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Georgier fordern "Mischikos" Rücktritt

Saakaschwilis Gegner befürchten einen Coup des Präsidenten

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Konfrontation zwischen Anhängern und Gegnern des georgischen Noch-Präsidenten Michail Saakaschwili droht sich zuzuspitzen.

Jüngst erst beschwerte sich Georgiens Außenministerin Maia Panjikidse im Gespräch mit dem Nachrichtenportal EurActiv, Präsident Saakaschwili reise seit seiner Niederlage bei den Parlamentswahlen im vergangenen Oktober von Land zu Land und verbreite die Botschaft, dass die neue Regierung in Tbilissi schreckliche Dinge anstelle.

Dazu zählt Saakaschwili beispielsweise die Verhaftung mehrerer ehemaliger Minister, Militärs und Polizeioffiziere. Erst im Dezember waren der frühere Energie- und Finanzminister Alexander Chitaguri und dessen Kollege Nika Gwaramia, vormals Bildungs- und Justizminister, unter dem Verdacht der Veruntreuung von einer Million Dollar festgesetzt worden. »Absolut falsch« nannte Saakaschwili die Vorwürfe gegen seine Vertrauten. Als ebenso falsch empfindet der Präsident die vom Parlament beschlossene Amnestie für etwa 3500 der mehr als 20 000 Häftlinge des Landes, darunter 190, die als politische Gefangene anerkannt wurden. Von »Kohabitation«, friedlicher Koexistenz von Staatsoberhaupt und Regierung, kann also kaum die Rede sein. Zum offenen Bruch will es Regierungschef Bidsina Iwanischwili aber derzeit nicht kommen lassen. Er hofft, dass die Zeit für ihn arbeitet, denn für Oktober sind ohnehin Präsidentenwahlen anberaumt und Saakaschwili – seit 2004 im Amt – darf nicht ein weiteres Mal kandidieren.

Rund 800 000 Georgier haben jedoch ein Ultimatum unterzeichnet, das Saakaschwili zum vorzeitigen Rücktritt zwingen soll. Bis zum 20. Januar wollen die Organisatoren – ein Netzwerk nichtstaatlicher Organisationen und zwei kleinere Parteien – sogar eine Million Unterschriften sammeln. Das wären knapp 30 Prozent aller stimmberechtigten Georgier.

Am 20. Januar 2008 war Michail Saakaschwili für seine zweite Amtszeit vereidigt worden. Nach Ansicht der Netzwerker enden seine Vollmachten nach exakt fünf Jahren. Da jedoch erst im Oktober ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, treibt viele Georgier die Furcht um, Saakaschwili könnte die Zeit nutzen, um die Nationalversammlung aufzulösen, in der das Sechsparteienbündnis »Georgischer Traum« des milliardenschweren Geschäftsmannes und Premierministers Iwanischwili die Mehrheit besitzt. Vorgezogene Parlamentswahlen aber könnten Saakaschwilis Vereinte Nationale Bewegung wieder ans Ruder bringen: Volkes Stimmung kippt häufig schon ein paar Monate nach der Wahl. Saakaschwili selbst hätte in diesem Falle gute Chancen, Regierungschef zu werden. Für Machtmenschen wie ihn eine satanische Versuchung: Im Oktober 2013 soll der Ministerpräsident mehr Macht bekommen, während sich der Präsident mit Repräsentationspflichten und der Rolle des Mittlers bescheiden muss. So sehen es Verfassungsänderungen von 2010 vor.

An Protesten gegen ein solches Szenarium in Tbilissi und anderen Großstädten beteiligen sich bisher nur wenige hundert Menschen. Doch das könnte sich ändern, wenn das Ultimatum abläuft. Wenn »Mischiko« nicht freiwillig abdankt, drohte der Netzwerker Michail Andiguladse, werde »ganz Georgien« nach Tbilissi kommen und ihn dazu zwingen. Politikwissenschaftler warnen bereits vor »sozialer Konfrontation« – also Bürgerkrieg. Nicht ohne Grund: Inzwischen hat sich auch eine Bewegung zur Unterstützung Saakaschwilis gegründet, die nicht weniger kämpferisch gestimmt ist als dessen Gegner. Und in Georgien sind Konflikte schon des Öfteren zu Massenunruhen ausgewachsen.

Über eine Million gingen im Herbst 2007 auf die Straße, um ihrer Enttäuschung über Saakaschwili Luft zu machen. Der von der »Revolution der Rosen« 2003 als Hoffnungsträger an die Macht gespülte Staatschef setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Das haben ihm viele Georgier so wenig verziehen wie den verlorenen Krieg mit Russland 2008, in dessen Ergebnis Georgiens abtrünnige Regionen Südossetien und Abchasien faktisch zu russischen Protektoraten wurden. Seinen Sturz verhinderte damals unfreiwillig ausgerechnet Moskau: Heftige Verbalattacken gegen Saakaschwili veranlassten die stolzen Georgier, sich nochmals hinter ihren Präsidenten zu stellen.

Und bei allem Zorn über Saakaschwilis autoritäres Herrschaftsgebaren und seinen Hang zum Luxus ist die Masse durchaus bereit, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Er hat die Wirtschaft angekurbelt und die krassesten Auswüchse von Armut und Korruption bekämpft. Und weil die Republik bisher die einzige sichere Bank des Westens im strategisch wichtigen Südkaukaus ist, tolerieren auch Saakaschwilis Paten in Washington und Brüssel dessen Abirrungen vom Tugendpfad der Demokratie – wovor sie die Regierung seines Rivalen Iwanischwili ausdrücklich warnen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. Januar 2013


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