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Merkels Schlussfolgerung aus dem Kaukasus-Krieg: Georgien in die NATO aufnehmen!

Zwei Tage nach dem Besuch beim russischen Präsidenten reiste Merkel in die georgische Hauptstadt. Eine amtliche Stellungnahme und zwei kritische Berichte

Am 15. August weilte Bundeskanzlerin Merkel beim russischen Präsidenten Medwedjew in der Schwarmeerstadt Sotschi. Zwei Tage später besuchte sie den georgischen Präsidenten Saakaschwili in Tbilissi /Tiflis). Beide Treffen gewannen ihre hohe Bedeutung durch den Krieg um Südossetien, der gerade erst beendet wurde.
Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht von der Website der Bundesregierung sowie zwei Artikel, die sich kritisch mit der Georgien-Visite befassen.
Über den Merkel-Besuch in Sotschi haben wir hier berichtet: "In Sotschi keine gemeinsame Sprache gefunden".



Merkel fordert schnellen Rückzug russischer Truppen

So, 17.08.2008

"Der Abzug der russischen Truppen ist die vordringlichste Aufgabe". Dies sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Gespräch mit dem georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili in Tiflis.

Merkel begrüßte ausdrücklich, dass der Sechs-Punkte-Plan der Europäischen Union zum Waffenstillstand in Georgien jetzt auch von der russischen Seite unterzeichnet wurde. Nun sei es wichtig, das er auch schnell umgesetzt werde, forderte sie. Klarheit herrsche über den ersten Schritt: "Das ist der Abzug."

Sechs-Punkte-Plan umsetzen

Diesen hatte der Präsident Dmitri Medwedew am letzten Freitag (15. August) in Sotschi der Kanzlerin zugesichert, wenn der Sechs-Punkte-Plan unterzeichnet sei. "Insofern erwarte ich den schnellen Rückzug der russischen Truppen", sagte Merkel. Jedoch sei dieser nach ihren Informationen bisher leider noch nicht so in Gang gekommen, wie es erwartet werde. "Dieser Rückzug muss vorrangig erfolgen."

Sie werde nach ihrer Rückkehr nach Deutschland die Möglichkeit nutzen, um mit der russischen Seite zu sprechen und die Erfüllung des Versprechens einzufordern. "Hierbei steht auch die Glaubwürdigkeit aller Seiten auf dem Spiel."

Merkel wies in diesem Zusammenhang auf die am kommenden Dienstag (19. August) stattfindende Tagung der Nato-Außenminister hin. "Bis zu diesem Zeitpunkt muss deutlich sein, dass dieser Rückzug wirklich stattfindet."

Nach dem Abzug der russischen Truppen müsse es gelingen, schnell internationale Beobachter in die Region zu bekommen. Außerdem sei es wichtig, einen humanitären Zugang zu den Flüchtlingen herzustellen.



Der Sechs-Punkte-Plan beinhaltet unter anderem: Kein Rückgriff auf Gewalt zwischen den Protagonisten, Einstellung der Feindseligkeiten, Gewährung freien Zugangs für humanitäre Hilfe, Rückzug der georgischen Streitkräfte auf ihre üblichen Stationierungsorte, Rückzug der russischen Streitkräfte auf die Linien vor Beginn der Feindseligkeiten in Südossetien und Eröffnung internationaler Diskussionen über die Modalitäten der Sicherheit und Stabilität in Abchasien und Südossetien.



Georgien stabilisieren, humanitäre Hilfe leisten

Georgien sei ein souveräner Staat, dessen territoriale Integrität beachtet werden muss, forderte Merkel erneut. Mit ihrem Besuch in Tiflis wolle sie auch zeigen, "dass wir das georgische Volk unterstützen wollen bei den Aufgaben, die zu bewältigen sind". So habe man auch über den notwendigen Wiederaufbau in Georgien gesprochen. Hierbei komme der Europäischen Union eine wichtige Aufgabe zu. "Auch Deutschland wird bereit sein, hier an konkreten Projekten mitzuarbeiten", sicherte Merkel zu.

