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Legitimationsproblem

Wahlfälscher in Kabul

Von Rainer Rupp *

Nach den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan werfen EU-Wahlbeobachter beiden Seiten, dem im Westen in Ungnade gefallenen Amtsinhaber Hamid Karsai und dessen Herausforderer Abdullah Abdullah, der bis 2006 als Außenminister diente, massive Fälschungen vor. Jede vierte Stimme sei betroffen, so die EU-Beobachter. Für den Krieg am Hindukusch hat das hat ein erhebliches Legitimationsproblem geschaffen, denn wie soll man den Menschen hier klarmachen, daß unsere bewaffneten Demokratie-Aufbauhelfer am Hindukusch für Fälscher killen und gekillt werden? Und das unmittelbar vor der Bundestagswahl. Die Hauptkriegsparteien CDU und SPD sehen sich im Zugzwang. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Dzembritzki beklagt, daß »das Legitimationsproblem immer größer« wird. Und CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden schiebt die Verantwortung für das Desaster Karsai in die Schuhe und stellt dessen »Glaubwürdigkeit« in Frage. Als Staatsoberhaupt sei der zuständig für einen regulären Verlauf der Wahlen.

Aber Karsai ist nie glaubwürdig gewesen. Von Anfang an hat er als vom Westen bestellter Präsident eng mit den führenden afghanischen Kriegsherren und Massenmördern zusammengearbeitet. Wenn ihm dies heute vorgeworfen wird, so zeigt das nur, wie verlogen die westliche Afghanistan-Politik ist. Karsai ist in Ungnade gefallen, weil er die Erwartungen Washingtons nicht erfüllt hat. Je mehr er vom Westen kritisiert wurde, umso stärker hat er versucht, sich durch innenpolitische Zweckbündnisse gegen den westlichen Druck abzusichern. Dazu gehörte auch seine zunehmend harsche Kritik an den US- und NATO-Bombenmassakern unter der Zivilbevölkerung. Mit der von US-Medien geführten Kampagne gegen Karsai Anfang 2009 war klar, daß Washington eine gefügigere Marionette in Kabul will. Selbst Präsident George W. Bushs Exbotschafter in Afghanistan, der neokonservative Zalmay Khalilzad, war ins Gespräch gebracht worden.

Als akzeptabler Kandidat blieb für die USA schließlich nur der Berufsopportunist Abdullah Abdullah übrig. Der hatte in seiner Karriere sowohl verschiedenen Kriegsherren als auch den Taliban und Karsai in Toppositionen gedient, was für Washington Beweis genug für seine Tauglichkeit war. Allerdings waren Abdullahs Erfolgsaussichten als Tadschike in einer durch Stammesloyalitäten bestimmten Gesellschaft eher bescheiden. Allein die Tatsache, daß er dem obersten Kriegsherren der Nordallianz, Ahmad Schah Masud, als Chefberater gedient hatte, disqualifiziert ihn absolut in den Augen der größten afghanischen Volksgruppe, der Paschtunen. Wenn es dem Westen gelingen sollte, Karsais Wahlsieg zu annullieren und Abdullah in einer Stichwahl durchzusetzen, würde dies nur den Zulauf zu den Taliban verstärken. Dennoch will der Westen eine zweite Runde. Nur so kann die demokratische Fassade repariert und Karsai doch noch in die Wüste geschickt werden.

* Aus: junge Welt, 18. September 2009


Wahlbetrug wird untersucht

Afghanistans Präsident zeigt sich irritiert von Vorwürfen **

Afghanistans Staatschef Hamid Karsai hat die Präsidentenwahl vom 20. August verteidigt. Er zeigte sich am Donnerstag schockiert über die Aussage der EU-Wahlbeobachter, fast ein Viertel der 5,5 Millionen Stimmen seien zweifelhaft oder gefälscht.

Nach Verkündung des vorläufigen Endergebnisses der Präsidentschaftswahl in Afghanistan hat sich Amtsinhaber Hamid Karsai für eine Untersuchung der massiven Betrugsvorwürfe ausgesprochen. »Wenn Betrug begangen wurde, muss er untersucht werden, und fair untersucht werden«, sagte Karsai am Donnerstag in Kabul. Nach dem vorläufigen Endergebnis hat der Amtsinhaber bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreicht. Karsais wichtigster Herausforderer Abdullah Abdullah kritisierte das »hässliche Bild des Betruges« durch das Karsai-Lager. Eine Koalition mit dem Präsidenten schloss er ausdrücklich aus.

