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Chronik Afghanistan

Februar 2011


Dienstag, 1. Februar, bis Sonntag, 6. Februar
  • In Afghanistan sind im vergangenen Jahr mehr als 2400 Zivilisten getötet worden und damit so viele wie noch nie seit dem Beginn des militärischen Einsatzes. Wie die afghanische Organisation ARM am 1. Feb. in ihrem Jahresbericht "Die zivilen Opfer des Krieges" bekanntgab, kamen 2010 in ganz Afghanistan 2421 Zivilisten bei Anschlägen, durch Einsätze der internationalen NATO-Schutztruppe ISAF und afghanischer Streitkräfte ums Leben. Zudem wurden 3270 Zivilisten verletzt. Für knapp zwei Drittel der Opfer sind demnach Aufständische verantwortlich. (Hier geht es zum Bericht!)
  • Bei einem Bombenanschlag im Nordwesten Pakistans sind am 2. Februar mindestens neun Menschen ums Leben gekommen. In der Stadt Peshawar detonierte laut Behörden auf einem belebten Markt nahe einer Polizeistation eine Autobombe. Unter den Toten seien drei Kinder und eine Frau. Rund 20 Menschen wurden verletzt.
    Der Anschlag war der sechste binnen einer Woche in Peshawar. Erst am 31. Januar waren bei zwei Bombenanschlägen sechs Menschen getötet worden, darunter vier Polizisten.
  • Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sieht Fortschritte beim zivilen Wiederaufbau in Afghanistan. "Ich wusste vorher nicht, wie viele Aktivitäten hier schon im Gange sind", sagte er laut AFP vom 5. Feb. nach einem Besuch in Afghanistan. Diese Bemühungen müssten stärker zur Kenntnis genommen werden. "Da erkenne ich auch eine Schieflage in der deutschen Debatte", fügte Schneider hinzu. Schneider hatte in den vergangenen Tagen die deutschen Soldaten in Afghanistan besucht. Außerhalb des Bundeswehrfeldlagers Masar-i-Sharif besichtigte er zudem zivile Aufbauprojekte. (Zu Schneiders Reise nach Afghanistan siehe unsere Dokumentation: "Der Spagat: Evangelische Kirchenführer in Afghanistan".)
  • Mehrere tausend Menschen haben am 5. Feb. in der Münchner Innenstadt friedlich gegen die Sicherheitskonferenz demnonstriert. Wie die Polizei mitteilte, nahmen bis zu 3200 Menschen an dem Protestzug teil. Die Veranstalter sprachen von über 5.000 Demonstranten. Es gab keine Zwischenfälle gegeben. Zu dem Protest, der sich insbesondere gegen den Einsatz der NATO in Afghanistan richtete, hatte ein Aktionsbündnis aus rund 90 Organisationen aufgerufen. (Siehe unsere Dossier: Münchner "Sicherheitskonferenz".)
  • Bei der Bundeswehr gibt es einem Zeitungsbericht zufolge erneut Vorfälle geöffneter Feldpost. Wie die Zeitung "Bild am Sonntag" am 6. Feb. unter Berufung auf das Verteidigungsministerium berichtet, ergaben Überprüfungen der Post, die von Deutschland ins Einsatzgebiet geschickt wurde, "dass Briefe geöffnet wurden". Demnach wurden mindestens drei geöffnete Briefe mit Klebestreifen wieder geschlossen. Aus einem Brief sei außerdem eine Uhr entwendet worden, zitierte die Zeitung einen Ministeriumssprecher.
  • Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat die Bereitschaft seines Landes bekräftigt, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. "Wir sollten mehr Lasten auf unsere Schultern nehmen", sagte Karsai am 6. Feb. auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Gleichzeitig solle die internationale Schutztruppe ISAF entlastet werden. Dies werde er auch dem afghanischen Volk nahe bringen, kündigte Karsai an. "Ich werde die erste Phase des Übergangs am Neujahrstag am 21. März verkünden." Im afghanischen Kalender ist erst dann Neujahr. Karsai versprach, dass sein Land nach dem 2014 geplanten Abzug der ISAF-Soldaten ein "effektiver Staat" sein werde. Es werde ein Staat sein, der sich auch aktiv an der Sicherheit in der Region beteilige.