Zudem schlug die Kanzlerin ein Treffen der EU mit Georgien und kaukasischen Nachbarstaaten vor. "Wir haben guten Grund, die EU-Nachbarschaftspolitik zu Georgien und Ländern wie Aserbaidschan, Turkmenistan und Armenien jetzt zu intensivieren."

Nato-Mitgliedschaft für Georgien

Für die Bundeskanzlerin hat sich durch den Konflikt nichts an der deutschen Position zu einem Nato-Beitritt Georgien geändert. "Georgien wird, wenn es das will, Mitglied der Nato werden", so Merkel. Deutschland befürworte den Beitritt weiterhin.

Die Kanzlerin verteidigte jedoch die Beschlüsse auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im Frühjahr. Dort wurden Georgien und die Ukraine noch nicht in das entsprechende Vorbereitungsprogramm aufgenommen.

Quelle: Website der Bundesregierung, 17. August 2008; www.bundesregierung.de


Schulterschluß in Tbilissi

Kanzlerin Merkel will Georgien bei Wiederherstellung seiner Kriegsfähigkeit und Aufnahme in die NATO helfen. Russische Friedenstruppen bleiben in Sicherheitszone

Von Knut Mellenthin *

Rußland will am heutigen Montag mit dem Abzug seiner Truppen aus Georgien beginnen. Das teilte ein Regierungssprecher in Moskau am Sonntag nach einem Telefongespräch zwischen Präsident Dmitri Medwedew und seinem Kollegen Nicolas Sarkozy mit. Der Franzose hatte Mitte vergangener Woche den Waffenstillstand vermittelt, dessen genauer Wortlaut bis zum Schluß umstritten war. Georgien hatte das Abkommen erst am Freitag unterzeichnet, nachdem der Text noch einmal geändert worden war.

Zunächst war auf Drängen Georgiens ein Absatz gestrichen worden, in dem es um Verhandlungen über den künftigen Status der abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien ging. Die zuletzt am Freitag geänderte Passage betrifft den vorläufigen Verbleib einer begrenzten Zahl russischer Soldaten auf georgischem Gebiet. Beim Telefongespräch zwischen Medwedew und Sarkozy ging es um die russische Zustimmung zu den Änderungswünschen Georgiens. Nach Aussagen der US-amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice erlaubt das Abkommen jetzt nur noch begrenzte russische Patrouillen in Sicherheitszonen auf georgischem Gebiet. Rußland dürfe dafür nur Angehörige seiner bisher schon in Südossetien und Abchasien stationierten Friedenstruppen einsetzen. Russische Truppen dürften künftig weder in georgischen Städten noch auf den Autobahnen erscheinen, so Rice. Es handle sich »um ein sehr begrenztes Mandat«.

Zweck der russischen Militärpräsenz auf georgischem Boden ist in erster Linie die Verhinderung von Streifzügen und Plünderungen südossetischer oder abchasischer Milizen, unter denen die Wut über die georgische Aggression, die den Krieg ausgelöst hatte, immer noch groß ist. Bis heute gilt es weder eine selbstkritische Stellungnahme der georgischen Regierung noch eine Kritik seitens der NATO-Staaten.

Das gilt auch für Kanzlerin Angela Merkel, die am Sonntag (17. August) in Tbilissi mit Präsident Michail Saakaschwili zusammentraf. Im Vorfeld war aus der Umgebung der deutschen Regierungs­chefin angekündigt worden, Merkel wolle sich »Saakaschwili vorknöpfen« und ihn »auch auf sein Vorgehen in Südossetien offen ansprechen«. Sie sei der Ansicht, »Saakaschwili habe die russische Politik falsch eingeschätzt«, kolportierte Spiegel online. Heraus kam statt dessen ein Bekenntnis zur Solidarität mit der georgischen Führung, Zustimmung zur Aufnahme Georgiens in die NATO – wenn auch ohne verbindliche zeitliche Zusage –und das Versprechen, Tbilissi beim Wiederaufbau seiner infolge des georgischen Angriffskriegs zerstörten Militäranlagen zu helfen. Außerdem unterstützte Merkel ohne Einschränkung die revanchistische Forderung der georgischen Führung nach Rückgewinnung von Südossetien und Abchasien.

