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Abschreiben, bis der Doktor kommt

Minister zu Guttenberg: Vom Raubritter zum Raubkopierer?

Von René Heilig *

Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg – seine Dissertation sei über weite Strecken abgeschrieben, heißt es. Politik und Medien streiten nun darüber, ob die Abschriftstellerei politisch angemessen war oder nicht.

Die Einschläge kommen näher, die Detonationen werden stärker. Der Verteidigungsminister zog sich zurück – an die Front nach Afghanistan. Dort am Außenposten Baghlan, wo der erste Graben deutscher Freiheitsverteidigung verläuft, bezog er Stellung. Nicht zu den Vorwürfen freilich. Wie auch? Ganz gegen die Gewohnheit hatte der »Inszenator« weder seine Frau noch seine Journalisten im Schlepp.

Kein Wunder, denn an der Heimatfront gilt »KT« überraschend als »Raubritter«. Der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano hatte Guttenbergs Doktorarbeit (»Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU«, Uni Bayreuth, summa cum laude) gelesen, um sie für die Zeitschrift »Kritische Justiz« zu rezensieren. »Widersteht man dem Impuls, die Arbeit mangels Substanz nach einer ersten Durchsicht gelangweilt aus der Hand zu legen und liest man etwas genauer hinein, dann zeigen sich einige formelle Auffälligkeiten«, stellt er fest. Zu Guttenberg bediene sich »bei einer ganzen Reihe von Texten und Autoren_innen, ohne die Fremdzitate lege artis kenntlich zu machen«, Klartext: zu Guttenberg klaute sich weite Teile seiner Arbeit zusammen. 23 Stellen belegt der Rezensent. Inzwischen haben Guttenberg-Jäger mit Google-Hilfe zahlreiche weitere angefügt. Wann kommt der Blattschuss für den angeblichen Superstar?

Die einen nennen es »peinliche Entgleisung«, andere wittern einen »Verstoß gegen den wissenschaftlichen Anstand«. Der Sprecher des Ombudsmanns für die Wissenschaft, der Bonner Jurist Wolfgang Löwer, meint, dass ein Plagiat nicht automatisch die Entziehung des Doktor-Titels bedeuten müsse. Zu fragen sei, ob eine »Täuschungsabsicht« oder nur »mangelnde Sorgfalt« vorliege. Die Passauer Professorin Barbara Zehnpfennig dagegen, bei der Guttenberg Teile der Einleitung seiner Dissertation abgeschrieben haben soll, fordert die Aberkennung des Doktortitels. Dass Zehnpfennig zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Originalarbeit noch an der Bundeswehr-Universität in Hamburg lehrte, ist leicht pikant.

Der beschuldigte Freiherr indes wies vor seinem Afghanistan-Trip nicht nur alle Plagiatsvorhalte zurück, sondern stellte auch in Abrede, dass er andere für sich arbeiten gelassen habe. Beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erinnert man sich intern anders. Doch in dem Fall steht zu Guttenberg nicht allein.

»So geht's halt, wenn man sich zu sehr auf Hochglanz poliert«, frohlockt SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold und schlussfolgert: Ein Minister, der wie zu Guttenberg seine Glaubwürdigkeit verloren habe, »kann nicht mehr wirklich arbeiten – im Bereich der Bundeswehr, in dem es in hohem Maße auf Vertrauen ankommt«. Aus der Linksfraktion kommen direktere Rücktrittforderungen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vergisst Koalitionsdisziplin und will »Auskunft«.

All jene, die »Blender« rufen, die daran erinnern, dass zu Guttenberg seine Biografie retuschiert haben soll und dass er zu Beginn seiner Militär-Minister-Zeit einen deutschen Bombenmord an afghanischen Zivilisten als militärisch notwendig rechtfertigte, dann zur konträren Erklärung ansetze und zwei Spitzenleute feuerte, all jene, die zu Guttenbergs Verhalten in der »Gorch Fock«-Affäre schäbig halten, die sein schönfärberisches Agieren bei der Bundeswehrreform kritisieren oder darüber schmunzeln, dass er sich Eurofighter-tauglich testen ließ – sie alle sollten sich auch fragen, wie ein solcher Mann unangefochten (mit 13 Punkten Vorsprung vor dem Bundespräsidenten) beliebtester Politiker sein kann, obwohl er maßgeblich Verantwortung für die deutsche Teilnahme am Afghanistan-Krieg trägt, der von fast 70 Prozent der deutschen Wähler abgelehnt wird.

Wer ehrliche Antworten sucht, wird zu erschreckenden Beurteilungen unserer Gesellschaft kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2011


Guttenbergs Matrix

Von Jürgen Amendt **

In dem Spielfilm »Matrix« versucht die Hauptfigur Neo in einer Szene verzweifelt, den Ausgang aus der künstlichen Welt der Matrix zu finden, um in seine Realität zurückkehren zu können. Doch welchen Weg er auch geht, es gibt keine Rückkehr in die echte Realität. Karl-Theodor von und zu Guttenberg ist noch in der Matrix gefangen und wenig spricht dafür, dass er den Ausgang finden will. Seine Dissertation soll ein Plagiat sein? Sei's drum, die ganze Matrix ist ein Plagiat!

Erfolg macht bekanntlich neidisch und so gab es immer wieder Versuche, am Glanzlack der Medienperson Guttenberg zu kratzen – bislang ohne Wirkung. Erfolg macht aber auch blind. Wer sich aufs Schild heben lässt, sieht von da an die Welt aus einer anderen Perspektive; er übersieht das Naheliegende. Naheliegend ist, dass moralische Unfehlbarkeit im wirklichen Leben nicht existiert und man sich der eigenen Fehlbarkeit gewiss sein muss. Unfehlbarkeit gibt es nur in Form der Scheinexistenz in jener Zwischenwelt, die die Medien schaffen.

