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Neuer Streit um Ostsee-Pipeline

Szczeciner Hafen-Gesellschaft will tiefere Verlegung der Gasleitung – sie könnte sonst große Schiffe behindern *

Vor dem Südostzipfel der Insel Rügen bietet sich derzeit ein gigantisches Schauspiel: Das Verlegeschiff »Castoro 6« hat am Ausgang des Greifswalder Boddens Position bezogen. Der High-Tech-Riese nimmt dieser Tage den Strang der Ostseepipeline auf, den das kleinere Schwesterschiff »Castoro 10« dort abgelegt hat. Die »C10« hat die schwierigen Arbeiten in dem sensiblen Küstenbereich am gestrigen Sonntag abgeschlossen. Nun erreicht die Pipeline offene See. Doch dort warten auf das russisch-westeuropäische North-Stream-Konsortium, das die Gasröhre baut und betreibt, schon neue Probleme. Die Szczeciner Hafengesellschaft hat beim zuständigen Hamburger Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie Widerspruch gegen den bereits genehmigten Trassenverlauf eingelegt.

Warschau war die Pipeline von Anfang an suspekt, Polen verliert nämlich durch sie als Energietransitland an Bedeutung. Dies schwächt die eigene Position in Preisverhandlungen mit dem Moskauer Gasprom-Konzern, der auch Mehrheitseigner bei North-Stream ist. Um unabhängiger von russischer Energie zu werden, will Polen künftig Flüssiggas (LNG) importieren, vor allem aus dem Golfemirat Katar. LNG läßt sich mit Schiffen transportieren. Doch damit die Tanker ihre wertvolle Fracht entladen können, bedarf es einer entsprechenden Infrastruktur. Im nordwestpolnischen Swinoujscie entsteht zu diesem Zweck derzeit ein Flüssiggasterminal. Das Problem: Die Ostseepipeline kreuzt – noch in deutschen Gewässern – die Fahrrinne nach Swinoujscie. Schiffe mit einem Tiefgang von mehr als 13,50 Meter könnten eine Havarie verursachen.

Die auf polnischer Seite federführende Szczeciner Hafengesellschaft hat sich deshalb an die Genehmigungsbehörde in Hamburg gewandt. »Wir prüfen den Vorgang«, heißt es dort lapidar. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht. Die »Castoro 6« soll das umstrittene Teilstück in den kommenden Wochen verlegen. Und so ist SHG-Geschäftsführer Wladyslaw Lisewski zusehends beunruhigt, wie er zu dapd sagte. In der Ostsee dürfe es für die Schiffahrt ausschließlich natürliche Barrieren geben. Selbst in den Meerengen zwischen Dänemark und Schweden könnten Tanker und Frachter mit einem Tiefgang von 15 Metern manövrieren. »Das ist eine realistische Zahl auch für unseren Bereich«, sagte Lisewski und fordert von Nord Stream, die Ostseepipeline unter der Fahrrinne östlich von Rügen im Meeresgrund zu versenken.

Nord-Stream-Sprecher Steffen Ebert möchte sich zu dem Konflikt am liebsten gar nicht äußern. Die Position des Konsortiums, an dem außer Gasprom die deutschen Konzerne E.on und BASF, der französische Versorger GDF Suez sowie die niederländische Gasunie beteiligt sind, sei seit langem klar. »Der garantierte Tiefgang von 13,50 Meter ist für die Schiffahrt ausreichend und so vom Hamburger Bundesamt genehmigt«, erklärte Ebert.

Er räumt im Gespräch mit der dapd ein, daß es »natürlich auch eine Kostenfrage ist, die Pipeline zu vergraben«. Zahlen will er nicht nennen. Um ausufernde Summen dürfte es sich allerdings kaum handeln, denn das fragliche Teilstück erstreckt sich gerade einmal über rund einen Kilometer – bei einer Gesamtleitung der Gasröhre von 1224 Kilometern. (dapd/jW)

* Aus: junge Welt, 4. Okt. 2010


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