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"Kein Anfangsverdacht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges"

Generalbundesanwalt lehnt Massenklage gegen Bundesregierung ab. Die Entscheidung im Wortlaut

Zahlreiche Anzeigen gegen die Bundesregierung sind in den letzten Wochen beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingegangen. Sie beriefen sich alle auf den § 80 des Strafgesetzbuches (StGB) "Vorbereitung eines Angriffskrieges".* Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom 21. März 2003 alle Klagen abgewiesen, weil ein "Anfangsverdacht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges" nicht gegeben sei. Im Folgenden dokumentieren wir den Text der Entschließung, mit dem die Ablehnung der Klage begründet wurde, im vollen Wortlaut.

* StGB § 80 Vorbereitung eines Angriffskrieges
Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.



GBA: Kein Anfangsverdacht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB)
[21.03.2003 - 11:20 Uhr]

Karlsruhe (ots) - Nr. 10

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) abgelehnt, weil keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, die einen Anfangsverdacht wegen eines Verbrechens nach § 80 StGB begründen könnten.

Die Entschließung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof beruht auf folgenden Erwägungen:

I.

Am 08. November 2002 erließ der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1441 (2002), in der er nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig wurde und unter Bezugnahme auf die Resolutionen 660 (1990), 661 (1990), 678 (1990), 686 (1991), 687 (1991), 688 (1991), 707 (1991), 715 (1991), 986 (1995), 1284 (1999) und 1382 (2001) feststellte, dass der Irak noch immer seine Verpflichtungen aus den vorangegangenen Resolutionen erheblich verletze und ihnen nunmehr unverzüglich gegenüber der neuen Waffen- inspektionskommission UNMOVIC sowie der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) nachzukommen habe. Der Sicherheitsrat erinnerte, dass er den Irak wiederholt vor ernsthaften Konsequenzen im Falle weiterer Verletzungen der Verpflichtungen gewarnt habe, und dass die Resolution 678 vom 29. November 1990 die Mitgliedstaaten ermächtige, alle erforderlichen Mittel zur Durchsetzung der Resolution 660 vom 02. August 1990 zu ergreifen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in der Region wiederherzustellen. Parallel zur Verabschiedung und Umsetzung der Resolution haben die Vereinigten Staaten von Amerika - unterstützt durch das Vereinigte Königreich - Truppen im Nahen Osten konzentriert.

Bundeskanzler Schröder hat sowohl vor dem Deutschen Bundestag als auch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten bekundet, Deutschland werde sich an einem Krieg gegen den Irak unter keinen Umständen beteiligen. Er hat weiterhin erklärt, dass Deutschland im Falle eines militärischen Vorgehens gegen den Irak seine Bündnispflichten erfüllen und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der NATO Überflug-, Bewegungs- und Transportrechte gewähren werde. Zum Schutze des Bündnisgebietes würden AWACS-Flugzeuge mit deutschen Soldaten besetzt sein.

II.

Weder aus dem angezeigten Sachverhalt noch aus den in diesem Zusammenhang bisher bekannt gewordenen Tatsachen ergeben sich Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht gegen den Bundeskanzler, gegen andere Regierungsmitglieder oder gegen Dritte wegen eines Verbrechens der Vorbereitung eines Angriffskriegs (§ 80 StGB) begründen könnten.

Mit der Schaffung des § 80 StGB durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 hat der Gesetzgeber dem Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG nachkommen wollen. Danach sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, unter Strafe zu stellen. Als Beispiel („insbesondere“) nennt die Verfassungsvorschrift die Vorbereitung der Führung eines Angriffskrieges. Durch ein Klammerzitat nimmt der Straftatbestand ausdrücklich auf das verfassungsrechtliche Aggressionsverbot Bezug. Darin kommt einerseits die Funktion des § 80 StGB als Ausführungsgesetz der Verfassungsnorm zum Ausdruck (vgl. Paeffgen in NK- StGB, vor § 80 Rn. 6 m.w.N.), zum anderen wird sichergestellt, dass dem Begriff des Angriffskriegs in beiden Vorschriften dieselbe Bedeutung beigemessen wird.