»Illegitime Herrschaft ist ein Rezept für Instabilität«, warnte der ehemalige Außenminister Abdullah. »Illegitime Herrschaft kann den Aufstand nur stärken. Die Sieger dieses Prozesses werden die Taliban sein. Sie werden sagen: Demokratie funktioniert in diesem Land nicht.« Abdullah betonte: »Wir werden alles unterlassen, was zur Instabilität des Landes beiträgt.« Proteste gegen das Wahlergebnis müssten friedlich und im Rahmen der Gesetze sein.

»Von erfolgreichen Wahlen kann nun selbst die Bundesregierung nicht mehr fabulieren«, kommentierte am Donnerstag (17. Sept.) der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN, Norman Paech, das vorläufige Wahlergebnis. Es sei der »Beweis dafür, dass der Krieg in Afghanistan weder Demokratie noch Frieden noch Freiheit gebracht hat. Daraus sollte auch die Bundesregierung die Konsequenzen ziehen und endlich den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan einleiten.«

Bei einem Selbstmordattentat gegen ein Fahrzeug der NATO-Truppen sind in Kabul mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen, darunter sechs italienische Soldaten. Wie der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kabul, Sahir Asimi, am Donnerstag mitteilte, sind unter den Toten auch mindestens zehn afghanische Zivilisten. Seit Beginn des Afghanistaneinsatzes sind damit insgesamt 21 italienische Soldaten ums Leben gekommen. Derzeit sind 2800 Italiener im Westen des Landes und in Kabul stationiert. Die Taliban bekannten sich zu der Tat.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 16. bis 18. September in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



Knapp zwei Wochen nach dem von der Bundeswehr angeordneten Bombardement in Kundus (Nordafghanistan) hat Karsai den Angriff als Fehler bezeichnet. »Der Vorfall ist sehr bedauerlich, denn wir haben zu viele Zivilisten verloren«, sagte Karsai am Donnerstag in Kabul. Zugleich nahm der Präsident Deutschland und die Bundeswehr aber ausdrücklich in Schutz. Deutschland sei »ein alter Freund Afghanistans, und die Afghanen wissen das sehr, sehr gut«, sagte er.

** Aus: Neues Deutschland, 18. September 2009


Tote bei Anschlag auf NATO-Truppe in Kabul

Afghanistan: Zahlreiche Opfer bei Angriff auf Besatzungssoldaten. Militärpakt geht laut Medienbericht von 30 toten Zivilisten bei Luftattacke aus. Bundeswehr verantwortlich ***

Bei einem der schwersten Selbstmordanschläge auf die westlichen Besatzungstruppen sind in Afghanistan sechs italienische NATO-Soldaten und zehn Zivilisten getötet worden. Drei weitere Soldaten und 55 Afghanen wurden verletzt. Zu dem Angriff im Zentrum der Hauptstadt Kabul bekannten sich am Donnerstag die Taliban. Augenzeugen zufolge steuerte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Auto in ein gepanzertes Fahrzeug, das die italienische Flagge trug.

So wie die afghanische Regierung geht laut einem Medienbericht auch die NATO von 30 toten Zivilisten bei dem von einem Bundeswehroberst angeordneten Luftangriff bei Kundus aus. Weitere 70 der insgesamt 100 Toten bei dem Bombardement auf zwei Tanklastzüge am 4. September seien »feindliche Kräfte«, berichtete die Online-Ausgabe des Springer-Blattes Bild am Donnerstag unter Berufung auf einen NATO-Offizier. James Appathurai, Sprecher des Militärpaktes, wollte die Angaben auf Anfrage nicht bestätigen. Die von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen eingesetzte Untersuchungskommission habe ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen. Der Bericht werde erst in den kommenden Wochen erwartet.

Unterdessen wies Präsident Hamid Karsai Betrugsvorwürfe gegen die Wahlen zurück, die laut Experten zu einem Erstarken der Aufständischen führen könnten. Der Amtsinhaber verbat sich eine Einmischung des Auslands in die Neuauszählungen. »Wenn es Betrug gab, dann war er gering – das passiert überall in der Welt«, sagte Karsai. Die Medien hätten von großangelegtem Betrug berichtet, aber das stimme nicht. Nach dem am Mittwoch vorgelegten vorläufigen Endergebnis erhielt Karsai bei der Wahlfarce am 20. August 54,6 Prozent der Stimmen; sein schärfster Herausforderer Abdullah Abdullah kam auf knapp 28 Prozent. Dieser forderte eine Stichwahl. »Betrug kann nicht die Grundlage für Stabilität in Afghanistan sein«, sagte er.

*** Aus: junge Welt, 18. September 2009


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