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China braucht Frieden und Stabilität, um weiter zu erstarken

Von Jürgen Heiducoff *

Der arabische Frühling hat den Gesellschaftswissenschaften und auch der Friedensforschung neue Impulse verliehen. Naher und Mittlerer Osten sind von einem stabilen Frieden weiter denn ja entfernt. Und schon verstärken die Vereinigten Staaten ihre militärische Präsenz im asiatisch – pazifischen Raum. Sie engagieren sich dort mit einer solchen Geschwindigkeit - als ginge es um ihr letztes Gefecht. Sehr schnell sind wir dabei, dieses aggressive Vordringen Amerikas in die Interessensphäre ihres größten Konkurrenten China kritisch zu beurteilen. Das ist auch richtig. Aber wie schwer tun wir uns, die Potenzen des Reiches der Mitte für Frieden und Stabilität objektiv zu bewerten.

Woraus resultiert diese Zurückhaltung gegenüber China? Die Volksrepublik ist kein demokratischer Staat und hat eine andere Auffassung zum Umgang mit den Menschenrechten. Aber hinsichtlich des Willens und der Potenzen, Frieden zu schaffen, steht China der Friedensbewegung in den westlichen Demokratien näher als die eigenen Regierungen. Ist nicht ein Leben in Frieden das grundlegende Menschenrecht?

Öffnen wir uns also gegenüber dem eben erwachenden Drachen im Fernen Osten! Gehen wir auf ihn zu! Die westliche Geschäftswelt tut dies längst.

Die neue US – Strategie: Expansion in den asiatisch-pazifischen Raum

Die USA sind dabei, entsprechend der neuen Strategie ihren Einfluss in den asiatisch-pazifischen Raum auszudehnen. Washington fühlt sich wirtschaftlich von China bedrängt. Da auch das politische Selbstbewusstsein des Reiches der Mitte wächst und Peking nicht bereit ist, sich in ihrer eigenen Region dem Willen Washingtons unterzuordnen, versuchen die Vereinigten Staaten, einen Keil zwischen China und seine Nachbarn zu treiben.

Amerika setzt verstärkt auf militärische Kooperation und gemeinsame militärische Aktivitäten mit Staaten Ost- und Südostasiens. Dieser Prozess wird durch militärische Expansion begleitet. Neue Militärbasen werden geschaffen. Die US – Truppen dieser strategischen Region werden umgruppiert. Kampfverbände werden von Okinawa (Japan) nach Guam und Nordaustralien verlegt. So soll eine günstigere Ausgangslage für die Kontrolle der Meerengen zwischen dem Pazifischen und Indischen Ozean eingenommen werden. Dies ist das Nadelöhr, durch das Chinas Ausfuhren und die Rohstoffimporte transportiert werden müssen.

Die US – Eliten haben erkannt, dass sie dem wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Erstarken Chinas nur schaden können, wenn sie die militärische Karte spielen. Frieden und Stabilität als die besten Bedingungen für die weitere Stärkung der Volksrepublik sollen gestört werden.

Öffentlich wird China nicht als neuer Gegner genannt. Doch das in westlichen Medien verbreitete Chinabild lässt immer deutlicher die Aktionsrichtung der neuen amerikanisch-pazifischen Allianz erkennen. Da wird die Volksrepublik als ein von Militarismus und Aufrüstung dominiertes Monster dargestellt, das nur auf eine Gelegenheit wartet, über die Nachbarstaaten herzufallen.

Es ist möglich, dass dieser oder jene Konsument dieser Lügen und Halbwahrheiten unter uns schon mal meint, es sei gut, wenn die USA mit ihrer neuen Strategie „Gerechtigkeit“ bringe. +Das Lügengebäude beruht auf einem brüchigen Fundament: auf der Grundlüge von der Hochrüstung und Aggressivität Chinas. Diese Lüge wird immer wieder herangezogen, wenn es um die Begründung der eigenen militärischen Expansion geht. Diese Lüge wird genutzt, um bei den Völkern der Region die Angst vor Peking zu schüren und den Wunsch nach Beistand seitens der USA zu verstärken.

