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Zwist schüren

Streit um die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen. Israelische Marine stoppt Frachtschiff aus Zypern

Von Karin Leukefeld *

Ein Streit um die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen sorgt für Spannungen zwischen der Hamas und den Vereinten Nationen. Nach Darstellung der UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge, UNWRA, sollen am Dienstag (3. Feb.) nachmittag Polizisten der Hamas in einem UN-Warendepot in Gaza mehr als 3500 Decken und etwa 400 Lebensmittelpakete beschlagnahmt haben, die zur Verteilung an 500 bedürftige Flüchtlingsfamilien vorgesehen waren. Vorher habe sich UNRWA geweigert, die Hilfsgüter dem Ministerium für Gesundheit und Soziales auszuhändigen, das von der Hamas kontrolliert wird. »Daraufhin brach die Polizei in das Warenlager ein und nahm die Hilfsgüter gewaltsam an sich«, heißt es in der Stellungnahme der UNRWA. Das Vorgehen werde »aufs Schärfste verurteilt«, die Sachen müßten umgehend zurückgegeben werden.

Hamas-Führer Ismail Hanija wies die Anschuldigungen zurück und forderte die UNRWA auf, sich dafür zu entschuldigen, daß sie Falschinformationen verbreite. Palästinensische Polizei sei nicht in Einrichtungen der UNRWA eingedrungen. Das Innenministerium in Gaza-Stadt verwies darauf, daß die UNRWA ausschließlich für die Versorgung palästinensischer Flüchtlinge in Gaza zuständig sei, nicht aber Hilfsgüter an »zivile Einrichtungen« geben dürfe. Nach Informationen palästinensischer Reporter habe die Polizei in Gaza die umstrittenen Hilfsgüter in Räumen einer palästinensischen Organisation beschlagnahmt, die der Fatah des amtierenden Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas nahestehen soll. Diese Hilfsorganisation habe die Hilfsgüter aber an Fatah-Mitglieder verteilt, anstatt sie den hilfsbedürftigen Flüchtlingen zu geben, hieß es von seiten der Hamas.

Man übe eine strenge Kontrolle über die Verteilung von Hilfsgütern aus, erklärte die UNRWA zu den Vorwürfen. »Unsere Vertreter waren vor Ort und (...) haben alles unternommen, um eine Entwendung oder Umleitung der Hilfsgüter zu verhindern.« UNRWA-Koordinator John Ging erklärte darüber hinaus, die UN hätten auch Angestellte der palästinensischen Autonomiebehörde, also Angehörige der Fatah, auf die Liste der Hilfsbedürftigen gesetzt. Grund dafür sei, daß Israel die Gehaltszahlungen der Autonomiebehörde in Ramallah an ihre Angestellten in Gaza verhindere.

Der Streit um die Verteilung der Hilfsgüter in Gaza wird durch die israelische Blockadepolitik und nicht zuletzt durch die Europäische Union angeheizt. Die hat ihre Hilfe für Gaza an die Bedingung geknüpft, daß die Hilfsgüter nicht von der Hamas verteilt werden dürften, sondern nur von der Palästinenserbehörde von Mahmud Abbas. Der Konflikt zwischen Fatah und Hamas wird damit weiter verschärft.

Durch den Streit gerät die katastrophale Lage im Gazastreifen in den westlichen Medien in den Hintergrund. In der gleichen Erklärung, in der die UN die Beschlagnahme der Hilfsgüter durch Hamas-Polizei verurteilten, wurde auch über eine erste Bestandsaufnahme des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) in Gaza informiert. Mehr als 14000 Wohnungen, 68 Regierungsgebäude und 31 Gebäude von Nichtregierungsorganisationen seien durch die israelischen Angriffe ganz oder teilweise zerstört worden, 600000 Tonnen Betontrümmer müßten beseitigt werden. Das habe »oberste Priorität«, so der UNDP-Beauftragte für die besetzten palästinensischen Gebiete, Jens Toyberg-Frandzen. Die Trümmer seien extrem gefährlich für die Bevölkerung, weil sie mit »giftigem und schädlichem Material vermischt (sind) und nichtexplodierte Munition enthalten« könnten. Die Beseitigung der Trümmer sei die Voraussetzung dafür, daß »grundlegende humanitäre und soziale Dienste« für die Bevölkerung wiederhergestellt werden könnten. Doch weiterhin läßt Israel nur einen Bruchteil der benötigten Hilfsgüter, Waren, Baumaterial und -maschinen die Grenzen passieren. Besonders technische Geräte werden blockiert, weil diese laut Israel »zur Waffenproduktion« benutzt werden könnten. Ein libanesisches Schiff mit 60 Tonnen Hilfsgütern, das am Dienstag von Larnaka (Zypern) aus nach Gaza aufgebrochen war, wurde von der israelischen Marine gestoppt. Die Organisatoren des Hilfstransports, die »Nationale Initiative für ein Ende der Blockade des Gazastreifens«, beschuldigte die israelische Marine, in Richtung des Schiffes geschossen zu haben. Dann seien israelische Soldaten an Bord gegangen, woraufhin der Kontakt zum Schiff abgebrochen sei. Der libanesische Fernsehsender NTV und Al-Dschasira aus Katar, die Korrespondenten an Bord haben, berichteten, die Soldaten hätten Passagiere geschlagen. An Bord des Schiffes sollen unter anderem mehrere Tonnen Medikamente, Lebensmittel, Spielzeug, Kleidung und Blutkonserven sein.

* Aus: junge Welt, 6. Februar 2009


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