Montag, 7. Februar, bis Sonntag, 13. Februar
  • Afghanistan führt mit der Regierung in Washington Gespräche über dauerhafte Stützpunkte der US-Armee am Hindukusch. "Das ist ein Thema, zu dem wir in Verhandlungen sind", sagte Karsai am 8. Feb. in Kabul. Aus den Aussagen von Vertretern der US-Regierung lasse sich das Interesse Washingtons ablesen, längerfristig mit Einheiten in Afghanistan präsent zu sein. Die letzte Entscheidung darüber liege aber bei den Afghanen, sagte er.
  • NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat den Briten Simon Gass zum neuen Zivilbeauftragten der Militärallianz in Afghanistan ernannt. Gass soll sein Amt im April antreten, wie Rasmussen am 9. Feb. in Brüssel mitteilte. Derzeit ist Gass britischer Botschafter im Iran. Er löst auf dem NATO-Posten in Kabul seinen Landsmann Mark Sedwill ab, der das Amt im Februar 2010 übernommen hatte. Der Zivilbeauftragte der NATO soll dafür sorgen, dass neben dem militärischen Einsatz auch der Wiederaufbau des Landes verfolgt wird.
  • Der Befehlshaber der internationalen Truppen in Afghanistan, US-General David Petraeus, erwartet im Frühjahr einen erneuten Anstieg der Gewalt am Hindukusch. Petraeus sagte in einem am 9. Feb. veröffentlichten Interview, er rechne mit einer Offensive der Aufständischen, um im vergangenen Jahr verlorenen Hochburgen zurückzuerobern. Die Rebellen hätten im vergangenen Jahr "bedeutende Verluste" hinnehmen müssen, seien aber weiter "widerstandsfähig". "Wir haben unsere Augen weit offen und erkennen klar die Herausforderungen, die vor uns liegen", sagte Petraeus einer von der NATO betriebenen Internet-TV-Seite.
  • Beim Anschlag eines jugendlichen Selbstmordattentäters in Pakistan sind am 10. Feb. nach Regierungsangaben 27 Soldaten ums Leben gekommen. Der Attentäter habe seinen Sprengsatz in einem Militärstützpunkt in Mardan im unruhigen Nordwesten des Landes gezündet, teilten Sicherheitsvertreter mit. Zu dem Anschlag bekannten sich in einem Anruf bei der Nachrichtenagentur AFP die pakistanischen Taliban (TTP). Der Anschlag wurde während des Morgenappells im Militärstützpunkt in der kleinen Garnisonsstadt Mardan verübt, wie Sicherheitsvertreter mitteilten. Der Attentäter sei ein Jugendlicher in Schuluniform gewesen, sagten ein Polizeisprecher sowie ein hochrangiger Vertreter der Armee. Bei dem Attentat seien 27 Soldaten getötet und 35 weitere Menschen verletzt worden, erklärte der Informationsminister der Provinz Khyber-Pakthunkhwa, Mian Iftikhar Hussain. Die Polizei bestätigte die Opferzahl, die Armee blieb hingegen zunächst bei ihrer Bilanz von 20 Todesopfern und 20 Verletzten.
  • Der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat am 10. Feb. vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages seine zunächst zurückhaltende Bewertung des Luftangriffs vom 4. September 2009 in Afghanistan verteidigt. Die Nachrichtenlage sei damals unklar gewesen, sagte Steinmeier in seiner Anhörung in Berlin.
    Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Vorwurf zurückgewiesen, nach dem Luftangriff von Kundus wegen der bevorstehenden Bundestagswahl Informationen über zivile Opfer zurückgehalten zu haben. Merkel listete vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages akribisch auf, wann sie nach dem von einem deutschen Oberst befohlenen Angriff vom 4. September 2009 die Möglichkeit ziviler Opfer eingeräumt hatte. Dabei hob sie vor allem eine Pressekonferenz am 6. September und ihre Regierungserklärung zu dem Afghanistan-Einsatz am 8. September 2009 hervor. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte zunächst zivile Opfer ausgeschlossen. Merkel berichtete, sie habe Jung am 5. September gebeten, in einem Zeitungsinterview für den Folgetag «alle Informationen in dem Interview einzubeziehen». Dazu hätten Hinweise des damaligen Oberkommandierenden Stanley McChrystal auf zivile Opfer gezählt. In dem Interview sei Jung dann aber nicht darauf eingegangen.
  • Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak gehen die Taliban in Afghanistan davon aus, dass die Regierung ihres Landes als nächstes gestürzt wird. Ein entsprechendes Schreiben veröffentlichten die Taliban am 13. Feb. auf ihrer Internetseite, wie das US-Überwachungszentrum für islamistische Internetseiten, SITE, mitteilte. Die Taliban erklärten darin, der Abgang Mubaraks zeige, dass "viele Waffen, Soldaten und ausländische Hilfe keine Regierung an der Macht halten können und sie nicht immer die Karawane der 'Hoffnungen und Forderungen' einer Nation aufhalten können".
Montag, 14. Februar, bis Sonntag, 20. Februar
  • Fünf Monate nach der von Betrugsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl in Afghanistan haben Polizisten die Urnen mit den Stimmzetteln beschlagnahmt. Im Auftrag des von Präsident Hamid Karsai eingesetzten Sondertribunals hätten die Beamten am 14. Feb. die Räumlichkeiten der Unabhängigen Wahlkommission gestürmt und die Unterlagen mitgenommen, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus Kreisen der Justiz und der Wahlkommission. Hintergrund der Razzia sei die mangelnde Zusammenarbeit der Wahlkommission bei der Aufklärung der Betrugsvorwürfe, sagte ein ranghoher Vertreter des Generalstaatsanwalts.
    Karsai hatte das Sondergericht Ende Dezember einberufen, um die Betrugsvorwürfe bei der Abstimmung vom 18. September untersuchen zu lassen. Die ihm nahestehende Generalstaatsanwaltschaft zweifelt das von der Wahlkommission verkündete Ergebnis des Urnengangs an. Trotz eines Tauziehens zwischen beiden Behörden nahm das neugewählte Parlament Ende Januar seine Arbeit auf.
  • Der pensionierte US-Diplomat Marc Grossman soll neuer US-Sondergesandter für Pakistan und Afghanistan werden. Das berichtete die "Washington Post" am 14. Feb. US-Außenministerin Hillary Clinton wolle die Ernennung spätestens am Freitag (18. Feb.) bekanntgeben. Uneinigkeit zwischen dem Weißen Haus und dem Außenministerium über die Vorgaben für die Aufgabe des Sondergesandten hätten die Verkündung verzögert, hieß es.
  • Gegen den mutmaßlich für den Tod eines Kameraden in Afghanistan verantwortlichen Bundeswehrsoldaten läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Gera bestätigte am 15. Feb. einen entsprechenden Bericht der "Stuttgarter Nachrichten" (Mittwochsausgabe). Wie der Sprecher sagte, fand die Polizei bei dem Soldaten im vergangenen August bei einer Zufallskontrolle Übungsmunition im Auto. Es habe sich nur um einzelne Platzpatronen gehandelt, die der Soldat aber nach der Übung hätte zurückgeben müssen. Es müsse vor der Entscheidung über das weitere Vorgehen noch geklärt werden, ob Übungsmunition überhaupt unter das Waffengesetz falle.
  • Der Befehlshaber der internationalen Truppen in Afghanistan, US-General David Petraeus, könnte einem Medienbericht zufolge noch vor Jahresende seinen Posten aufgeben. US-Präsident Barack Obama plane, Petraeus im Zuge einer Umstrukturierung ranghoher US-Beamter in Afghanistan zu ersetzen, berichtete die britische Zeitung "Times" am 16. Feb. Das US-Verteidigungsministerium erklärte, es sei noch keine Entscheidung getroffen, wann Petraeus abtreten werde.
    "Ich kann versichern, dass General Petraeus seinen Posten als ISAF-Kommandeur nicht aufgibt, aber er plant auch nicht, dauerhaft in Afghanistan zu bleiben", teilte Pentagon-Sprecher Geoff Morrell mit. "Natürlich wird er irgendwann wechseln, aber über diesen Zeitpunkt ist noch nicht entschieden und wird auch nicht in der nächsten Zeit entschieden", erklärte Morrell und sprach von "Sensationsberichterstattung". Morrell hatte der "Times" zuvor gesagt, Petraeus mache einen "brillanten Job", den er jedoch nicht ewig ausüben könne. Zudem fügte er hinzu, Obama und Verteidigungsminister Robert Gates würden "bereits darüber nachdenken".