Die westliche Lüge von den überhöhten Militärausgaben der Volksrepublik China

Die jüngsten Veröffentlichungen des Friedensforschungsinstitut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) zu den weltweiten Militärausgaben wurden in den westlichen Medien so interpretiert, als stehe einer Abrüstung des Westens die Aufrüstung Chinas und Russlands gegenüber. Der Spiegel veröffentlichte am 17.April 2012 einen Beitrag unter dem Titel „China und Russland rüsten auf, der Westen spart“, in dem einleitend festgestellt wird: „Während die USA und Europa sparen, erhöhten China und Russland die Ausgaben massiv“.[1] Es wird der Eindruck erweckt, der Westen wende weniger Geld für Rüstung und Militär auf als Russland und China. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich ein anderes Bild.

Zu vermissen ist die Mühe, die genannten Zahlen zu vergleichen und ins Verhältnis zu setzen. So betrugen im Jahre 2011 die Rüstungsausgaben der USA laut SIPRI 711 Milliarden $. China gab mit 143 Milliarden $ nur etwa 20 Prozent davon aus. Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl oder zur Truppenstärke, verändert sich diese Konstellation weiter zu ungunsten der USA. Daran ändert auch der geringe Rückgang der US Aufwendungen von 1,2 Prozent und die Erhöhung des chinesischen Militärhaushaltes um 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr wenig. Jahrzehnte wären erforderlich, bis China bei andauerndem Wachstum das Niveau der amerikanischen Rüstung in Quantität und Qualität erreichen würde.

Mit den finanziellen Mehraufwendungen Pekings seien nach Angaben der Stockholmer Forscher von SIPRI die Arbeitsbedingungen und Einkommen der Soldaten verbessert und deren Ausrüstung und Technologie modernisiert worden. Chinas Technologie liege nach SIPRI noch immer ein bis zwei Generationen hinter der amerikanischen. Der Anstieg der Ausgaben für den Militärhaushalt gegenüber dem Vorjahr sollte zudem im Kontext mit dem Anstieg des BIP und des Wirtschaftszuwachses betrachtet werden. So hat China im Jahre 2010 nach SIPRI – Angaben nur 2,1 Prozent seines BIP für Verteidigung ausgegeben, während die USA 4,8 Prozent von ihrem wesentlich höheren BIP aufgewandt haben.

Auch bei Rüstungsexporten sind die USA weltweit führend, während China den siebenten Platz belegt. Laut einer weiteren SIPRI – Analyse beträgt der Anteil der Waffenexporte Washingtons mehr als 30 Prozent, der Chinas nur drei Prozent des Weltmarktes.

Die gesamte chinesische Gesellschaft befindet sich im Aufwuchs. Das BIP steigt unaufhaltsam. Dann ist es sicher auch erklärbar, dass neben den Staatseinnahmen auch die Militärausgaben steigen. Wichtig dabei ist doch immer die Beachtung der Relationen.

Die Falschdarstellung von der maritimen Dominanz Pekings

Im April sind im Südchinesischen und im Gelben Meer Seemanöver verschiedener Staaten durchgeführt worden. Am 18. April präsentierte der Spiegel den Lesern folgende Darstellung Manöver der chinesischen und russischen Schiffsverbände:
„Nun wagen Russland und China eine neue, gemeinsame Machtdemonstration… Über mehrere Wochen sollen dort Waffensysteme getestet, gemeinsame Taktiken einstudiert und die Abwehr von Piraten trainiert werden… Gleichzeitig dürfte das Manöver jedoch als Signal in Richtung der Philippinen und USA zu werten sein.“ [2]

Zur Richtigstellung sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die USA mit den Philippinen unter Beteiligung von etwa 7000 Mann das Seemanöver "Balikatan 2012" („Schulter an Schulter“) im Südchinesischen Meer begonnen hatten. Erst etwa eine Woche später liefen chinesische und russische Schiffe zu ihrer Übung ins Gelbe Meer, vor die eigene Küste aus.