§ 80 StGB wurde - ersichtlich initiiert durch Vorschläge des Alternativentwurfs zum politischen Strafrecht (vgl. hierzu Sonnen in AK-StGB, § 80 Rn. 5) - im Sonderausschuss für die Strafrechtsreform erarbeitet. Bei den Beratungen wurde deutlich, dass die Durchführung des verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsauftrags erhebliche Schwierigkeiten bereitete und dass deshalb eine vollständige Umsetzung nicht in Betracht kam (vgl. BT-Drucks. V/2860). Insbesondere konnte nicht bis ins Einzelne geklärt werden, was unter dem Begriff des Angriffskriegs zu verstehen sei, zumal da es an einer allgemein anerkannten und völkerrechtlich verbindlichen Definition fehlte. Im Blick auf den seit nahezu 20 Jahren unerledigt gebliebenen Verfassungsauftrag sollte das Gesetzgebungsvorhaben indessen nicht weiter aufgeschoben werden. Der Schriftliche Bericht des Sonderausschusses führt hierzu unter anderem aus:

„Nach der Ansicht des Sonderausschusses sollte man nunmehr jedoch eher gewisse Auslegungsschwierigkeiten in Kauf nehmen, als noch weiter mit der Erfüllung des Verfassungsauftrages zu warten, bis auf internationaler Ebene eine einheitliche Definition für den Begriff des „Angriffskriegs“ beschlossen worden ist. Der Sonderausschuss entschied sich deshalb für die Aufnahme besonderer Vorschriften für den Friedensverrat. Mit Rücksicht auf den Bestimmtheitsgrundsatz wurde jedoch nicht unmittelbar an den Tatbestand des Art. 26 Abs. 1 GG angeknüpft. Vielmehr machte dieses Prinzip zumindest nach der Ansicht der Mehrheit der Ausschussmitglieder Einschränkungen notwendig. In den beiden vom Ausschuss beschlossenen Vorschriften (der §§ 80 und 80a StGB) wird deshalb nur auf das Verbot des Angriffskrieges abgestellt. Da es nicht Aufgabe deutscher Strafgerichte sein kann, eine Art internationale Gerichtsbarkeit auszuüben, wird ferner lediglich derjenige Angriffskrieg erfasst, „an dem die Bundesrepublik Deutschland“ nach der Vorstellung des Täters „beteiligt sein soll“....Dem Ziel der Tatbestandspräzisierung dient das weitere Erfordernis, dass durch die Vorbereitung eines solchen Angriffskrieges bewusst und gewollt die (konkrete) Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird.“

Danach sollte mit der Vorschrift in erster Linie verhindert werden, dass in der Bundesrepublik Deutschland selbst Angriffskriege vorbereitet werden. Im Ausschuss bestand Einigkeit darüber, dass es keinesfalls darum gehen konnte, das Verhalten ausländischer Staaten am Maßstab des deutschen Strafrechts zu messen. In diesem Zusammenhang wurde betont, dass eine Anklage gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika wegen des Vietnamkrieges vor einem deutschen Gericht wegen „Friedensverrats“ ausgeschlossen sein müsse (Abg. Dr. Kübler (SPD), Vors. Dr. h.c. Güde, MD Dr. Maassen (BMJ), SA Prot. 5 WP S. 1986). Der Ausschuss nahm bewusst in Kauf, dass der danach gefundene Kompromiss den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in vollem Umfang erfüllen werde. Eine Prüfung dieses Punktes sollte zwar im Rahmen der allgemeinen Strafrechtsreform erfolgen (SA Prot. 5 WP S. 2027), dar-auf kam der Gesetzgeber aber nicht zurück.

Der Straftatbestand ist insbesondere in den folgenden Punkten enger als die Verfassungsnorm:
  • Art. 26 Abs. 1 GG erfasst nicht nur Angriffskriege, sondern auch andere, in ihrer Intensität weniger schwer wiegende Störungen des äußeren Friedens.
  • Das verfassungsrechtliche Verbot beschränkt sich nicht auf das Herbeiführen von Spannungen, an denen die Bundesrepublik Deutschland als Staat beteiligt ist. - Die Verfassungsnorm schützt das friedliche Zusammenleben der Völker allgemein, nicht nur den Teilausschnitt der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland.
Ferner ist bei der Auslegung des § 80 StGB zu beachten, dass Straftatbestände wegen des Bestimmtheitsgebots und des Analogieverbots gemeinhin restriktiver auszulegen sind als Verfassungsnormen. Die Strafbarkeit bestimmt sich nach Inhalt und Reichweite der Strafvorschrift. Das verfassungsrechtliche Aggressionsverbot ist zwar für die Auslegung des § 80 StGB von erheblicher Bedeutung. Grundlage einer Bestrafung kann die Verfassungsnorm selbst aber nicht sein. Somit gibt es friedensstörendes Verhalten, das zwar von Art. 26 Abs. 1 GG erfasst wird, gleichwohl aber nicht strafbar ist, auch wenn dies möglicherweise so vom Grundgesetz nicht vorgesehen ist (Art. 103 Abs. 2 GG).