  • Walter B. Jones ist Mitglied des US-Kongresses. Er sitzt als Abgeordneter der Republikaner im Repräsentantenhaus, für jene Partei also, die traditionell das US-Militär unterstützt. Bezugnehmend auf eben diese Grundhaltung seiner Partei fordert er nun einen schnellen und umfassenden Abzug aus Afghanistan. Jones ist im vergangenen November zum dritten Mal wiedergewählt worden, auch, womöglich sogar hauptsächlich von Soldaten und deren Angehörigen, denn in seinem Wahldistrikt in ­North Carolina befinden sich drei große Militärbasen. Daher kennt Jones aus erster Hand die Sorgen und das Leid der Soldatenfamilien. Nach eigenen Angaben hat er mittlerweile 9803 Briefe an Familien und Angehörige von Opfern aus seinem Distrikt geschrieben. Der Krieg in Afghanistan »zehrt unser Militär aus, seelisch und körperlich«, so Jones.
    Dabei war Jones unter dem Eindruck der Anschläge vom 11.September 2001 ein entschlossener Befürworter des Krieges am Hindukusch gewesen. 2005 schloß er sich jedoch mit drei Kollegen zusammen, um in einer Resolution den Truppenabzug zu fordern. Damals standen die vier noch auf verlorenem Posten. Mittlerweile sind es 18 bis 20 republikanische Kollegen, die auf einen Sofortabzug pochen. Als Mitglied des Streitkräfteausschusses nahm auch Jones im Kongreß an einer »streng geheimen« Lageeinschätzung durch das Militär teil. Dabei wiederholte er seine alte Frage: »Warum sind wir dort?« Auch diesmal habe keiner aus der Delegation des Pentagon diese Frage beantworten können, auch nicht die anderen, zum Beispiel, »wie ein Sieg in Afghanistan aussehen« würde, und »was zu tun« wäre, »um zu siegen?« Diese Zweifel hat auch die Bevölkerung. Laut einer Gallup-Umfrage vom Januar sind 72 Prozent der Amerikaner gegen den Afghanistan-Krieg.
    (junge Welt, 16. Februar 2011.)
  • Käßmann verweigert Preis für Zivilcourage. In einigen Medien wird der Preis für Käßmann ausschließlich mit ihrem Rücktritt nach der Alkoholfahrt in Verbindung gebracht. Das entspreche zwar nicht den Tatsachen, lasse ihr aber keine andere Möglichkeit, als den Preis abzulehnen, begründete Käßmann ihre Entscheidung laut "Handelsblatt" vom 16. Februar. Käßmann erklärte, die Stiftung habe ihr den Preis für Zivilcourage als Seelsorgerin, Bischöfin und Ratsvorsitzende verleihen wollen - vor allem für die mit ihrem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" angestoßene öffentliche Debatte. In diesem Zusammenhang hätte sie die Auszeichnung angenommen und den Menschen gewidmet, die sich in der Friedensfrage engagieren.
    Der Zivilcourage-Preis der Europäischen Kulturstiftung Pro Europa sollte Käßmann am 4. März in der Frankfurter Paulskirche verliehen werden. Die Stiftung teilte im Internet mit: "Die Auszeichnung war in erster Linie ihrem bisherigen Lebenswerk als Seelsorgerin, Bischöfin und Vorsitzende der EKD gewidmet. Da nun der Eindruck erweckt wird, die Stiftung würde nicht ihr Lebenswerk würdigen, sondern ihren Rücktritt nach der Alkoholfahrt, wollen wir in diesem Klima der gnadenlosen Intoleranz vor ihrem übrigen Lebenswerk eine Preisverleihung nicht vornehmen."
  • Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist am Abend des 16. Feb. zu einem nicht angekündigten Besuch bei der Bundeswehr in Afghanistan eingetroffen. Guttenberg wolle sich über die Lage der Soldaten informieren, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Einzelheiten nannte er nicht.
