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"Ich oder die Russen"

Georgiens Präsident Saakaschwili sucht Bestätigung durch Neuwahlen. Opposition verfügt über keinen Politiker mit Aussicht auf Erfolg

Von Knut Mellenthin *

In Georgien wird am 5. Januar 2008 eine vorgezogene Präsidentenwahl stattfinden. Mit diesem geschickten Schachzug ist Amtsinhaber Michail Saakaschwili einen Tag nach der Verhängung des Ausnahmezustands in die politische Offensive gegangen. Gleichzeitig soll die Bevölkerung in einem Referendum entscheiden, ob sie Parlamentswahlen schon im Frühjahr 2008 will, wie von der Opposition gefordert, oder erst im Herbst, wie von der Regierung festgesetzt.

Die meisten Oppositionsparteien begrüßten am Donnerstag abend die Ankündigung des Präsidenten und bezeichneten sie als großen Erfolg der Demonstrationen der vergangenen Tage. Auch die US-Regierung äußerte sich in einer ersten Stellungnahme des Außenministeriums erfreut, mahnte allerdings zugleich die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Wiederherstellung der Medienfreiheit an. Die georgische Regierung hatte am Mittwoch den privaten Sendern die Ausstrahlung von Nachrichten verboten und zwei Sender sogar geschlossen.

Regulär wäre die nächste Präsidentenwahl erst im Januar 2009 fällig gewesen, die Parlamentswahl hingegen im März oder spätestens April 2008. Die regierende Nationalpartei hatte jedoch vor einigen Monaten mit ihrer parlamentarischen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, beide Termine zusammenzulegen und zwischen Oktober und Dezember 2008 wählen zu lassen. Die Neuwahl des Parlaments im nächsten Frühjahr ist eine zentrale Forderung der Opposition.

»Es gibt nichts Wichtigeres, als der ganzen Welt zu zeigen, daß Georgien eine starke Demokratie ist«, sagte Saakaschwili in seiner Fernsehansprache am Donnerstag abend. »Das werden die demokratischsten, transparentesten und freiesten Wahlen sein. Ich fordere die internationalen Organisationen auf, so viele Beobachter wie möglich zu schicken.« Und an die Opposition gerichtet, höhnte der Präsident: »Ich gebe Ihnen die Chance, daß sich das Volk für Sie entscheidet, falls Sie das wirklich verdienen.«

Das Hauptproblem der Opposition ist indessen, daß sie keine Politiker hat, die mit Aussicht auf Erfolg gegen Saakaschwili antreten könnten. Die Oppositionsparteien werden in der bis zur Wahl verbleibenden knappen Zeit sogar größte Mühe haben, sich überhaupt auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Die angesehene frühere Außenministerin Salome Surabischwili lebt erst seit 2003 in Georgien und scheitert daher an der Voraussetzung, daß Kandidaten seit 15 Jahren im Land ansässig sein müssen. Der ehemalige Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili erreicht das Mindestalter, 35 Jahre, erst im November 2008. Außerdem lebt er zur Zeit im Ausland, weil gegen ihn ein Verfahren wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen läuft.

Unter diesen Bedingungen hat die Präsidentenwahl am 5. Januar nur den Charakter eines Plebiszits, für das Saakaschwilis Aussichten sehr gut stehen. Wie er den Wahlkampf führen will, hat er in seiner Fernsehansprache klar gesagt: »Als Führer dieses Landes brauche ich Ihr eindeutiges Mandat, um alle äußeren Bedrohungen abzuwehren, um alle Arten von Druck auf Georgien abzuwehren, um alle Versuche abzuwehren, georgisches Territorium zu annektieren, um die Pläne zur Destabilisierung Georgiens abzuwehren.«

Mit anderen Worten: Antirussische Propaganda soll Saakaschwilis angeschlagene Herrschaft retten. Die Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf mögliche Gegner in seinem eigenen Lager, vor allem die Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse.

* Aus: junge Welt, 10. November 2007

Aktuelle Meldungen der Russischen Nachrichtenagentru RIA Novosti

Georgiens Oppositionspolitiker ersucht USA um politisches Asyl für seine Familie

TIFLIS, 10. November (RIA Novosti). Georgiens Oppositionspolitiker und Chef der Laborpartei, Schalwa Natelaschwili, der an den jüngsten Massenprotesten gegen die Regierung teilgenommen hat, hat die USA um politisches Asyl für seine Familie ersucht. Das teilte Nestan Kirtadse, Sprecher der Arbeitspartei, am Samstag (10. November) in Tiflis mit.

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Nowosti-Grusia reichte Natelaschwili bei der amerikanischen Botschaft ein entsprechendes Gesuch ein. Er befürchte, dass seine Familie nach den jüngsten Ereignissen unter Druck geraten kann, schrieb Natelaschwili, gegen den georgische Behörden wegen "Spionage" und "Putschversuchs" ermitteln.

Am vergangenen Mittwoch (7. Nov.) hatte sich die georgische Polizei schwere Auseinandersetzungen mit Tausenden Demonstranten in der Hauptstadt Tiflis geliefert. Die Massenproteste gegen Präsident Michail Saakaschwili hatten seit knapp einer Woche angedauert. Die Ordnungskräfte lösten die Demonstranten mit Tränengas, Gummikugeln und Wasserkanonen auf. Dabei wurden den offiziellen Angaben zufolge mindestens 600 Menschen verletzt.
Nach den Massenprotesten verhängte Präsident Saakaschwili einen 15-tägigen Ausnahmezustand über das Land.

Russland schließt Truppenabzug aus Georgien bis Dezember ab

ROSTOW AM DON, 10. November (RIA Novosti). Russland will den Truppenabzug aus dem kaukasischen Nachbarstaat Georgien bis zum 1. Dezember abschließen. Das teilte der Befehlshaber des russischen Militärbezirks Nordkaukasus, Alexander Baranow, am Samstag (10. Nov.) in Rostow am Don mit.
Am Tag davor war der letzte Zug, beladen mit Waffen und Kriegstechnik vom russischen Militärstützpunkt im georgischen Batumi, in Russland eingetroffen.

In diesem Jahr hat Russland insgesamt mehr als 500 Militärfahrzeuge und Panzer sowie rund 2 000 Tonnen weitere Militärfracht aus Georgien abgezogen. Die Waffen und Kriegstechnik wurden sowohl nach Russland als auch zum russischen Stützpunkt Gjumri in Armenien verlegt.
Nach einer Vereinbarung mit Georgien muss Russland seine Militärbasis in Achalkalaki bis Ende 2007 und den Stützpunkt in Batumi 2008 auflösen.




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