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Ganz kleine Schritte

Georgien strebt Verbesserung der Beziehungen zu Rußland an

Von Knut Mellenthin *

Der neue georgische Regierungschef Bidsina Iwanischwili hat am vorigen Donnerstag einen Sondergesandten für die Beziehungen zu Rußland eingesetzt. Der Milliardär, dessen Partei Georgischer Traum als klarer Sieger aus der Parlamentswahl vom 1. Oktober hervorging, hatte im Wahlkampf angekündigt, die Beziehungen zum großen Nachbarn im Norden verbessern zu wollen. Georgien hatte nach dem Augustkrieg von 2008 die diplomatischen Beziehungen zu Moskau abgebrochen. Die beiden Staaten kommunizieren seither hauptsächlich mit Hilfe der Schweiz.

Die Position des Sondergesandten existierte bisher nicht. Iwanischwili äußerte bei der Bekanntgabe der Ernennung von Surab Abaschidse die Hoffnung, daß Rußland mit einem analogen Schritt reagieren werde. Der Berufsdiplomat ist in Moskau »wohlbekannt« und gilt als Kenner des Landes, wie es in einer ersten Reaktion des russischen Außenministeriums hieß. Obwohl diese Verlautbarung knapp und neutral gehalten war, ist davon auszugehen, daß man sich in Moskau eine Zusammenarbeit mit dem Sondergesandten gut vorstellen kann. Man begrüßt dort auch, daß der neue Mann direkt dem Premier unterstellt ist – und nicht etwa der Außenministerin Maja Pandschikidse, die gelegentlich als Stimme Berlins verdächtigt wird, seit sie dort einmal Botschafterin war.

Der Politikwissenschaftler Abaschidse hatte seine diplomatische Laufbahn schon zur Zeit der Sowjetunion am Generalkonsulat im indischen Bombay (1978–1980) und an der Botschaft in der spanischen Hauptstadt Madrid (1984–1988) begonnen. Nach der Auflösung der UdSSR vertrat er von 1993 bis 2000 Georgien in Brüssel als gleichzeitiger Botschafter bei der NATO, der EU und den Beneluxstaaten. Im Jahr 2000 schickte ihn der damalige georgische Präsident Eduard Schwewardnadse nach Moskau, wo er bis 2004 als Botschafter amtierte.

Iwanischwili hat sich öffentlich darauf festgelegt, daß es keine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen geben wird, solange Rußland an der Anerkennung der von Georgien abgefallenen Republiken Abchasien und Südossetien festhält. Dieses Prinzip teilt auch Abaschidse aus persönlicher Überzeugung, wie aus älteren Interviews mit ihm hervorgeht. Gleichzeitig sagte er aber auch, daß Rußland in dieser Frage keinesfalls einen Rückzieher machen werde, und daß er auf dieses Dilemma keine Antwort wisse.

Die neue Regierung in Tbilissi wird vor diesem Hintergrund versuchen, den Russen zunächst eine Reihe von kleineren Schritten schmackhaft zu machen, die in naher Zukunft oder sogar sehr schnell realisierbar sein könnten. Darunter rangiert ganz vorn die Aufhebung des 2006 von Moskau erlassenen Einfuhrverbots für bis dahin in Rußland beliebte georgische Produkte wie Wein, Südfrüchte und Mineralwasser. Georgien strebt außerdem die Aufhebung der Visumpflicht an, auf die Präsident Micheil Saakaschwili schon vor einigen Monaten einseitig verzichtet hatte. Auch kulturelle und humanitäre Kontakte sollen verstärkt werden.

Moskau wird im Gegenzug versuchen, die Georgier endlich zum Abschluß eines Nichtangriffsvertrags zu bewegen, der Abchasien und Südossetien einbeziehen müßte. Ein weiteres Thema wird die Freilassung russischer Bürger sein, die aus politischen Gründen in Georgien inhaftiert sind. Eine kleine Vorleistung hat Iwanischwili bereits erbracht, indem er mitteilte, daß Georgien die Olympischen Winterspiele, die im Februar 2014 in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi stattfinden, nicht boykottieren werde. Das war bisher ein Gegenstand ständiger Polemik gewesen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 06. November 2012


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