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Saakaschwili unter Druck

Georgien: Opposition weitet ihre Proteste aus. Menschenkette ums Parlament

Von Knut Mellenthin *

Auch am vierten Tag in Folge hat das georgische Opposi­tionsbündnis am Montag (5. Nov.) seine Demonstrationen in der Hauptstadt Tbilissi fortgesetzt. Zuvor hatte sich Präsident Michail Saakaschwili am Sonntag (4. Nov.) erstmals seit Beginn der Proteste öffentlich zu Wort gemeldet. In einem gestellten »Interview«, das von allen staatlichen Sendern übertragen wurde, gab er sich kompromißlos und warf seinen innenpolitischen Gegnern vor, im Dienste Rußlands die Destabilisierung Georgiens zu betreiben. Die Oppositionsparteien verurteilten in ersten Stellungnahmen die Äußerungen des Präsidenten als »völlig unangemessen« und »schieren Unsinn«. Saakaschwili habe »das georgische Volk beleidigt«.

Nachdem sich am Sonntag (4. Nov.) mindestens 20000 Menschen vor dem Parlament versammelt hatten, weitete die Opposition am Montag (5. Nov.) ihre Aktionen aus. Tausende Demonstranten riegelten das Parlament mit einer Menschenkette ab. Vor dem Innenministerium mußten die dort Beschäftigten ein »Spalier der Schande« passieren. Dabei wurden sie immer wieder aufgefordert, die Arbeit niederzulegen und sich den Demonstrationen anzuschließen. Ähnliche Protestaktionen waren vor mehreren anderen Regierungsgebäuden und vor dem Büro des Generalstaatsanwalts geplant.

Die Opposition fordert den Rücktritt des Präsidenten, Parlamentswahlen zum verfassungsgemäßen Zeitpunkt im Frühjahr statt im Herbst 2008, die paritätische Besetzung der zentralen Wahlkommission, Wahlrechtsänderungen und die »Freilassung der politischen Gefangenen«.

Saakaschwili hatte am Sonntag (4. Nov.) bekräftigt, daß der Wahltermin nicht verhandelbar sei. Zur Begründung sagte er: »Für Georgien ist es zu riskant, im Frühjahr zu wählen – zu einer Zeit, wo Präsidentenwahlen in Rußland stattfinden. Im Januar oder Februar wird die Zukunft des Kosovo entschieden. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es dann international anerkannt wird. Rußland hat deutlich gemacht, daß es in diesem Fall Abchasien und Südossetien anerkennen wird, und das bedeutet, daß es dann eine Konfrontation geben könnte.« Vertreter der Opposition warfen dem Präsidenten daraufhin vor, er vermenge die Angelegenheiten Georgiens mit denen Rußlands.

Unterdessen hat am Montag (5. Nov.) die Partei der Neuen Rechten, die sich dem Oppositionsbündnis nicht angeschlossen hat, aber dessen Forderungen im wesentlichen teilt, eine Volksabstimmung über den Wahltermin gefordert. Der Vorschlag stieß jedoch sowohl bei anderen Oppositionsparteien als auch bei der regierenden Nationalpartei auf Ablehnung.

* Aus: junge Welt, 6. November 2007

Weitere aktuelle Meldungen

Kundgebung georgischer Opposition vor Parlamentsgebäude in Tiflis wiederaufgenommen - Dialog mit Macht bahnt sich an

TIFLIS, 05. November (RIA Novosti). Die Vereinigte georgische Opposition hat am Montag ihre Kundgebung vor dem Parlamentsgebäude im Stadtkern von Tiflis wiederaufgenommen. Dort versammelten sich rund 3 000 Teilnehmer. Der Straßenverkehr auf der Hauptverkehrsader der Hauptstadt, dem Rustaweli-Prospekt, wurde teilweise gesperrt.

Wie die Oppositionsführer erklärten, bleiben ihre Forderungen unverändert: Rücktritt von Präsident Michail Saakaschwili, Parlamentswahlen im April 2008, Änderung der Regelungen für die Direktwahlen und Freilassung aller "politischen Gefangenen".

