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Georgien ein Jahr danach

Die US-Regierung warnt vor neuen militärischen Abenteuern, um die Beziehungen zu Rußland nicht zu gefährden

Von Knut Mellenthin *

Mit dem Beschuß der südossetischen Hauptstadt Tschinwali durch Artillerie und Raketenwerfer begann Georgien vor einem Jahr am 7. August kurz vor Mitternacht einen Krieg zur Rückeroberung der Republik, die 1991 ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. In einer schnell einberufenen Sondersitzung des Sicherheitsrats der UNO scheiterte ein russischer Vorstoß, beide Seiten zur Einstellung der militärischen Konfrontation aufzurufen, am Veto der USA. Gleichzeitig blockierten US-amerikanische Regierungsstellen alle russischen Versuche, sich telefonisch über ein gemeinsames Krisenmanagement zu verständigen. In dieser Situation entschloß sich Rußland am 8. August vormittags zum militärischen Eingreifen, um den Südosseten, von denen über 90 Prozent russische Staatsbürger sind, bei der Abwehr der georgischen Aggression zu helfen. Der Krieg endete am 12. August mit einer schweren Niederlage der Angreifer.

Angriffsbefehl

Der von Präsident Michail Saakaschwili befohlene Überfall war seit dem Amtsantritt des Nationalisten im Januar 2004 vorhersehbar gewesen. Saakaschwili hatte die Rückeroberung der beiden abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien von Anfang an als Hauptziel seiner Politik bezeichnet, das er noch während seiner ersten Amtszeit erreichen wollte. US-amerikanische Offiziere hatten schon im April 2002, zur Zeit des Präsidenten Eduard Schewardnadse, die Ausbildung der georgischen Streitkräfte übernommen, die sich in ihren Kriegen gegen die beiden Republiken Anfang der 90er Jahre als zwar verbrecherisch brutal, aber militärisch schwach gezeigt hatte.

Heute ist allgemein anerkannt, was für aufmerksame und ehrliche Kommentatoren auch in der Nacht des 7. August schon offensichtlich war: Saakaschwili hatte mit seinem Angriffsbefehl den Krieg ausgelöst. Seine nachträglichen Behauptungen, er habe einer unmittelbar drohenden russischen Invasion zuvorkommen wollen, waren reine Propaganda. Das hinderte allerdings weder die USA noch die europäischen Staaten, Rußland als Aggressor zu verurteilen und Georgien ihrer vollen Unterstützung zu versichern. Kurzzeitig schien sich das Verhältnis zwischen dem Westen und Rußland drastisch zu verschlechtern. Manche sahen bereits einen »neuen kalten Krieg« drohen.

Ein Jahr später kann der russische Außenminister Sergej Lawrow feststellen: »Das Thema Georgien behindert unsere Beziehungen nicht mehr.« Das habe sich auch während des Moskau-Besuchs von US-Präsident Barack Obama Anfang Juli gezeigt. Zwar gebe es immer noch eine propagandistische »Kriegführung« gegen Rußland, aber in der praktischen Politik spielten »emotionale Ausbrüche« keine Rolle mehr, sondern es werde über die wichtigen Sachfragen, wie etwa eine Verringerung der Atomwaffenpotentiale beider Seiten, gesprochen.

Der Hauptgrund für die Rückkehr zur Normalität in den Ost-West-Beziehungen ist, daß die USA und Eu­ropa die Zusammenarbeit mit Rußland brauchen, um ihre aggressive Strategie in der Region zwischen dem Ostrand des Mittelmeers und Zentralasien abzusichern. Vor allem für die Konfrontation mit dem Iran, von einer massiven Verschärfung der Sanktionen über eine Seeblockade bis hin zu Militärschlägen, will der Westen »Moskau ins Boot holen«. Auch für den Nachschub der NATO-Streitkräfte nach Afghanistan gewinnt der Transit durch Rußland an Bedeutung.

Militärhilfe

Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, daß die US-Militärhilfe für Geor­gien nach dem Augustkrieg bisher weit hinter dem zurückbleibt, was sich die Regierung in Tbilissi erhofft hatte und was ihr anscheinend auch versprochen worden war. Damals hieß es, die USA würden nicht nur die Verluste der georgischen Streitkräfte vollständig ersetzen, sondern sie durch Lieferung moderner Waffen stärker als vor dem Krieg machen.

Während des Besuchs von Vizepräsident Joe Biden vor zwei Wochen meldete Saakaschwili erneut den Wunsch nach Systemen zur Panzerabwehr und Flugzeugbekämpfung an. Deren Fehlen hatte zur schnellen Niederlage beigetragen. Der US-Politiker wich jedoch jeder Äußerung zu diesem Thema aus. Bei einer Anhörung im Kongreß am 4. August behauptete Alexander Vershbow, Unterstaatssekretär im Pentagon, sogar, die USA hätten seit dem Krieg keine »tödliche« Militärhilfe an Georgien geleistet, also keine Waffen geliefert. Die US-Militärhilfe beschränke sich auf Ausbildung, Beratung und nicht zuletzt Heranführung der georgischen Streitkräfte an die Kompatibilität mit der NATO. Georgien will noch in diesem Jahr eine Infanteriekompanie (100 bis 200 Mann) nach Afghanistan schicken, und im nächsten Jahr ein ganzes Bataillon (etwa 800 Mann).

Neue kriegerische Abenteuer Saakaschwilis an den georgischen Grenzen wünscht die Obama-Administration offenbar in nächster Zeit nicht. »Es gibt keine militärische Option für die Reintegration von Abchasien und Südossetien«, sagte Biden in Tbilissi. Iran und Afghanistan haben jetzt Priorität.

* Aus: junge Welt, 7. August 2009


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