Die Auslegung des Merkmals Angriffskrieg in § 80 StGB hat vom verfassungsrechtlichen Aggressionsverbot des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG auszugehen, auf das die Strafvorschrift Bezug nimmt. Die Entstehungsgeschichte dieses Verfassungsgebots ist untrennbar mit der jüngeren deutschen Geschichte verbunden. Ersichtlich waren es die Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, die die Mitglieder des Parlamentarischen Rates bewogen haben, rechtliche Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass von deutschem Boden jemals wieder Krieg ausgehen wird (vgl. Fink in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 26 Rn. 1 m.w.N.). Der Bundesrepublik Deutschland sollte das „böswillige Spiel mit dem Feuer“ verboten werden (Maunz in Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 12). Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG enthält indessen nicht das Verbot jeglicher Form der Kriegsvorbereitung, wie es noch der Herrenchiemsee-Entwurf vorgesehen hatte. Gegen den Vorschlag, Vorbereitungen zum Krieg umfassend zu verbieten, setzte sich im Parlamentarischen Rat die - insbesondere von Dehler vertretene - Meinung durch, wonach es nach dem Völkerrecht weder verboten noch untersagt werden könne, dass sich ein Staat gegen Aggressionen von außen verteidige (Hartwig in Umbach/Clemens , Mitarbeiterkommentar zum GG, Art. 26 Rn. 3 m.w.N.). Andere Stimmen, die einen radikalpazifistischen Ansatz verfolgten, fanden keine Mehrheit (zu Verlauf und Ergebnis der Beratungen vgl. Menzel in Bonner Kommentar zum GG, Art. 26 Anm. I 2 a).

Neben diesem, auf die spezifischen Erfahrungen der deutschen Geschichte abstellenden Gesichtspunkt muss bei der Auslegung ins Gewicht fallen, dass das Aggressionsverbot einen Sachverhalt betrifft, der letztlich im Völkerrecht wurzelt. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG hebt den Angriffskrieg als einen besonders bedeutsamen Fall der Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker hervor; es handelt sich um eine schwerwiegende Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots. Das grundsätzliche Verbot zwischenstaatlicher Gewalt ist zugleich eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG (vgl. Herdegen in Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 26); Art. 25 und Art. 26 Abs. 1 GG sind deshalb in Bezug auf das Verbot des Angriffskriegs deckungsgleich (Hartwig a.a.O. Rn. 11). Danach ist nicht jede militärische Auseinandersetzung, die zu anderen Zwecken als zur unmittelbaren Selbstverteidigung geführt wird, ein Angriffskrieg im Sinne des Grundgesetzes. Die Auslegung des Begriffs orientiert sich vielmehr an den Regeln des Völkerrechts; gemeint ist die völkerrechtswidrige Aggression durch militärische Intervention (KG vom 10. Oktober 2001 - [4] 1 Ss 118/01; Streinz in Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 26 Rn. 18; Maunz in Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 24 ff.; Volger, Lexikon der Vereinten Nationen, S. 23 ff.; Wolfrum/Philipp, Handbuch Vereinte Nationen, Stichwort „Friedenssicherung“, Frowein in Simma , Charta der Vereinten Nationen, Art. 39 Rn. 13 ff., Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 232 [S. 142]; LK- Laufhütte § 80 StGB Rn. 2 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat demzufolge die durch ein Mandat der Vereinten Nationen legitimierte Beteiligung deutscher Streitkräfte an friedenssichernden Operationen nicht unter dem Blickwinkel des Art. 26 Abs. 1 GG beurteilt, obgleich es sich bei solchen Einsätzen nicht um die Verteidigung des Bundesgebiets handelte (vgl. BVerfGE 90, 286 <351ff.>).

