Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Brennpunkt Kaukasus: Georgien, Abchasien und Russland im Konflikt

Aufmarsch georgischer Truppen im Kodori-Tal - Streit um russische Truppenpräsenz

Der Konflikt Georgiens mit der abtrünnigen Schwarzmeer-Republik Abchasien und Russland als inoffizieller Schutzmacht der Abchasen spitzt sich weiter zu: Der verbale Schlagabtausch der letzten Tage droht sich zu bewaffneten Auseinandersetzungen auszuweiten.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei neuere Artikel, die sich mit den Hintergründen des Konflikts befassen, sowie ein paar aktuelle Meldungen der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti.



Kämpfe in der Kodori-Schlucht

Neue Zuspitzung des Konflikts zwischen Georgien, Abchasien und Russland

Von Irina Wolkowa, Moskau *


In der Nacht zu Dienstag (25. Juli 2006) hatte die georgische Zentralregierung in Tbilissi rund 800 Soldaten mit schwerer Technik in die Kodori-Schlucht verlegt. Die Schlucht gehört geografisch zwar zu Abchasien, das sich 1992 für unabhängig von Georgien erklärt hatte. Beherrscht wurde sie seit 1994 jedoch von Emsar Kwitziani und dessen Privatarmee, die sich weder der Regierung in Tbilissi noch den abchasischen Behörden in Suchumi unterordnen. Kwitziani war 1998 vom damaligen georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse in Anerkennung der Realitäten zum Bevollmächtigen Vertreter Tbilissis ernannt worden.

Schewardnadses Nachfolger Michail Saakaschwili indes hatte von Kwitziani schon im letzten Sommer die Entwaffnung verlangt. Der drohte daraufhin mit Bürgerkrieg, sobald Georgien versuchen würde, den Status quo gewaltsam zu verändern.

Am Montag war es aus seiner Sicht offenbar so weit. Zwar bezeichnete ein georgischer Regierungssprecher den Einmarsch in die Kodori-Schlucht als reine Polizei-Operation, deren Ziel die Liquidierung illegaler bewaffneter Banden sei. Russland und Abchasien jedoch werten die Truppenverlegung als Verletzung des Waffenstillstandsabkommens von 1994, wonach die Kodori-Schlucht zur Sicherheitszone erklärt wurde, in der keine schweren Waffen sein dürften. Der Einsatz von Panzerfahrzeugen und Artillerie spreche dafür, dass Georgien eine militärische Intervention in der abtrünnigen Republik vorbereite. In der Tat wären solche schweren Waffen bei Strafexpeditionen gegen Untergrundkämpfer eher hinderlich.

Russische Experten sahen sich in ihren Befürchtungen auch durch die Regierungsumbildung in Georgien Ende letzter Woche bestätigt. Gemäßigte wie der bisher für die Konfliktregelung zuständige Staatsminister Georgi Chaindrawa wurden entlassen, tonangebend sind nun Falken wie Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili und der neue Innenminister Wano Merabischwili, der zu den engsten Vertrauten von Staatschef Saakaschwili gehört.

Dazu kommt, dass Tbilissi eine Serie von Morden an lokalen Autoritäten der Kodori-Schlucht als unmittelbaren Anlass für die Operation geltend machte. Abchasien vermutet die Auftraggeber in Tbilissi und verwies auf angebliche Pläne Georgiens, nach eben diesem Szenario auch die Kontrolle über das abtrünnige Südossetien wiederherstellen zu wollen. Letzte Woche hatte das Pressezentrum von Russlands Inlandsgeheimdienst FSB einen prorussischen Informanten in Georgien mit den Worten zitiert, Tbilissi wolle sich mit einer Mordserie in den acht von Georgiern besiedelten Dörfern Südossetiens einen plausiblen Vorwand für den Einmarsch verschaffen.

