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Weitere Rüstungsexporte genehmigt

Ausreise von radikalen Islamisten wurde jahrelang von Sicherheitsbehörden unterstützt

Von Haidy Damm *

Die Bundesregierung hat erneut Waffenlieferungen an arabische Staaten genehmigt. Ausreisewillige Gotteskrieger sollen dagegen jetzt in Deutschland bleiben müssen.

Von der angekündigten Zurückhaltung keine Spur: Kurz vor den Feierlichkeiten zum 3. Oktober hat die Bundesregierung erneut Rüstungsexporte an arabische Staaten in großem Umfang genehmigt. Unter anderem soll Katar 13 Transportpanzer sowie 32 Spähfahrzeuge erhalten, Saudi-Arabien einen Pionierpanzer sowie sechs Geschütze. In die Vereinigten Arabischen Emirate werden 3000 Maschinenpistolen, vier Pionierpanzer und 20 000 Mörsergranatzünder sowie Munition geliefert; nach Algerien 88 Allrad-Lastwagen mit militärischer Ausrüstung. Jordanien bekommt 1027 vollautomatische Maschinengewehre und 47 Maschinenpistolen. Kuwait erhält eine Granatmaschinenwaffe, der Oman 500 Maschinenpistolen sowie mehrere Maschinengewehre und vollautomatische Gewehre zur Erprobung. Neben den arabischen Staaten gehen noch Waffen ausgerechnet nach Kolumbien. Insgesamt genehmigte der Bundessicherheitsrat 15 Exporte, wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag den zuständigen Bundestagsausschüssen mitteilte.

Die Opposition kritisierte Gabriel scharf. »Sein ganzes Gerede von einer zurückhaltenden Exportpolitik war reine Schaumschlägerei«, sagte der Linke-Politiker Jan van Aken. Es sei »unfassbar«, dass der SPD-Chef den Export von Panzerfahrzeugen nach Katar genehmige. Dem Land wurde immer wieder vorgeworfen, an der Finanzierung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt zu sein.

Den Kampf gegen den IS-Vormarsch nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der von Protesten gegen den deutschen Nationalismus begleiteten zentralen Gedenkfeier zum Tag der Einheit, eine Herausforderung für »die ganze Welt«. Nicht allein die USA oder arabische Staaten seien hier gefordert, sagte Merkel am Freitag in Hannover. Die Kanzlerin beklagte die »schier unbegreifliche Anziehungskraft« des IS auf junge Menschen auch in Europa. Deutschland müsse mit allen Maßnahmen verhindern, das Dschihadisten von hier aus in den Krieg ziehen.

Diese Einsicht kommt spät. Wie Recherchen des Magazins »Monitor« zeigen, haben deutsche Sicherheitsbehörden noch bis zum Herbst 2013 die Ausreise radikaler Islamisten gebilligt oder sogar unterstützt. Grundgedanke dabei sei der »Schutz unserer Bevölkerung« gewesen, sagte der Leiter der Abteilung polizeilicher Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung des bayrischen Landeskriminalamtes, Ludwig Schierghofer, dem WDR-Magazin. Bayern plant »aus Sicherheitsgründen« eine weitere Abschiebung eines Salafisten in die Türkei, wie am Freitag bekannt wurde.

Die Grünen im Bundestag reagierten empört. »Die Praxis, Dschihadisten zur Ausreise zu ermutigen, käme einem Terrorexport gleich«, sagte die Sprecherin für innere Sicherheit, Irene Mihalic, am Donnerstag in Berlin.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. Oktober 2014


Deutsche Waffen für IS

BRD liefert wieder Panzer und Maschinengewehre an Katar und Saudi-Arabien, die Förderer der Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat«. Und Kanzlerin Merkel stimmt schon mal auf den nächsten Kriegseinsatz ein.

Von Rüdiger Göbel **


Deutschland befeuert die Konflikte im Nahen Osten mit Waffenlieferungen und willigen Kämpfern. Während die Weltöffentlichkeit dieser Tage mit Sorge auf das Vorrücken der Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) auf die nordsyrische Stadt Ain Al-Arab (kurdisch: Kobani) blickt, die kurdische Kämpfer tapfer verteidigen, wird bekannt, daß die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weitere Rüstungsexporte unter anderem nach Saudi-Arabien und Katar genehmigt hat – also ausgerechnet an jene Länder, die den IS fördern. Der geheim tagende Bundessicherheitsrat habe unter anderem die Ausfuhr von 13 Radpanzern des Typs »Dingo« und 32 Spähpanzern des Typs »Fennek« an das Emirat Katar gebilligt, teilte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses im Bundestag laut einem Bericht von Reuters am Donnerstag mit. Die IS-freundlichen Scheichs in Saudi-Arabien erhalten einen Pionierpanzer des Typs »Wisent 2« und sechs Waffenstationen, die über Fernbedienung gesteuert werden. Auch Jordanien, wo der US-Geheimdienst CIA Aufständische für den Kampf gegen Syriens Präsidenten Baschar Al-Assad trainiert (hat), zählt zu den Empfängern neuer Waffenexporte aus der BRD – gut 1.000 Gewehre, knapp 50 Maschinenpistolen sowie 100.000 Patronen Munition für Maschinenpistolen. Ferner können deutsche Waffenschmieden Kriegsgerät verkaufen – nach Kuwait (Granatwerfer), Oman (Maschinenpistolen) und die Vereinigten Arabischen Emirate (Mörsergranatzünder, Maschinenpistolen, Munition) sowie Algerien (Allradlaster, Funkgeräte).