  • Mögliche Schummeleien bei seiner Doktorarbeit bringen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg schwer in Bedrängnis. Der CSU-Politiker soll Textpassagen abgekupfert haben und muss um seinen Doktortitel bangen. Damit wächst nach dem Wirbel um die Bundeswehr-Affären der politische Druck auf Deutschlands beliebtesten Politiker. Der 39-Jährige schließt Fehler beim Zitieren nicht aus, wehrt sich aber gegen den Plagiatsvorwurf. In Guttenbergs Dissertation gibt es mehrere Passagen, die wörtlich mit Formulierungen anderer Autoren übereinstimmen, ohne dass er dies gekennzeichnet hat. Aufgeflogen ist alles durch Recherchen des Bremer Juraprofessors Andreas Fischer-Lescano, über die am 16. Feb. die «Süddeutsche Zeitung» berichtete. Die Doktorarbeit sei an mehreren Stellen «ein dreistes Plagiat» und «eine Täuschung», sagte der Rechtswissenschaftler. In der Onlineausgabe der Wochenzeitung «Der Freitag» forderte er eine Aberkennung von Guttenbergs Doktortitel. (Mehr über die Plagiatsvorwürfe: "Abschreiben, bis der Doktor kommt")
  • Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist kurz nach Beginn der Debatte über seine in Teilen wohl abgeschriebene Doktorarbeit zum Truppenbesuch nach Afghanistan gereist. Journalisten nahm der CSU-Politiker zum ersten Mal nicht mit, dafür aber den Verleger einer großen Zeitung. Er war nach Angaben seines Ministeriums bereits am 16. Feb. zu seiner neunten Reise an den Hindukusch aufgebrochen. Im Norden des Landes besuchte er einen Außenposten der Bundeswehr. Der Minister verbrachte die Nacht zum Donnerstag (17. Feb. im Außenposten Nord (OP North) in der Provinz Baghlan.
    Der Stützpunkt gehört zu den gefährlichsten der Bundeswehr in ihrem Einsatzgebiet in Nordafghanistan. In Baghlan waren im vergangenen Jahr bei Gefechten und einem Anschlag insgesamt fünf deutsche Soldaten getötet worden.
    Der Vorposten OP North war auch Ausgangspunkt für zwei der aktuellen Bundeswehraffären. Im Dezember war ein deutscher Soldat dort durch einen Schuss aus der Waffe eines Kameraden getötet worden. Dem Verteidigungsministerium waren im Zusammenhang mit dem Fall Informationspannen unterlaufen. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen laufen noch.
  • Schwerer Zwischenfall in einem Außenposten der Bundeswehr in Nordafghanistan: Ein Mann in afghanischer Armeeuniform eröffnete am 18. Feb. innerhalb des Stützpunktes "OP North" in der Provinz Baghlan aus kurzer Distanz das Feuer auf eine Gruppe Soldaten. Bei der Attacke kamen zwei deutsche Soldaten ums Leben, sieben weitere Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt. Von den verwundeten Soldaten ist ein 22-jähriger Stabsgefreiter wenig später seinen schweren Verletzungen erlegen.
    Die NATO-Truppe ISAF in Kabul erklärte, die deutschen Soldaten seien mit Wartungsarbeiten an einem Fahrzeug beschäftigt gewesen, als der Schütze gegen 12.00 Uhr (Ortszeit, 08.30 Uhr MEZ) auf die Gruppe schoss.
    Der ISAF-Sprecher, der deutsche General Josef Blotz, bestätigte im Gespräch mit "Spiegel Online", dass der Angreifer eine Uniform der afghanischen Armee getragen habe. Bisher sei aber noch unklar, ob der Schütze tatsächlich ein Soldat war oder ob er die Uniform als Tarnung trug.
  • Bei zwei Anschlägen nahe der pakistanischen Grenze kamen am 18. Feb. in Afghanistan mindestens zwölf weitere Menschen ums Leben. In der östlichen Provinzhauptstadt Chost griff ein Attentäter eine Polizeiwache an, neun Menschen starben. In der Provinz Nangahar wurden drei Polizisten getötet, als ihr Fahrzeug über einen versteckten Sprengsatz fuhr.
  • Mit einer klaren Warnung hat US-Außenministerin Hillary Clinton die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan gedrängt, sich sofort vom Terrornetz Al-Kaida loszusagen. Die Aufständischen hätten jetzt die Wahl, ihre Waffen niederzulegen und die afghanische Verfassung zu akzeptieren. Sonst müssten sie sich als Feinde der internationalen Gemeinschaft auf «unerbittliche Angriffe» gefasst machen, sagte Clinton am 18. Feb. vor der Asiatischen Gesellschaft in New York. Ziel der amerikanischen Afghanistanstrategie bleibe es, das bereits angeschlagene Terrornetz weiter zu isolieren. «Al-Kaidas Führung ist geschwächt», sagte sie. Es sei für die Gruppe heute schwieriger, an Geld zu kommen, Nachwuchs zu rekrutieren und Anschläge außerhalb der Region zu planen. Dennoch bleibe Al-Kaida eine «ernsthafte Bedrohung».
