Handel den Menschenrechten unterordnen
Bischof Alvaro Ramazzini fordert anderes Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika *
Bischof Alvaro Ramazzini setzt sich für die Rechte der armen
Landbevölkerung in Guatemala ein.
Welche Auswirkungen wird das
Assoziierungsabkommen zwischen
der EU und Zentralamerika
auf die Bevölkerung in Guatemala
haben?
Das Abkommen zielt vor allem auf
den Freihandel ab. Es wird nicht
zur Armutsbekämpfung beitragen.
Wenn das Abkommen von einer
tief greifenden Steuerreform
und einem Staat begleitet würde,
der die Handelsgewinne gerecht
verteilen würde und wenn sich
mehr Reichtum in den armen Sektoren
generieren ließe, könnten
wir vielleicht davon profitieren.
Das neoliberale Wirtschaftsmodell
führt in Guatemala zu einer
weiteren Konzentration des
Reichtums, und gleichzeitig leben
wir in einer auf Landwirtschaft
basierenden Ökonomie. Die Mehrheit
der Menschen sind Subsistenzbauern
oder Arbeiter auf den
großen Landgütern. Tausende
Guatemalteken haben keinerlei
Zugang zum Bildungssystem. Wir
haben eine Armutsquote von 60
Prozent. Man sollte daher erst über
andere Maßnahmen nachdenken,
bevor man Abkommen unterzeichnet,
die den Freihandel in den
Mittelpunkt stellen.
Das Abkommen beinhaltet auch
politischen Dialog und Zusammenarbeit.
Kann man damit Druck
auf Länder wie Guatemala ausüben,
die Menschenrechtssituation,
die Arbeitsrechte und den
Umweltschutz zu verbessern?
Es heißt, dass durch das Assoziierungsabkommen
und damit verbundene
Sanktionen Druck ausgeübt
werden soll. Aber wenn der
Fokus auf den Handelsbeziehungen
liegt, wird sich immer eine
Möglichkeit finden, um diese Verpflichtungen
nicht einzuhalten.
Würde die EU den Handel mit
guatemaltekischen Unternehmen
boykottieren, die die Arbeitsrechte
nicht einhalten, dann
könnte das ein Druckmittel sein.
Wir tragen aber auch selbst die
Verantwortung, in unseren Ländern
eine größere Kohärenz und
Transparenz einzufordern. Die internationale
Gemeinschaft kann
uns unterstützen, wenn es darum
geht, bestimmte Fälle vor internationale
Gerichte zu bringen,
oder wenn es um wirtschaftliche
Sanktionen geht. Eine weitere
Möglichkeit, die gerade diskutiert
wird, wäre, den Menschenrechten
im Assoziierungsabkommen
die zentrale Stellung einzuräumen
und den Freihandel der Einhaltung
der Menschenrechte – wie
den Rechten auf Wasser, auf Nahrung
und auf freie Meinungsäußerung
–, unterzuordnen.
Es gibt eine starke indigene
Protestbewegung, etwa gegen Minenprojekte.
Sehen Sie eine soziale
Kraft entstehen, die die Verhältnisse
verändern kann?
Ich sehe mit Hoffnung, dass sich
indigene Gemeinden artikulieren
und organisieren, um ihre Landrechte
und ihr Recht auf die Nutzung
der Naturgüter zurückzufordern.
Das ist sehr positiv. Hätten
die Regierenden eine echte Zukunftsvision,
könnte diese Dynamik
dazu genutzt werden, die sozioökonomische
Struktur Guatemalas
zu verändern, statt daraus
einen Konflikt zu schüren.
Sie haben mit Abgeordneten des
Deutschen Bundestags über das
Assoziierungsabkommen gesprochen.
Gibt es im anstehenden Ratifizierungsprozess
noch Möglichkeiten,
das Abkommen zu modifizieren?
Ich hoffe ja. Nach dem, was Frank
Schwabe von der SPD gesagt hat,
brauchen die Abgeordneten mehr
Informationen, sie müssen die von
Armut betroffenen Teile der Gesellschaft
hören. Ich wünsche mir,
dass der Deutsche Bundestag eine
solche breitere Diskussion
wirklich ernst nimmt und dass die
Zivilgesellschaft, sowohl in
Deutschland als auch in Guatemala
und ganz Zentralamerika,
einen größeren Anteil daran hat.
Das würde ein wirkliches Interesse
Deutschlands an der Einhaltung
der Menschenrechte zeigen.
Fragen: Jutta Blume
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. November 2012
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