Auf Distanz zu dieser Forderung ging als bisher einziger westlicher Spitzenpolitiker am Sonntag der Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Marc Perrin de Brichambaut, bei einem Besuch in Nordossetien, wo Zehntausende Flüchtlinge Unterkunft und Hilfe gefunden haben. »Das Schicksal Südossetiens muß von der Bevölkerung Südossetiens entschieden werden. Sie leben unter sehr schwierigen Bedingungen, und der Kontext dessen, was geschehen ist, ist sehr komplex«, sagte er laut russischer Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Die Geschichte und die Realitäten müßten bei der Entscheidung über den Status Südossetiens in Betracht gezogen werden.

* Aus: junge Welt, 18. August 2008


Georgien weiter auf Weg in die NATO

Merkel stärkt Saakaschwili den Rücken / Russischer Truppenabzug soll heute beginnen **

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bei ihrem Besuch in Tbilissi hinter eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens gestellt und einen schnellen Abzug der russischen Truppen aus dem Land gefordert.

»Georgien wird, wenn es das will, Mitglied der NATO werden«, sagte Merkel nach ihrem Treffen mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili am Sonntag in der georgischen Hauptstadt. »Ich erwarte den schnellen Rückzug der russischen Truppen, der noch nicht so in Gang gekommen ist, wie wir das erwarten. Wir erwarten, dass der Sechs-Punkte-Plan umgesetzt wird und schnell umgesetzt wird.« Dabei geht es um das von der EU ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen.

Mit ihrem Besuch in Tbilissi wolle sie zeigen, »dass wir das georgische Volk unterstützen und auch die Regierung unterstützen wollen bei den Aufgaben, die zu bewältigen sind«. Erforderlich sei auch »ein humanitärer Zugang zu den Flüchtlingen«. Mit Blick auf die von Georgien angestrebte NATO-Mitgliedschaft sagte Merkel, jedes freie Land könne entscheiden, gemeinsam mit der NATO, wie und wann es in die NATO aufgenommen werde. »Wir sind auf einem klaren Weg in Richtung NATO-Mitgliedschaft«, so die Kanzlerin. Der Abzug der russischen Truppen sei jedoch »jetzt wirklich die vordringliche Aufgabe«.

Der Elysée-Palast in Paris und der Kreml in Moskau teilten am Sonntag (17. August) nach einem Telefonat des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew mit seinem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy mit, der Abzug der regulären russischen Truppen werde an diesem Montag »in der Mittagszeit« starten. Sarkozy warnte Medwedjew vor »ernsten Konsequenzen« für die Beziehungen mit der EU, sollte Moskau das Waffenstillstandsabkommen nicht »schnell und vollständig« umsetzen.

Laut dem Elysée-Palast erlaubt das Abkommen den in Südossetien stationierten russischen Friedenstruppen allerdings begrenzte Patrouillen jenseits der Grenze, bis ein »internationaler Mechanismus« gefunden wurde. Der Begriff »russische Friedenstruppen« gelte für Georgien nicht mehr, erklärte hingegen Saakaschwili nach dem Treffen mit Merkel. »Das sind einfach russische Truppen.« Merkel schlug ein Treffen der EU mit Georgien und kaukasischen Nachbarstaaten vor, um die »EU-Nachbarschaftspolitik zu Georgien und Ländern wie Aserbaidshan, Turkmenistan und Armenien jetzt zu intensivieren«.

US-Außenministerin Condoleezza Rice forderte Russland in scharfen Worten zum unverzüglichen Rückzug aus Georgien auf. »Es gibt einen Waffenstillstand und Russland hält sich derzeit nicht daran«, behauptete Rice im US-Fernsehsender Fox. Sie hoffe jedoch, Medwedjew halte sich »dieses Mal« an seine Zusage und beginne an diesem Montag mit dem Truppenabzug. Nach US-Lesart hatte Moskau einen Abzug bereits für Freitag zugesagt.

** Aus: Neues Deutschland, 18. August 2008


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