Wie das ARD-Magazin »Monitor« am Donnerstag abend berichtete, förderten deutsche Behörden darüber hinaus jahrelang die Fahrten von Anti-Assad-Kämpfern ins Kriegsgebiet. Nach Darstellung des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) wurde die Ausreise »radikaler Islamisten« gebilligt oder sogar unterstützt. Grundgedanke war der »Schutz unserer Bevölkerung«, wie der Leiter der LKA-Abteilung polizeilicher Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung, Ludwig Schierghofer, gegenüber »Monitor« sagte. Von der Praxis des Terrorexports frei nach dem Motto »Lieber Araber töten als Deutsche« sind die Behörden nach eigenen Angaben inzwischen abgerückt. Mutmaßlichen »Dschihad-Touristen« sollen Pass und Personalausweis entzogen werden.

Bundeskanzlerin Merkel mimte derweil beim großen Einheitsfest in Hannover am Freitag die Antiterrorkämpferin und stimmte die Bevölkerung auf den nächsten Kriegseinsatz ein. Der Kampf gegen den »barbarischen Vormarsch« des IS sei eine Herausforderung für »die ganze Welt«. Nicht allein die USA oder arabische Staaten der Region seien hier gefordert, so Merkel, »nein, wir alle, denen der Satz, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, etwas bedeutet«.

Schon jetzt sitzt Deutschland in der Bündnisfalle: Das Parlament im NATO-Mitgliedsland Türkei hat am Donnerstag die Regierung in Ankara ermächtigt, eigene Truppen in Syrien und im Irak einzusetzen. Offiziell will die türkische Führung die bedrängten Kurden etwa in Kobani vor dem IS schützen – tatsächlich fördert Ankara die Dschihadisten im Nachbarland seit Jahren. Die Bundesregierung schaut dabei zu und schweigt. »Der Beschluss des türkischen Parlamentes richtet sich nicht nur gegen IS, sondern auch gegen die kurdischen Autonomiegebiete in Syrien und gegen Assad«, warnte am Donnerstag der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken. »Die Bundeswehr und die deutschen ›Patriot‹-Einheiten müssen sofort aus der Türkei abgezogen werden, andernfalls würde Deutschland sich direkt an einer völkerrechtswidrigen Intervention beteiligen.« Im NATO-Verteidigungsfall, der bei einer türkischen Bodenoffensive nur eine Frage der Zeit sei, wären deutsche Soldaten mitten in diesem Konflikt – »und zwar keinesfalls auf der Seite eines zuverlässigen Partners mit hehren Absichten«.

** Aus: junge Welt, Samstag, 4. Oktober 2014


Auf dem Territorium der Täter

Roland Etzel über die türkische Hilfe für die syrischen Kurden ***

Das Bedauern hierzulande über die Türkei, weil sie so viele Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen muss, ist derzeit allenthalben groß. Der Anschein mag auch dafür sprechen, allerdings: Es ist fehl am Platze, mag der Anschein auch dafür sprechen. Ja, Syriens Kurden fliehen vor den gnadenlosen Milizen der IS-Gotteskrieger, um das nackte Leben zu retten.

Sie kommen damit aber in ein Land, das für sie eher Territorium der Täter als der Schutzgebenden ist. Die Türkei ist von den Anrainern Iraks und Syriens jener Staat, der für die Dschihadisten bis dato noch sicheres Hinterland war und der dem Streben nach Selbstständigkeit kurdischer Entitäten auch außerhalb des eigenen Staatsgebietes unverhohlen drohte. An diesen Tatbeständen sollte eigentlich niemand vorbei können. Sie dennoch im Stile eines trotzigen Kindes zu leugnen, zählt aber nach wie vor zum beständigen Repertoire auch der deutschen Regierungspolitik.

Wenn die Türkei nun den Einmarsch in die kurdischen Gebiete in Nordostsyrien ankündigt, deklariert als Schaffung eines humanitären Korridors, dann haben die dortigen Selbstverwaltungen eher Erdrosselung als Hilfe zu erwarten. Die schwache Damaszener Regierung sieht ihre Souveränität um ein weiteres Stück beschnitten. Und Moskau, an anderen Fronten in Anspruch genommen, wird es diesmal wohl hinnehmen.

*** Aus: neues deutschland, Samstag 4. Oktober 2014 (Kommentar)


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