Ex-Staatsminister Giorgi Chaindrawa, heute einer der markantesten Oppositionspolitiker, erklärte, dass die Oppositionellen bereits Ende vergangener Woche die Arbeit aller Staatsinstitutionen hätten blockieren können. "Wir tun das aber nicht und werden das auch nicht zulassen", sagte er. "Wir wollen keinen gewaltsamen Machtwechsel. Wir arbeiten auf einen Machtwechsels auf einem verfassungsmäßigen Weg, nämlich auf dem Wege der Verhandlungen."

Mittlerweile signalisierte die Parlamentschefin Nino Burdschanadse nach einem Treffen mit Vertretern der Opposition ihre Bereitschaft, "die Prozesse von einer Straßenkundgebung in den Rahmen eines politischen Dialogs zu verlegen".

Sie wies die Anschuldigungen der Oppositionschefs zurück, die Macht ignoriere die Meinung des Volkes. "Wir schenken der Meinung des Volkes stets unsere größte Aufmerksamkeit", sagte sie. "Wir können zwar diesen oder jenen Standpunkt nicht teilen, haben aber nicht vor, diese Meinungen zu ignorieren", betonte Burdschanadse.


Georgiens Präsident Saakaschwili: Aktion der Oppositionellen ist schlechte Imitation der "Rosen-Revolution' - Moskaus Umtriebe vermutet

TIFLIS, 05. November (RIA Novosti). Als eine "talentlose Imitation der ‚Rosen-Revolution'" von 2004 hat Georgiens Präsident Michail Saakaschwili die Protestaktion der Opposition bezeichnet, die seit mehreren Tagen im Stadtkern der georgischen Hauptstadt Tiflis vor sich geht.

"Dies ist ein Teil unserer Demokratie, für die wir gekämpft haben", betonte er in einem am Sonntagabend ausgestrahlten Fernsehappell. "Im Rahmen des Gesetzes kann jeder Mensch das sagen, womit er nicht zufrieden ist", so Saakaschwili.

Zugleich behauptete er, dass hinter der Aktion der Opposition gewisse russische Oligarchen stehen. "Es gibt eine konkrete Kraft der russischen Oligarchen, die diese Handlungen mit einem konkreten Land und mit konkreten Kräften koordiniert", sagte er. Das Ziel der Aktion besteht darin, die Situation in Georgien im Vorfeld der Wahlen in Russland zu destabilisieren.

"Ich möchte alle beruhigen", führte Saakaschwili fort. "Eine Wiederholung der Ereignisse der vergangenen Jahre wird es nicht geben. Georgien ist heute anders als in den 90er-Jahren. Heute ist Georgien ein Staat, der eine internationale Position, einen funktionierenden Staatsapparat und einen klaren Kurs hat sowie sich seiner Ziele bewusst ist."

Die Opposition fordert einen Rücktritt des Präsidenten sowie Parlamentswahlen im April 2008 und eine "Freilassung der politischen Gefangenen".


US-Außenministerium hält Forderungen von Opposition in Georgien für destruktiv

TIFLIS, 06. November (RIA Novosti). Der von der georgischen Opposition geforderte Rücktritt von Präsident Michail Saakaschwili ist nach Ansicht von Matthew Bryza, Berater der US-Außenamtschefin Condoleezza Rice, destruktiv.

"Es ist sehr zu bedauern, dass die Situation diese Entwicklung erreicht hat", erklärte er am Montag in einem Interview mit dem georgischen TV-Sender Rustawi-2 in Washington.

"Die friedliche Demonstration am Freitag verlief unter annehmbaren Forderungen. Das aber, was jetzt geschieht, ist bereits unvernünftig. Es gibt keinen Grund für die Zerstörung des Verfassungssystems."

Nach Ansicht des US-Diplomaten hat die Opposition destruktive Forderungen, die nicht zur Herstellung von Demokratie beitragen. "Um Demokratie aufbauen zu können, muss die Regierung den Dialog mit einer konstruktiven Opposition führen. Dies wäre sehr gut. Das aber, was wir jetzt sehen, ist für uns enttäuschend."

Die Kundgebung der Opposition im Stadtkern von Tiflis dauert indes an. Derzeit zählt sie rund 1 000 Teilnehmer, vor denen Dichter und Sänger auftreten. Die Opposition fordert den Rücktritt von Präsident Saakaschwili und vorgezogene Parlamentswahlen im April 2008.




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