Welche der beteiligten Marinekräfte hier in wessen Zuständigkeitsbereich eingedrungen sind, dürfte klar sein. Die Manöver fanden nicht unweit der Küsten der USA, sondern vor den Küsten Chinas statt und unweit der Meerengen zwischen dem Pazifischen und Indischen Ozean, dem Nadelöhr, das die Pekinger Handelsflotte ständig passieren muss. Es geht also um eine mögliche Beeinträchtigung der Versorgungslinien der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und nicht um den Zugang zu kleinen unbewohnten Inseln im Südchinesischen Meer.

Ein langjähriger Kenner der Region ist Dr. Ralf Emmers. Er lehrt an der Rajaratnam School of International Studies in Singapur. Gegenüber Spiegel hält Emmers die Aufregung um die Spratlys für leicht übertrieben: "Das Riff an sich ist doch ziemlich uninteressant - der größte Teil steht meist unter Wasser, und wie viel Öl es dort gibt und ob es in der Tiefsee leicht zu fördern ist, ist völlig unbekannt." [3] Admiral Samuel Locklear, Chef des amerikanischen Pazifik-Kommandos, spricht Klartext und hatte im Februar im Verteidigungsausschuss des US Senats erklärt: „Wir sind eine Großmacht in Asien. Die Chinesen und die anderen Länder der Region müssen begreifen, dass die USA bereit sind, dort ihre nationalen Interessen zu verteidigen.“ [4]

Die führende Militärmacht sind die Vereinigten Staaten

Die Vereinigten Staaten haben weltweit mit Abstand die höchsten Militärausgaben und sind der größte Rüstungsexporteur. Das wird sich auch nicht so schnell ändern können.

Besonders während des Krieges gegen den Terror sind die Militärausgaben Washingtons massiv erhöht worden. Dies ist auf Grund der Erschöpfung der Staatsfinanzen derzeit nicht mehr möglich. Das Pentagon sucht nun nach noch effektiveren Methoden zur Ereichung der militärischen Ziele durch die weitere technologische Vervollkommnung. Völlig neue Führungs- und Waffensysteme sind bereits konzipiert, produziert und in Dienst gestellt worden. Washington repräsentiert das Land mit dem größten und modernsten Waffenarsenal und der leistungsfähigsten Rüstungsindustrie. Amerika stellt jedoch nicht nur eine potentielle militärische Bedrohung dar, sondern führt auch real Krieg in großer Entfernung vom eigenen Territorium. Hinzu kommen die nicht erklärten Drohnenkriege der Amerikaner. Auch in diesen Tagen werden Menschen durch US - Kampfdrohnen in Pakistan und im Jemen getötet. Hinzu kommen die geheimen Einsätze von unbemannten Aufklärungsmitteln des CIA im Iran und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens.

Die USA unterhalten ein globales System von Militärbasen. Besonders gegenwärtig sind sie dabei, den Ring der Militärbasen um China (von Korea, über Japan, Guam, Australien, Pakistan, Afghanistan bis nach Kirgistan) auszubauen und zu verdichten. Die US Marine zeigt verstärkte Präsenz im Pazifischen und Indischen Ozean.

Und nicht unwichtig zu erwähnen ist, dass es in den Vereinigten Staaten einflussreiche Kräfte gibt, die an einer militär-technologischen Auf- und Umrüstung sowie an immer neuer Anwendung militärischer Gewalt interessiert sind, weil dies Maximalprofite sichert.

Das Reich der Mitte war nie aggressiv und stellt keine Gefahr für den Weltfrieden dar

China hat in seiner langen Geschichte keine Raubzüge in anderen Kontinenten durchgeführt. Im Gegenteil - es wurde Opfer der Gier der europäischen Kolonialreiche und Japans. Auch der deutsche Kaiser versuchte seinen Platz an der Sonne dauerhaft und gewaltsam zu sichern. Peking war stets gezwungen, Feinde von den Grenzen seines Reiches zurück zu drängen. Davon zeugt noch heute das größte Bauwerk unserer Erde – die Grosse Chinesische Mauer.

