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Moskau dementiert Raketenbeschuss

Georgien beschuldigt Russland der Bombardierung seines Territoriums

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russland habe weder am Montagabend noch am Dienstagmorgen Flüge unternommen, sagte der Vizekommandeur der Luftwaffe, Oberst Alexander Drobyschewski, der Nachrichtenagentur Reuters. Kurz zuvor hatte Georgiens Innenminister Wano Merabischwili Moskau »Aggression« vorgeworfen. Ein georgisches Radar habe die Koordinaten eines russischen Kampfbombers des Typs SU-25 registriert. Dieser habe eine lenkbare Luft-Boden-Rakete abgefeuert, sagte Merabischwili in einem Interview.

Auf dem Radar der georgischen Luftabwehr seien Flugbahn, -höhe und -geschwindigkeit gut zu erkennen gewesen. Die Rakete sei über einem Dorf 65 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Tbilissi abgeschossen worden und habe sich beim Aufprall tief in den Boden gebohrt. Glücklicherweise sei der Sprengsatz nicht explodiert, niemand sei verletzt worden. Militärs und Kriminalisten bargen Teile des Geschosses.

Russland argumentierte, auch Georgien selbst verfüge über Kampfbomber dieses Typs, und die Rakete selbst sei überall auf der Welt verbreitet. Selbst die ehemalige georgische Außenministerin Salome Surabischwili hielt es für möglich, dass hinter dem Ganzen die georgischen Streitkräfte stehen: »Ich schließe nicht aus, dass der Raketenangriff ein von Innenminister Merabischwili inszeniertes Spektakel ist.«

Georgien hatte Russland schon vor fünf Jahren mehrfach Luftangriffe auf Dörfer in der Pankisi- Schlucht vorgeworfen. Sie grenzt an Tschetschenien, wird von Kistinen – ethnischen Verwandten der Tschetschenen – besiedelt und diente den Separatisten während der heißen Phase des Tschetschenienkrieges als Rückzugsgebiet. Die Zentralregierung in Tbilissi stellte erst 2002 nach einer spektakulären Operation zur Bekämpfung von Bandenkriminalität die Kontrolle über das Gebiet in Teilen wieder her. Eine von Moskau vorgeschlagene gemeinsame Terroristenbekämpfung in der Pankisi-Schlucht hatte der damalige Staatschef Eduard Schewardnadse wegen der damit verbundenen Präsenz russischer Bodentruppen in Georgien abgelehnt.

Der neue Zwischenfall ereignete sich nahe der Grenze zu Südossetien, das sich von Georgien trennen will. Die Separatisten, die dort und in der ebenso abtrünnigen Schwarzmeerregion Abchasien 1992 die Macht übernahmen, werden von Moskau zumindest moralisch unterstützt. Beide Konflikte heizen das gespannte russisch-georgische Verhältnis immer wieder an. Formell noch Mitglied der GUS, engagiert sich Georgien zusammen mit der Ukraine und Moldova vor allem in dem antirussischen Regionalbündnis GUAM. Ein Beitritt zur NATO ist für Staatschef Michail Saakaschwili beschlossene Sache. Washington hofft zudem, mit Hilfe Georgiens und nach dem Vorbild von dessen »Rosenrevolution« bei den Präsidentenwahlen im benachbarten Armenien im nächsten Jahr ebenfalls eine pro-amerikanische Regierung auf den Schild zu heben und damit Moskaus letzte Bastion im Südkaukasus zu schleifen.

Einfuhrstopps für georgische Weine und Mineralwasser, wie Russland sie im März 2005 verfügte, sind daher aus georgischer Sicht politisch motiviert. Die auf Agrarexport orientierte Republik fuhr dadurch gewaltige Verluste ein und rächte sich mit einem Veto gegen Russlands WTO-Beitritt.

Weiter spitzte sich beider Verhältnis im Oktober zu. Georgien hatte mehrere russische Offiziere wegen Spionage verhaftet, nach Vermittlung durch die OSZE jedoch an Moskau ausgeliefert. Der Kreml kappte daraufhin sämtliche Bank- und Verkehrsverbindungen, in Moskau kam es zur Verfolgung ethnischer Georgier. Zwar kehrte Russlands Botschafter im Februar nach Tbilissi zurück, beigelegt ist die Krise nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 8. August 2007


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