    Die US-Außenministerin machte zugleich deutlich, dass es bei den Abzugsplänen für die US-Truppen bleibe. Der bis 2014 vorgesehene Rückzug der rund 78 000 US-Soldaten werde wie vorgesehen diesen Juli beginnen.
  • Bei einem Angriff auf eine Bank sind im Osten Afghanistans mindestens 18 Menschen getötet und 70 weitere verletzt worden. Nach Angaben des Gouverneurs der Provinz Nangarhar stürmten am 19. Feb. sieben Angreifer die Filiale der Kabul-Bank in Dschalalabad, verschanzten sich dort und lieferten sich über Stunden ein Feuergefecht mit Polizisten. Die Taliban bekannten sich zu der Tat. Die Kabul-Bank ist die größte Privatbank Afghanistans. Über sie werden die Gehälter der Polizei, der Armee und anderer staatlicher Behörden abgewickelt. Einem Sprecher der radikalislamischen Taliban zufolge stürmten drei Selbstmordattentäter gezielt in den Teil der Bank, in dem die Gehälter von Polizisten und Soldaten ausgezahlt wurden. Es habe "zahlreiche Opfer" gegeben. Laut Behörden waren unter den Toten Polizisten, Bankangestellte und Zivilisten.
    Die afghanischen Behörden haben die Zahl der Opfer des Selbstmordanschlags auf eine Bank in Dschalalabad deutlich nach oben korrigiert. Wie ein Sprecher der Provinzregierung am 20. Feb. sagte, wurden bei dem Angriff 35 Menschen getötet und mehr als 70 weitere verletzt. Zuvor hatten die Behörden von 18 Toten gesprochen. (Später wurde die Zahl der Toten auf 38 korrigiert.)
  • Rund 100 Sympathisanten der Friedensbewegung haben am Abend des 19. Feb. in Aachen vor der Verleihung des karnevalistischen "Ordens wider den Tierischen Ernst" gegen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) demonstriert. Die Demonstranten forderten den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Guttenberg sei ein Kriegsminister "mit mehr Toten als Humor" hieß es auf Plakaten und Spruchbändern. Der Aachener Karnevalsverein (AKV) wollte Guttenberg mit dem renommierten Karnevalsorden auszeichnen. Der Minister hatte seine Teilnahme an der feierlichen Ordensverleihung bereits vor Wochen abgesagt. Als Begründung nannte er damals die angespannte Lage in Afghanistan. Der CSU-Politiker steht derzeit wegen Plagiatsvorwürfen im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit in der Kritik.
  • Die Regierung von US-Präsident Barack Obama führt einem Magazinbericht zufolge geheime Gespräche mit den Taliban in Afghanistan. Es handele sich zunächst um vorbereitende Unterredungen und nicht um konkrete Verhandlungen, berichtete die Zeitschrift «The New Yorker» nach Berichten vom 20. Feb. Taliban-Chef Mullah Omar habe an den Diskussionen zumindest zuletzt nicht teilgenommen, heißt es in dem Bericht. Die USA wollen erreichen, dass sich die Taliban vom Terrornetz Al-Kaida lossagen.
  • Bei Einsätzen und Luftangriffen der internationalen Truppen sind im Osten Afghanistans in der vergangenen Woche möglicherweise dutzende Zivilisten ums Leben gekommen. Der Gouverneur der Provinz Kunar, Faslullah Wahidi, sagte der Nachrichtenagentur AFP am 20. Feb., dass bei den noch immer andauernden Kämpfen insgesamt 63 Menschen getötet worden seien. Etwa 50 der Toten seien Zivilisten gewesen, darunter mindestens 20 Frauen sowie mehrere Kinder, Teenager und ältere Männer. Demnach liefern sich Aufständische und Einheiten der NATO-Truppe ISAF Gefechte im entlegenen Distrikt Ghasiabad.
