Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg im Kaukasus weitet sich aus

3000 US-kommandierte Söldner kämpfen angeblich auf der Seite der georgischen Truppen

Von Jürgen Elsässer *

Während die EU im Kaukasus-Konflikt zu vermitteln versucht, spitzt sich die Lage in Abchasien zu. Russische Truppen dringen nach Westgeorgien vor.

Der stellvertretende Nationale US-Sicherheitsberater James Jeffrey will der »Washington Post« zufolge nicht ausschließen, dass die USA Georgien auch militärisch zu Hilfe kommen. Offenbar passiert das schon: Bereits seit Sonntagabend fliegen US-Flugzeuge 800 georgische Soldaten, die bisher in Irak eingesetzt waren, an die Heimatfront zurück. »Nach unseren Informationen kämpfen bis zu 3000 Söldner, die von US-Militärexperten gelenkt werden, auf georgischer Seite gegen russische Friedenssoldaten«, sagte ein ranghoher Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes in Moskau. Die Söldner kämen unter anderem aus der Ukraine und dem Baltikum. Zudem befänden sich rund 1000 US-Militärexperten in Georgien.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass Moskau den sogenannten Friedensplan ablehnt, den der französische Außenminister Bernard Kouchner und sein finnischer Amtskollege Alexander Stubb namens der EU-Ratspräsidentschaft überbracht haben. Dieser sieht einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der georgischen wie russischen Truppen auf Positionen vor Beginn der Kämpfe am 8. August vor. Dieser Rückzug soll von einer »internationalen Friedenstruppe« überwacht werden. Zu befürchten ist, dass dann statt der bisher russisch geführten Friedensmission EU- oder NATO-geführte Verbände als Puffer zwischen Abchasien, Südossetien und Georgien stünden, womit die bisherige Quasi-Staatlichkeit der beiden Regionen Makulatur wäre. Saakaschwili hätte diplomatisch erreicht, woran er mit seiner Aggression gescheitert ist. Friedenstruppen der OSZE könne man aber akzeptieren, signalisierte Moskau.

Nachdem die russischen Verbände Südossetien mittlerweile weitgehend unter ihrer militärischen Kontrolle haben, sind sie von dort aus nach Westgeorgien vorgestoßen und haben den Militärstützpunkt Senaki besetzt. Ziel sei es, neuerlichen Artilleriebeschuss auf Südossetien ebenso zu verhindern wie georgische Truppenbewegungen, hieß es in einer Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums. Saakaschwili sprach bei einer Sitzung des Sicherheitsrates von einem Vordringen russischer Bodentruppen und forderte das Ausland auf, es solle »diesen barbarischen Aggressor stoppen«.

Auch in Abchasien spitzt sich die Lage zu. Brennpunkt ist das nördliche Kodori-Tal, das Georgien völkerrechtswidrig seit 1996 okkupiert hat. Die abchasische Regierung hat den Abzug der Besatzer gefordert und dafür einen Korridor angeboten. Russische Truppen, die sich gemäß internationaler Verträge in einer Stärke von bis zu 3000 Mann dort aufhalten dürfen, unterstützen diese Position.

Im UN-Sicherheitsrat kam es zum Schlagabtausch zwischen dem russischen Vertreter Witali Tschurkin und seinem US-Kollegen Zalmay Khalilzad. Khalilzad beschuldigte die Russen einer »Terrorkampagne« in Georgien. Da Khalilzad selbst einer der vehementesten Befürworter der US-Kriege in Afghanistan und in Irak war, ist dies zumindest pikant.

In Deutschland versucht sich die SPD vorsichtig von der antirussischen Linie der Union abzusetzen, während die FDP umgekehrt sogar einen Verzicht auf das für Freitag geplante Treffen zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Dmitri Medwedjew verlangt. DIE LINKE ist die einzige Partei, deren oberste Spitze sich bis dato nicht zum Krieg im Kaukasus geäußert hat. Monika Knoche, Fraktionsvize, warnte vor einer einseitigen Stellungnahme zugunsten Georgiens.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008


Auch Kiew ist nun betroffen

Die schwierige Suche nach einem ehrlichen Makler

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Vesti-24, der Nachrichtenableger des russischen Staatssenders RTR, hat die Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Konflikt um Südossetien live übertragen - wohl, um der Nation vorzuführen, dass man nicht nur an der militärischen, sondern auch an der diplomatischen Front von Sieg zu Sieg eilt.

