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"Ich könnte der Nächste sein"

In Guatemala wurden drei Gewerkschafter binnen vier Jahren von Unbekannten erschossen / Die Regierung ist untätig *


Guatemala wird immer gefährlicher für Gewerkschafter. Ende Mai wurde Idar Joel Hernández Godoy, der Finanzsekretär der Bananenarbeitergewerkschaft von Izabal (Sitrabi), von Killern in seinem Auto erschossen. Der dritte Mord binnen vier Jahren, wie Sitrabi-Generalsekretär Noe Antonio Ramírez Portela im Interview mit Knut Henkel erklärt. Er fordert von Guatemalas Regierung Aufklärung und Schutz für die Gewerkschafter.

Neues Deutschland: Am 26. Mai starb Idar Joel Hernández auf den Weg nach Morales im Kugelhagel von zwei Killern auf einem Motorrad. In den letzten Jahren hat es bereits zwei Morde an Sitrabi-Repräsentanten gegeben ...

Noe Antonio Ramírez Portela: Das ist richtig, und es muss endlich Schluss sein mit der Straflosigkeit. Man will unsere Gewerkschaft eliminieren und seit 2007 sind drei unsere Funktionäre ermordet wurden, ein Kollege wurde direkt an seinem Arbeitsplatz erschossen. Wir als Gewerkschaft haben auf internationaler und auf nationaler Ebene Aufklärung verlangt, aber bisher ist keiner der drei Fälle aufgeklärt. Wir wissen nicht wer hinter den Attentaten steckt, wie wissen nicht, wer unsere Gewerkschaft eliminieren will, aber wir wissen, dass wir sie erhalten wollen, denn dafür haben wir lange gekämpft.

Gab es in der Geschichte der 1947 gegründeten Gewerkschaft schon mal eine vergleichbare Zeit?

Nein, selbst in den Jahren des schmutzigen Krieges, des Bürgerkriegs, der 1996 endete, war es nicht so schlimm. Noch nie wurden in so einer kurzen Zeitspanne so viele Kollegen ermordet. Doch die Regierung reagiert nicht auf unsere Eingaben. Unsere einzige Hoffnung ist, dass die Regierung auf den internationalen Druck reagiert und endlich ermittelt. Wir wollen wissen, wer dahinter steckt, denn wir glauben, dass es sich um einen direkten Angriff auf unsere Organisation handelt.

Hat es weitere Drohungen gegeben – beispielsweise gegen Sie?

Ja, auch ich habe Morddrohungen erhalten und schon 2008 Anzeige im Ministerium gestellt, aber seitdem ist nichts passiert. Es gebe keine Beweise heißt es, aber sie haben auch nichts unternommen, um welche zu finden. Mehr als anzeigen kann man doch nicht oder muss man jetzt selbst ermitteln? Mit Umgang und der Untätigkeit sind wir von der Sitrabi alles andere als einverstanden.

Sind die Anzeigen wegen der Drohungen denn allesamt eingestellt worden?

Ja, man hat die Fälle – es sind mehrere Mitglieder der Sitrabi bedroht worden – »abgelegt«. So hat es uns ein Staatsanwalt vor ein paar Wochen mitgeteilt. Das ist auch ein Grund, weshalb wir die Regierung für den Tod von Idar Joel Hernández Godoy mitverantwortlich machen.

Hat es in jüngster Zeit neue Drohungen gegen Sie gegeben?

Es gibt Gerüchte, dass ich der Nächste sein soll und dass ich das eigentlichen Ziel bin. Es sind Gerüchte, aber man macht sich schon Gedanken, wenn die eigenen Kinder einen warnen. Das geht nicht spurlos an mir vorbei. Es gibt auch immer wieder Gerüchte, dass Pistoleros in der Region unterwegs sind. Reaktionen darauf habe ich von Seiten der Regierung aber nicht registriert.

Aber es gibt unzählige Protestschreiben, von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und anderen. Zeigt das keine Wirkung?

Zu wenig bisher. Es gibt soweit wir wissen keine Ermittlungserfolge. Wir müssten also fortfahren, obwohl wir nichts anderes machen als für die Rechte der Arbeiter einzutreten. Zum Glück gibt es erheblichen Druck von Seiten der USA, die Morde aufzuklären.

Stehen Sie direkt mit Abgeordneten in den USA in Kontakt?

Nein, aber in der nächsten Woche wird eine Delegation aus den USA hier in Morales eintreffen. Es gibt ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und den Mittelamerikanischen Staaten. Danach ist die Regierung verpflichtet, die Arbeits- und die Menschenrechte der Arbeiter zu respektieren. Gegen dieses Kapitels 16 hat die Regierung verstoßen, und die USA haben gedroht, eine Strafe von 15 Millionen US-Dollar zu erheben, wenn sich nichts ändert.

Hat es Vergleichbares auch von Seiten der Europäischen Union gegeben? Es gibt Kontakte, und die EU-Vertretung wird sich demnächst mit uns treffen. Sie unterstützt uns durchaus.

Warum reagiert die Regierung nicht auf den internationalen Druck? Nun, die Regierung ist Teil des Problems, weil sie die Straflosigkeit duldet und nicht bekämpft. Zudem gibt es viele Fälle von Korruption – auf Justizebene, auf der Ebene der Ermittlungsbehörden und auch der Ministerien –, die die Ermittlungen erschweren.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011


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