Tbilissi machte daraufhin Russland für die neuerliche Eskalation der Spannungen in der Region verantwortlich und unterstellte Moskau, mit Manövern, wie sie gegenwärtig in allen nordkaukasischen Republiken Russlands stattfinden, selbst den Einmarsch in Südossetien und Abchasien vorzubereiten. Auch weil Moskaus Verteidigungsminister Sergej Iwanow die Formulierung entschlüpft war, das eigentliche Ziel der Übung sei nicht die Abwehr von Extremisten, sondern der Schutz russischer Staatsbürger außerhalb der Landesgrenzen. Die meisten Südosseten und Abchasen haben inzwischen einen russischen Pass.

Saakaschwili bemühte sich um ein Gespräch mit Wladimir Putin am Rande des GUS-Gipfels am Wochenende, um die Spannungen zu mindern. Doch Russlands Präsident stand nicht zur Verfügung, weshalb Saakaschwili die Moskau-Reise im letzten Moment absagte.

Die abchasischen Truppen jedenfalls wurden in Kampfbereitschaft versetzt, ein begrenztes Kontingent werde in Richtung Kodori-Schlucht verlegt, kündigte ein Sprecher von Präsident Sergej Bagapsch an. Auch für die im Konfliktgebiet stationierten russischen Friedenstruppen gilt erhöhte Wachsamkeit. Inzwischen soll es zu ersten Kämpfen zwischen den georgischen Truppen und den Kämpfern Kwitzianis gekommen sein. In Abchasien stellt man sich auf Flüchtlinge aus der Kodori-Schlucht ein.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2006


Alarm in Abchasien

Aufmarsch georgischer Truppen am Kodori-Tal in der international nicht anerkannten »Autonomen Republik«. Streit um russische Friedenstruppen hält an

Von Rainer Matthias **


Die Spannungen zwischen Georgien und der abtrünnigen Provinz Abchasien haben sich seit dem Wochenende weiter verschärft. Am Dienstag (25. Juli) erklärte ein Regierungssprecher in Tbilissi, daß »einige Einheiten der georgischen Armee« in das Kodori-Tal gesandt wurden. Dort sollen sie, »wenn es notwendig ist«, militärische Operationen durchführen. Zugleich erklärte am Dienstag Abchasiens Armeeoberbefehlshaber Anatoli Zaitsev gegenüber der Agentur Interfax, daß die Truppen seiner international nicht anerkannten Autonomen Republik »in Alarmbereitschaft« versetzt worden sind.

Anlaß für die Zuspitzung ist der lange schwelende Konflikt zwischen der Regierung Georgiens und dem georgischen Warlord Emzar Kwitsiani, dessen 300 bis 500 Mann starke Miliz das Kodori-Tal beherrscht. Das kleine Gebiet gehört zwar geographisch zu Abchasien, steht aber tatsächlich schon seit der abchasischen Unabhängigkeitserklärung 1992 unter Kontrolle von Kwitsianis Privatarmee. Der frühere Staatspräsident Eduard Schewardnadse hatte Kwitsiani den Status eines georgischen Beauftragten gegeben. Nach Schewardnadses Sturz entzog der neue Präsident Michail Saakaschwili dem Warlord des Kodori-Tals im Dezember 2004 die Legitimation und ordnete – erfolglos – die Auflösung seiner Truppe an.

Am Wochenende nun meldete sich Kwitsiani mit der Erklärung zu Wort, Georgien plane in allernächster Zeit einen Angriff auf das Kodori-Tal. In diesem Fall werde seine Miliz entschlossenen Widerstand leisten. Tatsächlich drohte Präsident Saakaschwili am Montag: »Das einzige Thema, über das ich mit Kwitsiani und seiner Bande verhandeln kann – und auch das erst, wenn sie ihre Waffen abliefern – ist, in welche Zellen des Gefängnis Nr. 5 in Tbilissi sie gesteckt werden.«

Ebenfalls am Montag (24. Juli) waren georgische Truppenkonzentrationen in der Nähe des Kodori-Tals gemeldet worden. Die abchasische Regierung beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Dort wird befürchtet, daß ein bewaffneter Konflikt im Kodori-Tal der Auftakt zu einem Angriff auf Abcha­sien werden könnte. Generell würde das Auftauchen georgischer Streitkräfte im Kodori-Tal aus abchasischer Sicht den komplizierten Status quo gefährden.