Montag, 21. Februar, bis Sonntag, 27. Februar
  • Innerhalb der US-Regierung wachsen einem US-Zeitungsbericht zufolge die Zweifel am Sinn der massiven Drohnen-Einsätze gegen radikale Islamisten im pakistanischen Grenzgebiet. Im vergangenen Jahr seien bei Raketenangriffen der unbemannten Flugkörper mindestens 581 islamistische Kämpfer getötet worden, doch nur zwei von ihnen hätten auf der Terrorfahndungsliste der USA gestanden, berichtete die "Washington Post" auf ihrer Internetseite unter Berufung auf unabhängige Schätzungen (AFP, 21. Feb.). Experten sagten dem Blatt, nach anfänglichen Erfolgen bei der Jagd nach führenden El Kaida-Mitgliedern würden inzwischen bei den Angriffen fast nur noch einfache Kämpfer getroffen. In 94 Prozent der Fälle handle es sich bei den Opfern um "Fußvolk", sagte Peter Bergen von der New America Foundation. Da falle es schwer zu argumentieren, diese bedrohten "in irgendeiner Weise" die USA. Nach Angaben der "Washington Post" führte der Geheimdienst CIA im vergangenen Jahr 118 Drohnenangriffe im Grenzgebiet zu Afghanistan aus - jeder Einsatz kostet demnach mehr als eine Million Dollar. Einem Regierungsvertreter aus Islamabad zufolge wurde die pakistanische Seite wegen der tödlichen Einsätze bereits in Washington vorstellig. Sie dränge Washington dazu, "bessere Ziele zu finden, die Drohnen sparsamer einzusetzen und etwas weniger übereifrig zu sein". Experte Bergen kritisierte, der "Menschenrechtsaspekt" werde bei der ganzen Frage zu wenig beachtet: "Bei gezielten Tötungen geht es um die Führer - und nicht darum, blind auszuteilen."
  • In der ostafghanischen Provinz Nangarhar sind bei einem Luftangriff von NATO-Truppen nach afghanischen Angaben sechs Zivilisten getötet worden,befrichtet AFP am 21. Februar. Bei den Toten handle es sich um ein Ehepaar und deren vier Kinder, sagte ein Sprecher der Provinzregierung, Ahmed Sia Abdulsai, der Nachrichtenagentur AFP. Der Raketenbeschuss habe eigentlich drei Aufständischen gegolten, die auf einer Straße Minen hätten deponieren wollen. "Eine Rakete traf jedoch irrtümlich ein Haus und tötete sechs Zivilisten, alles Mitglieder der selben Familie", fügte er hinzu. Ein NATO-Sprecher sagte, der Vorfall werde untersucht. Ihm lägen jedoch Berichte über zwei Tote und fünf Verletzte vor.
  • Inmitten einer Menge wartender Zivilisten hat ein Selbstmordattentäter in der nordafghanischen Provinz Kundus mindestens 31 Menschen getötet, berichten die Agentiuren am 21. Feb. 39 weitere Menschen wurden nach Behördenangaben verletzt, als der Attentäter vor einem Verwaltungsgebäude im Bezirk Imam Sahib seinen Sprengsatz zündete. "Die Zahl der Toten durch den Selbstmordanschlag ist auf 31 gestiegen", sagte Bezirksgouverneur Mohammad Ajob Hakjar. Einige von ihnen seien im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen. Nach Angaben von Behördenvertretern vor Ort und in Kabul handelte es sich bei allen Todesopfern um Zivilisten. Sie wollten sich in dem Verwaltungsgebäude neue Personalausweise und andere Papiere abholen.
    Ein Sprecher der radikalislamischen Taliban bekannte sich im Namen seiner Gruppe zu dem Anschlag. Er sprach von 30 getöteten Sicherheitskräften. Die Taliban bestreiten grundätzlich, für den Tod von Zivilisten verantwortlich zu sein.
  • Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist seinen Doktortitel los. Die Universität Bayreuth erkannte dem Spitzenpolitiker am 23. Feb. den akademischen Titel ab. Er hatte zugegeben, Teile seiner Doktorarbeit unrechtmäßig abgeschrieben zu haben.
  • Wikileaks-Gründer Julian Assange hat die erste Runde im Kampf um seine Auslieferung an Schweden verloren. Ein Gericht in London gab am 24. Fdeb. einem entsprechenden Antrag der schwedischen Justiz statt. Die Anwälte des 39-jährigen Australiers und Gründers der Enthüllungswebseite kündigten gegen den Auslieferungsbeschluss umgehend Berufung an.
  • In Pakistan sind bei einem mutmaßlichen US-Raketenangriff vier Menschen ums Leben gekommen. Geheimdienstkreisen zufolge wurde am 25. Feb. ein Haus in Nord-Waziristan nahe der afghanischen Grenze von drei Raketen getroffen. Weitere Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt. In der Unruheregion gibt es häufig Drohnenangriffe auf mutmaßliche Aufständische der Taliban und der Al-Kaida.