China hat eine lange Tradition von Frieden, Ausgleich und Harmonie zu erhalten. Dies widerspiegelt sich auch in der Mentalität der Menschen. Der chinesische Kriegsphilosoph Sun Tzu schrieb vor über 2500 Jahren in seinem Werk "Die Kunst des Krieges":
"In all deinen Schlachten zu kämpfen und zu siegen ist nicht die größte Leistung. Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen. In der praktischen Kriegskunst ist es das Beste überhaupt, das Land des Feindes heil und intakt einzunehmen; es zu zerschmettern und zu zerstören ist nicht so gut", oder
"Ein Heer von hundertlausend Männern auszuheben und mit ihnen über weite Entfernungen zu marschieren bedeutet große Verluste an Menschen und eine Belastung der Staatsschätze. Die täglichen Ausgaben werden bis zu hunderttausend Unzen Silber betragen. Zu Hause und in der Ferne wird es Unruhe geben, und Männer werden erschöpft auf den Straßen zusammenbrechen.“

Auch gegenwärtig ist Pekings Außen- und Sicherheitspolitik auf die friedliche Beilegung internationaler Konflikte gerichtet. Dies zeigt sich am gegenwärtigen konsequenten Kampf um Verhandlungslösungen im Nahen und Mittleren Osten.

Im März 2012 erklärte Generalmajor Jin Yinan, ein bekannter Wehrexperte, Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes und Direktor des Instituts für strategische Studien der Universität für Landesverteidigung der Volksbefreiungsarmee in einem Interview mit der Peking Rundschau:

„Unsere Militärdoktrin geht vom Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie aus. Unsere Verteidigungsstrategie und das Weißbuch für Verteidigung betonen vor allem die aktive Verteidigung. Seit der Antike, aber vor allem auch in der Neuzeit hat sich China hauptsächlich verteidigt. China hat keine militärischen Interventionen großen Umfangs unternommen. China hat nicht angekündigt, im Ausland Militärstützpunkte zu errichten. China braucht dies auch gar nicht, weil wir kein Interesse daran haben, ein Sprungbrett für Interventionen in anderen Ländern zu schaffen ... Wir streben nicht nach globaler Herrschaft. Wir müssen die Abschreckungskraft unserer Armee verstärken. Denn Abschreckung heißt nicht, Krieg zu führen, sondern dem Gegner Einhalt zu gebieten, bevor er das Risiko des Kampfes auf sich nimmt. Durch so ein Gesamtkonzept wird Krieg vermieden.“ [5]

Es sind überprüfbare Tatsachen: China hat in seiner langen Geschichte nie Kriege weitab vom eigenen Land geführt und ist seit den Gefechten mit Vietnam, also seit fast 33 Jahren, generell an keinem Krieg beteiligt gewesen. Peking verfügt über keine Kampftruppen in Militärstützpunkten im Ausland. Die chinesischen Rüstungsunternehmen sind nicht in Privatbesitz. Der Staat lässt aus Privatkapital resultierende Interessen am Einsatz militärischer Gewalt und an Kriegen nicht zu.

Chinas Wirtschaft expandiert. Der Außenhandel funktioniert. Das Land verfügt auf dem eigenen Territorium über gewaltige Naturressourcen und Bodenschätze.

Staat und staatliche Unternehmen investieren in Afrika und Asien erfolgreich und erzielen Gewinne - ohne militärische Präsenz. Die Investitionen großer westlicher Unternehmen in China wachsen stetig. Die Friedenswirtschaft floriert also. China wuchs zur zweitgrößten Volkswirtschaft auf, als Amerika seinen vernichtenden Krieg gegen den Terror führte. Im Frieden kann China in weiteren Jahren zur größten Volkswirtschaft der Erde erwachsen. Warum sollte Peking bei so viel Erfolg im Frieden an Krieg und Hochrüstung interessiert sein?

Quellen:
  1. www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-827963,00.html
  2. www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,828327,00.html
  3. www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-829941,00.html
  4. Laut „Kommersant“ http://de.rian.ru/politics/20120406/263284572.html
  5. http://german.beijingreview.com.cn/german2010/Video/2012-03/19/content_442359.htm



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