Zuvor hatte am Freitag (21. Juli) die Entlassung des georgischen Staatsministers für Konfliktlösungsaufgaben, Giorgi Khaindrawa, für Aufsehen und Spekulationen gesorgt. Dieses Ministerium ist für die Verhandlungen mit Südossetien und Abchasien zuständig. Khaindrawa galt zwar als hart in der Sache, aber zugleich als überzeugter Verfechter einer politischen Lösung der Konflikte mit den beiden Republiken. Khaindrawas Amtsenthebung nährt folglich Befürchtungen, daß Georgien in Bälde militärische Abenteuer riskieren könnte. Anlaß der Entlassung war ein heftiger Streit zwischen Khaindrawa und Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili. Khaindrawa hatte seinen Kollegen wegen zweier Vorfälle am 14. und 15. Juli kritisiert, bei denen russische Diplomaten und Offiziere von georgischer Militärpolizei gestoppt, festgenommen und durchsucht worden waren. Tbilissi war wegen dieser eindeutig rechtswidrigen Aktion auch von westlichen Politikern und Diplomaten kritisiert worden. Im Hintergrund schwelt der Streit um die russischen Friedenstruppen weiter. Das georgische Parlament hatte am 18. Juli eine Resolution verabschiedet, die die Regierung auffordert, den Abzug der Russen aus Abchasien durchzusetzen. Eine entsprechende Resolution für Südossetien war schon im Februar beschlossen worden. Saakaschwili erklärte, ebenfalls am 18. Juli, daß seine Regierung eine endgültige Entscheidung zu diesem Thema erst nach einem Treffen zwischen ihm und dem russischen Präsidenten treffen werde. Dafür wird jetzt ein Termin gesucht.

** Aus: junge Welt, 26. Juli 2006

Außenminister Lawrow: Probleme Südossetiens und Abchasiens sind nur friedlich zu lösen

KUALA-LUMPUR, 28. Juli (RIA Novosti). Die Probleme Südossetiens und Abchasiens (zwei nicht anerkannte Republiken auf dem georgischen Territorium) lassen sich unmöglich mit militärischen Methoden lösen. Das erklärte der russische Außenminister, Sergej Lawrow in der malaysischen Hauptstadt Kuala-Lumpur, wo er am Treffen der Vereinigung Ostasiatischer Staaten (ASEAN) teilnimmt. "Es gibt keine Chancen, diese Probleme militärisch zu lösen", erklärte der Minister vor russischen Journalisten.

Georgien bringt 70 Tonnen Hilfsgüter ins Kodori-Tal

TIFLIS, 28. Juli (RIA Novosti). Rund 70 Tonnen Hilfsgüter aus dem Präsidentenfonds werden am Freitag ins Kodori-Tal entsandt. Das teilte Erekle Dschaparidse, stellvertretender Präsidentenbeauftragter in den Provinzen Mengrelien und Swanetien, im Dorf Chaischi, 80 Kilometer vom Kodori-Tal entfernt, vor Journalisten mit. "Die Güter werden zunächst ins Dorf Aschara (der größte besiedelte Ort des Bergtals) gebracht und anschließend unter allen Dörfern der Region verteilt", fügte er hinzu.
Es handelt sich um 30 Tonnen Mehl, zehn Tonnen Zucker, 20 Tonnen Reis, vier Tonnen Teigwaren und 4 000 Flaschen Pflanzenöl. Jeder Einwohner des Gebirgstals soll 15 Kilogramm Mehl, zehn Kilogramm Reis, vier Flaschen Öl, zwei Kilo Teigwaren und fünf Kilogramm Zucker bekommen.

Wie Mewlud Dschargwliani, Beauftragter der sogenannten legitimen Regierung Abchasiens im Kodori-Tal, mitteilte, wird auch die neue Regierung vom 5. August an mit der Lieferung von Hilfsgütern beginnen. Insgesamt sollen humanitäre Güter für umgerechnet 280 000 Dollar ins Gebirgstal gebracht werden.
Zuvor hatte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili den Beschluss gefasst, "die erste legitime Regierung Abchasiens" im Kodori-Tal unterzubringen und Hilfsgüter dorthin zu entsenden.
Die Regierung hatte jährlich zusätzliche Lebensmittel für die Winterzeit ins Kodori-Tal geliefert. Im Haushalt Georgiens werden jährlich umgerechnet 280 000 bis 393 000 Dollar für die Unterstützung des Kodori-Tals bereitgestellt.
Das Kodori-Tal zählt rund 2 000 Einwohner.