Dem Völkerrecht ist - jedenfalls derzeit - kein allgemein anerkannter und auch nur einigermaßen ausdifferenzierter Begriff der völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggression zu entnehmen (vgl. NK- Paeffgen § 80 StGB Rn. 6 m.w.N.). Art. 6a des Londoner Statuts des internationalen Militärtribunals sowie das Kontrollratsgesetz Nr. 10, die Grundlage der völkerstrafrechtlichen Bewertung des nationalsozialistischen Angriffskriegs in den Nürnberger Prozessen waren, bezeichneten zwar die Vorbereitung oder Durchführung eines Angriffskriegs als Verbrechen gegen den Frieden, definierten diesen Begriff aber nicht näher (vgl. AK-Sonnen § 80 Rn. 7, 8). Auch das in Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1978 II S. 1379, im Folgenden SVN) statuierte Gewaltverbot („Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“) trifft keine Aussage zur rechtswidrigen Aggression.

Gewalt im Sinne dieser Bestimmung bedeutet zunächst jede militärische (Waffen-)Gewalt (vgl. Randelzhofer in Simma , Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4 Rn. 15); ihre Anwendung ist zwar grundsätzlich verboten, sie kann im Einzelfall aber auch völkerrechtlich erlaubt sein. Solche Erlaubnistatbestände, die die Annahme eines Angriffskriegs im Sinne von Art. 26 Abs.1 Satz 1 GG und von § 80 StGB ausschließen würden, können sich aus dem Selbstverteidigungsrecht der Völker (Art. 51 SVN), aus den Vorschriften über die kollektive Friedenssicherung des Kapitels VII der Charta (vgl. Art. 39, 42, 53 SVN) und unter Umständen auch aus ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen des universellen Völkergewohnheitsrechts ergeben (vgl. etwa zur Rechtsfigur der humanitären Intervention Hummer/Mayr-Singer NJ 2000,113 <116>).

Einen Anhaltspunkt für die Annahme einer völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggression gibt die Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1974, die in einem Katalog von Angriffshandlungen verschiedene Formen der Aggression beschreibt (abgedruckt bei LK-Laufhütte § 80 Fn. 4). Der Entschließung ist zu entnehmen, dass die erste Anwendung von Waffengewalt einen Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen einer Angriffshandlung begründet (Artikel 2) und dass die Duldung von Angriffshandlungen, die vom eigenen Hoheitsgebiet gegen einen Drittstaat gerichtet sind, grundsätzlich ihrerseits als Angriffshandlung zu bewerten ist (Artikel 4 Buchst. f). Die Resolution misst sich indessen keine bindende Wirkung zu. Sie räumt dem Sicherheitsrat ausdrücklich das Recht ein, trotz Vorliegens eines Katalogsachverhalts eine Angriffshandlung zu verneinen (vgl. Artikel 2) oder nicht aufgeführte Handlungen als Aggression zu bezeichnen (vgl. Artikel 4). Der weder bindenden noch abschließenden Definition kommt mithin nur die Bedeutung einer Orientierungshilfe zu (vgl. LK- Laufhütte § 80 Rn. 2; NK-Paeffgen § 80 Rn. 7 jeweils m.w.N.).

Besonders augenfällig tritt das Unvermögen der Völkergemeinschaft, sich auf einen gemeinsamen Begriff des Angriffskriegs zu einigen, darin zu Tage, dass das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl. 2000 II S. 1393) keine Definition des Verbrechens der Aggression enthält. Der Gerichtshof kann die ihm durch Art. 5 Abs. 1 Buchst. d des Statuts insoweit grundsätzlich zuerkannte Gerichtsbarkeit auf absehbare Zeit nicht ausüben, weil eine Verständigung in diesem Punkt nicht erzielt werden konnte.

