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Immer noch nicht frei

Georgiens Parlament erkennt Häftlinge als »politische Gefangene« an, entscheidet aber nicht über ihre Entlassung

Von Knut Mellenthin *

Das georgische Parlament hat am Mittwoch 190 Personen als »politische Gefangene« und weitere 25 als »im politischen Exil« befindlich anerkannt. Der Antrag war im November mit einer Liste von nur 203 Namen vom Menschenrechtsausschuß des Abgeordnetenhauses eingebracht worden. Einige Namen wurden in der Zwischenzeit gestrichen, andere hinzugefügt. Die Resolution wurde mit 77 gegen 14 Stimmen angenommen, während die wütend protestierenden Vertreter der oppositionellen Nationalbewegung von Präsident Michail Saakaschwili, die bis zum Machtwechsel im Oktober das Land neun Jahre lang allein beherrscht hatte, die Abstimmung boykottierten. Da das jetzt regierende Parteienbündnis Georgischer Traum über mindestens 85 Mandate verfügt, ist offenbar, daß einige seiner Parlamentarier gegen den Antrag gestimmt haben. Unklar ist, wo die individuellen Gründe für diese Entscheidung lagen.

Ganz sicher stellt die Resolution des Parlaments für viele Anhänger des Georgischen Traums eine bittere Enttäuschung dar. Das liegt nicht an Meinungsverschiedenheiten über die verabschiedete Namensliste, die es freilich auch gibt. Aber unerträglich ist nicht nur für die Gefangenen, ihre Angehörigen und Freunde, daß ihr Schicksal weiter offen gehalten wird: In der Resolution wurde dieser Punkt mit keinem Wort angesprochen.

Vielleicht hatte sich Tina Kidascheli, eine Politikerin der Republikanischen Partei, die zum Bündnis Georgischer Traum gehört, lediglich dumm, ungeschickt oder kaltschnäuzig ausgedrückt. Möglich auch, daß ihre telefonischen Äußerungen gegenüber Journalisten falsch wiedergegeben wurden. Jedenfalls zitierten georgische Medien sie am Donnerstag mit der Aussage »Diese Resolution bedeutet nicht, daß sie unmittelbar entlassen werden. Es wird lange Verfahren über ihre Fälle geben, da einige von ihnen Verbrechen begangen hatten und die politische Substanz erst später hinzugefügt wurde.«

Im Gegensatz dazu versuchte Eka Beselia, die Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Menschenrechte, am Donnerstag mit der Zusicherung zu beruhigen, die als politische Gefangene anerkannten Häftlinge würden »bald« entlassen. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf den Entwurf für ein umfassendes Amnestiegesetz, an dem schon gearbeitet werde. Das ist für die Betroffenen allerdings höchstens ein sehr schwacher Trost. Denn diese Amnestie, die überwiegend Personen zugute kommen würde, die wegen krimineller Taten verurteilt wurden, ist eine komplizierte Angelegenheit, die innerhalb des Georgischen Traums heftig umstritten ist. Indessen hat Präsident Saakaschwili den Ausgang der Debatten nicht abgewartet, sondern am Donnerstag kraft seines Amtes 251 kriminelle Häftlinge mit sofortiger Wirkung begnadigt.

Unter den jetzt vom Parlament anerkannten politischen Gefangenen sind mehrere Dutzend Menschen, die im Mai 2011 während regierungsfeindlicher Demonstrationen verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Ferner stehen auf der Liste 22 Militärs und Zivilisten, die im Zusammenhang mit der »Mukhrowani-Meuterei« vom Mai 2009 verurteilt worden waren. Ein in diesem Ort stationiertes Panzerbataillon – rund 500 Soldaten –hatte sich damals geschlossen geweigert, zu einem Einsatz gegen oppositionelle Demonstranten auszurücken. Die im Januar 2010 gesprochenen Urteile waren extrem hart: 29 Jahre Gefängnis für einen Offizier im Ruhestand, 28 Jahre für einen anderen, 19 Jahre für den Bataillonskommandeur, 10 bis 15 Jahre für sieben Zivilisten, die sich im Stützpunkt Mukhrowani aufgehalten hatten, zahlreiche Verurteilungen zu drei Jahren Haft gegen Soldaten der Einheit.

* Aus: junge Welt, Samstag, 08. Dezember 2012


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