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Nord Stream darf nun bauen

Erlaubnis aller Anrainerstaaten steht / Umweltverbände klagen

Von Andreas Knudsen *

Nach Jahren der Vorarbeit kann das russisch-deutsch-niederländische Konsortium Nord Stream aufatmen: Alle betroffenen Anrainerstaaten haben die Zustimmung zur Verlegung von Gasleitungsrohren durch ihre Territorialgewässer und Wirtschaftszonen erteilt.

In Finnland waren die Bedenken gegen mögliche Umweltbeeinträchtigungen der Ostsee-Pipeline am stärksten gewesen. Der finnische Meerbusen ist schmal, der Schiffsverkehr dicht, zudem liegen immer noch Altmunition und Minen auf dem Grund. Die finnischen Auflagen für die in der vergangenen Woche erteilten Genehmigung lauten denn auch auf Minenräumung und Einhaltung der höchsten Umweltstandards.

Gegen die staatliche Entscheidung kann geklagt werden, doch damit wird derzeit nicht gerechnet. Der finnische Naturschutzbund erklärte, die letzten Gutachten seien so spät gekommen und zudem so umfassend, dass der Durchschnittsbürger sie nicht durchschauen und deswegen auch nicht klagen könne.

Derweil wächst auch in Schweden die Besorgnis, was die Bauarbeiten ans Licht fördern könnten. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die russische Armee während ihres Abzugs aus Lettland chemische Kampfstoffe und radioaktiv verseuchtes Material unweit Gotlands in der Ostsee versenkt hatte.

Nach Darstellung des Pipeline-Betreibers Nord Stream wird man die Umweltbestimmungen auf der gesamten 1120 Kilometer langen Trasse einhalten können. Das aber bezweifeln die deutschen Umweltverbände WWF und BUND: Sie weisen darauf hin, dass die umfangreichen Baggerarbeiten Sedimente in großem Umfang aufwühlen, wodurch Tausende Tonnen Phosphate und Stickstoff freigesetzt werden könnten. Dies erhöhe die Gefahr, dass weitere Todeszonen in der Ostsee entstehen, weil Fauna und Flora buchstäblich die Luft ausgehen. »Der WWF kann der Pipeline nur zustimmen, wenn in der Summe die Bilanz von Eingriffen und Kompensationen ostseeweit gleich null ist. Die Ausgleichsmaßnahmen müssen der geschundenen Ostsee direkt zugutekommen«, sagte der Leiter des WWF Ostseebüros, Jochen Lamp. Die Umweltstiftung will daher die Genehmigungsbescheide, noch bevor sie rechtskräftig werden, durch seine Fachjuristen prüfen lassen.

Im April ist Baubeginn für die Pipeline, der erste der beiden Stränge soll bereits 2011 Gas vom russischen Wyborg nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern pumpen. Gebaut wird von mehreren Stellen aus. Im Hafen von Mukran und im finnischen Kotka wurden spezielle Betonummantelungswerke für die Rohre gebaut, die bereits für mehrere hundert Kilometer Trasse produziert haben. Für den Bauablauf ist die französische Firma EUPEC verantwortliche. Der Vertrag hat einen Wert von 650 Millionen Euro, das Gesamtprojekt wird laut Nord Stream 7,4 Milliarden Euro kosten.

Nach voller Inbetriebnahme sollen jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas von den sibirischen und arktischen Gasfeldern Russlands nach Westeuropa gepumpt werden, wodurch der Bedarf zu etwa 25 Prozent gedeckt wird. Eine Abhängigkeit, die vielerorts als beunruhigend betrachtet wird. Das russische Staatsunternehmen Gazprom, das Nord Stream zu 51 Prozent besitzt – der deutsche Energiekonzern E.on Ruhrgas und die BASF-Tochter Wintershall besitzen je 20 Prozent der Anteile, die niederländische Gasunie hält die restlichen neun Prozent – bezeichnete es als absurd, Gas als Waffe einsetzen zu wollen. Die westliche Position könne nicht mit der der Ukraine verglichen werden, die zwei ernste Gaskrisen in den vergangenen Wintern erlebte. Aber die Bedenken lassen sich dennoch nicht so einfach vom Tisch fegen.

Die baltischen Länder und Polen hatten im Vorfeld eine Trassenführung über Land gefordert, um an Transiteinnahmen zu kommen, die durch Transport durch die Ostsee nicht fließen werden. Sie wiesen darauf hin, dass die Baukosten auf dem Land niedriger wären. Nord Stream hat diese Option jedoch nicht ernsthaft erwogen.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2010


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