Zur Rechtsunsicherheit trägt nicht unerheblich der Umstand bei, dass das Völkerrecht nicht statisch ist. Vielmehr sind Entwicklungslinien festzustellen, die in die Erweiterung bereits gegebener oder in die Bildung neuer, den Einsatz militärischer Gewalt legitimierender Erlaubnistatbestände münden können. Beispielhaft sei erwähnt, dass die militärischen Möglichkeiten, die moderne Massenvernichtungswaffen zur Ausschaltung der so genannten Zweitschlagfähigkeit eröffnen, die Diskussion um die Frage der Zulässigkeit präventiver Verteidigung im Rahmen des Art. 51 SVN erneut belebt haben (zur Zulässigkeit präventiver Verteidigung vgl. Streinz in Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 26 Rn. 20; Stree/Sternberg- Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. § 80 Rn. 4; sowie bereits Maunz in Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 26; aber auch Randelzhofer in Simma, UN Charta, Art. 51 Rn. 34, 35). Die Möglichkeit der Bildung von völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen, die nicht mandatierte humanitäre Interventionen erlauben können, wird ferner am Beispiel des NATO-Militäreinsatzes im Frühjahr 1999 gegen Jugoslawien - bislang sehr kontrovers - erörtert (vgl. hierzu die gegensätzlichen Standpunkte von Simma und Ipsen in Merkel , Der Kosovokrieg und das Völkerrecht, S. 9ff.und 160ff.; Hummer/Mayr-Singer, NJ 2000, 113ff.; Kreß, NJW 1999, 3077). Insgesamt scheint in der Staatenwelt und in der Völkerrechtslehre die Bereitschaft zuzunehmen, das Gewaltverbot in eine Abwägung mit den elementaren Menschenrechten zu bringen und so in besonders schwerwiegenden Fällen humanitäre Interventionen zuzulassen (vgl. Herdegen in Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 26; zum Stand der Diskussion: Deiseroth, NJW 1999, 3084 <3085>). Das Merkmal des Angriffskriegs verweist deshalb auf einen Regelungszusammen-hang, dessen ohnehin unscharfe Konturen sich derzeit im Fluss befinden und dessen Inkorporierung in das deutsche Rechtssystem (Art. 25 GG) erst am Anfang steht (vgl. Art. 100 Abs. 2 GG).

Die Übernahme eines der völkerrechtlichen Entwicklung offenstehenden Begriffs aus der Verfassung in einen strafrechtlichen Tatbestand hat in der strafrechtlichen Literatur unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) Bedenken ausgelöst (so schon Schroeder JZ 1969, 41 <47>, vgl. auch Stree/Sternberg-Lieben a.a.O. § 80 Rn. 4). Sie sind jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Die ganz überwiegende Meinung löst den im Grundgesetz angelegten Konflikt durch eine einengende Auslegung des Begriffs des Angriffskrieges, die völkerrechtliche Zweifelsfälle ausscheidet: Strafbarkeit soll nur dann eintreten, wenn eine evidente Verletzung des Gewaltverbots vorliegt, die Tathandlung mithin nach den Regeln des Völkerrechts eindeutig zu missbilligen ist (so Stree/Sternberg-Lieben aaO.; LK-Laufhütte § 80 Rn. 2; AK- Sonnen § 80 Rn. 18; SK-Rudolphi § 80 Rn. 3; Lackner/Kühl StGB, 24. Aufl., § 80 Rn. 2; NK-Paeffgen § 80 Rn. 8; Weber, NJW 1979, 1282 <1283>; Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 80 Rn. 2; a. A. Tröndle/Fischer, 51. Aufl., die die Aussagekraft des Merkmals der Eindeutigkeit bezweifeln). Die einengende Interpretation ist geboten, weil dem Adressaten der Strafnorm das Risiko einer völkerrechtlichen Fehlbewertung jedenfalls im Randbereich nicht zugemutet werden kann. Dies gilt um so mehr, als der Bundesregierung ein dem Art. 100 Abs. 2 GG entsprechendes Verfahren nicht zur Verfügung steht. Sie entspricht dem aus Art. 103 Abs. 2 GG abzuleitenden Verbot der „entgrenzenden“ Auslegung von notgedrungen unscharfen Tatbestandsmerkmalen (vgl. zum Gewaltbegriff der Nötigung BVerfGE 92, 1, <14f>.).

Danach ergibt sich für die Auslegung und Anwendung des § 80 StGB Folgendes:

Dem zentralen Anliegen des § 80 StGB zu verhindern, dass von deutschem Boden aus jemals wieder ein Krieg ausgelöst wird, läuft das angezeigte Verhalten nicht zuwider.

Im Rahmen der strafrechtlichen Prüfung ist nicht zu entscheiden, ob die Anwendung von Gewalt durch die Vereinigten Staaten von Amerika ohne oder gegen den Willen des Sicherheitsrats völkerrechtlich zulässig wäre. Die strafrechtliche Bewertung des angezeigten Sachverhalts ist von der Beantwortung dieser Frage nicht abhängig.