Bei einem verbalen Schlagabtausch mit Moskaus UN-Botschafter Vitali Tschurkin entschlüpften dessen US-Kollegen Zalmay Khalizad Auslassungen zu einem Telefonat zwischen Russlands Außenminister Sergej Lawrow und seiner Washingtoner Kollegin Condoleezza Rice. Dabei soll es vor allem um die politische Zukunft von Georgiens Präsident Michail Saakaschwili gegangen sein. Lawrow habe wörtlich gesagt: Saakaschwili muss gehen. Der Außenminister dementierte umgehend und warf Rice noch am Sonntagabend vor, ihn falsch interpretiert zu haben. Zwar sehe Russland Saakaschwili als Befehlshaber für Verbrechen, bei denen tausende russische Bürger getötet wurden. Allerdings habe er mit der am Telefon geäußerten Forderung nach einem »Rückzug« nicht den Präsidenten gemeint, sondern die georgischen Truppen in Südossetien, betonte Lawrow.

Doch hofft Moskau wohl in der Tat, eine sich inzwischen deutlich abzeichnende militärische Niederlage Georgiens werde den zu Hause ohnehin schwer angeschlagenen Staatschef Michail Saakaschwili zum Rücktritt zwingen. Russische Medien berichteten am Montag sogar von einem Selbstmordversuch, den Saakaschwilis Leibwache angeblich in letzter Minute verhindert haben soll.

Die Chancen auf eine pro-russische Regierung in Tbilissi tendieren jedoch gegen Null, nicht zuletzt, weil Russland auch georgische Städte außerhalb der Krisenregion bombardiert hat. Moskau würde in Georgien inzwischen eine Regierung reichen, die wie Aserbaidschan eine neutrale Außenpolitik betreibt und - zumindest in überschaubaren Fristen - auf einen NATO-Beitritt verzichtet. Mit einer solchen Regierung würde man auch neu über den Status von Georgiens abtrünnigen Autonomien Südossetien und Abchasien verhandeln.

Für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch will auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Land momentan die EU-Präsidentschaft innehat, bei seinem Moskau-Besuch werben. Anders als die USA, die Georgien als Vermittler anrief, hat Europa, das sich bisher weitgehend neutral verhielt, gewisse Chancen, sich den Lorbeer eines ehrlichen Maklers zu verdienen.

Russland dürfte jedoch versuchen, bis Verhandlungsbeginn möglichst viele vollendete Tatsachen zu schaffen und seine Position in der Region weiter auszubauen. Allein an der Waffenstillstandslinie zwischen Georgien und dessen abtrünniger Schwarzmeer-Region Abchasien wurden die russischen Blauhelme, die dort seit 1994 mit Mandat der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS stationiert sind, um 9000 Soldaten und 350 Panzerfahrzeuge aufgestockt. Dort und in Südossetien sind inzwischen auch russische Luftlandeeinheiten stationiert, vor der Küste sind Kriegsschiffe der russischen Schwarzmeerflotte vor Anker gegangen. Das hat bereits zu neuen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine geführt. Kiew, so Präsident Juschtschenko, könnte die Rückkehr der Schiffe in die Marinebasis im ukrainischen Sewastopol, die Russland bis 2017 gepachtet hat, verbieten. Auch militärische Hilfe für Georgien wollte er nicht ausschließen. Freiwillige aus der Ukraine und den Baltenstaaten, meldeten russische Medien, seien bereits auf dem Weg nach Georgien.

Aserbaidschan wiederum sieht offenbar auch Gefahren für die Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan, die das Öl der Kaspi-See gen Westen transportiert und ca. 200 km südlich des Krisengebiets verläuft. Gestern früh wurden die Lieferungen vorübergehend eingestellt.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008


Zurück zur Georgien-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Kaukasus-Seite

Zur Ukraine-Seite

Zurück zur Homepage