  • Im Nordwesten Pakistans haben Aufständische bei einem Angriff auf Tanklastwagen für die NATO-Truppen in Afghanistan vier Menschen getötet und elf der Laster gesprengt. Mehr als ein Dutzend Angreifer hätten den Parkplatz nahe der Stadt Peshawar gestürmt und Sprengsätze auf zwölf der 18 Lastwagen geworfen, teilte die Polizei am 25. Feb. mit. Einer der Sprengsätze sei nicht detoniert. Die Angreifer hätten zwei Wachmänner und zwei Fahrer getötet.
    Im Südwesten und Nordwesten Pakistans greifen Aufständische immer wieder Tanklastwagen an, die für die NATO-Truppen in Afghanistan bestimmt sind. Ein Großteil der Versorgung der NATO-Soldaten läuft über Pakistan.
  • Mit einer Trauerfeier im niederbayerischen Regen haben Bundeswehr, Bundesregierung und Angehörige Abschied von den drei in Afghanistan getöteten Soldaten genommen. "Wir alle verneigen uns vor ihnen in Dankbarkeit und Anerkennung", sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am 25. Feb. in der Stadtpfarrkirche von Regen. Die Soldaten gehörten zu dem dort stationierten Panzergrenadierbataillon 112. Der 30-jährige Hauptfeldwebel, ein 22-jähriger Stabsgefreiter und ein 21-jähriger Hauptgefreiter waren am Freitag vergangener Woche (18. Feb.) in der Provinz Baghlan ums Leben gekommen, als ein Soldat der afghanischen Armee in einem Außenposten unvermittelt das Feuer auf deutsche Soldaten eröffnet hatte. Sechs weitere deutsche Soldaten wurden verletzt, zwei von ihnen schwer.
  • Die Truppen der USA haben laut übereinstimmenden Medienberichten vom 25. Feb. mit dem Abzug aus einem strategisch wichtigen Tal im Osten Afghanistans begonnen. Die abziehenden US-Soldaten im Pech-Tal in der Provinz Kunar sollten durch afghanische Einheiten ersetzt werden, was "deren Kampfbereitschaft auf die Probe stellen wird", berichtete die "New York Times" am 25. Feb. unter Berufung auf US-Militärinformationen. Die US-Armee habe zuvor Jahre gegen die radikalislamischen Taliban um das Tal gekämpft, dem eine wichtige strategische Bedeutung eingeräumt worden sei. Dabei starben nach Angaben der Zeitung 103 US-Soldaten.
  • In Afghanistan sind neun Zivilisten bei der Explosion eines Sprengsatzes getötet worden. Die Bombe explodierte an einem Straßenrand in der Stadt Chost, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Osten Afghanistans, sagte der Vizepolizeichef der Provinz, Jakub Mandosai, am 26. Feb. Sie habe eine Gruppe von Menschen getroffen, die in einem Fahrzeug unterwegs war. Unter den Toten seien drei Frauen und vier Kinder. Mandosai machte indirekt die Taliban für die Tat verantwortlich: Die Tat sei von "Feinden Afghanistans" verübt worden, sagte er.
  • Eine Serie von Bombenanschlägen hat in Afghanistan am Wochenende (26./27. Feb.) mehr als 20 Menschen das Leben gekostet. Am Sonntag (27. Feb.) wurden bei einem Doppelanschlag im Süden des Landes acht Besucher eines illegalen Hundekampfes getötet. Am Samstag (26. Feb.) rissen zwei Explosionen im Osten und Nordwesten mindestens 13 Menschen in den Tod.
  • NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen lobte die Beteiligung der Ukraine an einer Reihe von NATO-Einsätzen. Rasmussen machte die Aussage am 27. Feb. während seines zweitägigen Besuchs in der Ukraine. Seit 1996 hat die Ukraine eine beträchtliche Zahl von Soldaten in den Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina geschickt. Im Jahr 2010 nahm die ukrainische Ternopil-Korvette zum fünften Mal an dem NATO-Einsatz Operation Active Endeavour teil. Darüber hinaus sind ukrainische Soldaten derzeit in Afghanistan stationiert. Der NATO-Generalsekretär erwähnte, dass das Bündnis der Ukraine keine Entscheidungen auferlege, einem anderen Bündnis beizutreten, und dass es den blockfreien Status der Ukraine anerkenne.
  • Am 28. März sind zwei NATO-Angehörige bei einem Bombenanschlag im Osten des Landes getötet worden. Details zur Identität sowie zur Nationalität der Opfer wurden zunächst nicht genannt.


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