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Abchasische Innenansichten

"Wir werden uns nie mit Georgien vereinigen", sagt man in Suchumi

Von Ulrich Heyden, Suchumi *

Alarmierende Nachrichten kommen aus der nach Unabhängigkeit strebenden georgischen Provinz Abchasien. Jüngst protestierte Georgien gegen die Entsendung von 400 unbewaffneten russischen Eisenbahnsoldaten in die ehemalige Autonome Republik, die seit 1993 faktisch ein eigener – allerdings von niemandem anerkannter – Staat ist.

Die Eisenbahntruppen sollen beschädigte Gleise und Brücken erneuern, um den Transport der russischen Friedenstruppen zu gewährleisten, die seit 1994 mit dem Mandat der GUS in Abchasien stationiert sind, erklärte der abchasische Außenminister Sergej Schamba. Außerdem sei die Wiederherstellung der Eisenbahnstrecken nötig, um Baumaterial für die Olympischen Winterspiele 2014 nach Sotschi zu schaffen.

Georgiens Vizeaußenminister Grigol Vashadse nannte die Entsendung dagegen einen »weiteren aggressiven Schritt« Russlands. Schon die Aufstockung der russischen Friedenstruppe auf 2500 Mann Anfang Mai war auf Tbilissis scharfen Protest gestoßen. Laut GUS-Mandat kann Russland jedoch bis zu 3000 Soldaten nach Abchasien entsenden. Moskau begründete die Aufstockung mit der Notwendigkeit, ein neuerliches Blutvergießen zwischen Abchasen und Georgiern wie zu Beginn der 90er Jahre zu verhindern.

Im einstigen sowjetischen Urlaubsparadies herrscht heute Armut. Wären nicht die russischen Touristen, die jeden Sommer, ungeachtet der Spannungen mit Tbilissi, an die Schwarzmeerstrände strömten, wäre die Lage noch schlimmer. Von der abchasischen Verwaltung bekommen Rentner beispielsweise umgerechnet 3 Euro im Monat. Russland zahlt den abchasischen Rentnern zusätzlich eine Pension von 80 Euro, die meisten Bewohner der Region haben inzwischen einen russischen Pass.

Fragt man Abchasen auf der Straße, wie lange sie sich noch der Wiedereingliederung in den georgischen Staat widersetzen wollen, reagieren sie erstaunt. »Wir werden uns nie mit Georgien vereinigen«, sagt Tingis, ein Veterinär, der selbst im Bürgerkrieg gekämpft hat und heute Zimmer an Touristen vermietet. Der Krieg habe zu viele Opfer gekostet. Außerdem seien die Georgier in Abchasien zwangsweise von Stalin angesiedelt worden. Nur diejenigen der 200 000 georgischen Flüchtlinge dürften zurückkommen, »die nicht gekämpft haben«. Gekämpft haben im Bürgerkrieg jedoch praktisch alle Männer – auf beiden Seiten.

Stolz präsentierte Abchasien der Presse in Suchumi die Trümmer unbemannter georgischer Aufklärungsflugzeuge (Drohnen), die mit eigenen Waffen vom Himmel geholt worden seien. Wer die Drohnen tatsächlich abgeschossen hat – auch das ist heftig umstritten. Die UNO-Mission in Georgien (UNOMIG) schrieb den Abschuss einem russischen Kampfflugzeug zu.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Juni 2008


Warum verdient Kosovo mehr als wir?

Interview mit Sergej Bagapsch, Präsident der abtrünnigen Republik Abchasien **

Laut UNO-Mission in Georgien wurde das unbemannte georgische Aufklärungsflugzeug am 20. April von russischen Kampfflugzeugen abgeschossen.

Ich kenne diesen Bericht. Trotzdem: Alle sieben georgischen Drohnen wurden von der abchasischen Luftabwehr abgeschossen.

Wie werden Sie in Zukunft auf georgische Überflüge reagieren?

Wir werden sie abschießen, egal ob sie bemannt oder unbemannt sind. Wir haben Georgien und die UNO-Mission vorgewarnt.

Unlängst gab es zwischen Tbilissi und Suchumi Gespräche über eine Friedensregelung. Mit welchem Ergebnis?

Wir haben vorgeschlagen, dass Georgien in einer ersten Etappe seine Streitkräfte aus dem oberen Teil des (zu Abchasien gehörenden) Kodori-Tals abzieht. Deren Stationierung widerspricht der Moskauer Vereinbarung von 1994. Nach dem Abzug können Georgien und Abchasien eine Friedensvereinbarung unterzeichnen. Unser Vorschlag wurde von der georgischen Seite normal aufgenommen, aber wir wissen nicht, welche Entscheidung Georgien fällt.

Georgiens Präsident Saakaschwili will nur auf die Anwendung von Gewalt verzichten, wenn die georgischen Flüchtlinge nach Abchasien zurückkehren können.

An keinem Kriegsschauplatz der Welt sind so viele Flüchtlinge zurückgekehrt wie in Abchasien. In den Rayon Gali sind 60 000 Georgier zurückgekehrt. Die internationale Gemeinschaft müsste den Flüchtlingen in Georgien helfen, damit sie sich dort integrieren. Es ist nicht unsere Schuld, dass diese Menschen jetzt in Georgien sind. Georgien ist 1992 mit Truppen in Abchasien einmarschiert. Als wir unser Territorium befreit haben, haben die Georgier hier Angst gekriegt und sind geflüchtet.

Nach der Anerkennung Kosovos durch die USA wurde die Anerkennung Abchasiens durch Russland erwartet. Warum blieb sie aus?

Wir wussten, dass Russland uns nicht sofort anerkennt. Putin hat erklärt, Moskau wolle den Westen nicht nachäffen. Wir wollen nicht, dass man uns nur deswegen anerkennt, weil die USA Kosovo anerkennen. Wir wollen die Unabhängigkeit, weil wir sie verdient haben. Warum verdient Kosovo mehr Unabhängigkeit als Abchasien?

Können Sie sich vorstellen, dass die Friedenstruppe in Abchasien von Russen und Europäern gemeinsam gestellt wird?

Wir werden hier keine europäische Friedenstruppe zulassen, weil die Europäer gegen die Abchasen eingestellt sind. Der Westen schwieg, als 1992 georgische Truppen bei uns einmarschierten. Dem kleinen Volk der Abchasen drohte die Vernichtung. Niemand protestierte, außer Russland. Wenn hier keine russische Friedenstruppe stationiert ist, tritt Georgien in die NATO ein. Danach würde eine europäische Friedenstruppe abziehen und dann würde Georgien einen neuen Krieg gegen Abchasien führen.

Fragen: Ulrich Heyden

** Aus: Neues Deutschland, 4. Juni 2008


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