Georgien will in Kodori eine "legitime Regierung Abchasiens" unterbringen

TIFLIS, 27. Juli (RIA Novosti). Der georgische Präsident Michail Saakschwili hat am Donnerstag angekündigt, im Kodori-Tal werde eine "legitime Regierung Abchasiens" ihren Sitz haben.
Diese Regierung soll "die Jurisdiktion Georgiens auf dieses Gebiet ausdehnen", sagte Saakaschwili in einer Ansprache an die Nation. Er betonte, Georgien wolle keine Zuspitzung in der Region und keine Konfrontation mit dem abtrünnigen Abchasien. "Wir sind für eine friedliche Beilegung des georgisch-abchasischen Konfliktes. Erstmals seit 13 Jahren habe Georgien das Kodori-Tal in Abchasien unter seine Kontrolle gebracht, stellte Saakaschwili fest.

In der Vorwoche hatte der ehemalige Beauftragte des georgischen Präsidenten für das Kodori-Tal, Emsar Kwiziani, erklärt, dass er Befehlen aus Tiflis nicht mehr folgen werde. Am vergangenen Dienstag rückten Sondereinheiten des georgischen Innenministeriums zur "Wiederherstellung der Verfassungsordnung" in das Kodori-Tal vor. Am heutigen Donnerstag meldete Tiflis den erfolgreichen Abschluss der Operation.

Die im Süden des Kaukasus an das Schwarze Meer grenzende Abchasische Republik gehört zu Georgien, hat sich jedoch 1992 für unabhängig erklärt, was zu einem blutigen Krieg führte. Der Sezessionskrieg dauerte etwas länger als ein Jahr, führte zu Kriegsverbrechen, vielen tausend Toten und zur Vertreibung von vielen Georgiern, die in Abchasien gelebt hatten. Im Mai 1994 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Bislang sichert ein Friedenskontingent der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) die Einhaltung des Waffenstillstandes zwischen Georgiern und Abchasen.

Abchasien: Vorerst keine Mobilisierung der Reservisten

SUCHUMI, 27. Juli (RIA Novosti). Der Präsident der international nicht anerkannten Republik Abchasien, Sergej Bagapsch, sieht vorläufig keine Notwendigkeit, die Reservisten zu mobilisieren. Dies sagte Bagapsch am Donnerstag bei einem Treffen mit den Leitern der gesellschaftlich-politischen Bewegungen sowie nationalen und religiösen Gemeinden der Republik. Im Mittelpunkt des Treffens stand der jüngste Einsatz der georgischen Sicherheitskräfte im Kodori-Tal.
Bagapsch zufolge verfolgen die abchasischen Geheimdienste die Bewegungen des georgischen Militärs im Kodori-Tal; die Leitung der Republik tut alles in ihrer Kraft Stehende, um die Sicherheit zu gewährleisten.
An dem Treffen nahm auch der abchasische Außenminister Sergej Schamba teil.

Die im Süden des Kaukasus an das Schwarze Meer grenzende Abchasische Republik gehört zu Georgien, hat sich jedoch 1992 für unabhängig erklärt, was zu einem blutigen Krieg führte. Der Sezessionskrieg dauerte etwas länger als ein Jahr, führte zu Kriegsverbrechen, vielen tausend Toten und zur Vertreibung von vielen Georgiern, die in Abchasien gelebt hatten. Im Mai 1994 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Bislang sichert ein Friedenskontingent der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) die Einhaltung des Waffenstillstandes zwischen Georgiern und Abchasen.
Der Einsatz der georgischen Sicherheitskräfte im Kodori-Tal hatte für Beunruhigung in Abchasien gesorgt.

* Alle Meldungen von der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti; http://de.rian.ru




Zurück zur Georgien-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Kaukasus-Seite

Zurück zur Homepage