!? (Wenn der historische Vergleich mit der Appeasement-Politik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber der Expansions- und Eroberungspolitik Nazi-Deutschlands einmal angebracht ist, dann hier.) Und erhöhte sich nicht auch die Kriegsgefahr für Deutschland, wenn, wie von Bundeskanzler Schröder als "Lehre" aus dem Irak-Krieg angekündigt, Europa militärisch aufrüstete, um langfristig mit den USA gleichzuziehen!?

So wie Herr Nehm argumentiert, würde konsequenterweise auch den Blitzkrieg der Nazis gegen Polen kein völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sein, sondern allenfalls eine Polizeiaktion oder eine Notwehrhandlung (wie ja der Führer auch selbst erklärt habe). Hatten denn nicht die Polen zuvor den Sender Gleiwitz "überfallen" und damit die "Gegenwehr" der Deutschen provoziert!? ("Ab 9 Uhr wird zurückgeschossen!") Wie schrieb die indische Schriftstellerin Arundhati Roy neulich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung : "Freiheit heißt jetzt Massenmord."

Am 11. April haben Mitglieder der Initiative gegen den Irak-Krieg gegen den Bescheid des Generalbundesanwalts vom 01. April 2003 Gegenvorstellungen erhoben (Vollständiger Text siehe unter http://www.nachrichten-analysen.de) Dem Generalbundesanwalt soll damit Gelegenheit gegeben werden, den begründeten Verdacht der Rechtsbeugung bzw. der Strafvereitelung im Amt auszuräumen.

Der Beitrag erschien auf der Website: http://wsws.org


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