Im Film »Matrix« geht es übrigens auch um ein Programm, das sich selbst zum Herrscher über die Matrix machen will. Von den Machern der virtuellen Welt wird es als fehlerhaftes Programm erkannt – und abgeschaltet!

** Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2011 (Kommentar)

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Frühere Artikel:


Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg

Doktorarbeit stellenweise ein "ein dreistes Plagiat" ***

Nach mehreren Bundeswehr-Affären hat Verteidigungsminister Guttenberg nun ein neues Problem: Er soll bei seiner Doktorarbeit ganze Passagen abgeschrieben haben.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) soll bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") gibt es in Guttenbergs Doktorarbeit einige Passagen, die wörtlich mit Formulierungen anderer Autoren übereinstimmen, ohne dass er dies gekennzeichnet hat. Die Doktorarbeit sei an mehreren Stellen "ein dreistes Plagiat" und "eine Täuschung", sagte der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano. "Die Textduplikate ziehen sich durch die gesamte Arbeit und durch alle inhaltlichen Teile." Er soll die Parallelen mit anderen Texten bei einer Routineprüfung entdeckt haben. Guttenberg sagte der Zeitung: "Ich habe die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt."

Bei den Vorwürfen geht es laut "SZ" um eine Textpassage aus einem Bericht der "NZZ (Neue Zürcher Zeitung) am Sonntag" vom 22. Juni 2003, eine Passage aus einem Aufsatz des Politikwissenschaftlers Hartmut Wasser sowie aus der schriftlichen Fassung eines Vortrags des Politologen Wilfried Marxer am Liechtenstein-Institut von 2004. Dabei finde sich kein Nachweis hierfür. Ein Sprecher des Verteidigungsministers sagte der dpa: "Diese Recherche wurde bereits an den Ombudsman für wissenschaftliche Selbstkontrolle der Universität Bayreuth übermittelt." Das sei dafür auch die richtige Stelle. Guttenberg sagte der SZ: "Dem Ergebnis der jetzt dort erfolgenden Prüfung sehe ich mit großer Gelassenheit entgegen." Der heute 39 Jahre alte CSU-Politiker hatte seine Doktorarbeit 2006 an der juristischen Fakultät in Bayreuth abgegeben. Laut "SZ" prüft der Ombudsmann Diethelm Klippel in Bayreuth die Vorwürfe.

Der Doktorvater von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Prof. Peter Häberle, hat den CSU-Politiker vor Plagiatsvorwürfen in Schutz genommen. "Der Vorwurf ist absurd, die Arbeit ist kein Plagiat", sagte Häberle der "Bild"-Zeitung (Donnerstag). "Sie wurde von mir in zahlreichen Beratungsgesprächen eingehend kontrolliert."

*** Neues Deutschland, 17. Februar 2011


Kopiert in Eigenleistung

Dr. Guttenberg nennt Plagiatsvorwürfe »abstrus«. Fakten sprechen für sich ****

Bundesverteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat Vorwürfe zurückgewiesen, bei seiner Doktorarbeit aus anderen wissenschaftlichen Texten abgeschrieben zu haben. »Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus«, erklärte Dr. Guttenberg am Mittwoch (16. Feb.) in Berlin. Er sei aber gern bereit zu prüfen, »ob bei über 1200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten«, er würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen. Dr. Guttenberg erklärte außerdem, keiner seiner Mitarbeiter habe an seiner Dissertation mitgewirkt: »Die Anfertigung dieser Arbeit war meine eigene Leistung.«

Der Bremer Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano und der Frankfurter Jurist Felix Hanschmann hatten bei einer Überprüfung von Dr. Guttenbergs Doktorarbeit, die an der Universität Bayreuth mit der Bestnote summa cum laude bewertet worden war, mehrere Stellen entdeckt, in denen dieser ohne entsprechenden Hinweis fremde Textabschnitte in seine Arbeit einbaut, ohne sie mit Anführungsstrichen und Quellennachweis als Zitate kenntlich zu machen und auf die Autoren Bezug zu nehmen.

Am vergangenen Wochenende hatte der Jurist Dr. Guttenbergs Dissertation mit dem Titel »Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU« genauer unter die Lupe genommen. Er habe sich dafür interessiert, »was ein konservativer Rechtspolitiker, der bei angesehenen Kollegen promoviert wurde und die Bestnote erhielt, zu dem Thema zu sagen hat«, berichtete Fischer-Lescano der Süddeutschen Zeitung. Dabei sei er auf 24 Passagen gestoßen, die in der Dissertation so wirken, als wären sie von Dr. Guttenberg, die aber tatsächlich aus längst veröffentlichten Texten anderer Autoren stammen. Die Zeitung dokumentiert drei Passagen und die einige Jahre zuvor veröffentlichten Originaltexte im Faksimile. Der Frankfurter Jurist Felix Hanschmann, der Dr. Guttenbergs Text ebenfalls prüfte, sagte: »Das ist vergleichbar mit anderen Fällen, die vor Gericht entschieden wurden und in denen der Doktortitel aberkannt wurde.« Die Universität Bayreuth wollte am Mittwoch über den Fall beraten.

Wie die Saarbrücker Zeitung vorab meldete, soll Dr. Guttenberg außerdem sechs Passagen aus einem 2002 in einer Fachzeitschrift publizierten Aufsatz des Tübinger Juristen Martin Nettesheim verwendet und nicht korrekt gekennzeichnet haben.

(AFP/jW)

**** Neues Deutschland, 17. Februar 2011


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