§ 80 StGB erfasst nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll. Die Strafvorschrift schützt den Völkerfrieden nicht umfassend, sondern nur in dem begrenzten Bereich, in dem Deutschland selbst in eine Konfliktsituation geraten kann (vgl. LK–Laufhütte § 80 Rn. 1), mithin den Frieden zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen Staaten (AK-Sonnen § 80 Rn. 12; SK-Rudolphi vor § 80 Rn. 3). Dass die Strafvorschrift insoweit möglicherweise hinter dem Pönalisierungsgebot des Grundgesetzes zurückbleibt, ist für die Frage der Strafbarkeit ohne Belang (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG). Der Tatbestand setzt voraus, dass die Bundesrepublik Deutschland als Krieg führende staatliche Macht unter Einsatz ihrer Streitkräfte oder in vergleichbar massiver Weise beteiligt sein soll ( LK- Laufhütte § 80 Rn. 3; NK-Paeffgen § 80 Rn. 18; Tröndle/Fischer § 80 Rn. 4).

Ferner verlangt die hohe Strafdrohung eine Tat von Gewicht. Im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG, der nicht nur der tatbestandsergänzenden, sondern auch der tatbestandsausweitenden Interpretation Grenzen setzt (vgl. BVerfGE 92, 1 <16f.>), liegt es fern, bloße Duldungs- oder Unterlassungshandlungen unter dem Begriff der Kriegsbeteiligung zu subsumieren. Nach dem erklärten und wiederholt geäußerten Willen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers, sich an einem militärischen Schlag gegen den Irak nicht zu beteiligen, soll sich die deutsche Unterstützung für die Vereinigten Staaten von Amerika in der Gewährung von Überflug-, Bewegungs- und Transportrechten erschöpfen. Die Gewährung solcher Rechte wird aber als eine bloße Nichtverhinderung von Angriffshandlungen (vgl. dazu Randelzhofer in Simma , Charta der Vereinten Nationen, § 51 Rn. 28) vom Tatbestand des § 80 StGB nicht erfasst. Auf die Frage, ob dieser Sachverhalt unter Artikel 3f der Resolution 3314 (XXIX) fiele, kommt es somit bei der strafrechtlichen Beurteilung nicht an.

Die Mitwirkung deutscher Soldaten an AWACS-Einsätzen ist im Rahmen der auf Verteidigung angelegten Bündnisverpflichtungen zu sehen und dient ersichtlich dem Schutz der türkischen Staatsgrenze. Sie stellt deshalb keine von deutscher Seite betriebene Vorbereitung einer völkerrechtswidrigen Aggression im Sinne des § 80 StGB dar. Ob die Mitwirkung von Angehörigen der Bundeswehr am NATO-Frühwarnsystem dem Parlamentsvorbehalt unterliegt (vgl. BVerfGE 90, 286 <387>), ist für die strafrechtliche Beurteilung ohne Belang.

§ 80 StGB setzt ferner als tatbestandsmäßigen Unrechtserfolg voraus, dass der Täter durch die Kriegsvorbereitung die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. Der Ausbruch eines solchen Krieges muss auf Grund der tatsächlichen Umstände nahe liegen, das heißt er muss wahrscheinlich sein (vgl. SK-Rudolphi § 80 Rn. 7); die Möglichkeit eines Krieges zwischen fremden Staaten reicht nicht aus. Die Kriegsgefahr muss ferner durch die Tathandlung verursacht werden. An dem hiernach geforderten ursächlichen Zusammenhang fehlt es, wenn nicht die Vorbereitungshandlungen des Täters, sondern andere Umstände die Wahrscheinlichkeit eines Krieges auslösen, die Kriegsgefahr also unabhängig von den Aktivitäten des Täters besteht (vgl. SK-Rudolphi § 80 Rn. 7; LK-Laufhütte § 80 Rn. 6). Schließlich muss der Täter die Gefahr zumindest mit bedingtem Vorsatz herbeiführen; da der Eintritt einer konkreten Gefahr keine besondere Tatfolge im Sinne des § 18 StGB ist, genügt Fahrlässigkeit nicht (vgl. BGHSt 26, 176 <180f.>; LK-Schroeder § 18 Rn. 8; Tröndle/Fischer § 18 Rn. 2a). Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich sämtlich nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Staat besteht nicht. Die Gefahr eines Krieges zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Irak wäre nicht geeignet, den Tatbestand zu erfüllen; sie wäre auch nicht auf ein Verhalten zurückzuführen, das einem Mitglied der Bundesregierung zugerechnet werden könnte.

ots-Originaltext: Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA)
Digitale Pressemappe:
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